Ich bin bereit von Louise Otto-Peters

Ich bin bereit! willst Du hinweg mich rufen
Von dieser Erde, nimm, mein Gott, mich hin.
Der Tod ist meiner Seele nur Gewinn:
Er führt empor zu neuen Lebensstufen.
 
Die mächt’gen Schöpferworte, die mich schufen,
Die mich erfüllt mit selbstbewußtem Sinn –
Sie werden seit der Welten Anbeginn
In einem ew’gen Echo fortgerufen.
 
Sie tönen, wirken fort ohn’ End’, ohn’ Ende,
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Rings in dem Riesenpulsschlag der Natur,
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Als immer neuverjüngte Lebensspende.
 
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Und über mir, im himmlischen Azur,
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Dort, wo auch meines Geistes Sonnenwende,
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Kann nicht verwehen ihre heil’ge Spur.
 
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II.
 
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Ich bin bereit! – wohl war es schön hienieden,
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Als mir bei Veilchenduft und Lerchenschlag,
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An manchen sonnenhaften Frühlingstag
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Ein innig Lied zu singen selbst beschieden.
 
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Und schön auch, wenn nach Stürmen, nie gemieden,
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Nach einem Wetter, das in Blitzen sprach,
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Hervor ein bunter Regenbogen brach,
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Verkündend einen neuen Sabbatfrieden.
 
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Schön war’s, wenn bei des Mondes mildem Leuchten,
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Und bei der Nachtigallen süßem Sang,
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In tiefer Sehnsucht sich die Augen feuchten.
 
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Und schöner, wenn in der Begeistrung Drang
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Sich Herz und Seel’ dem Ew’gen nahe deuchten –
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Doch – wenn dies sterbend nun erst ganz gelang?
 
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III.
 
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O schönes Leben, das der Liebe Bande
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Um mich mit allen ihren Zaubern wob!
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Ein trauter Arm mich in den Himmel hob
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Und Herz an Herz im süßen Feuer brannte.
 
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Ja! Liebe wird zum Himmels Unterpfande!
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Ob Sturm und Blitz die Myrthe auch umtob,
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Ob auch die schönste Rose noch zerstob –:
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Die Liebe ist des Ew’gen Abgesandte.
 
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Wenn Seel’ und Seele sich verwandt erkennen?
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Ob wir es Freundschaft, ob wir’s Liebe nennen,
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Es ist ein Zeichen unsrer Göttlichkeit.
 
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Und wenn die Geister sich vom Ird’schen trennen –
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Wo ist für rechte Liebe denn das Leid?
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Dort ist der Liebe Reich – ich bin bereit!
 
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IV.
 
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Ein Ziel, ein hohes, hatt’ ich mir erkoren,
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Ihm weiht ich mich mit allem was ich bin:
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Die Freiheit nahm mich auf als Priesterin,
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In ihrem Dienst hielt ich, was ich geschworen.
 
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Und war’s ein Spott, den Klugen wie den Thoren,
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Ehrt’ in der Frau ich auch die Bürgerin:
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Klar blieb und fest und unbeirrt mein Sinn,
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Nie hab’ ich mich von meinem Weg verloren.
 
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Das Ewige, sich hier schon offenbarend
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In Lenz und Liebe und im Freiheitsdrang,
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Bis in den Tod in meiner Brust bewahrend.
 
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Und wie ich oft schon ahnend auf mich schwang,
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Nicht Müh’ und Not noch jähen Sturz befahrend,
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Bin ich bereit zu meinem letzten Gang!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.5 KB)

Details zum Gedicht „Ich bin bereit“

Anzahl Strophen
19
Anzahl Verse
59
Anzahl Wörter
405
Entstehungsjahr
1870-1880
Epoche
Realismus,
Naturalismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Ich bin bereit“ wurde von Louise Otto-Peters verfasst, einer deutschen Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und Mitbegründerin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins im 19. Jahrhundert. Ihre Schaffensperiode, das 19. Jahrhundert, ist historisch gesehen die Zeitepoche der Romantik, des Biedermeier und des Realismus.

Auf den ersten Eindruck vermittelt das Gedicht eine ernsthafte, nachdenkliche Stimmung. Das lyrische Ich zeigt sich als einen Menschen, der bereit ist, das Leben loszulassen und den Tod als nächsten Schritt anzunehmen. Es ist eine Auseinandersetzung mit dem Sterben, der Rolle des Individuums im Universum, der Liebe und dem eigenen Lebensweg.

Inhaltlich lässt das Gedicht eine gewisse Lebenserfahrung und spirituelle Reife des lyrischen Ichs erkennen. Es spricht vom Tod als Erhebung auf eine höhere geistige Ebene („Er führt empor zu neuen Lebensstufen“) und stellt die Ewigkeit des Universums gegenüber der Endlichkeit des irdischen Lebens dar ( „Die mächt’gen Schöpferworte, die mich schufen, Sie werden seit der Welten Anbeginn In einem ew’gen Echo fortgerufen“). Die Natur wird als ewiger Zyklus von Geburt, Leben und Tod dargestellt, in dem das lyrische Ich Teil des Ganzen ist. Das lyrische Ich zeigt eine tiefe Liebe zum Leben und entsprechend wird die Liebe als ewig und unzerstörbar porträtiert. Zudem reflektiert es

seinen eigenen Lebensweg und steht zu seiner unbändigen Freiheitsliebe und ihrem unerschütterlichen Bestreben, die Frauenrechte auch im Angesicht von Spott zu verteidigen.

In Bezug auf Form und Sprache lässt das Gedicht eine gewisse klassische Strenge sowie Romantik erkennen. Die umfangreiche Verwendung von Metaphern („Der Tod ist meiner Seele nur Gewinn“, „Die mächt’gen Schöpferworte, die mich schufen“), von Vergleichen („Ob Sturm und Blitz die Myrthe auch umtob“) und bildhaften Ausdrücken („bei des Mondes mildem Leuchten“) lassen die Ausführungen bildreich und sehr ausdrucksstark erscheinen. Darüber hinaus beweist Louise Otto-Peters ihre Sprachbeherrschung durch die gekonnte Nutzung verschiedener Reimformen.

Zusammenfassend besingt das Gedicht das Leben in seiner Vollkommenheit und Unvollkommenheit, das Angenommensein und die Hingabe an einen überirdischen Plan, die Ewigkeit und ihre Manifestation in der Natur sowie die Liebe und die Rolle des lyrischen Ichs als weibliche Kämpferin für Gleichberechtigung und Freiheit. Es ist eine Feier von Leben, Tod und Wiedergeburt, auf einer persönlichen und kosmischen Ebene.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Ich bin bereit“ der Autorin Louise Otto-Peters. Geboren wurde Otto-Peters im Jahr 1819 in Meißen. Im Jahr 1880 ist das Gedicht entstanden. In Leipzig ist der Text erschienen. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Realismus oder Naturalismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten der Autorin vorgenommen werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 405 Wörter. Es baut sich aus 19 Strophen auf und besteht aus 59 Versen. Weitere Werke der Dichterin Louise Otto-Peters sind „An Alfred Meißner“, „An August Peters“ und „An Byron“. Zur Autorin des Gedichtes „Ich bin bereit“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 106 Gedichte vor.

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