Direkte Demokratie - Utopie oder Wirklichkeit? (Essay)

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Demokratie, Schweiz, Deutschland, Referat, Hausaufgabe, Direkte Demokratie - Utopie oder Wirklichkeit? (Essay)
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Referat

Direkte Demokratie - Utopie oder Wirklichkeit?

Zwischen den Jahren 1972 und 2009 hat sich der Anteil der Nichtwähler bei Bundestagswahlen von 8,9 Prozent auf 29,9 Prozent mehr als verdreifacht, was sich auf die immer präsenter werdende Politikverdrossenheit der Bürger zurückführen lässt. Doch würde die Einführung direktdemokratischer Elemente auf Bundesebene diesem Missstand entgegenwirken oder würde Deutschland dadurch lediglich in einem anarchistischen Chaos versinken?

Seit der Wiedervereinigung 1990 ist Deutschland eine repräsentative Demokratie, in welcher die politischen Entscheidungen und die Kontrolle der Regierung nicht unmittelbar vom Volk, sondern von einem gewählten Souverän ausgeübt wird. Die politische Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger ist somit auf die Beteiligung an Wahlen sowie die Mitwirkung in Parteien beschränkt, wodurch diese nicht direkt an politischen Entscheidungen teilhaben können, sondern indirekt durch Parteien repräsentiert werden.

Auch wenn viele große Staaten wie beispielsweise Amerika oder Großbritannien die repräsentative Demokratie zum Vorbild haben, gibt es zunehmend Länder, wie beispielsweise die Schweiz, welche sich von jener Regierungsform distanzieren und auf die direkte Demokratie zurückgreifen. Im Gegensatz zur repräsentativen Demokratie werden politische Entscheidungen hierbei unmittelbar vom Volk getroffen, wodurch der Volkswille möglichst unverfälscht in politische Entscheidungen einwirken kann.

Die direkte Demokratie ist eng verbunden mit Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) und seinem Werk „Vom Gesellschaftsvertrag“ („Du Contrat Social“, 1762), in welchem er anführt, dass die politische Freiheit nur durch den Gemeinwillen des Volkes ermöglicht werden könne. Die Souveränität dürfe allerdings nicht durch einen Repräsentanten delegiert werden, sondern müsse beim Volk selbst verbleiben. Auch wenn sich viele Befürworter der direkten Demokratie auf Rousseaus Worte beziehen, stellt seine Demokratievorstellung lediglich ein Idealbild dar, welches in der Praxis lediglich für kleinere Gruppierungen umsetzbar wäre.

Allerdings lassen sich trotz dessen zunehmend direktdemokratische Elemente binnen der Regierungen wiederfinden. Die Schweiz gilt mit ihren mehrmals jährlich stattfindenden Plebisziten als Paradebeispiel der Direktdemokratie, da kaum ein weiteres Land mehr Beteiligungsmöglichkeiten bietet. So können die Schweizer Bürger beispielsweise über den Umgang mit kriminellen Ausländern oder das bedingungslose Grundeinkommen abstimmen und sind somit direkt an der Politik beteiligt. Laut einer Umfrage befürworten über 70 Prozent der deutschen Bürger die direkte Demokratie (Statistik M1) und auch die „Union und SPD wollen bundesweite Volksabstimmungen“ (Süddeutsche Zeitung). Würde man direktdemokratische Elemente wie beispielsweise Plebisziten auf Bundesebene einführen, so würde nicht nur das politische Interesse der Bürger, sondern zugleich auch die persönliche Bereitschaft, sich mit politischen Fragen und Problemen auseinanderzusetzen, gefördert werden. Im Zuge dessen würde das immer stärker werdende Misstrauen in die Regierung sowie die dadurch resultierende Politikverdrossenheit innerhalb der Gesellschaft vermindert werden.

Allerdings bringt die Einführung direktdemokratischer Elemente auf Bundesebene auch ihre Schattenseiten mit sich. So haben etwa die Briten den Austritt aus der EU in einem Plebiszit beschlossen, bei welchem neben der inhaltlichen Kritik am Austritt Großbritanniens auch das Instrument selbst für das Ergebnis verantwortlich gemacht wurde und auch in der Weimarer Republik waren die Folgen der direkten Demokratie negativ behaftet. Im Zuge dessen stellt sich die Frage, ob die Bürgerinnen und Bürger für solche komplexen und weitreichenden Fragen kompetent genug seien und ob solch essenzielle Entscheidungen nicht der Regierung zugrunde liegen sollten.

