Der grüne Esel von Friedrich von Hagedorn

Es schöpft ein Fabulist aus alten Wunderzeiten,
Gibt, lenkt, und hemmt Erdichtungen den Lauf.
Erzähler halten sich bei neuern Seltenheiten
Sogar, wie Wohlgemuth, beim grünen Esel, auf.
Aesopus selbst lehrt oft aus Kleinigkeiten.
Es wollte sich ein nicht zu junges Weib,
Von weisen neunundvierzig Jahren,
Aus innerem Beruf zum holden Zeitvertreib,
Mit einem frischen Stutzer paaren,
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Und ihrer Nachbarin, die ungemein erfahren
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Und klug war, wie Ulyß, den Vorsatz offenbaren.
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Sagt, spricht sie, sagt mir doch: gefällt Leander euch?
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Ist er nicht meinem Mann, dem sel'gen Manne, gleich?
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Nur freundlicher, als er? Einander zu erbauen,
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Soll uns der Oberpfarrherr trauen:
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Doch, wenn wir uns, aus keuscher Liebe, frein,
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Werd' ich, sagt, werd' ich nicht ein rechtes Märchen sein?
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Romanenschreiber, Liederdichter,
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Und die gemeinen Splitterrichter,
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Und ach! die Weiber selbst, die Weiber muß ich scheun.
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Freit! lehrt die Nachbarin. Laßt jeden schreiben, sagen,
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Ja singen, wenn er singen kann,
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Es sei ein Märchen von acht Tagen!
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Am neunten hebt gewiß sich schon ein neues an.
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Das soll mein Esel demonstriren.
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Den färb' ich euch so grün, als meinen Papagei.
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Dann soll er durch die Stadt spazieren,
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Damit er allen sichtbar sei,
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Und alle wird das große Wunder rühren.
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Das träge Thier wird auf den Markt gebracht,
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Der Pöbel läuft herzu, bewundert, gafft und lacht.
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Wie? ruft man, können Esel grünen?
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Das hätt' ich nimmermehr gedacht ...
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O kommt doch, seht! ... Sollt' aber diese Tracht
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Nicht mehr für edle Pferde dienen?
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Doch alles ist recht schön, wie die Natur es macht ...
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Was? die Natur? Es ist ein Werk der Kunst ...
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Der Kunst? o nein, Gevatter, nein, mit Gunst!
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Er ist das, was er ist, und kömmt uns aus dem Lande
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Der grünen Esel her. Ich weiß nicht, wie es heißt:
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Doch, wenn Er mir das Gegentheil beweist,
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So gleicht im Kirchspiel Ihm kein Doctor an Verstande ...
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Der Herr hat Recht; so sprach ein Bader, der gereist,
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Und ein Gelehrter war. Ich habe, wider Hoffen,
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In Capo Verde selbst dergleichen angetroffen.
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Als Füllen sind sie gelb und blau,
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Hernachmals grün. Ich kenne sie genau.
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Dort hielt ich anfangs auch den Mund erstaunend offen;
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Allein weit mehr, als ich in Chymia
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Gar einen grünen Löwen sah.
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Ach! seufzt' ein Weib, das gerne prophezeite,
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Das Unglücksthier! beschaut es nur, ihr Leute!
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Mir hat, vor kurzer Zeit, von grünem Vieh geträumt,
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Und, leider! dieser Traum war gar nicht ungereimt,
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Denn, seht! er ist erfüllt. Ein Unglück droht den Ländern,
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Wo Thiere so die Farben ändern.
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Nicht wahr? Hier ließen sich schneeweiße Mäuse sehn,
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Wir sahen bald hernach die besten Kühe schwinden.
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Seitdem sich um Paris die Purpurkatzen finden,
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Soll auch die Falschheit dort recht sehr im Schwange gehn;
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Kein Wunder, daß daher Haß, Krieg und Mord entstehn.
 
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Sechs Tage zeigt er sich den Haubt- und Nebengassen,
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Und kein Rhinoceros reizt mehr die Neubegier.
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Bald aber wird auch er so aus der Acht gelassen,
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Als das gemeinste Müllerthier.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.8 KB)

Details zum Gedicht „Der grüne Esel“

Anzahl Strophen
2
Anzahl Verse
65
Anzahl Wörter
480
Entstehungsjahr
1708 - 1754
Epoche
Aufklärung

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Der grüne Esel“ ist Friedrich von Hagedorn. Hagedorn wurde im Jahr 1708 in Hamburg geboren. In der Zeit von 1724 bis 1754 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Aufklärung zuordnen. Bei dem Schriftsteller Hagedorn handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 480 Wörter. Es baut sich aus 2 Strophen auf und besteht aus 65 Versen. Der Dichter Friedrich von Hagedorn ist auch der Autor für Gedichte wie „An die Dichtkunst“, „Zorn eines Verliebten“ und „Der Wunsch“. Zum Autor des Gedichtes „Der grüne Esel“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 252 Gedichte vor.

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