Die Psyche freut sich aufgelöst zu werden von Angelus Silesius

1
Die Zeit geht an, die Jesus hat bestimmt,
Da alles Leid bei mir ein Ende nimmt.
Gehab dich wohl, mein Kerker, böse Welt,
Mit allem dem, was deinem Geist gefällt.
 
2
Komm, meine Seel, wir wollen nunmehr gehn,
Wo Gottes Sohn und seine Diener stehn.
Wir wollen uns gesellen zu der Schar,
10 
Die unverrückt frohlocket immerdar,
 
11 
3
12 
Gebenedeit sei ewig dieser Tag,
13 
In welchem ich durch Gott verlassen mag,
14 
Was sterblich ist und blendt mein Augenlicht,
15 
Daß ich nicht seh des Liebsten Angesicht.
 
16 
4
17 
Ach Jesu Christ, mein Leben in dem Tod,
18 
Mein Trost in Pein, mein Freund in Angst und Not,
19 
Ich wende mich mit aller Kraft zu dir,
20 
Ach, tu mir auf die süße Lebenstür.
 
21 
5
22 
Ich gebe dir von ganzem Herzen hin,
23 
Was du erlöst und was ich durch dich bin.
24 
Nimm meine Seel, wenn sie vom Leib ist los,
25 
In deine Hand und väterliche Schoß.
 
26 
6
27 
Du bist mein Ziel, mein Ende, Ruhm und Preis,
28 
Mein Mittelpunkt, mein süßes Paradeis.
29 
In dir allein findt meine Seele Ruh,
30 
Drum seufz ich auch dir unaufhörlich zu.
 
31 
7
32 
Ach, ach, wie sehr verlangt mich doch nach dir,
33 
Komm doch, mein Trost, mein Leben komm zu mir.
34 
Verzeuch doch nicht, aus dieser finstern Höhl
35 
In deinen Hof zu holen meine Seel.
 
36 
8
37 
Ich warte schon mit sehnlichem Verdruß
38 
Auf dich, mein Lieb, und deinen ewgen Kuß.
39 
Ich bin fast krank und mein verliebter Geist
40 
Ist gleichsam weg von mir nach dir gereist.
 
41 
9
42 
Jedoch, damit ich dir nichts schreibe für,
43 
So will ich gern und willig bleiben hier,
44 
Bis kommt die Zeit, in welcher ich als Braut
45 
Dir, meinem Gott und Bräutgam, werd getraut.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.4 KB)

Details zum Gedicht „Die Psyche freut sich aufgelöst zu werden“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
45
Anzahl Wörter
266
Entstehungsjahr
1624 - 1677
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Psyche freut sich aufgelöst zu werden“ stammt von Angelus Silesius, einem deutschen Dichter und Kirchenschriftsteller des Barocks. Daher kann das Gedicht zeitlich ins 17. Jahrhundert eingeordnet werden.

Schon auf den ersten Blick wird klar, dass dieses Gedicht intensiv vom christlichen Glauben und der Sehnsucht nach dem Tod bzw. der Auflösung in Gott geprägt ist. Dies ist nicht verwunderlich, da Silesius ein Priester und Anhänger des Katholizismus war.

Vereinfacht wird in dem Gedicht die Geschichte des lyrischen Ichs erzählt, das sich nach dem Tod und damit der Vereinigung mit Jesus, dem Sohn Gottes, sehnt. Das lyrische Ich beschreibt die Welt als einen Kerker und freut sich auf den Moment, in dem es diesen verlassen kann (Strophe 1). Es fiebert dem Augenblick entgegen, an dem es sich der himmlischen Gemeinschaft anschließen und dem ewigen Frohlocken teilhaben kann (Strophe 2). Es verabschiedet sich von allem, was sterblich und irdisch ist, um das Angesicht Gottes sehen zu können (Strophe 3). Es wendet sich Jesus zu, seinem Trost und Freund in Zeiten der Not, und bittet ihn, die Tür zum ewigen Leben zu öffnen (Strophe 4). Das lyrische Ich ist bereit, seine Seele aufzugeben und sie in Jesus' Hände zu legen (Strophe 5). Es sehnt sich nach Ruhe und Frieden, die es nur in Jesus finden kann (Strophe 6). Es kann es kaum erwarten, „aus dieser finstern Höhl“ vom irdischen Dasein abgeholt zu werden (Strophe 7). Es wartet sehnsüchtig auf diesen Moment, obwohl es sich seiner Verantwortung bewusst ist, die es noch auf der Erde zu erfüllen hat (Strophe 8 und 9).

