Abschiedsschreiben von Johann Gottfried Seume
Meinem Freunde von M. ...
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Nimm meinen Kuß im Geist an deinem Rheine, |
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Und denke bey den Bechern deutscher Weine |
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An einen deutschen Biedermann, |
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Den an Neuschottlands westlichem Gestade |
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Im Labyrinthe menschenleerer Pfade |
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Einst deine Seele lieb gewann. |
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Erinnre dich, wie bey dem kleinen Male |
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Wir auf dem Steine lagen, und die Schale |
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Des Kieselbaches in der Hand, |
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Uns über Stollbergs Liede Freundschaft schwuren, |
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Und wie uns Schauer durch die Seele fuhren |
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Bey Freundschaft und bey Vaterland. |
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Erinnre dich, wie Arm in Arm wir giengen, |
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Und an dem Blick der Abendsonne hiengen, |
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Die bey Neufundland niedersank, |
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Und wie wir auf den Adlerbergen saßen, |
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Und in der Dämmrung Klopstocks Hermann lasen |
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Auf einer Felsenbank. |
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Erinnre dich, wie in der wilden Zone |
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Uns nach der Jagd ein freundlicher Hurone |
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Mit Edelmuth entgegen kam, |
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Und uns in ächter Urbewohner Sitte |
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Mit Ungestüm in die berauchte Hütte |
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Und brüderlich zu Tische nahm. |
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Hah, kannst du je das Patriarchenessen |
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Und unsers Wirthes Jubellied vergessen, |
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Der froh wie Gott uns Gutes gab: |
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So führe mit dem Gängelband der Mode |
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Der Parze Hand nach einem Stutzertode |
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Dich rächend in ein Marmorgrab. |
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Nein, Freund, gewiß durchirrst du noch im Bilde |
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Die Berge, wo der gute wackre Wilde |
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So oft an unsrer Seite stand, |
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Und, Hohn der Tiber und Minervens Hügel, |
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Auf seiner Stirne wahrer Größe Siegel, |
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So groß als je ein Mann, empfand. |
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Erinnre dich, wie in des Nordlichts Gluten |
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Oft unsre kleine Barke durch die Fluten |
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Mit zittern an das Ufer stieg; |
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Und wie wir dann, wenn hoch die Wogen drangen, |
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Ein Lied von Fingal durch die Wogen sangen, |
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Von Geistern, Harfen, Schlacht und Sieg. |
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Hier sitz ich, Freund, in meiner Jugend Haine |
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Und schreibe dir auf einem grauen Steine |
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Vielleicht das letzte, letzte Wort; |
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Zum zweitenmahle greif ich nach dem Staabe, |
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Und pilgere mit meiner leichten Haabe |
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Vielleicht auf ewig fort. |
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Das Vaterland bedarf nicht meiner Kräfte, |
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Hat Männer gnug für Aemter und Geschäfte, |
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Und schenkt mir gerne meine Pflicht; |
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Ich habe von den vielen fetten Gauen |
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Auch keinen Fuß, mir meinen Kohl zu bauen |
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Zu einem ländlichen Gericht. |
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Obgleich auf keinem Acker eine Aehre |
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Mit ihres Seegens schöner goldner Schwere |
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Mir dankbar in die Sichel sinkt; |
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Obgleich von keinem jungen Zöglingsbaume |
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Mit ihrem Purpur eine Mohrenpflaume |
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Mir Durstigen zum Brechen winkt: |
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So sitz ich doch mit schaurigem Gefühle |
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Und sehe hier in Schwermuth dem Gespiele |
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Der Wellen unsrer Elster zu, |
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Und werfe langsam meine düstern Blicke |
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Noch einmahl auf die Knabenwelt zurücke, |
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Und ihrer Jahre stille Ruh. |
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Bald gellt vielleicht mit schwerem Eisentone |
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Bellone von des Nordens rauher Zone |
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Auch mir noch einen Schlachtgesang, |
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Der jüngst von Felsenfuß der Pyrenäen |
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Bis an des Samogeten Winterseen |
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In grellen Noten wiederklang. |
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Dann, Freund, wenn ich an dem beeißten Norden |
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Vielleicht mit Schaaren unbekannter Horden |
