Schriftmäßige Betrachtungen über einige Eigenschaften Gottes von Friedrich von Hagedorn

Herr, dessen Weisheit ewig ist!
Herr, der du aller Wesen Quelle,
Erhabner als der Himmel bist,
Und tiefer als die tiefste Hölle!
Wer mißt den Donner deiner Macht?
Du breitest aus die Mitternacht
Und zählst die Stern' als eine Heerde.
Dem Winde gibst du sein Gewicht,
Dem Wasser Maß, den Sonnen Licht,
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Und hängst an nichts die Last der Erde.
 
11 
Der Herr ist Gott. Licht ist Sein Kleid.
12 
Er schilt: des Himmels Säulen zittern;
13 
Sein Zorn verzehrt, Sein Blitz gebent;
14 
Er macht den Weg den Ungewittern.
15 
Er hat den Himmel ausgespannt;
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Aus Seinem Munde kömmt Verstand,
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Und Weisheit ist Sein göttlich Hauchen.
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Sein Odem zündet und belebt;
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Er schaut die Erd' an, und sie bebt;
20 
Er rührt die Berg' an, und sie rauchen.
 
21 
Er spricht, so muß ein ganzes Heer
22 
Sein ausgesandter Engel würgen.
23 
Der Winde Mund erzählt's dem Meer,
24 
Das Meer verkündigt's den Gebirgen.
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Es zittern Berg und Wald und Feld;
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Es bebt die Veste dieser Welt:
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Sie kennt der Allmacht schwere Rechte.
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Ihr Schöpfer ist es, der sich zeigt:
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Die Sonn' erschrickt; die Erde schweigt;
30 
Es zagt das menschliche Geschlechte.
 
31 
Das Schwert des Herrn ist voll vom Blut;
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Zu Bozra hält der Herr ein Schlachten;
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In Edom tilget er die Brut
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Der Rotten, die Sein Wort verachten.
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Auch Zions Friedensengel weint,
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Bis Gott sich aufmacht und erscheint;
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Und Saron ist wie ein Gefilde;
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Man sieht den Libanon zerhaun,
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In Basans Triften herrscht nur Graun,
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Und Carmels Aehre wächst dem Wilde.
 
41 
Die Völker sind zu Kalk verbrannt,
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Wo, Herr! dein Feuer angegangen.
43 
Man rafft Gefangene wie Sand;
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Die Fürsten lecken Staub wie Schlangen.
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Es wird der Schlösser wüster Rest
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Der Straußen Sitz, der Drachen Nest.
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So wird die leere Stadt zerbrochen;
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So wird das bange Land beraubt;
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Des Frevlers Fluch fällt auf sein Haubt,
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Der Gottes Heeren Hohn gesprochen.
 
51 
Man hört der Hügel Klaggeschrei;
52 
Man hört gestäupter Städte Heulen;
53 
Man sieht, wie Staub und leichte Spreu,
54 
Der Starken Rosse sich vertheilen.
55 
Der Heere Wolken sind zerstreut.
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Es wird ein Sack der Fürsten Kleid.
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Sein Odem macht ihr Reich zunichte;
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Und wie ein Weib mit Angst gebiert,
59 
So wird das Volk mit Furcht gerührt
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Vor Seinem Arm und Strafgerichte.
 
61 
Ein Löw', ein junger Löwe brüllt,
62 
Und schreckt mit aufgesperrtem Rachen,
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Den bald der Klauen Beute füllt,
64 
Und Blut und Geifer triefend machen.
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Der Hirten Menge schreit ihn an,
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Daß Berg und Thal es hören kann;
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Doch darf in ihre Menge stören?
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Sie scheucht ihn nicht: er würgt und schnaubt,
69 
Und kann mit dem, was er geraubt,
70 
Zurück in Wald und Höhle kehren.
 
