Sie singt ihm ein fröhliches Morgenlied von Angelus Silesius

1
Weil ich schon seh die goldnen Wangen
Der Morgenröt am Himmel prangen,
So will auch ich dem Himmel zu.
Ich will der Leibsruh Abschied geben
Und mich zu meinem Gott erheben,
Zu Gott, der meiner Seele Ruh.
 
2
Ich will durch alle Wolken dringen
10 
Und meinem süßen Jesu singen,
11 
Daß er mich hat ans Licht gebracht.
12 
Ich will ihn preisen, will ihm danken,
13 
Daß er mich in des Leibes Schranken
14 
Durch seinen Engel hat bewacht.
 
15 
3
16 
Er ist die Sonne, deren Strahlen
17 
Mehr als sonst tausend Sonnen prahlen,
18 
Er ist das wesentliche Licht.
19 
Er ist der Schein, der in die Herzen
20 
Vor allem Heer der Himmelskerzen
21 
Wie ein gewünschter Blitz einbricht.
 
22 
4
23 
Er machet uns zum Freudenhimmel,
24 
Verjagt des bösen Feinds Getümmel,
25 
Vertreibet alle Traurigkeit.
26 
Er reinigt unsre Seel von innen,
27 
Er geußt in unsere Kraft und Sinnen
28 
Den Vorschmack ewger Seligkeit.
 
29 
5
30 
Er ist mein Himmel, meine Sonne,
31 
Meins Herzenstag und meine Wonne,
32 
Mein Abend- und mein Morgenstern.
33 
Er macht mir Leib und Seele munter,
34 
Er geht allein mir niemals unter,
35 
Wenn ich nur mich nicht ihm entfern.
 
36 
6
37 
Hätt ich jetzt hunderttausend Zungen,
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So müßt er sein mit alln besungen,
39 
Mit alln gelobet und gepreist.
40 
Es müßt ihm schon von ihnen allen
41 
Ein schönes Dankgeschrei erschallen,
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So weit als Sonn und Monde reist.
 
43 
7
44 
Ei, daß doch alles Gras der Erde
45 
Zu lauter schönen Stimmen werde
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Und alle Tropfen in dem Tau.
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Ei, daß doch alles Laub der Wälder
48 
Ihn lob mit allem Kraut der Felder
49 
Und allen Blumen auf der Au.
 
50 
8
51 
Es stimme, was im Wasser schwimmt,
52 
In Lüften lebt, im Feuer glimmt,
53 
Zu seinem Lobe mit mir ein.
54 
Es wollen aller Engel Chöre,
55 
Daß ich ihn herrlicher verehre
56 
Und alle Heilgen mit mir schrein.
 
57 
9
58 
Er wolle selbst mein Tun und Dichten
59 
Zu seinen lautern Ehren richten,
60 
Das Herz regieren und den Mund.
61 
Die Sinne, Willn und Kräfte stärken
62 
Zu aller Zucht und guten Werken,
63 
Erhalten Leib und Seel gesund.
 
64 
10
65 
Er wolle mir Genade geben,
66 
Daß ich ihn mehr mit meinem Leben
67 
Als mit den Worten ehr und preis.
68 
Er wolle mich zu allen Zeiten
69 
Auf seinem Weg und Stege leiten
70 
Bis in seins Herzens Paradeis.
 
71 
11
72 
Ehr sei dem Vater, Ehr dem Sohne,
73 
Dem heilgen Geist in einem Throne
74 
Sei gleicher Dienst und Ehr erweist.
75 
Die göttliche Dreieinigkeit
76 
Sei hier und dort in Ewigkeit
77 
Mit Dank, Lob, Ruhm und Ehr gepreist.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.8 KB)

Details zum Gedicht „Sie singt ihm ein fröhliches Morgenlied“

Anzahl Strophen
11
Anzahl Verse
77
Anzahl Wörter
388
Entstehungsjahr
1624 - 1677
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das Gedicht mit dem Titel „Sie singt ihm ein fröhliches Morgenlied“ stammt von dem Autor Angelus Silesius, der im 17. Jahrhundert lebte. Schon beim ersten Lesen ist klar, dass das Gottesvertrauen und die Liebe zur Natur zentrale Themen des Gedichts sind.

Das lyrische Ich zeigt in dem Gedicht intensiven Glauben und tiefe Dankbarkeit gegenüber Gott. Es widmet das Erwachen des Tages und daher den Beginn des Lebens Gottes Wunder und Güte. Das lyrische Ich tätigt eine Reihe von Aktionen, wie zu singen, zu preisen und zu danken, um seine Wertschätzung für Gott zum Ausdruck zu bringen. Es gibt bestimmte Bilder, wie die Sonne, das Licht, das Herz, die Wonne, die den grenzenlosen, einzigartigen und melodischen Lobpreis des lyrischen Ichs an Gott aufzeichnen. Am Ende wird eine Lobpreisung der Dreieinigkeit vorgenommen, welche auf die christliche Trinität von Vater, Sohn und Heiligem Geist hinweist.