Jedoch muss man hierbei berücksichtigen, dass es sich bei dem Plebiszit der Briten um eine Befragung, welche von der Regierung angeordnet wurde, handelt. Die Bürger Großbritanniens wurden in die Situation getrieben, sich für oder gegen die EU zu entscheiden, mit der Intention parteiinterne Machtbewegungen im Zaun zu halten und somit die eigene Macht zu stärken. Aufgrund dessen sollte die direkte Demokratie „von unten“ eingeführt werden, bei welcher das Volk selbst entscheidet, über welche Themen sie abstimmen wollen. Auch die Schweiz mit ihrer langen Erfahrung in direkter Demokratie erlaubt ihrer Regierung keine Referenden. In den letzten Jahren wurde deutlich, dass Deutschland den Bürgern zunehmend die Mitbestimmung entzieht. Die schon in der Französischen Revolution verbreiteten Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit haben lange an Bedeutung verloren, weshalb es eines Umschwungs bedarf, welcher nicht nur das Individuum allein stärkt, sondern der Bevölkerung ermöglicht, an der Gestaltung unseres Landes zu partizipieren und somit das Gemeinwohl zu stärken.

Zwar lässt sich sagen, dass viele Entscheidungen auf Bundesebene sehr komplexe Thematiken darstellen, allerdings steht den Bürgerinnen und Bürgern eine direkte Partizipation zu, da sie durch die Nichteinhaltung von Wahlversprechen nicht nur das Vertrauen gegenüber der Regierung verloren haben, sondern sich zugleich auch nicht mehr repräsentiert fühlen. In Artikel 38 Abs. 1 des Grundgesetzbuches heißt es: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen untergeordnet.“, allerdings fühlt sich der Großteil der Bürger nicht genug repräsentiert, weshalb eine direkte Mitbestimmung aus Bundesebene der einzige Ausweg darstellt, um den Bürgerinnen und Bürgern eine faire Mitbestimmung zu gewährleisten.

Im Zuge dessen lässt sich allerdings sagen, dass direktdemokratische Elemente auf Bundesebene nicht mit einer Gleichberechtigung aller Bürger einhergehen, da es hierbei beispielsweise zu einer Missachtung von Interessen nicht durchsetzungsfähiger Mehrheiten kommen kann sowie zu Manipulationen der Bürger durch beispielsweise Populismus oder durch jene, welche eine große Reichweite im Internet besitzen. Darüber hinaus kann es durch eine sozial ungleiche Zusammensetzung derer, welche abstimmen, zu einer Abspaltung der Unterschicht führen, da sich in der Regel die höheren Schichten vorzugsweise bei Referenden beteiligen. Im Zuge dessen könnte es womöglich zu einer Überhandnahme der Bürger führen und die Bürger einen zu hohen Anteil an Mitbestimmung erhalten, was dazu führt, dass Deutschland letztendlich in einem anarchistischen Chaos endet.

Allerdings bekommen sowohl die sozial schwächeren als auch die sozial höheren Schichten die gleiche Möglichkeit an beispielsweise Volksabstimmungen zu partizipieren, weshalb keine Schicht bevorteilt oder benachteiligt wird. Ferner ist der Anarchismus nicht mit der direkten Demokratie gleichzusetzen, da hierbei zwar das Volk ein direktes Mitbestimmungsrecht erhält, es allerdings immer noch durch ein Souverän geleitet wird.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass direktdemokratische Elemente auf Bundesebene eingeführt werden sollten, da dadurch nicht nur das Volk eine direkte Mitbestimmung erhält, sondern dies zugleich auch der Politikverdrossenheit entgegenwirken würde. Zwar handelt es sich oftmals um komplexe Thematiken, welche auf Bundesebene behandelt werden, allerdings hat das Volk das Recht dazu, sein Land mitzugestalten. Die Einführung direktdemokratischer Elemente auf Bundesebene wäre der einzige Weg, das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen und ihnen eine faire, gleichberechtigte Partizipation zu ermöglichen, ohne dabei die Regierung in einem anarchistischen System zu verlieren.

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