Domin, Hilde - Mit leichtem Gepäck (Gedichtinterpretation)

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Clemens Brentano, In der Fremde, Gedichtvergleich, Analyse, Interpretation, Hilde Domin, Referat, Hausaufgabe, Domin, Hilde - Mit leichtem Gepäck (Gedichtinterpretation)
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Referat

Hilde Domin - „Mit leichtem Gepäck“ (Gedichtanalyse)

Gliederung / Inhalt

Gedichtinterpretation „Mit leichtem Gepäck“

Das Gedicht „Mit leichtem Gepäck“ aus der Epoche der Moderne, verfasst von Hilde Domin und veröffentlicht im Jahre 1962, thematisiert das Gefühl der Unbeständigkeit und des ständigen auf dem Sprung Seins.

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Das Gedicht besteht aus fünf Strophen mit jeweils fünf Versen. Es liegen kein genau definierbares Metrum oder Reimschema vor. Es sind mehrere Enjambements in dem Gedicht vorzufinden, beispielsweise in den Versen 9-10: „Er irrt. Du / riechst nicht nach Bleiben“. Diese starken Akzentuationen, die durch diese starke Zäsur am Versende durch den Zeilensprung hervorkommen, unterstreichen die generelle harte und befremdliche Stimmung des Gedichts.

In dem Gedicht gibt es kein klar erkennbares lyrisches Ich, sondern vielmehr ein lyrisches Du, welches deutlich hervorsticht. Verse wie „Du darfst dich nicht gewöhnen“ (V. 2) oder „Sag dem Schoßhund Gegenstand ab“ (V. 6) unterstreichen den fordernden und sachlichen Charakter des Gedichts. Ohne jegliche emotionale oder affektive Note wird das lyrische Du angesprochen. Es wirkt, als hätte das lyrische Du seinen Charakter, seine Meinung abgegeben und würde etwas ihm Übergeordneten unterliegen, was ihm befiehlt, was es zu tun und zu lassen hat: „Häng ihn dir um den Hals, / du darfst einen haben, / denn mit der Hand / schöpft sich das Heiße zu schwer“ (V. 12-15).

Das Gedicht behandelt einen gezwungenen Abschied. Das lyrische Du verharrt nicht lange an einem Ort und steht einem flüchtigen Abschied bevor. Diese Flüchtigkeit und Unbeständigkeit ziehen sich durch sein ganzes Leben. Am Ende des Gedichts wird deutlich, dass es zwar materielle Besitztümer wie einen Löffel hat, jedoch nichts in seinem Leben konstant oder ihm sicher ist, nicht mal ein Grab.

Zum großen Motiv des Unterwegsseins gehört ebenso das zu Hause sein und das Gefühl der Heimat. In Domins Gedicht wird schnell klar, dass dies dem lyrischen Du in seiner dort dargestellten Situation nicht gegeben ist: „Aber ein Heim/ ist kein Heim“ (V. 4-5). Das lyrische Du hat anscheinend eine Bleibe, ein örtliches „Heim“, jedoch kein emotionales „Heim“, in welchem es sich geborgen und „heimisch“ fühlt. Es ist ständig unterwegs und darf sich „nicht gewöhnen“ (V. 2), kein Gefühl der Heimeligkeit entfalten. Es ist ständig unterwegs und kommt nirgendwo emotional an, was die sachliche und abgeklärte Sprache des Gedichts unterstreicht: „Eine Rose ist eine Rose“ (V. 3). In dem Gedicht wird keineswegs ein Hauch von Affektion oder wahrer Gefühle herübergebracht, das Einzige, was herüberkommt, ist die große Gefühlskälte und Verschlossenheit: „Er irrt. Du / riechst nicht nach Bleiben“ (V. 9-10).

Der Vergleich: „Es liefe dir Zucker durch die Finger, / wie der Trost, / wie der Wunsch, / an dem Tag, / da er dein wird.“ (V. 16-20) verdeutlicht die Gefühlswelt des lyrischen Dus. Der Zucker stellt die Gefühlswelt dar, den Trost und den Wunsch, das Hoffen auf eine bessere Zeit, auf Geborgenheit, doch diese Gefühle rieseln durch die Hände des lyrischen Dus. Es kann nichts mehr fühlen, es ist zu viel, zu groß, zu überwältigend. Das lyrische Du kann seine Gefühle nicht fassen, nicht greifen, deswegen stößt es diese ab. Durch diese überwältigenden Gefühle weiß das lyrische Du nicht, wo es steht, es hat keinen Anker, kein „Heim“ (V. 4). Durch diese Entfremdung entfremdet es sich selbst, von seinen eigenen Gefühlen. Diese Entfremdung wird besonders deutlich in der zweiten Strophe: „Sag dem Schoßhund Gegenstand ab, / der dich anwedelt / aus den Schaufenstern. / Er irrt. Du / riechst nach Bleiben.“ (V. 6-10). Der Hund zeigt offensichtlich Affektion, ein Zeichen der Freude (durch das Schwanzwedeln), doch das lyrische Du wird dazu angehalten, ihm zu signalisieren, dass es geht. Das lyrische Du reagiert auf diese gefühlsgeladene Handlung mit Kälte, was die emotionale Abgestumpftheit deutlich macht. In dem Gedicht ist auffällig, dass es in einem Befehlston, welcher durch Imperative deutlich wird, in der zweiten Form Singular geschrieben ist: „Gewöhn dich nicht“ (V. 1) oder „Du darfst einen Löffel haben“ (V. 21). Angesichts des biografischen Hintergrunds der Autorin, welche aufgrund Hitlers Machtübernahme fliehen musste und viele Jahre im Exil lebte und dort Erfahrungen mit unbeständigen Lebenssituationen machte, spiegelt das Gedicht die Gefühlswelt eines Geflüchteten wider. Dieser getriebene Befehlston, ohne die Möglichkeit selbst seine Stimme zu erheben, dem ausgeliefert zu sein, was andere ihm sagen, all diese Gefühle, die es unterdrückt, weil es dort kein etablierter Teil ist, wird durch das Gedicht transportiert.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das lyrische Du auf einem physischen Unterwegssein ist, ohne sich emotional an irgendeinem Ort niederzulassen. Es kommt nicht zur Ruhe und ist ständig ihm befehlenden Stimmen ausgesetzt. Nirgendwo bekommt es die Chance seine ständige Unsicherheit und die damit einhergehende Unbeständigkeit zu überwinden, was es dazu verleitet seine Emotionen zu unterdrücken und in eine starre emotionale Kälte zu verfallen.

