Nach seinem Traume an seinen vertrautesten Freund von Paul Fleming

Muß ich den Langen Tag gleich nichts nicht tun als klagen
und mich vom Morgen an bis an den Abend schlagen
mit der und jener Angst, die mir auch manche Nacht
durch Kummer, Furcht und Pein dem Tage gleiche macht
in wachender Begier: so pfleget doch zuweilen
die Sorgen meiner Qual der Schlaf zu übereilen,
wie selten diß auch kömmt, und kehrt mir meinen Schmerz
in ein gewolltes Spiel und lächerlichen Scherz,
als wie mirs heute ging. Du weißt, um was ich traure,
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was auf die Tränen auch ich oft bei dir betaure,
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du weist es neben mir. Heut' ist der vierte Tag,
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daß ich für Leide nicht für Leute gehen mag.
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Ich zwinge mich in mir und kan mich doch nicht beugen,
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wie sehr ich wider mich mich führe selbst zum Zeugen.
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Es ist kein ander Rat. Ich muß mich geben drein.
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Man fragt nicht, ob ich wil. Es muß vertragen sein.
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Diß weiß ich mehr als wol, und gleichwol führ' ich Klagen,
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als ob ich mich der Not des Glückes könt' entschlagen.
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Umsonst ists, was ich tu', und tu' ich noch so sehr,
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denn mein Verhängnüß wil's. Was darf ich wollen mehr?
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So lieg' ich stets mit mir und wider mich zu Felde,
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verkaufe mich mir selbst mit meinem eignen Gelde,
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bestreite mich durch mich. Der zweifelhafte Krieg
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spricht meinem Feinde bald, bald mir zu seinen Sieg.
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Ich bin mir Freund und Feind. So streitet Streit mit Friede,
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so schlagen sie sich selbst stets an einander müde,
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bis sich mein matter Leib nicht länger regen kan.
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Da fängt der muntre Geist erst seinen Lärmen an,
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wacht, wenn sein Gastwirt schläft. Und weil ich mich verwirre,
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so macht er selbsten sich in seinem Wesen irre,
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spielt oft das Widerspiel, und da er weinen soll,
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so läuft, so springet er und jauchzet Lachens voll.
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Und so auch ging mirs itzt. Es ist mir schon entfallen,
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aus was für Ursach' ich dieß Lachen ließ erschallen.
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Das ganz verkehrte Tun, das mich verzaubert hält,
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macht, daß mein eigen Werk mir wachend oft entfällt.
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Mein Frohsein ist ein Traum. Die Warheit zu bekennen,
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diß Leben, das ich führ', ist recht ein Traum zu nennen,
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der Gut und Böses nimmt und durch einander mengt
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und sich in dem beschleußt, daß er stets vorn' anfängt,
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wie Mænas etwan tut, die Laub und Kraft der Reben
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ganz um und in sich hat. Sie läuft und weiß nicht eben,
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woher und wohin aus, redt und weiß dennoch nicht,
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was in der Tollerei sie gegen sich selbst spricht.
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Du hast wol ehemals ein Schauspiel halten sehen,
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bei dem du oft gewündscht: ach, wär' es schon geschehen!
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Uns schmerzet der Verzug, was noch wird werden drauß.
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Ich fürcht', es laufe noch auf was betrüblichs nauß.
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Gott mach' es alles wol! Das Glücke mag es karten!
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Wir wollen, liebster Freund, des Endes nicht erwarten.
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Tu' einst die Augen auf und lerne sehn mit mir,
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was man so lange Zeit beginnt mit mir und dir!
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Was nutzet uns diß Tun als nur zu unserm Schaden?
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Indeß dreht Klotho hart an unsrem schwachen Faden,
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an dem diß Leben hängt. Die Jugend, die wird alt,
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die Schönheit schwindet hin, wir werden ungestalt.
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Wir sind an Mangel reich, vergessen das wir wissen.
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Wer will wol dermaleins uns alte Jungen küssen,
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uns kluge Toren ehrn? Freund, auf und laß uns gehn!
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Auf! es ist hohe Zeit dem Übel zu entstehn.
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Versichre dich an mir! Und wolltestu gleich ziehen
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nach beiden Indien, in Nord und Osten fliehen
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durch Stürme, Hitz' und Frost, durch rauhes Land und Meer,
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ich ziehe mit dir hin und komme mit dir her.
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Wir fangen hie doch nichts denn Wind mit vollen Händen.
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Laßt sehn, ob sich denn so wil unser Glücke wenden!
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Soll uns geraten sein, so muß ein ander Land,
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ein ander Stand forthin uns füllen unser' Hand.
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Wird denn der Himmel uns so wol inkünftig wollen,
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daß wir nach aller Not von Glücke sagen sollen,
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so soll kein edler Tag ohn' dein Gedächtnüß sein.
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Mit deinem Tode soll mein Leben gehen ein.
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Freund, dieses lege bei und laß es mit dir sterben!
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Hast du dir schon allhie sonst können nichts erwerben,
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dein Eignes und dich selbst fast drüber eingebüßt,
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sei dennoch unbetrübt! Laß alles, wo es ist,
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sei herzig, wie du bist, und laß dich des vergnügen,
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daß unser' Geister sich so wol zusammenfügen!
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Ich schwör' es, es ist wahr: dein redlichs Herze macht,
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daß ich mein Herzeleid oft habe wie verlacht.
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Ich tröste mich an dir und deinen treuen Sinnen,
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auf die die meinen nun gewißlich fußen können.
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Du bist mir ähnlich ganz. Mein Wollen ist dein Rat
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auf Nein als wie auf Ja, dein Wille meine Tat.
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Diß laß mir Freundschaft sein, die mit dem Freunde lachen
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und mit demselben auch sich gleich betrübt kan machen
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und nicht nur stellen wil! Wird Liebe so geliebt,
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so wird sie, weil sie währt, von Herzen nie betrübt,
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von Herzen stets erfreut. Ich mags mit Warheit sagen:
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ein Solcher, der bist du. Mich hat zu dir getragen
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die stille Neigung selbst, die die Gemüter lenkt
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und gleiche Regungen in gleiche Seelen senkt.
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Es ist was Himmlisches in unsrem irdnen Blute,
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das seine Göttlichkeit beweiset in dem Mute,
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der gleiches Wesens ist, das Lieb' und Haß erregte,
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das sie, wie von Natur, in etlich' Herzen legte.
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Ich werde durch die Kraft der Sternen angetrieben,
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sie regen mir das Blut. Ich muß beständig lieben.
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Nicht, wie itzt mancher tut, der sich zwar hoch vermißt
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und in der ersten Not der Treue schon vergißt.
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Zwar, es ist bald gesagt: du solt mein Bruder bleiben,
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der Ausgang aber zeugt, wie weit man dem darf gläuben.
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So leichtlich man itzund die Brüderschaften macht,
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so leichtlich läßt man sie auch wieder aus der Acht.
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Die meisten pflegen wir beim Trunke nur zu schließen,
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die, wie sie worden sind, so wieder auch zerfließen.
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Nicht Solches ist bei uns, als die des Himmels Pracht
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durch sein geheimes Werk zu Freunden hat gemacht,
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die wir es ewig sein. Du kennst mein ganzes Herze,
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weist, wie ich mich stell' an, bei Ernst und auch bei Scherze,
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bist Zeuge meines Tuns, voraus der edlen Kunst,
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die mir zuerste hat erworben deine Gunst.
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Mein Bund soll mit dir sein, so lange man wird wissen,
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daß sich ein Fleming hab' auf solch ein Tun beflissen,
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das seine Deutschen rühmt und ihre Sprach' erhebt,
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das mit der Ewigkeit auch in die Wette lebt.
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Ich habe keine Lust zu ein'gen solchen Sachen,
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die einen leichten Schein bei gleichen Leuten machen,
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die mehr nicht als ein Wahn und bloßer Vorwitz sein
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und mit dem Künstler selbst zuletzte gehen ein.
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Thalia, meine Lust, die hat mich das gelehret,
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mit dem ein treuer Freund kan werden recht verehret.
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Was wündschet ihm wol mehr ein aufgeweilter Geist,
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der, wie dann wir auch tun, den Himmel Vater heißt,
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als daß er, wenn er itzt sein Leben auf soll geben,
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von Neuem in der Welt soll fangen an zu leben
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durch ein berühmtes Lob, das kein Mensch geben kan,
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als dem es Cynthius zuvor hat eingetan.
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Ich wil dich bei der Hand zu einem Brunnen führen,
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der deinen Namen kan mit steter Jugend zieren.
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Trit unter meinen Baum, des Sturm und Alter schont!
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So wird dir dein Verlust recht reichlich sein belohnt.

