Der Haideknabe von Christian Friedrich Hebbel

Der Knabe träumt, man schicke ihn fort
Mit dreizig Thalern zum Haide-Ort,
Er ward drum erschlagen am Wege
Und war doch nicht langsam und träge.
 
Noch liegt er im Angstschweiß, da rüttelt ihn
Sein Meister, und heißt ihm, sich anzuzieh'n
Und legt ihm das Geld auf die Decke
Und fragt ihn, warum er erschrecke.
 
»Ach Meister, mein Meister, sie schlagen mich todt,
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Die Sonne, sie ist ja wie Blut so roth!«
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Sie ist es für dich nicht alleine,
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Drum schnell, sonst mach' ich dir Beine!
 
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»Ach Meister, mein Meister, so sprachst du schon,
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Das war das Gesicht, der Blick, der Ton,
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Gleich greifst du« - zum Stock, will er sagen,
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Es sagt's nicht, er wird schon geschlagen.
 
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»Ach Meister, mein Meister, ich geh', ich geh',
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Bring meiner Frau Mutter das letzte Ade!
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Und sucht sie nach allen vier Winden,
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Am Weidenbaum bin ich zu finden!«
 
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Hinaus aus der Stadt! Und da dehnt sie sich,
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Die Haide, nebelnd, gespenstiglich,
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Die Winde darüber sausend,
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»Ach, wär' hier Ein Schritt, wie tausend!«
 
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Und Alles so still, und Alles so stumm,
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Man sieht sich umsonst nach Lebendigem um,
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Nur hungrige Vögel schießen
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Aus Wolken, um Würmer zu spießen.
 
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Er kommt an's einsame Hirtenhaus,
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Der alte Hirt schaut eben heraus,
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Des Knaben Angst ist gestiegen,
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Am Wege bleibt er noch liegen.
 
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»Ach Hirte, du bist ja von frommer Art,
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Vier gute Groschen hab' ich erspart,
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Gieb deinen Knecht mir zur Seite,
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Daß er bis zum Dorf mich begleite.
 
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Ich will sie ihm geben, er trinke dafür
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Am nächsten Sonntag ein gutes Bier,
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Dies Geld hier, ich trag' es mit Beben,
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Man nahm mir im Traum drum das Leben!«
 
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Der Hirt, der winkte dem langen Knecht,
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Er schnitt sich eben den Stecken zurecht,
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Jetzt trat er hervor - wie graute
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Dem Knaben, als er ihn schaute!
 
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»Ach Meister Hirte, ach nein, ach nein,
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Es ist doch besser, ich geh' allein!«
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Der Lange spricht grinsend zum Alten:
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Er will die vier Groschen behalten.
 
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»Da sind die vier Groschen!« Er wirft sie hin
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Und eilt hinweg mit verstörtem Sinn.
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Schon kann er die Weide erblicken,
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Da klopft ihn der Knecht in den Rücken.
 
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Du hältst es nicht aus, du gehst zu geschwind,
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Ei, Eile mit Weile, du bist ja noch Kind,
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Auch muß das Geld dich beschweren,
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Wer kann dir das Ausruh'n verwehren!
 
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Komm, setz' dich unter den Weidenbaum
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Und dort erzähl' mir den häßlichen Traum,
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Mir träumte - Gott soll mich verdammen,
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Trifft's nicht mit deinem zusammen!
 
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Er faßt den Knaben wohl bei der Hand,
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Der leistet auch nimmermehr Widerstand,
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Die Blätter flüstern so schaurig,
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Das Wässerlein rieselt so traurig!
 
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Nun sprich, du träumtest - »Es kam ein Mann -«
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War ich das? Sieh mich doch näher an,
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Ich denke, du hast mich gesehen!
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Nun weiter, wie ist es geschehen?
 
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»Er zog ein Messer!« - War das, wie dieß?
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»Ach ja, ach ja!« - Er zog's? - »Und stieß -«
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Er stieß dir's wohl so durch die Kehle?
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Was hilft es auch, daß ich dich quäle!
 
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Und fragt ihr, wie's weiter gekommen sei?
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So fragt zwei Vögel, sie saßen dabei,
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Der Rabe verweilte gar heiter,
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Die Taube konnte nicht weiter!
 
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Der Rabe erzählt, was der Böse noch that,
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Und auch, wie's der Henker gerochen hat,
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Die Taube erzählt, wie der Knabe
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Geweint und gebetet habe.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.7 KB)

Details zum Gedicht „Der Haideknabe“

Anzahl Strophen
20
Anzahl Verse
80
Anzahl Wörter
548
Entstehungsjahr
1813 - 1863
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Haideknabe“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Christian Friedrich Hebbel. Im Jahr 1813 wurde Hebbel in Wesselburen, Dithmarschen geboren. Im Zeitraum zwischen 1829 und 1863 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Realismus zuordnen. Hebbel ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 548 Wörter. Es baut sich aus 20 Strophen auf und besteht aus 80 Versen. Die Gedichte „An Elise“, „Gott“ und „Leben“ sind weitere Werke des Autors Christian Friedrich Hebbel. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der Haideknabe“ weitere 418 Gedichte vor.

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