Allein von Louise Otto-Peters

Allein, allein! – die Liebe ist begraben,
Ich selbst bin nur die bleiche Trauerweide,
In deren Zweige sich verwandelt haben
Mein Liebesjubel, meine Liebesfreude!
Und was mich sonst an andre Herzen band
Mich hieß als Epheu einen Stamm
Das hab ich all als nicht’gen Traum erkannt:
Der Epheu muß allein im Freien schwanken.
 
Allein, allein! doch Du bist mir geblieben,
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Die mit dem Kind zu Spiel und Fest gegangen,
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Die für der Jungfrau frühlingselig Lieben
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Die Töne fand, die nur von Liebe klangen!
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Du, die mir ihren Zauberstab verlieh
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Die Nacht zu hellen, wo sie mich umdunkelt –
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Du bist mir treu, bist mein, o Poesie!
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Sei auch der Stern, der diese Nacht mir funkelt!
 
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Ja, sei ein Stern an meinem Abendhimmel
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Sei du mir selbst ein milder Hesperus,
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Doch in des Lebens, in der Zeit Gewimmel
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Strahl Andern mit des Morgensternes Gruß!
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Ob abendlich mein Aug’ in Thränen taut
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Ob in mir Nacht – was brauchts die Welt zu wissen?
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Die Welt, für die ein neuer Morgen graut,
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Der sie aus Traum und Schlummer aufgerissen?
 
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Und diesem Morgen jauchz auch ich entgegen,
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Wo wir der Freiheit Sonnenaufgang feiern,
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Den heißen Erntetag, wo reichen Segen
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Von langer Saat wir sammeln in die Scheuern.
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Das Los, das einer jungen Blüte fiel –
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Wer wird nach dem bei solcher Ernte fragen?
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Ob sie verwelkt, geknickt an ihrem Stiel –
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Nehmt sie zum Festkranz auf den Erntewagen!
 
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Nein, nicht allein! – will mich auch niemand lieben,
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Will niemand meines Herzens Qual verstehen,
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Muß jedes Band zerreißen und zerstieben,
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Weithin zerflatternd in die Lüfte wehen.
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So nehm’ ich dieses Herz, das ungezähmte
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Und leg es meinem Vaterland zu Füßen –
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Das sich um eines Menschen Schicksal grämte
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Dies Herz soll nur dem Ganzen sich erschließen,
 
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Und an die Armen sei’s dahin gegeben,
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Die obdachlos vor prächtgen Häusern stehen,
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Und hungerbleich die leere Hand erheben,
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Auf die verächtlich stolz die Reichen sehen;
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Die kleine Münze, die ich euch kann geben
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Ihr Armen lindert wenig Euren Schmerz –
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Doch hör’ ich Euer Rufen, Euer Flehen,
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So fleh ich Euch: nehmt Ihr, nehmt Ihr mein Herz!
 
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O könnte ich aus allen Euren Jammern
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Aus allen Freveln, die an Euch geschehen
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Aus aller Not in Euren öden Kammern
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Vor denen Laster als Versucher stehen:
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Könnt ich ein Lied aus diesem allen weben
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Und könnt es laut auf allen Gassen singen,
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Da sollten wohl viel starre Herzen beben,
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Viel Augen übergehn, viel Ohren klingen.
 
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Nein, nicht allein! ich will nicht fürder träumen
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Vom eitlen Herzen, das nach gleichem strebte!
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Will „Herz und Schmerz“ nicht – „Not und Brot“ nur reimen
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Und will es büßen, daß ich selbst mir lebte.
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Mir giebt des Himmels Gnade doch die Lieder
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Wenn er mir auch verweigert Gut und Gold.
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Was er mir giebt – den Armen sei es wieder
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Mit treuem Sinn als Liebespfand gezollt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.6 KB)

Details zum Gedicht „Allein“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
64
Anzahl Wörter
464
Entstehungsjahr
1840-1850
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Allein“ wurde von der deutschen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters im 19. Jahrhundert, also in der Epoche des Realismus und des beginnenden Naturalismus, verfasst.

Das Gedicht hinterlässt den ersten Eindruck eines intensiven emotionalen Ausdrucks und einer tiefen Selbstreflexion. Es wirkt teils melancholisch, teils hoffnungsvoll und teils kämpferisch – ebenso wie das Leben jener Zeit in einer Gesellschaft, in der Ungleichheit und soziale Probleme an der Tagesordnung waren.

Das lyrische Ich beginnt mit einer Klage über seine Einsamkeit und vergleicht sich mit einer „bleichen Trauerweide“. Es hat den Eindruck, dass seine Liebe und Freude verschwunden sind. Es fühlt sich von anderen entfremdet und sieht sich selbst als einsamer Efeu, der schwankend im Freien steht (Strophe 1). Doch dann macht es eine Entdeckung: Es hat immer noch die Poesie, die in ihm lebt und es ermutigt (Strophe 2). Das lyrische Ich sieht die Poesie als einen Stern, der in der Dunkelheit der Nacht leuchtet.

Trotz seiner inneren Traurigkeit findet das lyrische Ich den Mut, von einem neuen Tag zu träumen, an dem es hofft, „der Freiheit Sonnenaufgang“ zu feiern (Strophe 4). Es erklärt, dass es nicht mehr allein ist, auch wenn es niemand liebt oder versteht (Strophe 5). Es widmet sein Herz den Armen und Obdachlosen, die verächtlich von den Reichen behandelt werden (Strophe 6). Es drückt den Wunsch aus, ein Lied aus ihrem Leid zu weben und es auf den Straßen zu singen, um die Herzen der Menschen zu beben und zum Nachdenken zu bringen (Strophe 7).

Das lyrische Ich will nicht mehr von Herzschmerz träumen, sondern die Not und den Mangel der Armen thematisieren (Strophe 8). Es sieht seine dichterische Gabe als ein Werkzeug, um die Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft anzuprangern und möchte sein Leben diesen Zielen widmen.

Das Gedicht ist in achtsilbigen Versen und in einem regelmäßigen Kreuzreim geschrieben, was ihm Struktur und Rhythmus verleiht. Die Sprache ist metaphorisch, emotional und bildhaft, mit starken Bildern von Einsamkeit, Traurigkeit und Hoffnung. Das lyrische Ich verwendet zudem antithetische Begriffe wie „Liebe“ und „Trauer“, „Freiheit“ und „Not“, „reich“ und „arm“, um die Gegensätze in seiner Welt zu verdeutlichen.

Zusammenfassend ist das Gedicht von Louise Otto-Peters eine eindringliche Selbstreflexion und eine starke soziale Kritik. Das lyrische Ich nutzt seine Gabe der Poesie, um seine inneren Gefühle auszudrücken und auf die Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Es zeigt eine bewundernswerte Stärke und Entschlossenheit, sich für die Armen und Unterdrückten einzusetzen.

Weitere Informationen

Louise Otto-Peters ist die Autorin des Gedichtes „Allein“. Im Jahr 1819 wurde Otto-Peters in Meißen geboren. Im Jahr 1850 ist das Gedicht entstanden. Erschienen ist der Text in Leipzig. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her der Epoche Realismus zuordnen. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das 464 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 64 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Louise Otto-Peters ist auch die Autorin für das Gedicht „Am längsten Tage“, „An Alfred Meißner“ und „An August Peters“. Zur Autorin des Gedichtes „Allein“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 106 Gedichte vor.

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