Betrachtung der unseligen Ewigkeit von Simon Dach

O Eitle Welt, O kurtze Zeit,
Dort für der langen Ewigkeit,
Die ich mit nichts weis zu vergleichen,
Vnd keine Weißheit kan erreichen.
 
Ein Tröpffchen bey der großen See,
Ein Flöckchen itzt bey allem Schnee,
Ein Sandkorn bey der Erden
Möcht' etwas angesehen werden.
 
Allein auch so viel tausend Jah,
10 
Als aller Welt Vieh träget Haarr
11 
Der Frühling Graß, sind nicht zu, nennen,
12 
Das Ziel der Ewigkeit zu kennen.
 
13 
Was sind die kurtzen Jahre dann,
14 
Die hie erreichen mag ein Mann,
15 
Vnd wüst' er gleich mit langem Leben
16 
Methusalem nichts nachzugeben?
 
17 
Nun senckt man so viel tausend ein,
18 
Die lang nicht achtzig-jährig seyn,
19 
Stirbt wer von zehnmal sieben Jahren,
20 
Der ist sehr alt dahin gefahren.
 
21 
Das leugnet keiner, und gleichwol
22 
Sind wir so blind und Thorheit voll,
23 
Daß wir die Ewigkeit für allen
24 
Vns lassen also leicht entfallen.
 
25 
Wir bawen tieff in diese Welt
26 
Vnd stehn nach Hoheit, Macht und Geld,
27 
Zucht, Recht und Liebe muß erkalten
28 
Vnd aller Frevel Platz behalten.
 
29 
Diß wäre lang nicht so gemein,
30 
Fiel uns die Ewigkeit recht ein,
31 
Sie würd' uns bald das Fleisch betäuben
32 
Vnd ihm den Kitzel wol vertreiben.
 
33 
Sie züchtigt unsern geilen Sinn,
34 
Sie ist der Sitten Meisterinn,
35 
Sie ist der Brechzaum aller Lüste
36 
Vnd macht den Weg zur Höllen wüste.
 
37 
Kein Wüterich, der sie zuletzt
38 
Ihm recht hat in das Hertz gesetzt,
39 
War jemals von so harten Sinnen,
40 
Die Ewigkeit kunt' ihn gewinnen.
 
41 
Sie hat für königlichen Pracht
42 
Ihn in ein hären Kleid gebracht,
43 
Durst, Hitz' und Kält' und andre Plagen
44 
Der Dürfftigkeit gelehrt ertragen.
 
45 
Denn welches wilden Menschen Hertz
46 
Ist so aus hartem Stahl und Ertz,
47 
Der, wann er an die Glut gedencket,
48 
Die ewig brennt, den Sinn nicht lencket?
 
49 
Der Höllen-Hencker dreut uns dort
50 
In Ewigkeit nur Quaal und Mord,
51 
Er speyt aus seinem Bauch zusammen
52 
Rauch, Nebel, Schwefel, Pech und Flammen.
 
53 
Die Folterbanck und ihre Pein
54 
Sind dort zu schlecht und zu gemein,
55 
Dort ist viel ander Ungeheuer,
56 
Viel andre Noht, viel ander Feuer.
 
57 
Die Finsterniß, die vor der Zeit
58 
Egypten schuff so grosses Leid,
59 
Die Nachtgespenster und was Schrecken,
60 
Furcht, Gram und Grauen kan erwecken.
 
61 
Das Wetter das ohne ablaß schlägt,
62 
Das Gifft das Todes-Angst erregt,
63 
Antiochs Pein, Herodis Läuse,
64 
Die Ratten Popiels, Hattons Mäuse,
 
65 
Was Marter je erdacht Busir,
66 
Der Römer Creutz, Perillen Stier,
67 
Was Hunde Jesabel zerrissen,
68 
Was Schlangen Israel gebissen.
 
69 
Das höchste Leid, das alle Welt
70 
Für groß und unerträglich hält,
71 
Wird beydes einzel und mit Hauffen
72 
Dort über uns zusammenlauffen.
 
73 
Vnd wäret dieses Trauer-Spiel
74 
Ach Ewig und ohn alles Ziel!
75 
Der Tod der sehnlich wird gebeten,
76 
Wird ewig, ewig von uns treten.
 
77 
Es wird dort eines jeden Pein
78 
Des andern und die unsre seyn,
79 
Für welcher Angst und blossen Zeichen
80 
Man tausendmal wol möcht' erbleichen.
 
81 
Die hochbetrübte Melodey,
82 
Das Zetter-, Noht- und Quaal-Geschrey
83 
Der Leidenden wird ewig wären,
84 
Vnd keiner wird daran sich kehren.
 
