Sie lobt seine Schönheit von Angelus Silesius

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Schönester, vor dem sich neiget
Alles, was die Schönheit ehrt,
Dem sich dienstbarlich erzeiget,
Was dem Himmel zugehört!
Deine Liebe reizet mich,
Abermal zu loben dich,
Daß ich muß die Saiten zwingen
Und von deiner Schönheit singen.
 
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Du bist schöner als die Sonne,
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Auserlesner als der Mon,
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Freudenreicher als die Wonne
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Um des Salomonis Thron.
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Deines Angesichtes Glanz
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Ist, der uns verzücket ganz,
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Drum will ich die Saiten zwingen
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Und von deiner Schönheit singen.
 
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Nun dein Augen zu erheben,
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Sag ich, daß sie Himmel sein,
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Die mir Kraft und Einfluß geben
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Zu der süßen Liebespein.
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Sind Kristalle, die den Brand
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Deiner Lieb in mich gewandt.
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Sind zwei Meere, sind zwei Bronnen,
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Sind zwei Spiegel und zwei Sonnen.
 
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Mehr sinds Bücher, draus wir lernen
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Lauter Zucht und Ehrbarkeit,
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Sind meins Herzens Wirbelsterne,
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Die ihm zeigen Ort und Zeit.
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Sind zwei Feuerkügelein,
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Die mir falln ins Herz hinein.
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Anmut und die Charitinnen
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Haben ihren Sitz darinnen.
 
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Deine tausendschönen Wangen
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Sind zwei edle Hügelein,
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Da mans Morgenrot sieht prangen
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Bei dem frühen Tagesschein.
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Sind zwei Felder, deren Zier
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Unverwelkt bleibt für und für.
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Sind zwei Berge, da die Flammen
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Und der Schnee bestehn beisammen.
 
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Weiter sind sie wie ein Garten
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Zu der besten Maienzeit,
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Dessen Lilien schönster Arten
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Mit viel Purpursaft bespreit.
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Sind zwei Rosenhäufelein,
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Die mit Milch begossen sein.
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Sind zwei Polster, die vor allen
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Meiner Seelen wohlgefallen.
 
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Soll ich deine Haar abmalen,
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Sag ich, daß dieselben sein
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Güldne Faden, güldne Strahlen
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Und ein güldnes Lustwäldlein.
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Äste, voll von Honigseim
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Und bewährtem güldnen Leim.
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Netze, die mein Herze fangen,
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Bande, die ich tu verlangen.
 
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Deine Lippen sind Korallen,
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Sind zwei Pfosten von Rubin,
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Die den Göttern wohlgefallen.
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Sind ein Tuch von Kermesin,
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Sind zwei Sammetröselein,
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Die mein bestes Labsal sein.
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Sind zwei Kissen, drauf ich wollte,
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Daß mein Mund stets liegen sollte.
 
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Nektar fließt auf deiner Zungen
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Und ein angenehme Luft
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Kommt durch deinen Mund geklungen,
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Wenn mir deine Stimme ruft.
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Deine Zähne, die so schön
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In der besten Ordnung stehn,
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Sind den Perlen überlegen,
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Die wir fein zu nennen pflegen.
 
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Deine Stirne, der ich diene,
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Ist ein Thron von Helfenbein,
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Ist der Schönheit offne Bühne,
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Da sie will geschauet sein.
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Ist der Liebe Hofestadt,
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Da sie ihr Gepränge hat.
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Ist ein Schild voll güldner Strahlen,
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Die kein Maler nach kann malen.
 
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Alabaster wird geringe,
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Wenn er deinem Halse naht,
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Der so schön ist aller Dinge,
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Daß er nicht seins Gleichen hat.
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Marmelstein verliert den Preis
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Und was sonst ist zart und weiß
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Gegen deinen schönsten Händen,
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Die ich lob an allen Enden.
 
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Nun ein solcher, ihr Jungfrauen,
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Ist, den meine Seele liebt,
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Ohne was kein Mensch kann schauen
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Und sein Kuß zu schmecken gibt.
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Seines Geistes Süßigkeit,
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Die er nach dem Lauf der Zeit
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Seiner Psyche ein will gießen,
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Kann kein Herz auf Erden wissen.
 
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Und darum will ich mein Leben,
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Meine Seel und was ich bin,
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Ihm von Herzen übergeben.
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Ihm soll stets mein Geist und Sinn
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Unverrückt sein zugetan,
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Soll ihn lieben, was er kann,
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Bis ich seinen Mund, den süßen,
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Unaufhörlich werde küssen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (32.8 KB)

Details zum Gedicht „Sie lobt seine Schönheit“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
117
Anzahl Wörter
505
Entstehungsjahr
1624 - 1677
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Sie lobt seine Schönheit“ wurde von Angelus Silesius verfasst, der auch unter dem Geburtsnamen Johann Scheffler bekannt ist. Silesius lebte im 17. Jahrhundert, genauer gesagt von 1624 bis 1677, in der Barock-Zeit.

