Demut von Christian Fürchtegott Gellert

1	Herr! lehre mich, wenn ich der Tugend diene,
2	Daß nicht mein Herz des Stolzes sich erkühne,
3	Und nicht auf sie vermessen sei.
4	Herr! lehre mich, wie oft ich fehle, merken.
5	Was ist der Mensch bei seinen besten Werken?
6	Wenn sind sie von Gebrechen frei?
7	Wie oft fehlt mir zum Guten selbst der Wille!
8	Wie oft, wenn ich auch dein Gebot erfülle,
9	Erfüll ich's minder, als ich soll!
10	Sind Lieb und Furcht stets die Bewegungsgründe
11	Der guten Tat, der unterlaßnen Sünde?
12	Und ist mein Herz des Eifers voll?
13	Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend,
14	Gedenke nicht der unvollkommnen Tugend
15	Der reifern Jahre meiner Zeit.
16	Wenn ich noch oft aus Stolz nach Tugend strebe,
17	Aus Menschenfurcht mich Lastern nicht ergebe;
18	Was ist denn meine Frömmigkeit?
19	Wenn ich den Geiz aus Furcht der Schande fliehe,
20	Aus Weichlichkeit mich wohlzutun bemühe,
21	Und mäßig bin, gesund zu sein;
22	Wenn ich die Rach aus Eigennutze hasse,
23	Der Ehrsucht Pfad aus Trägheit nur verlasse;
24	Was ist an dieser Tugend mein?
25	Und Gott, wie oft sind unsre besten Triebe
26	Nicht Frömmigkeit, nicht Früchte deiner Liebe,
27	Nur Früchte der Natur und Zeit!
28	Wenn fühlen wir der Tugend ganze Würde?
29	Wenn ist dein Joch uns eine leichte Bürde,
30	Und dein Gebot Zufriedenheit?
31	Doch, Herr, mein Gott! wenn auch zu deiner Ehre
32	Mein Herze rein, rein meine Tugend wäre;
33	Wes ist denn dieses Eigentum?
34	Wer ließ mich früh zur Tugend unterrichten,
35	Mein Glück mich sehn in meines Lebens Pflichten,
36	Und im Gehorsam meinen Ruhm?
37	Wer gab mir Mut, Herr, dein Gebot zu lieben?
38	Wer gab mir Kraft, es freudig auszuüben,
39	Und in Versuchung Schild und Sieg?
40	Wes ist der Quell, der mich mit Weisheit tränkte?
41	Und wes der Freund, der mich zum Guten lenkte,
42	Und mir den Fehler nicht verschwieg?
43	Du triebst mich an, daß ich das Gute wählte,
44	Und riefst mich oft, wenn ich des Wegs verfehlte,
45	Durch Stimmen deines Geists zurück;
46	Zogst mich durch Kreuz, durch Wohltat auch, von Sünden,
47	Ließt, wenn ich rief, mich wieder Gnade finden,
48	Und gabst zu meiner Beßrung Glück.
49	Was ist der Mensch, daß du, Gott, sein gedenkest,
50	Gerechtigkeit in deinem Sohn ihm schenkest,
51	Und zur Belohnung selbst ein Recht?
52	Und wenn ich nun, durch deines Geistes Gabe,
53	Des Glaubens Kraft, und alle Werke habe,
54	Wer bin ich? Ein unnützer Knecht.

Details zum Gedicht „Demut“

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Demut“ des Autors Christian Fürchtegott Gellert. Geboren wurde Gellert im Jahr 1715 in Hainichen. Zwischen den Jahren 1731 und 1769 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Aufklärung zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Gellert handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 377 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 54 Versen mit insgesamt 9 Strophen. Weitere Werke des Dichters Christian Fürchtegott Gellert sind „Der Leichtsinn“, „Das Kind mit der Schere“ und „Der junge Krebs und die Seemuschel“. Zum Autor des Gedichtes „Demut“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 164 Gedichte vor.

Weitere Gedichte des Autors Christian Fürchtegott Gellert (Infos zum Autor)

• Der Selbstmord
• Nicht jede Besserung ist Tugend
• Der Jüngling und der Greis
• Krispin und Krispine
• Das Testament
• Der reiche Geizhals
• Der Leichtsinn
• Das Kind mit der Schere
• Der junge Krebs und die Seemuschel
• Das Glück und die Liebe

Zum Autor Christian Fürchtegott Gellert sind auf abi-pur.de 164 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.