71 
So sieht man dich, Herr Zebaoth!
72 
Mit starkem Grimm herniederfahren.
73 
Der Feinde Drohen wird zu Spott,
74 
Und Schrecken überfällt die Schaaren.
75 
Nun richtet die Gerechtigkeit.
76 
Der Herr zieht selber in den Streit.
77 
Er selber siegt auf Zions Höhen.
78 
Die Hügel fühlen Sieg und Muth.
79 
Wie könnte der Egypter Wuth
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Dem Pfeil der Allmacht widerstehen?
 
81 
Und was hat nicht dein Zorn gefällt,
82 
Als du so vieler Tausend Leben,
83 
Und deinen Herd und dein Gezelt
84 
Den Feinden Salems übergeben;
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Als Zion selbst in Schutt versank;
86 
Als es den Kelch des Jammers trank,
87 
In welchen sich dein Grimm ergossen;
88 
Als Knechtschaft, Angst und Hungersnoth
89 
Und Flamme, Pest und Schwert und Tod
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Das ausgeführt, was du beschlossen?
 
91 
Verwüstung herrschet überall;
92 
Geschrei und Klagen fliehn zum Himmel;
93 
Es übertäubt den bangen Schall
94 
Der Blutvergießer Mordgetümmel.
95 
Ein Mann ersticht sein jammernd Weib,
96 
Bricht und zerstückt den todten Leib,
97 
Verzweifelnd, mit dem trunknen Schwerte.
98 
Er frißt, was er geschlachtet hat.
99 
Der Hunger trieb ihn zu der That,
100 
Der Hunger, der sein Mark verzehrte.
 
101 
Ein Vater reißt sein saugend Kind
102 
Der blassen Mutter aus den Händen.
103 
Er mordet; beider Blut verrinnt!
104 
Ein Dolch muß beider Leben enden.
105 
Er knirscht, verflucht sich tausend Mal,
106 
Und nagt sein eignes Fleisch vor Qual,
107 
Und stürzt sich in des Tempels Feuer.
108 
Dort würgt ein Jüngling seine Braut,
109 
Die ihm ihr Pfleger anvertraut,
110 
Mit ihrem eignen Hochzeitschleier.
 
111 
Hier thront der Mord mit Blut bespritzt,
112 
Auf eiternden, zerfleischten Leichen;
113 
Sein wildes Auge glüht und blitzt,
114 
Und gibt der schwarzen Freude Zeichen.
115 
Hier ist sein gräßlicher Triumph;
116 
Hier sieht und zählt er jeden Rumpf
117 
Mit einem höllischen Ergötzen.
118 
Hier hält er nach dem Metzeln Ruh;
119 
Sein Jauchzen ruft den Geiern zu,
120 
Die schnell sich auf die Aeser setzen.
 
121 
Herr, wer erhebt, wie du, die Hand?
122 
Wer darf mit dir, o Richter! rechten?
123 
Wer thut den Kräften Widerstand,
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Die Juda, so wie Assur, schwächten?
125 
Dem Arm, der Könige zerschmeißt,
126 
Die Bande Seines Volks zerreißt,
127 
Und die Gewaltigen zerschläget?
128 
Dem Herrn, der nur die Stolzen beugt,
129 
Den Frommen Seine Wege zeigt,
130 
Und sie auf Adlers Flügeln träget?
 
131 
Allein, was ist der Mensch vor dir,
132 
Daß du, o Herrscher! sein gedenkest?
133 
Was ist dies Land? und was sind wir,
134 
Die du mit Wollust reichlich tränkest?
135 
Es ist vor dir der Welten Bau
136 
So wie ein Tropf vom Morgenthau,
137 
Du Meer der Wunder und der Wonne!
138 
Es ist, in Ansehn deines Lichts,
139 
Die Sonne selbst ein Punkt, ein Nichts:
140 
Nur Gott, der Herr, ist Schild und Sonne.
 
141 
Gott unsrer Väter und ihr Ruhm,
142 
Held, Ueberwinder und Gebieter,
143 
Du Heiliger im Heiligthum,
144 
Erbarmer, Vater, Menschenhüter!
145 
Was dort dein Mund zur Wittwe spricht,
146 
Das mitleidvolle: Weine nicht,
147 
Das sprichst du noch, du Gott der Treue!
148 
Und deinen Zorn entwaffnet oft
149 
Ein Seufzer deß, der auf dich hofft,
150 
Und eine Zähre wahrer Reue.
 