85 
Bedencket dieses in der Zeit,
86 
Vnd flieht die rohe Sicherheit
87 
Die ihr allhie der Sünden Leben,
88 
Das ewig tödtet, seyd ergeben.
 
89 
Seht daß ihr in Bereitschaft steht,
90 
Der eiteln Dinge müssig geht,
91 
Durch wahre Reu euch Gott bequemet
92 
Vnd eures FleischesReitzung zähmet.
 
93 
Wir wissen umb die Stunde nicht,
94 
Wenn uns der Tod stellt vor Gericht,
95 
Drumb sollen wir zu allen Zeiten
96 
Vns zu der letzten Fahrt bereiten.
 
97 
Ist dann geendet unser Lauff,
98 
Thun sich nur zweene Weg uns auff,
99 
Der breite führt hinab zur Hellen,
100 
Der schmale zeigt die Himmels-Stellen.
 
101 
Die ihr allhie in Trübsal schwebt,
102 
Verachtet, kranck und dürfftig lebt,
103 
Seyd froh und hofft nach diesem Leiden
104 
Die ewig-selig Himmels-Freuden.
 
105 
Was ist es groß ein zehen Jahr
106 
Vnd zwantzig leben in Gefahr,
107 
Vnd tragen Noht und schmach auff Erden,
108 
Vnd ewig dort erfreuet werden?
 
109 
Hie herrschen eine kurtze Zeit
110 
In Trotz und Vngerechtigkeit
111 
Vnd wegen seiner bösen Thaten
112 
Dort ewig in der Höllen braten?
 
113 
O Gott schick deines Creutzes Glut
114 
Vnd läuter unser Fleisch und Blut,
115 
Such unsrer Schuld allhie zu lohnen
116 
Vnd ewig unser dort zu schonen.

Details zum Gedicht „Betrachtung der unseligen Ewigkeit“

Autor
Simon Dach
Anzahl Strophen
29
Anzahl Verse
116
Anzahl Wörter
651
Entstehungsjahr
1605 - 1659
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Simon Dach ist der Autor des Gedichtes „Betrachtung der unseligen Ewigkeit“. Geboren wurde Dach im Jahr 1605 in Klaipeda (Memel). Das Gedicht ist in der Zeit von 1621 bis 1659 entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Barock zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Dach handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Der Begriff Barock stammt vom portugiesischen Wort „barroco“ ab und bedeutet so viel wie „schiefrunde Perle“. Die Bezeichnung für barock im Sinne eines Adjektivs wurde anfänglich abwertend gebraucht. Der Begriff Barock als Bezeichnung für eine Epoche konnte sich erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts durchsetzen und gibt der Literaturepoche zwischen 1600 und 1720 den Namen. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) hat die Literaturepoche des Barocks stark geprägt. Der Krieg war eine Katastrophe von einem Ausmaß, das kaum vorstellbar ist. Die Menschen litten unter den Kämpfen, Hungersnöten, aber vornehmlich unter der Pest, an der eine Vielzahl von Menschen verstarb. Die Anzahl der Menschen in Deutschland ging um etwa ein Drittel zurück. Speziell Pest und Krieg im Barock zeigen auch ein besonderes Merkmal auf: der Gegensatz. Auf der einen Seite Armut, Elend und Tod, auf der anderen Prunk, Glanz und Macht. So lebte die einfache Bevölkerung in Armut, während Adelige einen protzigen Lebensstil bevorzugten. Unter den Literaturgattungen genossen die Lyrik in Form von Sonetten, Liedern oder Oden, die Epik in Form des Romans und das Drama einen Aufschwung. Während die Schriftsteller der Renaissance vorwiegend in lateinischer Sprache, der Sprache der Wissenschaft, schrieben, war man nun bestrebt, sich der deutschen Sprache zuzuwenden. Im Zeitalter des Barocks war der größte Teil der Literatur Gelegenheitsdichtung. Man dichtete zur gehobenen Unterhaltung oder bei Hofe zur Huldigung der Fürsten. Für die wohlhabende Bevölkerung schrieben Dichter zum Anlass von Taufen, Beerdigungen, Hochzeiten. Die Dichtung der Literaturepoche des Barocks wird deswegen auch Gesellschaftsdichtung genannt.

Das 651 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 116 Versen mit insgesamt 29 Strophen. Simon Dach ist auch der Autor für Gedichte wie „Ach Gott wie gnädig hast du doch“, „Triumph, Triumph dem Sieges-Mann“ und „Daß Christus mich befreyt von Sünden“. Zum Autor des Gedichtes „Betrachtung der unseligen Ewigkeit“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 255 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Simon Dach (Infos zum Autor)

Zum Autor Simon Dach sind auf abi-pur.de 255 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.