Parabel von Christian Friedrich Hebbel

Jüngst traf ich einen alten Mann
Und hub ihm vorzusingen an,
Doch an den Mienen des Gesichts
Bemerkt' ich bald, er höre Nichts.
Da dachte ich: der Greis ist taub,
Drum wird dein Lied des Windes Raub,
So thu ihm denn, nicht durch den Mund,
Durch Zeichen Dieß und Jenes kund.
Ich that's, doch ward mir leider klar,
10 
Daß er auch schon erblindet war,
11 
Denn, wie der Frosch aus seinem Sumpf,
12 
Hervor glotzt, sah er dumpf und stumpf,
13 
Und ungestört in seiner Ruh',
14 
Der Sprache meiner Finger zu.
15 
Ich rief: mit dem steht's schlimm genug,
16 
Doch mögt' ich ihm den letzten Zug
17 
Noch gönnen aus dem Lebensquell!
18 
Da reicht' ich ihm die Rose schnell,
19 
Die ich für meine Braut gepflückt,
20 
Allein auch das ist schlecht geglückt,
21 
Ihm schien der Duft nicht mehr zu sein,
22 
Wie einem Gartengott von Stein.
23 
Nunmehr verlor ich die Geduld,
24 
Ich dacht' an meines Mädchens Huld,
25 
Die mir so schmählig jetzt entging,
26 
Da sie die Rose nicht empfing,
27 
Und jagte ihm im ersten Zorn
28 
In's dicke Fell den scharfen Dorn;
29 
Doch bracht' auch dieß ihm wenig Noth,
30 
Er zuckte nicht, er - war wohl todt!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25 KB)

Details zum Gedicht „Parabel“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
189
Entstehungsjahr
1813 - 1863
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht mit dem Titel „Parabel“ stammt von dem deutschen Dramatiker und Lyriker Christian Friedrich Hebbel. Erbbel lebte von 1813 bis 1863 und gehört somit der Epoche des Realismus an.

Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht eher humoristisch, vielleicht sogar sarkastisch. Es beschreibt die Begegnung des lyrischen Ichs mit einem alten Mann, an dem es alle Möglichkeiten der Kommunikation ausprobiert, um letztendlich festzustellen, dass der Mann vermutlich tot ist.

Inhaltlich geht es im Gedicht um das lyrische Ich, das auf einen alten Mann trifft und versucht, mit ihm zu kommunizieren. Zuerst versucht es das durch Gesang, dann durch Zeichen oder Gesten, danach durch den Duft einer Rose und schließlich durch den Schmerz eines Dorns. Alle Versuche scheitern jedoch, weil der alte Mann entweder taub, blind, geruchslos oder schmerzunempfindlich ist oder alle diese Eigenschaften in sich vereint. Schließlich stellt das lyrische Ich fest, dass der Mann wohl tot ist.

Die Aussage des Gedichts ist eher diffizil zu interpretieren. Über den Humor und die Sarkasmus hinaus kann das Gedicht als Kritik an der Ignoranz und der Selbstbezogenheit der Menschen gesehen werden. Das lyrische Ich ist so auf seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche fixiert, dass es die offensichtlichen Anzeichen des Todes beim alten Mann übersieht.

In Bezug auf die Form des Gedichts handelt es sich um eine klassische Ballade mit vierzeiligen Strophen und einem einfachen Reimschema (aabb). Die Ballade ist auch sprachlich schlicht gehalten, es gibt keine komplizierten Metaphern oder Symbole, sondern es wird eine einfache Geschichte erzählt. Das Gedicht ist allerdings rhetorisch geschickt konstruiert, denn die Pointe am Ende - dass der alte Mann tot ist - kommt überraschend und sorgt für einen Schmunzler.

Insgesamt ist „Parabel“ ein humorvolles, vielleicht etwas böses Gedicht, das die egozentrische Sichtweise des Menschen und seine Ignoranz gegenüber den Belangen anderer aufzeigt. Durch seine klare Sprache und seinen überraschenden Schluss bleibt es dem Leser im Gedächtnis.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Parabel“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Christian Friedrich Hebbel. Geboren wurde Hebbel im Jahr 1813 in Wesselburen, Dithmarschen. In der Zeit von 1829 bis 1863 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Hebbel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 189 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 30 Versen mit nur einer Strophe. Weitere Werke des Dichters Christian Friedrich Hebbel sind „Glück“, „Zwei Wandrer“ und „Und ist ein bloßer Durchgang denn mein Leben“. Zum Autor des Gedichtes „Parabel“ haben wir auf abi-pur.de weitere 418 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Christian Friedrich Hebbel

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Christian Friedrich Hebbel und seinem Gedicht „Parabel“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Christian Friedrich Hebbel (Infos zum Autor)

Zum Autor Christian Friedrich Hebbel sind auf abi-pur.de 418 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.