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In fremde wilde Kriege zieh, |
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Und wenn ich am kaukasischen Gebürge |
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Mich auf den Tod mit Ghenkis Enkeln würge, |
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Vergiß des Busenbruders nie. |
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Und wenn von einem Männerarm geschwungen |
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Ein Türkenstahl mir durch das Hirn gedrungen, |
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Und du den Todesboten hörst, |
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So setze dich zu einem Trauermahle, |
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Und singe mir bey unsrer Bundesschale |
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Ein Lied, mit dem du Helden ehrst. |
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Jetzt lebe wohl, und höre von dem Freunde, |
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Als ob er scheidend dir im Arme weinte, |
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Ein Wort, das seine Seele spricht; |
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Nicht ob ich deiner Seele Werth verkennte, |
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Doch nimm mein Herz in meinem Testamente, |
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Denn Gold und Silber hab ich nicht. |
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Sey immer Mann, und groß durch eigne Kräfte, |
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Und überlaß nie andern ein Geschäfte, |
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Das du noch selbst zu enden magst; |
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Sey Harmonie in Wort und That, und weiche |
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Kein Haarbreit, stark wie eine Königseiche; |
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Und felsenfest sey, was du sagst. |
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Sey wie ein Gott im Wohlthun auf der Erde, |
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Und gieb der Armuth froh von deinem Heerde; |
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Und tröste warm des Kummers Sohn; |
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So wird man mit Entzücken dir begegnen, |
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Und dich, wie Kinder ihren Vater, segnen, |
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Der Menschheit schönster Lohn. |
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Sey Freund von allen; aber lange sichte |
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Und prüfe scharf und faß in jedem Lichte, |
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Und blicke tief bis auf den Grund |
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Dem Manne, dem du in die Arme sinkest; |
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Denn wisse, wenn du Gift statt Heilung trinkest, |
108 |
So bleibt dein Herz auf ewig wund. |
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Trau nicht den Menschen; dicker Firnis decket |
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Die wahre Farbe, welche tief verstecket |
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Sich selten, in der Leidenschaft nur zeigt: |
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Verachte stolz den stolzen goldnen Thoren, |
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Doch mehr noch jenen, der mit leisen Ohren |
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Sich bis zum Gürtel schmeichelnd beugt. |
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Stets handle fest nach männlichen Gesetzen; |
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Die du dir schriebst, und eines zu verletzen |
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Sey Hochverrath an der Vernunft: |
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Trägst du Zufriedenheit in deiner Seele, |
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So ist dein Glück für Menschen groß, so quäle |
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Dich nicht um Beyfall einer Zunft. |
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121 |
Mißtraue jedem Lobe, jedem Tadel, |
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Und prüfe strenge jeder Handlung Adel, |
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Für die man ein Diplom begehrt; |
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Doch wage nicht mit alten Ketzerflammen |
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Den Mann, den man verdammet, zu verdammen, |
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Denn Gott nur kennet seinen Werth. |
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Durchwandle froh mit deinem Freund die Auen, |
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Doch wag es nicht, auf ihn dein Glück zu bauen; |
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Wer ist der Mensch, für den du bürgst? |
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Steh selbst, und suche die Vernunft zu rächen, |
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Damit du nicht, wenn fremde Säulen brechen, |
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Des Lebens Ruh auf immer würgst. |
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Flieh vor dem Weibe, Freund; in ihren Netzen |
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Ist erst Berauschung und sodann Entsetzen; |
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Und in der ganzen Schöpfung liegt |
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Kein Wesen, das mit allen Engelgaben, |
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An denen sich die blinden Opfer laben, |
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Am Ende grausamer betrügt. |
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Und wenn ein Weib dir mit verklärten Blicken |
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Ein hohes paradisisches Entzücken |
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Durch deine trunkne Seele bebt; |
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Und wenn sie dich aus deiner Erdenhülle |
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Mit ihres Zaubers süßer Nektarfülle |
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Zu einem Gott erhebt; |
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Freund, wehe dir, wenn du im Hochgenusse |
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Der Schönheit blind zu einem Götterkusse |
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Dem Engel in den Arm dich wirfst, |
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Und tief, gleich Libers schwerberauschten Zechern, |