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Vergleich mit dem Gedicht „In der Fremde“ von Clemens Brentano

In der Fremde
von Clemens Brentano

Weit bin ich einhergezogen
über Berg und über Tal,
und der treue Himmelsbogen
er umgibt mich überall.
 
Unter Eichen, unter Buchen
an dem wilden Wasserfall
muß ich nun die Herberg suchen
bei der lieb Frau Nachtigall.
 
Die im brünst'gen Abendliede
10 
ihre Gäste wohl bedenkt,
11 
bis sich Schlaf und Traum und Friede
12 
auf die müde Seele senkt.
 
13 
Und ich hör' dieselben Klagen
14 
und ich hör' dieselbe Lust
15 
und ich fühl' das Herz mir schlagen
16 
hier wie dort in meiner Brust.
 
17 
Aus dem Fluß, der mir zu Füßen
18 
spielt mit freudigem Gebraus
19 
mich dieselben Sterne grüßen
20 
und so bin ich hier zu Haus.

(„In der Fremde“ von Clemens Brentano ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (24.3 KB) zur Unterstützung an.)

Das Gedicht „In der Fremde“ von Brentano und das Gedicht „Mit leichtem Gepäck“ von Hilde Domin lassen sich thematisch, sprachlich und formal in Bezug auf das Motiv des Unterwegsseins miteinander vergleichen.

Das Erste, was auffällt, wenn man Brentanos und Domins Gedicht vergleicht, ist, dass beide zwar dieselbe Strophenanzahl haben, Domins Strophen jedoch jeweils einen Vers mehr haben (fünf). Brentanos Gedicht besitzt ein stetiges Metrum, sowie ein Reimschema. Domins Gedicht hat dies nicht, jedoch weist es Enjambements auf, wie das von Brentano.

Bezüglich der Sprechsituation des lyrischen Ichs lässt sich festhalten, dass man als Rezipient von Brentanos Gedicht Einsicht in die Gefühlswelt sowie die Wahrnehmung des lyrischen Ichs bekommt (vgl. V. 13-16). In Domins Gedicht existiert vielmehr ein lyrisches Du (vgl. V. 2), welches sehr gefühlskalt bleibt. Dieser Unterschied in der Sprechsituation der beiden Gedichte stellt eine maßgebliche inhaltliche Differenz der beiden Gedichte dar, da sie inhaltlich von der Ausgangssituation sehr ähnlich sind. In beiden Gedichten ist das lyrische Ich nicht zu Hause, irgendwo anders, doch in Brentanos Gedicht findet das lyrische Ich dort ein Stück Heimat und Geborgenheit (vgl. V. 13-16), wobei das lyrische Du in Domins Gedicht dazu getrieben ist, so schnell wie möglich wieder zu gehen (vgl. V. 9-10), was es zu Gefühlen der Inakzeptanz und Unsicherheit bringt.

Sprachlich gesehen ist das Gedicht von Brentano mit einer Fülle von ausschmückenden stilistischen Mitteln zu beschreiben. Man findet Personifikationen (vgl. V. 19), Alliterationen (V. 6) und Anaphern (vgl. V. 13-15), wobei Domins Gedicht eher mit Wortwiederholungen (vgl. V. 3-5: V. 23-24) und Anaphern (V. 17-18) arbeitet. Wobei Brentanos Gedicht eher lebendig und emotional wirkt, bleibt Domins Gedicht sehr eindringlich und abgeklärt (eher sachlich). Dies ist ebenso ein großer Unterschied in der Wirkung der Gedichte. Es scheint, als würde Brentano die positiven Seiten des Unterwegsseins beleuchten und Domin dagegen die Schattenseiten.

Schlussendlich lässt sich sagen, dass beide Gedichte zwar von derselben Situation handeln, und zwar von der, irgendwo fremd und neu zu sein, Brentanos Gedicht jedoch die affektierte und emotional positiv bewegte Seite des Fremdseins beleuchtet, wobei Domins Gedicht die kalte, gefühlstote und gezwungene Seite dieser Thematik beleuchtet. Dies wird ebenso durch die sprachliche Gestaltung beider Gedichte mehr als deutlich, wobei Domin sehr repetitiv mit Wiederholungen arbeitet, um möglichst eindringlich zu wirken und Brentano möglichst anschaulich und bewegt, um das Gefühl der Lebendigkeit und Freude zum Ausdruck zu bringen.

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