Eich, Günter - Inventur (Gedichtanalyse)

Schlagwörter:
Günter Eich, Gedichtinterpretation, Referat, Hausaufgabe, Eich, Günter - Inventur (Gedichtanalyse)
Themengleiche Dokumente anzeigen

Referat

Günter Eich - „Inventur“ (Gedichtinterpretation)

Inventur
von Günter Eich

Dies ist meine Mütze,
dies ist mein Mantel,
hier mein Rasierzeug
im Beutel aus Leinen.
 
Konservenbüchse:
Mein Teller, mein Becher,
ich hab in das Weißblech
den Namen geritzt.
 
Geritzt hier mit diesem
10 
kostbaren Nagel,
11 
den vor begehrlichen
12 
Augen ich berge.
 
13 
Im Brotbeutel sind
14 
ein Paar wollene Socken
15 
und einiges, was ich
16 
niemand verrate,
 
17 
so dient es als Kissen
18 
nachts meinem Kopf.
19 
Die Pappe hier liegt
20 
zwischen mir und der Erde.
 
21 
Die Bleistiftmine
22 
lieb ich am meisten:
23 
Tags schreibt sie mir Verse,
24 
die nachts ich erdacht.
 
25 
Dies ist mein Notizbuch,
26 
dies meine Zeltbahn,
27 
dies ist mein Handtuch,
28 
dies ist mein Zwirn.

(„Inventur“ von Günter Eich ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (24.7 KB) zur Unterstützung an.)

Das 1947 veröffentlichte Gedicht "Inventur" von Günter Eich beschäftigt sich mit einer Figur, die ihre wenigen verbliebenen Besitztümer nach dem Krieg auflistet. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass das Gedicht der Trümmerlyrik oder der Nachkriegsepoche zugeordnet werden kann.

Das Gedicht besteht aus sieben Strophen, die jeweils vier Verse umfassen. Ein festes Reimschema ist nicht vorhanden, und auch die Kadenzen sind unregelmäßig. Mehrheitlich finden sich weibliche Kadenzen, allerdings wechseln diese auch mit männlichen und gleitenden Kadenzen ab. Als Metrum wird der Trochäus verwendet, allerdings variiert dieser im Verlauf des Gedichts.

In der ersten Strophe spricht das lyrische Ich über seine Habseligkeiten: eine Mütze, einen Mantel und Rasierzeug, das in einem Leinenbeutel aufbewahrt wird. Die zweite Strophe setzt dieses Aufzählen fort und berichtet von einer Konservenbüchse, in der sich ein Teller und ein Becher befinden. Das lyrische Ich hat zudem seinen Namen in die Büchse geritzt. Die vierte Strophe offenbart, dass sich in der Brotdose des lyrischen Ichs Socken und andere Dinge befinden, die es jedoch nicht preisgeben möchte. In der fünften Strophe wird erwähnt, dass das lyrische Ich als Kissen Pappe verwendet. Besonders hervorgehoben wird die Bleistiftmine, die das lyrische Ich schätzt, um Verse, die ihm nachts einfallen, am Tag aufzuschreiben.

Abschließend führt das lyrische Ich seine letzten verbliebenen Besitztümer auf. Das Gedicht schildert die Erfahrungen einer Epoche, in der die Menschen besonders gelitten haben: die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs. In dieser Periode verloren viele ihr gesamtes Hab und Gut, was der Autor im Gedicht deutlich macht. Er will dem Leser vor Augen führen, was dem lyrischen Ich nach dem Krieg verblieben ist. Dies ist eine plausible Annahme, da sich dieses zentrale Motiv durch alle Strophen hindurch wiederholt.

Der Titel „Inventur“ weckt zunächst die Erwartung, es könne um bedeutende Vermögenswerte gehen, da dies im Allgemeinen unter einer Inventur verstanden wird. Doch schon in der ersten Zeile nimmt das Gedicht eine inhaltliche Kehrtwende vor. Dies wird besonders durch die Auflistung von Gegenständen erzeugt, die aus der Sicht des Lesers kaum Wert haben könnten, für das lyrische Ich aber von großer Bedeutung sind. Das Besondere am Gedicht wird über alle Strophen hinweg deutlich: Trotz der damaligen Umstände erscheint das lyrische Ich glücklich und zufrieden, diese Dinge noch zu besitzen.