Details zum Gedicht „Nach seinem Traume an seinen vertrautesten Freund“

Autor
Paul Fleming
Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
132
Anzahl Wörter
1211
Entstehungsjahr
1636
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Paul Fleming ist der Autor des Gedichtes „Nach seinem Traume an seinen vertrautesten Freund“. 1609 wurde Fleming in Hartenstein (Sachsen) geboren. Im Jahr 1636 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Barock zuordnen. Der Schriftsteller Fleming ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Epoche des Barocks dauerte von etwa 1600 bis 1720 an. Das Wort „Barock“ leitet sich vom portugiesischen Wort „barocco“ ab und bedeutet so viel wie „seltsam geformte Perle“. Die Zeit des Barocks wurde durch den Dreißigjährigen Krieg geprägt – Hunger, Seuchen (insbesondere die Pest), Vergewaltigung und Tod sorgten für großes Leid bei den Menschen in Europa. So verkleinerte sich die Bevölkerung in Deutschland von ca. 28 Millionen im Jahr 1615 auf 11 Millionen Menschen am Ende des Krieges im Jahr 1648. Die Literatur in der Epoche des Barock ist stark geprägt von der Antithetik. Das heißt, die Menschen nahmen ihre Welt als widersprüchlich und gegensätzlich war. Das Leben der einfachen Bevölkerung war von Armut, Krieg und Krankheit geprägt. An den Fürstenhöfen herrschten jedoch Verschwendung und Luxus. Der Barock war die erste Epoche, die in Deutschland zur Folge hatte, dass Gedichte von nun an nicht mehr auf Latein, sondern auch auf Deutsch veröffentlicht wurden. Eine besondere in der Zeit des Barocks bevorzugte Form der Lyrik bildete das sogenannte Sonett. Zu den bekanntesten Autoren des Barocks gehören: Grimmelshausen, Andreas Gryphius, Casper von Lohenstein, Martin Opitz, Paul Fleming und Caspar Ziegler.

Das vorliegende Gedicht umfasst 1211 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 132 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Paul Fleming sind „Wie er wolle geküsset seyn“, „Tanzlied“ und „Ein getreues Herz zu wissen“. Zum Autor des Gedichtes „Nach seinem Traume an seinen vertrautesten Freund“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 366 Gedichte vor.

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