Schon beim ersten Lesen fällt auf, dass das Gedicht eine ausführliche und bildhafte Huldigung an eine nicht genannte Person ist. In jedem Vers schildert das lyrische Ich ausführlich die atemberaubende Schönheit dieser Person - dabei werden verschiedene Attribute ihrer Erscheinung metaphorisch und mit großer Bewunderung beschrieben.

Über die zwölf Strophen hinweg werden die Augen, Wangen, Haare, Lippen, Stimme, Stirn, Hals und Hände des Geliebten mit größter Bewunderung beschrieben, die die verehrte Person offenkundig als übernatürlich und göttlich empfindet. Darüber hinaus wird die innere Schönheit des Geliebten hervorgehoben und die tiefe Zuneigung des lyrischen Ichs betont.

Formal besteht das Gedicht aus zwölf Strophen zu je acht Versen. Die Verse sind nicht gebunden, es gibt also keine festgelegte Reimform oder ein festgelegtes Metrum. Der Sprachstil ist äußerst bildreich und metaphorisch, mit zahlreichen Anspielungen auf mythologische, religiöse und kulturelle Symbole der damaligen Zeit.

Die raffinierte Anwendung dieser Bildsprache lässt tief blicken in die emotionale Tiefe des lyrischen Ichs und spiegelt dessen aufopferungsvolle Hingabe an den Geliebten wider. Jedes Bild, das verwendet wird, dient dazu, die unfassbare Schönheit des Geliebten hervorzuheben und das Gefühl des tiefen Verlangens und der Hingabe, das das lyrische Ich verspürt, zu unterstreichen.

Das Gedicht endet mit einer Huldigung der inneren Schönheit und der Wärme des Geliebten und der Erklärung der bedingungslosen Liebe, die das lyrische Ich für ihn empfindet. Es reflektiert den gesellschaftlichen und religiösen Kontext der Barockzeit deutlich und kann als typisches Beispiel für die bildreiche, emotional aufgeladene und hingebungsvolle Poesie dieser Epoche angesehen werden.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Sie lobt seine Schönheit“ des Autors Angelus Silesius. Geboren wurde Silesius im Jahr 1624 in Breslau. Zwischen den Jahren 1640 und 1677 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Barock zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Silesius handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Epoche des Barocks erstreckt sich über den Zeitraum von 1600 bis 1720. Der Begriff „Barock“ leitet sich vom portugiesischen Wort „barocco“ ab und bedeutet „seltsam geformte Perle“. Durch die Pest starben etwa 30 % der Bevölkerung. Auch der Dreißigjährige Krieg führte zu einem politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verfall in Deutschland. Dennoch lebten die Fürsten einen ausschweifenden und überaus luxuriösen Lebensstil vor. Sie nutzten das Durcheinander nach dem Dreißigjährigen Krieg, um eine Neugliederung der Territorien vorzunehmen und ihre Macht weiter auszubauen. Elend und Krieg lösten in der ärmeren Bevölkerung ein starkes Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit aus. Im Gegensatz dazu lebten die alleinigen, absolutistischen Herrscher in verschwenderischem Luxus und ließen sich Prunkschlösser bauen. Diese Gegensätze von Lebenslust und Todesangst bzw. Luxus und Armut spiegelten sich auch in der Literatur wider. In der Dichtung wird die Verwendung solcher inhaltlichen Gegensätze als Antithetik bezeichnet. In der vorausgegangenen Epoche (Renaissance) waren noch viele Gedichte in lateinischer Sprache verfasst worden. Mit dem Barock begann jedoch die Zeit der deutschsprachigen Literatur. Dichter und Werke dieser Zeit sind vielzählig. Martin Opitz, Andreas Gryphius oder Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen sind typische Vertreter der Literaturepoche des Barocks.

Das vorliegende Gedicht umfasst 505 Wörter. Es baut sich aus 13 Strophen auf und besteht aus 117 Versen. Die Gedichte „Der Allerverliebteste, der Allerheiligste“, „Man achtet das Ewige nicht“ und „Der Mensch ist groß vor Gott“ sind weitere Werke des Autors Angelus Silesius. Zum Autor des Gedichtes „Sie lobt seine Schönheit“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 1832 Gedichte vor.

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