Als Hannchen wählte von Luise Hensel

O Herr! es gehn wohl Viele
Auf gleichem Weg mit mir:
Sie streben nach dem Ziele,
Sie streben all' nach Dir.
 
Und ließen, leicht zu gehen,
Weit hinten eiteln Tand,
Doch eh' sie sichs versehen,
Gehn Zweie Hand in Hand.
 
Nur ich, Herr! geh' alleine,
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Soll immer einsam gehn,
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Und suche Dich, und weine,
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Und kann Dich nicht erspäh'n.
 
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O Herr! in welchen Gründen
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Hast Du Dich mir versenkt?
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Wo soll mein Herz nun finden
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Den Quell, der rein mich tränkt?
 
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Oft muß ich Blinde fragen,
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Die viel am Wege stehn;
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Sie können mir's nicht sagen,
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Weil sie das Licht nicht sehn.
 
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Sie zeigen hier und dorten
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Und meinen, Du sei'st nah';
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Und such' ich aller Orten,
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So ist mein Heil nicht da.
 
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Wenn aber Zweie wandern
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Treu-innig Hand in Hand,
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Da zeigt wohl Eins dem Andern
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Das rechte Vaterland.
 
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Gern zu einander reden
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Von Deinen Wundern sie,
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Fromm mit einander beten
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Sie ihr Ave Marie.
 
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Doch hast Du andre Weise
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Für mich, Herr! ausersehn,
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So will ich meine Reise
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Gern einsam weiter gehn;
 
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Gieb mir nur zum Begleiter
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Den einzig wahren Freund,
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Den einzig sichern Leiter:
40 
Den Geist, der aus dir scheint.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.5 KB)

Details zum Gedicht „Als Hannchen wählte“

Autor
Luise Hensel
Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
193
Entstehungsjahr
1818
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht stammt von der Autorin Luise Hensel, die von 1798 bis 1876 lebte. Die zeitliche Einordnung liegt daher im 19. Jahrhundert.

Auf den ersten Blick zeigt das Gedicht eine intensive Auseinandersetzung mit dem Glauben – speziell mit den Herausforderungen und Schwierigkeiten im spirituellen Suchprozess. Die Autorin greift dabei auf die symbolische Sprache der Romantik zurück, um das Ringen des lyrischen Ich um tiefere, spirituelle Wahrheiten zu illustrieren.

Im Inhalt spricht das lyrische Ich von seiner Reise auf dem Weg zu Gott. Es bemerkt, dass viele Menschen denselben Weg beschreiten (Vers 1-4), manche davon Hand in Hand (Vers 7-8). Im Unterschied dazu fühlt sich das lyrische Ich jedoch einsam auf seinem Weg und kämpft mit der Schwierigkeit, Gott zu finden und zu erkennen (Vers 9-16). Es spricht von der Blindheit anderer Menschen, die zwar Ratschläge erteilen können, aber das „Licht“, also die Erleuchtung oder Gotteserkenntnis, selbst nicht sehen (Vers 17-20). Trotz aller Versuche fühlt das lyrische Ich sich von seinem Ziel, dem „rechten Vaterland“ removed (Vers 21-28). Dennoch nimmt es seine einsame Reise auf sich, und bittet Gott um den „einzig wahren Freund“, den Heiligen Geist, als Begleiter und Führer auf seinem Weg (Vers 33-40).

In Bezug auf die Form besteht das Gedicht aus zehn Vierzeilen-Strophen, die alle das gleiche Metrum aufweisen. Die Sprache ist anammatisch und repetitiv, was eine meditative, bittende Wirkung erzeugt. Dies ist typisch für spirituelle Gedichte.

Die Metaphern und Symbolik des Gedichts, wie das Gehen auf einem Weg, das Weinen und Suchen, das „rechte Vaterland“ und der Heilige Geist als Leiter und Begleiter, reflektieren eine tiefe, spirituelle Suche und ein starkes Verlangen nach göttlicher Nähe und Einheit.

Zusammenfassend handelt das Gedicht von der Reinigung und Vorbereitung auf die Vereinigung mit Gott. Es ist ein Ausdruck der Sehnsucht des lyrischen Ichs nach Gott und der Akzeptanz des oftmals schwierigen und einsamen Weges, den man auf der Suche nach spiritueller Erleuchtung beschreiten muss. Es lädt den Leser dazu ein, über seine eigene spirituelle Reise und das Streben nach göttlicher Nähe nachzudenken.

Weitere Informationen

Die Autorin des Gedichtes „Als Hannchen wählte“ ist Luise Hensel. Die Autorin Luise Hensel wurde 1798 in Linum geboren. Im Jahr 1818 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten der Autorin lassen eine Zuordnung zu den Epochen Klassik, Romantik oder Biedermeier zu. Vor Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und daher anfällig für Fehler. Das 193 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 40 Versen mit insgesamt 10 Strophen. Weitere bekannte Gedichte der Autorin Luise Hensel sind „Süßer Jesus, kehre wieder“, „Soll mir Jesus liebevoll sich zeigen“ und „Gruß an Maria“. Zur Autorin des Gedichtes „Als Hannchen wählte“ haben wir auf abi-pur.de weitere 255 Gedichte veröffentlicht.

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