In Bezug auf Form und Sprache ist das Gedicht in neun Strophen aufgeteilt, bestehend aus jeweils vier Versen. Die Versform ist in einem schematisch gebundenen Reim angelegt, und das Metrum folgt einem festen Rhythmus. Die Sprache ist dabei ausgesprochen feierlich und pathetisch, typisch für die religiöse Poesie des Barock. Die symbolträchtige, mystisch aufgeladene Sprache unterstützt dabei die intensive Emotionalität und Spiritualität, die das lyrische Ich zum Ausdruck bringt. Es vermischen sich Bilder der Hingabe, Sehnsucht und intensiver Liebe zu Gott. So kann das Gedicht auch als eine Art mystisches Brautlied, in dem das lyrische Ich sich in der Rolle der Braut sieht und Gott als Bräutigam versteht, interpretiert werden.

Weitere Informationen

Angelus Silesius ist der Autor des Gedichtes „Die Psyche freut sich aufgelöst zu werden“. Im Jahr 1624 wurde Silesius in Breslau geboren. Im Zeitraum zwischen 1640 und 1677 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Barock zuordnen. Bei dem Schriftsteller Silesius handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Epoche des Barocks erstreckt sich über den Zeitraum von 1600 bis ungefähr 1720. Diesen Zeitraum kann man in drei weitere Abschnitte unterteilen: Frühbarock, Hochbarock und Spätbarock. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) hat die Epoche des Barocks in hohem Maße geprägt. Der Krieg war eine Katastrophe von unvorstellbarem Ausmaß. Die Bevölkerung litt unter den Kämpfen, Hungersnöten, aber besonders unter der Pest, an der viele Menschen starben. Die Bevölkerung in Deutschland ging um etwa 30 Prozent zurück. Die Epoche des Barocks in der deutschen Literaturgeschichte wurde von Gegensätzen geprägt. Dabei standen hauptsächlich das Jenseits und das Diesseits oder der Schein und das Sein im Mittelpunkt der Dichtung. Von Gegensätzen gezeichnet war auch das Leben der Menschen. So lebte die Mehrheit der Bevölkerung in Armut, Adelige hingegen lebten einen luxuriösen und verschwenderischen Lebensstil. In Deutschland führte der Barock zu einer Ablösung der lateinischen Sprache im Schriftwerk - einschließlich der philosophischen und wissenschaftlichen Literatur - durch die deutsche Sprache. Zu den berühmtesten Dichtern des Barocks gehören: Andreas Gryphius, Grimmelshausen, Casper von Lohenstein, Martin Opitz, Caspar Ziegler und Paul Fleming.

Das Gedicht besteht aus 45 Versen mit insgesamt 9 Strophen und umfasst dabei 266 Worte. Angelus Silesius ist auch der Autor für Gedichte wie „Des Weisen Goldmachung“, „Vom Wissen“ und „Vom Gewissen“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Psyche freut sich aufgelöst zu werden“ weitere 1832 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Angelus Silesius

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Angelus Silesius und seinem Gedicht „Die Psyche freut sich aufgelöst zu werden“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Angelus Silesius (Infos zum Autor)

Zum Autor Angelus Silesius sind auf abi-pur.de 1832 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.