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Der Wollust Taumel aus gekrönten Bechern |
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Zum göttlichen Geheimniß schlürfst. |
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Das Feuer, das dein Wesen heute nähret, |
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Wird morgen Glut und wüthet und verzehret |
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Die kleine Stütze deines Glücks: |
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Es quält dich Angst, und jagt dich auf und nieder; |
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Du siehst Verrath in jedem deiner Brüder, |
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Und in der Richtung jedes Blicks. |
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Du irrest nicht; des Mädchens Flamme währet, |
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Bis Lunens Hochlicht zweymahl wiederkehret; |
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Dann sucht sie neuen Zeitvertreib, |
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Und kann mit deinen heiligsten Gefühlen |
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Mit deinem Leben, wie mit Würfeln, spielen: |
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Gebrechlichkeit, dein Nahm’ ist Weib! |
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163 |
Verzeih mir, Freund, wenn meine bittre Klagen |
164 |
Der Schöpfung Meisterstück so kühn zu richten wagen; |
165 |
Gieb nie, gieb nie dein ganzes Herz; |
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Laß nie dein ganzes Ich in Liebe weben, |
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Versuche nie zum Gott empor zu schweben, |
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Und du entgehst betrogner Hoffnung Schmerz. |
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169 |
Freund, hoffe nichts, und fürchte nichts auf Erden |
170 |
Mit Leidenschaft, und du wirst glücklich werden. |
171 |
So glücklich, als es Menschen sind: |
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Denn Glück, unwandelbar und ungestöhret, |
173 |
Das selbst der Neid mit stummer Achtung ehret, |
174 |
Blüht für kein Menschenkind. |
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175 |
Durchblicke kühn die alte graue Decke |
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Der Vorurtheile; rufe laut und wecke |
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Den Nebenwandler aus dem Traum; |
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Doch stöhrtest du ihm seine gute Reise, |
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Und rücktest ihn gewaltsam aus dem Gleise, |
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So gieb der alten Weise Raum. |
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181 |
Durchkrieche nicht der Schulen Winkelzüge |
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Um aufgeblähter Weisheit Federsiege, |
183 |
Die schnell die Skepse dir verwischt: |
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Erforsche nur, um gut und froh zu leben |
185 |
Und deinen Musenstunden Salz zu geben, |
186 |
Und lache, wenn der Tadler zischt. |
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187 |
Freund, lebe wohl, und ruf in deine Seele |
188 |
Oft See und Fluß und Wald und Fels und Höle |
189 |
Zurück, durch die wir Arm in Arm |
190 |
Oft zu den guten biedern Wilden schlichen; |
191 |
Und ist das schöne Bild von dir gewichen, |
192 |
So strafe dich der Thoren Schwarm. |
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193 |
Freund, hoffe, daß des Weltenhalters Wage |
194 |
Uns noch am Abend unsern Rest der Tage |
195 |
In einer Hütte wägen wird; |
196 |
Daß noch der Schatten eines Baums uns decken, |
197 |
Noch ein Gesang der Nachtigall wird wecken, |
198 |
Wenn wir genug umher geirrt. |
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Nimm meinen Kuß im Geist an deinem Rheine; |
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Und denke bey den Bechern deutscher Weine |
201 |
An einen deutschen Biedermann, |
202 |
Den an Neufundlands westlichem Gestade |
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Im Labyrinthe menschenleerer Pfade |
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Einst deine Seele lieb gewann. |
Details zum Gedicht „Abschiedsschreiben“
Johann Gottfried Seume
34
204
1298
1792
Klassik
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht ist das „Abschiedsschreiben“ von Johann Gottfried Seume, einem deutschen Dichter und Schriftsteller, der von 1763 bis 1810 lebte. Daher ist es zeitlich in die Epoche der Aufklärung und Weimarer Klassik einzuordnen. Der erste Eindruck, ist der eines äußerst langen und emotionsgeladenen Briefs oder einer Botschaft, mit der das lyrische Ich sich von jemandem verabschiedet.
Im Gedicht sind viele Themen und Emotionen miteinander verwoben, aber im Kern drückt das lyrische Ich tiefgreifende Freundschaft, Respekt und Zuneigung aus. Es besteht ein Gefühl der kraftvollen Verbundenheit, die in vielen gemeinsamen Erlebnissen und Erinnerungen verwurzelt ist, viele davon scheinen auf Reisen und in der Natur stattgefunden zu haben. Gleichzeitig äußert das lyrische Ich auch Bedenken und Ängste in Bezug auf die Herausforderungen und Ungewissheiten des Lebens sowie der eigenen Zukunft.
Seume benutzt in diesem Gedicht eine sehr bildreiche und ausdrucksstarke Sprache und setzt viele metaphern- und symbolgeladene Naturbeschreibungen ein. Das Gedicht ist formal in sechszeilige Strophen gegliedert, mit Reimpaaren in jedem Strich, was eine Art formale Ordnung und Struktur schafft.
Inhaltlich dreht sich das Gedicht um das Thema Abschied. Das lyrische Ich erinnert in vielen Strophen an gemeinsame Erlebnisse und Erinnerungen. Dabei ist der Ton oft wehmütig und schwermütig. Auch gibt es einen starken Aufruf zu Tugenden wie Stärke, Unabhängigkeit, Großzügigkeit, Vorsicht und Weisheit.
Das Gedicht endet mit einer wiederholten Geste des Abschieds und der Hoffnung des Wiedersehens. Damit schließt es den Kreis und kehrt zum Anfang zurück, was eine Art Vollständigkeit und Abschließung vermittelt.
Weitere Informationen
Johann Gottfried Seume ist der Autor des Gedichtes „Abschiedsschreiben“. Geboren wurde Seume im Jahr 1763 in Poserna, Kursachsen. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1792. Erschienen ist der Text in Leipzig. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Klassik zuordnen. Die Zuordnung der Epoche ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das vorliegende Gedicht umfasst 1298 Wörter. Es baut sich aus 34 Strophen auf und besteht aus 204 Versen. Der Dichter Johann Gottfried Seume ist auch der Autor für das Gedicht „Der Wilde“. Zum Autor des Gedichtes „Abschiedsschreiben“ haben wir auf abi-pur.de keine weiteren Gedichte veröffentlicht.
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