Was ein Jeder sogleich nachsprechen soll von Franz Werfel

Niemals wieder will ich
Eines Menschen Antlitz verlachen.
Niemals wieder will ich
Eines Menschen Wesen richten.
 
Wohl gibt es Kannibalen -Stirnen.
Wohl gibt es Kuppler-Augen
Wohl gibt es Vielfraß-Lippen.
 
Aber plötzlich
Aus der dumpfen Rede
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Des leichthin Gerichteten,
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Aus einem hilflosen Schulterzucken
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Wehte mir zarter Lindenduft
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Unserer fernen seligen Heimat,
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Und ich bereute gerissenes Urteil.
 
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Noch im schlammigsten Antlitz
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Harret das Gott-Licht seiner Entfaltung.
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Die gierigen Herzen greifen nach Kot
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Aber in jedem
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Geborenen Menschen
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Ist mir die Heimkunft des Heilands verheißen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.6 KB)

Details zum Gedicht „Was ein Jeder sogleich nachsprechen soll“

Autor
Franz Werfel
Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
82
Entstehungsjahr
1890 - 1945
Epoche
Expressionismus,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Franz Werfel ist der Autor dieses Gedichts, der von 1890 bis 1945 lebte. Seine aktive Schaffensperiode lässt sich in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts einordnen, was bedeutend ist, da sie eine Zeit der großen Umbrüche und gewalttätigen Konflikte war.

Bereits beim ersten Lesen fällt die ernsthafte und im Grunde spirituelle Botschaft des Gedichts auf. Werfel konzentriert sich in diesem Text auf die Menschlichkeit und die Unantastbarkeit der Würde jedes Einzelnen. Der Titel „Was ein Jeder sogleich nachsprechen soll“ suggeriert, dass die Kernaussage des Gedichts üblich und gemeinsam verstanden werden sollte, ähnlich einem Gebet oder Mantra.

Das lyrische Ich des Gedichts gelobt, einen Menschen niemals mehr zu verspotten oder zu verurteilen. In der zweiten Strophe werden Menschen mit defizitären Eigenschaften beschrieben, jedoch mit dem Hinweis, dass selbst diese Personen etwas Wertvolles in sich tragen. Diese Erkenntnis trifft das lyrische Ich in der dritten Strophe, als es trotz der Kritik an einer Person einen Anflug von Menschlichkeit und Vertrautheit verspürt. Abschließend wird die Überzeugung geäußert, dass in jedem Menschen, ungeachtet seiner Mängel, ein göttliches Licht wohnt.

In Bezug auf Form und Sprache ist das Gedicht in vier freie Verse mit variabler Länge unterteilt, es gibt kein festes Reimschema. Werfel verwendet bildreiche Metaphern und Gleichnisse, wie „Kannibalen-Stirnen“, „Kuppler-Augen“ oder „Vielfraß-Lippen“ um negative Charaktereigenschaften darzustellen. Er nutzt jedoch auch positive und sanfte Bilder, wie „zarter Lindenduft“ oder „Gott-Licht“, um die guten Eigenschaften hervorzuheben und seine Botschaft von Vergebung und Liebe zu betonen. Die Sprache ist eher schlicht, was die Direktheit und Klarsicht in der Botschaft des Gedichts betont.

Insgesamt handelt es sich bei diesem Gedicht um ein Plädoyer für Toleranz und Menschlichkeit und gegen Missbilligung und Verurteilung. Es spiegelt Werfels Auffassung wider, dass jeder Mensch, unabhängig von seinen Fehlern, einen göttlichen Funken in sich trägt und es verdienen, mit Würde und Respekt behandelt zu werden.

Weitere Informationen

Franz Werfel ist der Autor des Gedichtes „Was ein Jeder sogleich nachsprechen soll“. Geboren wurde Werfel im Jahr 1890 in Prag / Österreich-Ungarn. In der Zeit von 1906 bis 1945 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Expressionismus oder Exilliteratur zugeordnet werden. Der Schriftsteller Werfel ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Schriftsteller ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung im Jahr 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. Daraufhin flohen zahlreiche Schriftsteller aus Deutschland. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland sind typisch für diese Epoche der Literatur. Bestimmte formale Gestaltungsmittel wie zum Beispiel Metrum, Reimschema oder der Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel lassen sich in der Exilliteratur nicht finden. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das 82 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 20 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Die Gedichte „Gesang einer Frau“, „Die Schwestern von Bozen“ und „Die Leidenschaftlichen“ sind weitere Werke des Autors Franz Werfel. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Was ein Jeder sogleich nachsprechen soll“ weitere 22 Gedichte vor.

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