Formal besteht das Gedicht aus elf Strophen mit jeweils sechs Versen. Die Strophen sind homogen aufgebaut und tragen damit zu einer eher ruhigen Atmosphäre bei. Die Sprache des Gedichts ist reich an symbolischen Bildern, wobei vor allem Naturbilder eingesetzt werden, um Gottes Größe und Güte zu illustrieren. Zudem verwendet der Autor konkrete Anreden und direkte Worte, um eine persönliche und emotionale Verbindung zum Göttlichen zu unterstreichen.

Die Sprache ist durchdrungen von religiöser Symbolik, die für die damalige Zeit typisch ist. Sie ist bildhaft, aber in ihrer Ausdrucksweise relativ einfach und unkompliziert gehalten. Trotzdem vermittelt sie eine tiefe Religiosität und Spiritualität, die den Leser eindrücklich ansprechen kann. Inmitten dieser Glaubenstiefe schwebt jedoch eine Aufforderung zur Eigenverantwortlichkeit und eine Mahnung zur Demut. Der poetische Text kann als Lob-, Dank- und Anbetungsgebet betrachtet werden, da es eine dialogische Struktur aufweist und Gott direkt anspricht. Es ist daher kein Zufall, dass es sich in Kontext eines Morgenliedes befindet, ein traditionelles Lied, das zu Beginn des Tages gesungen wird, um Gott zu loben und zu danken.

Abschließend ist zu sagen, dass das Gedicht ein typisches Beispiel für die religiöse Lyrik des 17. Jahrhunderts ist. Es zeichnet sich durch eine tiefe Gottesverehrung aus und verwendet vor allem Naturbilder, um die Größe und Güte Gottes darzustellen. Der Autor nutzt die Form des Morgenliedes, um seine Wertschätzung gegenüber Gott auszudrücken und gleichzeitig eine Botschaft der Eigenverantwortlichkeit und Demut zu übermitteln.

Neben der religiösen Bedeutung kann das Gedicht heute auch als Einladung gelesen werde, den Alltag bewusster und dankbarer zu erleben, regelmäßig innezuhalten und die Schönheit der Welt und das eigene Leben in all seinen Facetten zu würdigen. Es ist daher auch weiterhin aktuell und relevant.

Weitere Informationen

Angelus Silesius ist der Autor des Gedichtes „Sie singt ihm ein fröhliches Morgenlied“. Geboren wurde Silesius im Jahr 1624 in Breslau. Im Zeitraum zwischen 1640 und 1677 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Barock zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Silesius handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Literaturepoche des 17. und 18. Jahrhunderts, die wir heute als Barock bezeichnen, leitet sich aus dem Portugiesischen ab. Das portugiesische Wort stammt ursprünglich aus dem Juwelierhandwerk und heißt auf Deutsch „schiefrunde, unregelmäßige Perle“. Mit dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) erlebte Deutschland einen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Verfall. Etwa ein Drittel des deutschen Volkes verlor in dieser Zeit ihr Leben. Doch waren nicht etwa hohe Verluste im Krieg dafür verantwortlich, sondern das Wüten der Pest in fast allen großen und kleinen Städten des Landes. Der Barock zeichnet sich vor allem durch die Antithetik, also einem von Gegensätzen und Widersprüchen geprägtem Bewusstsein, aus. Durch die Antithetik kommt es in der Epoche des Barocks vermehrt zur Verwendung von Gegensatzpaaren, wie zum Beispiel: Jenseits und Diesseits, Tugend und Wollust oder Weltverneinung und Weltzugewandtheit. Die Zeit des Barocks vollzog einen Wandel von lateinischer zu deutschsprachiger Literatur. Die bedeutendste Literaturform des Barocks war dabei die Lyrik. Das Sonett war die häufigste Gedichtform, die Verwendung fand. Die Hauptvertreter der Dichtung im Barock sind Paul Fleming, Martin Opitz, Christian Hofmann von Hofmannswaldau, Andreas Gryphius, Simon Dach, Johann Christian Günther, Angelus Silesius und Friedrich von Logau.

Das Gedicht besteht aus 77 Versen mit insgesamt 11 Strophen und umfasst dabei 388 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Angelus Silesius sind „Die Weisheit ist ein Quell“, „Das Vieh lebt nach den Sinnen“ und „Die Gliedmaßen der Seelen“. Zum Autor des Gedichtes „Sie singt ihm ein fröhliches Morgenlied“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 1832 Gedichte vor.

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