Giordano Bruno von Rudolf Lavant

Dreihundert Jahre sollst du rückwärts sehen –
Dreihundert Jahre – eine Ewigkeit
Für uns, die wir auf ihren Schultern stehen,
Und dennoch – eine kurze Spanne Zeit!
Mit andern Maßen mißt die Weltgeschichte,
Und andre Räume überfliegt ihr Blick;
Sie schreibt die größten, packendsten Gedichte,
Und ein Jahrhundert wird zum Augenblick.
 
Sie schreibt Gedichte wunderbaren Klanges –
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Aus einem Gusse sind so Stoff wie Ton;
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Sie schreiten vorwärts kriegerischen Ganges,
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Durchtränkt von Pathos, Ironie und Hohn.
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Das ist kein ängstlich-ärmlich Verseleimen,
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Da stört kein Flickwort ungeschickt und zag,
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Sie sind so reich an tönend-vollen Reimen,
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Und jeder Vers trifft wie ein Hammerschlag.
 
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Dreihundert Jahre sind’s, da band der Henker
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An eines hohen Scheiterhaufens Pfahl
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Mit rohen Händen einen muth’gen Denker,
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Der keck vom Himmel ew’ges Feuer stahl.
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Sein Wort war lauter als der Mönche Lieder,
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Mit denen man das Heil ersingen will –
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Da zuckt’ ein Bannstrahl ungeduldig nieder
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Vom Stuhle Petri – und der Mann ward still.
 
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Zu Asche brannten auf erhöhter Bühne
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Sie sein Gebein mit festlich-düstrer Pracht,
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Nachdem so manches lange Jahr der Kühne
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In Kerkermauern ungebeugt verbracht.
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Verbrannt ward Alles, was er je geschrieben,
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Der Bücher Asche trug der Luftzug fort,
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Und keine Spur des Frevlers war geblieben –
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Dem heil’gen Vater blieb das letzte Wort.
 
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Da jauchzten Alle, die gehässig munkeln,
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Zeigt sich von ferne nur ein Strahl von Licht,
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Es zischte froh die Viper, die im Dunkeln
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Den Denker meuchlings in die Ferse sticht.
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Sie huben an, den weisen Greis zu loben
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Auf Petri Stuhl, der nimmer wankt und irrt –
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War doch durch ihn „besorgt und aufgehoben,“
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Der die Gewissen freventlich verwirrt.
 
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Und dumpfer Schreck sank lähmend auf die Herzen,
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Die freien Sinnes jeden Druck verdammt,
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Und eignen Denkens, eignen Forschens Kerzen
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An seiner Leuchte wohlgemuth entflammt.
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Man hörte nur der Hymnen schläfrig Summen,
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Das früh und spät erklang aus hohem Dom –
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Sonst war ein tiefes, ängstliches Verstummen
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Für lange Zeit im heil’gen, ew’gen Rom.
 
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Mit dem Pantoffel war er ausgetreten,
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Der böse Funke, eines Schwärmers Traum –
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Es war in Rom für’s Glauben nur und Beten,
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Es war für’s Denken nicht der kleinste Raum.
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Und doch und doch! O weisester der Väter,
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Du mußtest weiter in die Ferne sehn!
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Du sahest dann dreihundert Jahre später
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Ein Marmorbild auf jenem Richtplatz stehn.
 
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Und dieses Marmorbild, es trägt die Züge
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Des kühnen Mönchs, den Ketzer ihr genannt,
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Den ihr als Sohn des Vaters aller Lüge
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Mit düstrem Pomp zu Asche einst gebrannt;
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Und um das Denkmal eures Opfers schaaren
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Sich Tausende mit bunter Banner Pracht
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Und ehren ihn, den vor dreihundert Jahren
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Sie preisgegeben eurer finstren Macht.
 
