Einst und Jetzt von Louise Otto-Peters
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Auf grünen Wiesen sah ich Lämmer weiden – |
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Ihr Glöckleinklang als einziges Getön |
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War zu vernehmen im Vorüberschreiten – |
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Sonst Alles still – so friedlich und so schön. |
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Bei einer Linde weilte traut beisammen |
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Ein jugendfrohes, hochbeglücktes Paar. |
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Er ließ sein Auge in das ihre flammen, |
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Sie bot ihm schüchtern ihre Wange dar. |
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Dicht gegenüber wo aus grünen Bäumen |
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Gar traulich winkt ein strohgedecktes Dach, |
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Da mochten sie den eignen Heerd sich träumen, |
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Wo sich ihr Wunsch der Zukunft Glück versprach. |
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Des Dorfes Kinder spielten muntre Spiele |
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Als Pferde spannten sie dem Pflug sich vor, |
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Ein Knabe lenkte zum bestimmten Ziele |
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Mit Peitschenknall den muntern Brüderchor. – |
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Das war vor Zeiten – als ich wiederkommen |
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Zu diesem stillen, waldumkränzten Thal – |
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Hei! wie da aller Friede ist genommen, |
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Hei! wie das Alles anders auf einmal! |
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Die neue Macht, die sich die Welt erküret |
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Sie hat auch hier jed alten Brauch verdrängt: |
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Seht wie ein Pfad jetzt durch die Berge führet |
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Ein Wagen an dem andern rollend hängt. |
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Statt Herdenglöcklein läutende Signale – |
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Es rauscht und zischt und saust mit Ungestüm |
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Und rüttelt alle Träumer auf im Thale |
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Das mächtge feuerspeiende Ungetüm. – |
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Wird lang das Paar noch bei der Linde bleiben? |
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Die Maid steht bleich vor naher Trennungsqual – |
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„Mich will’s hinaus ins rasche Leben treiben!“ |
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Ruft er, „leb wohl! schon pfiffs zum drittenmal!“ |
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Sie schaut ihm nach mit sehnsuchtsvollen Blicken, |
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Wohl ahnt sie draußen die bewegte Welt! – |
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Wird nicht ihr Glanz des Liebsten Herz umstricken? |
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Ist dies kein Riff an dem ihr Glück zerschellt?“ |
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Wo sind die Knaben, die sich hier erfreuten? |
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Das alte Pflugspiel ist zu schlecht und klein |
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Ein bessres Loos denkt Jeder zu erbeuten |
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Als das nur ein gepeitschtes Pferd zu sein. – |
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Dahin, dahin der einsam stille Frieden, |
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Dahin, dahin ein jed idyllisch Glück! |
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Denn alle Ruh ist aus der Welt geschieden – |
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O Dampf, fürwahr, das ist Dein Meisterstück! |
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Ja, Frieden stirb! – Du stiller Kirchhoffrieden, |
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Du hast fürwahr zu lange schon gewährt, |
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Ein ander Glück giebt’s noch für uns hinieden, |
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Ein andrer Glanz hat unsre Zeit verklärt! |
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Seht dort den Greis in dünnen Silberhaaren, |
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Indeß die Wagen fliegen hört sein Flehn: |
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„Nun, Herr, laß Deinen Knecht in Frieden fahren! |
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Nun er die Wunder dieses Tags gesehn!“ |
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Er ahnt es wohl, doch wußt er’s nicht zu sagen |
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Als ihn Bewunderung auf’s Knie gesenkt: |
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Es weht ein neuer Geist um diese Wagen, |
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Aus diesem Dampf der Eisenrosse lenkt. |
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Rings lärmt er auf zum rüstigen Bewegen |
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Und dieses Läuten ruft: Habt acht! habt acht! |
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Mit jeder Schiene, die sie weiter legen |
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Wird neues Leben in die Welt gebracht. |
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Und eh sie noch die Gotteskraft verstehen |
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Sind sich die Völker jubelnd nah gebracht |
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Und lassen ihre Freiheitsbanner wehen, |
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Und durch die Lüfte saust’s: Erwacht! erwacht! |
Details zum Gedicht „Einst und Jetzt“
Louise Otto-Peters
16
64
451
1840-1850
Realismus
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Einst und Jetzt“ ist von Louise Otto-Peters geschrieben worden, die von 1819 bis 1895 lebte. Sie ist unter anderem als Schriftstellerin und Frauenrechtlerin bekannt. Damit lässt sich das Gedicht zeitlich in die Mitte des 19. Jahrhunderts einordnen.
Auf den ersten Eindruck präsentiert das Gedicht eine Mischung aus Nostalgie und der Sorge über eine sich verändernde Welt. Es schildert das ländliche Leben, wie es einst war, und im Vergleich dazu, das lebhafte und pulsierende Leben, das durch die Industrialisierung und technischen Fortschritt gebracht wird.
Im Gedicht zeichnet das lyrische Ich zunächst ein Bild von idyllischem Frieden und Natürlichkeit, charakterisiert durch Szenen wie weidende Lämmer, ein verliebtes junges Paar, Kinder, die in der Natur spielen. Dann berichtet sie, wie das Alles sich verändert hat – das stille Tal ist nicht mehr still, sondern von der neuen, laut und schnell voranschreitenden Industriemaschinerie erfüllt. Die Menschen sind nicht mehr zufrieden mit ihren einfachen Leben. Die Industrialisierung drängt die alten Sitten und Gebräuche weg.
Formal besteht das Gedicht aus sechzehn Strophen, die jeweils vier Verse haben. Hinsichtlich der Sprache fällt auf, dass das Gedicht in einem eher altmodischen Deutsch verfasst ist, was dem Gesamtthema des Werks entspricht – der Gegensatz von alt und neu, von damals und heute.
Themen wie Tradition, Veränderung, Fortschritt und deren Auswirkungen auf das Menschsein und gesellschaftliche Beziehungen werden in dem Gedicht diskutiert. Louise Otto-Peters zeigt dabei ihre gemischten Gefühle bezüglich der rasanten Veränderungen, die sich während ihrer Lebenszeit im Zuge der Industrialisierung ergeben haben. Sie ist sich der positiven Aspekte, wie Fortschritt und Verbesserung des Lebens bewusst, sorgt sich jedoch auch um den Verlust von Ruhe, Frieden und Einfachheit, den diese Veränderungen mit sich bringen.
Weitere Informationen
Louise Otto-Peters ist die Autorin des Gedichtes „Einst und Jetzt“. Im Jahr 1819 wurde Otto-Peters in Meißen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1850 zurück. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epoche ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das Gedicht besteht aus 64 Versen mit insgesamt 16 Strophen und umfasst dabei 451 Worte. Die Gedichte „An Ludwig Börne“, „An Richard Wagner“ und „Auf dem Kynast“ sind weitere Werke der Autorin Louise Otto-Peters. Zur Autorin des Gedichtes „Einst und Jetzt“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 106 Gedichte vor.
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