Der Autor verzichtet weitgehend auf sprachliche Stilmittel, weshalb das Gedicht als anti-lyrisch betrachtet werden kann. Es setzt auf parataktischen Satzbau und zahlreiche Enjambements, was einen nahtlosen und abrupten Eindruck erweckt und die emotionale Erschöpfung der Menschen symbolisieren soll. In Vers 23 findet sich allerdings eine Personifikation ("Nachts schreibt sie mir Verse"), die von einer Antithese umgeben ist. Diese Personifikation der Bleistiftmine unterstreicht noch einmal, wie wichtig sie für das lyrische Ich ist.

Die Antithese „Nachts-Tag“ (vgl. Zeilen 23–24) verdeutlicht, dass das lyrische Ich vor dem Schlafengehen von Gedanken und Sorgen umgeben ist. Im Gedicht verwendet der Autor in der letzten Strophe durchgehend Anaphern (vgl. Zeilen 25-28), was dem Werk sowohl einen monotonen als auch einen unpoetischen Charakter verleiht. Durch den Einsatz der Anaphern will der Autor jedoch nochmals betonen, dass das lyrische Ich trotz der schwierigen Umstände stolz darauf ist, noch immer eine bestimmte Menge an Gegenständen zu besitzen. Dies wird besonders durch den Gebrauch verklärender Adjektive wie „kostbar“ oder „begehrlich“ (vgl. Zeilen 10–11) hervorgehoben.

Bei genauer Betrachtung des Gedichts fällt zudem auf, dass das lyrische Ich häufig Possessivpronomen wie „mein“ verwendet (vgl. Zeilen 2-3-6), was die zuvor beschriebenen Aspekte noch weiter unterstreicht.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Günter Eichs Gedicht „Inventur“ eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den materiellen und emotionalen Verlusten nach dem Zweiten Weltkrieg darstellt. Das lyrische Ich gibt einen Einblick in die wenigen Besitztümer, die ihm nach dem Krieg verblieben sind, und vermittelt dabei eine Stimmung von Stolz und Zufriedenheit, trotz der bescheidenen Umstände.

Die Struktur des Gedichts, bestehend aus sieben vierzeiligen Strophen ohne festes Reimschema, sowie die Verwendung von unregelmäßigen Kadenzen und des Trochäus als Metrum, unterstreicht den rohen und realitätsnahen Charakter des Werks. Die im Gedicht vorherrschende Antithese zwischen „Nachts“ und „Tag“ verdeutlicht die emotionalen Schwankungen des lyrischen Ichs, während der Einsatz von Anaphern und Possessivpronomen die Intimität und den persönlichen Wert der aufgezählten Gegenstände betont.

Trotz der spärlichen Verwendung sprachlicher Stilmittel und dem anti-lyrischen Charakter des Gedichts gelingt es dem Autor, die Resilienz und Zufriedenheit des lyrischen Ichs in einer Zeit der Not hervorzuheben. Durch die sorgfältige Wortwahl und die wiederkehrenden Motive wird der Leser dazu angeregt, über den materiellen Wert hinaus zu blicken und den emotionalen Gehalt der dargestellten Gegenstände zu erfassen.

Insgesamt bestätigt die Analyse und Interpretation des Gedichts die eingangs aufgestellte Vermutung, dass „Inventur“ in die Epoche der Nachkriegszeit einzuordnen ist und die Thematik der Trümmerlyrik aufgreift. Günter Eich gelingt es, die Gefühlswelt und die Lebensumstände der Menschen nach dem Krieg eindringlich darzustellen und dem Leser einen Einblick in die Ambivalenz zwischen materiellem Verlust und emotionaler Resilienz zu gewähren.

Zurück