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Wohl steht er noch, von dunkler Zeit zu zeugen,
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Der goldne Stuhl der schlimmsten Despotie –
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Doch Romas Bürger, ihre Jugend beugen
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Vor dem Verbrannten huldigend das Knie;
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Und ob da droben in geweihter Halle,
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Wo man vordem das „Anathema!“ sprach,
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Ein müder Greis die Hände zitternd balle –
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In unsern Tagen fragt man nicht danach!
 
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Dreihundert Jahre, für die Weltgeschichte
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Sind sie nicht mehr als eine Spanne Zeit –
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Den Stoff zum herb-pathetischsten Gedichte
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Fand sie in ihr mit Dichter-Sinnigkeit.
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Ich möchte wohl durch einen Traum erfahren,
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Der mit Prophetenaugen mich beschenkt,
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Was die Geschichte in dreihundert Jahren
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Von unsern Päpsten und – Verbrannten denkt!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.8 KB)

Details zum Gedicht „Giordano Bruno“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
80
Anzahl Wörter
534
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Giordano Bruno“ wurde von Rudolf Lavant, geboren am 30. November 1844 und gestorben am 6. Dezember 1915 verfasst. Es ist daher dem poetischen Schaffen der Übergangszeit zwischen dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zuzuordnen.

Beim ersten Lesen fällt das zentrale Thema des Konflikts zwischen Glauben und Wissen, zwischen Kirche und Wissenschaft auf. Das lyrische Ich äußert sich kritisch über die Vergangenheit und lässt ein starkes Plädoyer für die Freiheit des Denkens und der Wissenschaft erkennen.

Der Inhalt des Gedichts lässt sich wie folgt zusammenfassen: Das lyrische Ich erinnert an das Schicksal des italienischen Philosophen Giordano Bruno, der im 16. Jahrhundert von der römisch-katholischen Kirche als Ketzer verbrannt wurde. Durch seine zukunftsweisenden Ideen und seine Weigerung, seine Ansichten zu widerrufen, wurde er zur Zielscheibe der Inquisition. Das Gedicht zeigt aber auch, dass trotz Brunos Tod seine Ideen nicht ausgelöscht wurden, sondern die Grundlage für den Fortschritt werden sollten.

Die Sprache und Form des Gedichts unterstützen diese Botschaft. Die Strophen sind gleichmäßig aufgebaut und bestehen jeweils aus acht Versen. Lavants Diktion und Metaphorik setzen den Kontrast zwischen starrer, dogmatischer Kirche und aufgeklärter, freier Wissenschaft in Szene. Wiederholungen wie „dreihundert Jahre“ verstärken dabei die Aussagekraft, und beschreibt die Kirche eher negativ, während Bruno als „mutiger Denker“ sympathisch dargestellt wird. Bilder wie das des Scheiterhaufens und des Marmor-Denkmals runden die klare Positionierung des lyrischen Ichs ab.

Das Gedicht lässt eine deutliche Kritik an der Kirche und ihren Methoden durchklingen. Lavant ehrt das Vermächtnis von Giordano Bruno und würdigt ihn als Märtyrer für die Freiheit des Denkens und der Wissenschaft. So stellt sich das Ganze auch als eine Ode an den freien Geist und den Fortschrittsglauben der damaligen Zeit dar.

Abschließend ist zu sagen, dass das Gedicht „Giordano Bruno“ viel über die ambivalente Einstellung von Rudolf Lavant gegenüber der Kirche aussagt. Während er die Macht und den Einfluss der Kirche ablehnt und kritisiert, betont er andererseits die Wichtigkeit des freien Denkens und der individuellen Meinungsfreiheit.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Giordano Bruno“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Rudolf Lavant. Lavant wurde im Jahr 1844 in Leipzig geboren. Im Jahr 1893 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Stuttgart. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 534 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 80 Versen. Rudolf Lavant ist auch der Autor für Gedichte wie „An das Jahr“, „An den Herrn Minister Herrfurth Exzellenz“ und „An den Kladderadatsch“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Giordano Bruno“ weitere 96 Gedichte vor.

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