151 
Das Gute kömmt aus deiner Hand.
152 
Du krönst das Jahr mit deinem Segen.
153 
Durch dich befruchtet sich das Land,
154 
Und dürre Furchen tränkt dein Regen.
155 
Wie ist des Schöpfers Bild so schön!
156 
Sein Himmel, Seine Wolken stehn
157 
So fest wie ein gegoss'ner Spiegel!
158 
Die Auen sind an Aehren reich.
159 
Man jauchzet und besingt zugleich
160 
Der Anger Reiz, die Lust der Hügel.
 
161 
Der Himmel und die Erd' ist dein,
162 
Und Alles lebt von deinen Gaben.
163 
Du heißest Wüsten fruchtbar sein,
164 
Und sättigst auch die jungen Raben.
165 
Nichts setzet deinem Rath ein Ziel.
166 
Du schenkst das zarteste Gefühl,
167 
Der Größen Wissenschaft den Spinnen.
168 
Du lehrst dem Storch die Reisezeit,
169 
Du gibst der Ameis' Emsigkeit,
170 
Den Bienen Reich und Königinnen.
 
171 
Wo findet sich der Weisheit Bahn?
172 
Und wo ist des Verstandes Stäte?
173 
Wer thut, was Salomo gethan,
174 
Und sucht sie eifrig im Gebete?
175 
Ihr, deren Dünkel Alles mißt,
176 
Trefft das kaum, was auf Erden ist:
177 
Wer will des Höchsten Himmel kennen?
178 
Wir sehn in Seinem Licht das Licht.
179 
Den hohen Augen glückt es nicht,
180 
Das Wesen von dem Schein zu trennen.
 
181 
Es ist ein endlicher Verstand
182 
Mit Wahn und Dunkelheit umfangen,
183 
Eh' er, o Wahrheit! dich erkannt
184 
Und ihm dein Leitstern aufgegangen.
185 
Wie wirst du doch so oft verfehlt,
186 
Wann Ungewißheit lange wählt,
187 
Und endlich dich zu finden glaubet!
188 
Bis dir der helle Sieg gelingt,
189 
Der durch des Irrthums Blendwerk dringt,
190 
Und ihm Gewalt und Nebel raubet.
 
191 
Wie, wann ein Wandersmann verirrt,
192 
Wann Nacht und Schatten Alles decken;
193 
Wann Furcht und Zweifel ihn verwirrt,
194 
Und die Erschrock'nen andre schrecken:
195 
O wie lacht dem das erste Licht,
196 
Das aus den grauen Wolken bricht,
197 
Und uns den rothen Morgen zeiget!
198 
Ein neuer Lustreiz schmückt die Welt;
199 
Die Macht der Finsternisse fällt,
200 
Und Glanz und Muth und Freude steiget.

Details zum Gedicht „Schriftmäßige Betrachtungen über einige Eigenschaften Gottes“

Anzahl Strophen
20
Anzahl Verse
200
Anzahl Wörter
1176
Entstehungsjahr
1708 - 1754
Epoche
Aufklärung

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Schriftmäßige Betrachtungen über einige Eigenschaften Gottes“ ist Friedrich von Hagedorn. Der Autor Friedrich von Hagedorn wurde 1708 in Hamburg geboren. Zwischen den Jahren 1724 und 1754 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Aufklärung zu. Bei Hagedorn handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 200 Versen mit insgesamt 20 Strophen und umfasst dabei 1176 Worte. Der Dichter Friedrich von Hagedorn ist auch der Autor für Gedichte wie „An die Dichtkunst“, „Zorn eines Verliebten“ und „Der Wunsch“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Schriftmäßige Betrachtungen über einige Eigenschaften Gottes“ weitere 252 Gedichte vor.

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