Morgen und Abend von Christian Friedrich Hebbel

1	O Morgenzeit, du frische Zeit!
2	Des Lebens reichste Quelle!
3	Du machst die enge Brust mir weit,
4	Das trübe Aug' mir helle!
5	Mir ist, als dürft' ich aufersteh'n
6	Aus einem dumpfen Grabe,
7	Wenn ich das erste Licht geseh'n,
8	Den Hauch getrunken habe.
9	Dem Teich Bethesda gleicht mein Herz
10	Mit seinen frischen Säften,
11	Die schwellen es zu Lust und Schmerz
12	Mit tausend neuen Kräften:
13	Ihr trunk'nes Durcheinanderspiel
14	Erfüllt mich mit Entzücken;
15	Ich weiß nicht was, doch will ich viel,
16	Und Alles muß mir glücken!
17	Allein, unendlich ist die Welt,
18	Und, wie die Brust sich dehne,
19	Sie fühlt's zuletzt, und brennend fällt
20	Die reinste Menschenthräne.
21	Dann sinkt des Abends heil'ge Ruh',
22	Als wär's auf eine Wunde,
23	Auf sie herab, und schließt sie zu,
24	Damit sie still gesunde.
25	Des Menschen Kraft reicht eben aus
26	Zum Kämpfen, nicht zum Siegen,
27	Wir sollen in dem ew'gen Strauß
28	Nicht steh'n und nicht erliegen;
29	Doch, wenn uns dieß das Herz beschwert,
30	Naht der ersehnte Schlummer,
31	Und, ward der letzte Wunsch gewährt:
32	Wem macht der erste Kummer?

Details zum Gedicht „Morgen und Abend“

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Morgen und Abend“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Christian Friedrich Hebbel. Geboren wurde Hebbel im Jahr 1813 in Wesselburen, Dithmarschen. Zwischen den Jahren 1829 und 1863 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Realismus zuordnen. Hebbel ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 168 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 32 Versen. Weitere Werke des Dichters Christian Friedrich Hebbel sind „Sommerlied“, „Scham“ und „Der Blinde“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Morgen und Abend“ weitere 418 Gedichte vor.

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