Domin, Hilde - Ziehende Landschaft (Gedichtanalyse)

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Hilde Domin, Analyse, Interpretation, Gedichtinterpretation, Referat, Hausaufgabe, Domin, Hilde - Ziehende Landschaft (Gedichtanalyse)
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Referat

Hilde Domin: „Ziehende Landschaft“ (Gedichtinterpretation)

Ziehende Landschaft
von Hilde Domin

Man muss weggehen können
und doch sein wie ein Baum:
als bliebe die Wurzel im Boden,
als zöge die Landschaft und wir ständen fest.
Man muss den Atem anhalten,
bis der Wind nachlässt
und die fremde Luft um uns zu kreisen beginnt,
bis das Spiel von Licht und Schatten,
von Grün und Blau,
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die alten Muster zeigt
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und wir zuhause sind,
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wo es auch sei,
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und niedersitzen können und uns anlehnen,
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als sei es das Grab
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unserer Mutter.

(„Ziehende Landschaft“ von Hilde Domin ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (24 KB) zur Unterstützung an.)

Das von Hilde Domin verfasste Gedicht „Ziehende Landschaft“ erschien 1955. Schon der Titel deutet darauf hin, dass es im Gedicht um das lyrische Ich geht, das einen Verlust der Heimat empfindet und diese tief in sich trägt. Das Gedicht gehört zur Zeit der Trümmer- und Nachkriegsliteratur, wobei die Exillyrik eine Unterströmung der Moderne ist. Diese Zeit kennzeichnet sich durch ihre Neigung zu magischen und mythologischen Motiven, wobei oft auf traditionell liedhafte Formen verzichtet wird. Während die Nachkriegsliteratur die Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs und die damit verbundene Verdrängung verarbeitet, fokussiert sie sich oft auf gewöhnliche Menschen, die den Krieg überstanden haben oder als Soldaten heimkehrten. Die Exillyrik wiederum beleuchtet Themen wie Heimweh, den Verlust der eigenen Kultur und die Darstellung des Lebens im Nazi-Deutschland. „Ziehende Landschaft“ ist eng mit der Exilliteratur (1933-1945) verknüpft, da es den ungewollten Heimatverlust thematisiert. Schon der Titel lässt vermuten, dass das lyrische Ich aus einem Zug auf die vorbeifliegende Landschaft blickt. Man kann annehmen, dass Domin mit diesem Werk die Erfahrungen von Exilanten darstellt, die versuchen, sich in einem fremden Land zu integrieren, ohne ihre Wurzeln oder Identität zu verlieren.

Bei der formalen Analyse des Gedichts kann festgestellt werden, dass es aus einer einzigen Strophe mit 15 Versen besteht. Auffällig ist das Fehlen eines Reimschemas. Erzählt wird das Gedicht sowohl aus der Sicht des lyrischen Ichs als auch aus der des lyrischen Wirs. Ein dominierendes Metrum im Gedicht ist der Trochäus. Die Versenden zeichnen sich durch eine weibliche Kadenz aus, da sie jeweils mit einer unbetonten Silbe schließen.

Das Gedicht nimmt seinen Anfang mit der Darstellung des Heimatverlusts des lyrischen Ichs und des damit verbundenen Heimwehs. Dieser Kontext verweist auf die Schrecken des Nationalsozialismus, währenddessen viele Menschen verfolgt, gequält oder ins Exil gezwungen wurden. Genauso wird das lyrische Ich ins Exil geschickt und muss seine Ursprünge zurücklassen. Zwar gelingt es dem lyrischen Ich mit der Zeit, sich dem Fremden anzunähern, dennoch bleiben seine Wurzeln tief in der Heimat verwurzelt. Das Gedicht schließt mit einer Reflexion über die Beziehung zur Heimat, die nur bestehen kann, wenn sie, ähnlich einer Mutter, stirbt.

Domin setzt in ihrem Gedicht verschiedene sprachliche Mittel ein, um tiefere Gedanken beim Leser auszulösen.

Bereits im zweiten Vers zieht sie eine Parallele zwischen Menschen und Bäumen, um zu betonen, dass, egal wohin man geht, die Wurzeln immer in der Heimat verbleiben. Durch die Anapher in den Versen 3 und 4 – „als bliebe die Wurzel am Boden,/ als zöge die Landschaft und wir ständen fest“ – verleiht Domin ihrem Werk Struktur und sorgt für Klarheit beim Lesen.

Der Titel des Gedichts „Ziehende Landschaft“ stellt ein Oxymoron dar und suggeriert dem Leser, dass sich die Landschaft für das lyrische Ich bewegt, während es im Zug sitzt und die sich verändernde Umgebung beobachtet. Mit der Antithese in den Versen 1 und 2 – „Man muss weggehen können/ und doch sein wie ein Baum“ – hebt Domin die Bedeutung der Heimat hervor.

Durch das Enjambement in Vers 14 und 15 verknüpft sie nicht nur inhaltlich zwei Verse, sondern sorgt auch für einen fließenden Leserhythmus. Im neunten Vers findet sich ein Symbol für die Sehnsucht und Hoffnung des lyrischen Ichs – „von Grün und Blau“.

Verschiedene Metaphern ziehen sich durch das Gedicht, darunter der Vergleich der Wurzeln im Boden (Vers 3) mit dem festen Stand des lyrischen Ichs in der Heimat oder das Halten des Atems in Bezug auf die schwierige Nachkriegszeit (Vers 5 und 6). Ein wiederkehrendes Bild ist das „alte Muster“ (Vers 10), das die beständige Hoffnung repräsentiert, das einstige Leben wiederzuerlangen.

Domin verwendet im Gedicht wiederholt Motive, die die Heimat des lyrischen Ichs symbolisieren. Bäume stehen für Herkunft und Wurzeln, während die wiederkehrende Landschaft das Verlassen dieser Heimat darstellt. Ein weiteres Heimatmotiv ist das Grab der Mutter, welches die tiefe Verbindung des lyrischen Ichs zu seiner Herkunft verdeutlicht.

Das Gedicht thematisiert das Unterwegssein – das Verlassen der vertrauten Heimat, die ziehende Landschaft, und die Konfrontation mit dem Fremden. Diese Thematik wird durch verschiedene Metaphern unterstützt.

Abschließend stellt das Gedicht eine Aufforderung an all jene dar, die fliehen mussten: Sie sollen ihrer Heimat treu bleiben und ihre Wurzeln niemals vergessen.

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