Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib! von Louise Otto-Peters

Es lag ein dumpfer Fluch ob allen Landen,
Ein dumpfer Fluch auf jeder Menschenbrust;
Die Völker schmachteten in schweren Banden,
Wie Hohn klang jedes Wort von Glück und Lust,
Wie Hohn klang, was die Dichterseher sangen
Von neuer Zeiten goldnem Morgenrot –
Die Freiheitssonne war ja untergangen
Und alles ringsum nächtlich still und todt.
 
Da hab’ ich traurig oft zu Nacht gesessen
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Im wilden Schmerz, der mich nicht schlafen ließ,
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Und konnte nicht die Welt um mich vergessen,
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Das Leben nicht, das doch nur Elend wies –
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Doch immer hörte ich im Geist die Kunde:
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Warum im Dunkeln zweifeln an dem Licht?
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Geschrieben steht: „Ihr wißt nicht Tag und Stunde,
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Doch kommt der Herr und hält ein Weltgericht.“
 
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Und stark im Glauben und im innern Schauen
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Warf ich mich wieder in das Weltgewühl,
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Sang stolze Freiheitslieder im Vertrauen:
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Bald wird zur Wahrheit, was jetzt nur Gefühl.
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Und klagend ob der Zeiten schwer Verschulden
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An aller Völker Ehre, Seel’ und Leib,
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Rief ich im Zorn ob schmählichem Erdulden:
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„Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib!“
 
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Erfüllt ward was die Bibelworte sagen:
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„Will Gott ein Volk befrein,“ spricht der Prophet,
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„Wird er mit Blindheit seinen König schlagen“ –
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Da sehn wir wie die Freiheit aufersteht:
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Der Julikönig stürzt vom Herrschersitze,
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Die Marsellaise wird sein Abschied’gruß,
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Sein Purpurmantel schmückt als Freiheitsmütze
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Das Mal des Sklavenführers Spartakus.
 
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So ist in Frankreich Tag und Stunde kommen,
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Die Weltgeschichte hält ihr Weltgericht;
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Ein glorreich Volk hat sich sein Recht genommen,
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Ein Volk, das nicht allein mit Worten spricht,
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Vor dessen Thaten alle Throne beben –
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Und alle Völker wagen diesen Ruf:
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Wir wollen frei, ein Volk von Brüdern leben,
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Tot ist die Zeit, die feige Sklaven schuf!
 
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Und jubelvoll ringsum im deutschen Lande
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Hallt es von Gleichheit und von Menschenrecht;
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Die Herzen lodern auf im Freiheitsbrande;
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Zum deutschen Bürger wird der deutsche Knecht;
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Das Volk will nicht nach Blut und Aufruhr dürsten
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Doch will es ein Gesetz aus eigner Wahl,
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Vor dem es selbst sich beugt sammt seinen Fürsten,
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Was ihm gebührt – das will es allzumal!
 
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Freiheit und Gleichheit in den deutschen Staaten
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Und jedes Recht, das man uns vorenthielt,
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Um das wir lang’ als schwache Kinder baten,
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Das man versprach und nimmer doch erfüllt:
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Das muß uns heut, das muß uns allen werden!
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Es kommt die neue Zeit mit ehrnem Gang,
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Mit großem Aug’ und mutigen Gebärden
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Und einem heiligen Triumphgesang.
 
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Arbeit und Brot! Ihr werdet’s nicht vergessen –
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Das ist die Losung dieser neuen Zeit!
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Gebt dem sein Recht, der keines noch besessen!
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Denkt an der Armut, an des Hungers Leid;
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Pflegt wohl der Menschenliebe goldne Saaten
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Und pflückt der Freiheitsbäume reife Frucht;
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Ist dann des Landmanns Ernte auch mißraten:
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Vom Hungertod wird niemand heimgesucht!
 
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O hohe Zeit! rings flicht man Bürgerkronen
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Und feiert schon der Freiheit Ostertag,
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Und jauchzt im „Männerstolz vor Königsthronen,“
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Weckt auf das Volk, das nicht mehr schlafen mag.
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O schöne Zeit! könnt’ ich mit Euch erheben
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Dies deutsche Land, daß frei es sei und bleib’!
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Ich bet’ um Segen nur für Euer Streben, –
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„Denn ich bin nichts als ein gefesselt Weib!“
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.7 KB)

Details zum Gedicht „Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib!“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
72
Anzahl Wörter
510
Entstehungsjahr
1840-1850
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib!“ wurde von der deutschen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters verfasst. Aufgrund des Lebensdatums der Autorin (1819-1895) lässt sich das Gedicht dem 19. Jahrhundert zuordnen. Die genaue Jahrzahl ist nicht angegeben, allerdings lässt der Verweis auf den Sturz des „Julikönigs“ auf 1848 während der europäischen Befreiungsbewegungen, auch bekannt als das Bürgerliche Revolutionsjahr, schließen.

Beim ersten Lesen fällt die starke Emotionalität und Dynamik des Gedichts auf. Es spiegelt deutlich Louise Otto-Peters Engagement für die Gleichstellung der Frauen und die soziale Gerechtigkeit wider. Sie verwendet starke, ausdrucksstarke Bilder und appelliert an die Gefühle der Leserschaft.

Die Kernaussage des Gedichts liegt in der Schilderung der Freiheitsbewegungen zu dieser Zeit und der gleichzeitig empfundenen Einschränkung der Frauen in der Gesellschaft. Es beginnt mit der Beschreibung einer Welt, in der Freiheit und Glück nur leere Worte sind und Menschen unterdrückt werden. Doch mithilfe des Glaubens schöpft das lyrische Ich Hoffnung und nimmt Teil an der Freiheitsbewegung. Sie äußert ihre Wut und Unzufriedenheit über ihre Position als „gefesselt[es] Weib“. Im Verlauf des Gedichts übt die Sprecherin Kritik an ihrer persönlichen Situation, aber ebenso am politischen System und ruft zu Gleichheit und Freiheit auf.

Das Gedicht besteht aus neun achtzeiligen Strophen. Es hat kein regelmäßiges Reimschema, dennoch gibt es vereinzelt Reime, was beispielsweise an Verse 9 und 11 oder 41 und 43 zu sehen ist. Die Verse sind überwiegend jambisch und haben vier Hebungen, sie sind also im Vierheber verfasst.

Die Sprache des Gedichts ist intensiv und pathetisch, was die leidenschaftliche politische Aussage der Autorin verstärkt. Metaphern wie „dumpfer Fluch“ und „schwere Banden“, durch welche die Unterdrückung ausgedrückt wird, oder das „goldne Morgenrot“, das Hoffnung symbolisiert, verdeutlichen die Emotionen. Form und Sprache des Gedichts tragen so zur überzeugenden Darstellung des Mitteilungsanliegens bei. Insgesamt gesehen ist das Gedicht ein starkes Statement für Freiheit und Gleichheit und ein deutlicher Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Rolle der Frau in der damaligen Gesellschaft.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib!“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Louise Otto-Peters. 1819 wurde Otto-Peters in Meißen geboren. 1850 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her lässt sich das Gedicht der Epoche Realismus zuordnen. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das Gedicht besteht aus 72 Versen mit insgesamt 9 Strophen und umfasst dabei 510 Worte. Weitere bekannte Gedichte der Autorin Louise Otto-Peters sind „Auf dem Kynast“, „Bergbau“ und „Berufung“. Zur Autorin des Gedichtes „Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib!“ haben wir auf abi-pur.de weitere 106 Gedichte veröffentlicht.

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