Loerke, Oskar - Blauer Abend in Berlin (Interpretation)

Schlagwörter:
Oskar Loerke, Analyse, Interpretation des Gedichtes, Expressionismus, Sonett, Referat, Hausaufgabe, Loerke, Oskar - Blauer Abend in Berlin (Interpretation)
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Referat

Blauer Abend in Berlin - Oskar Loerke

1 Der Himmel fließt in steinernen Kanälen
2 Denn zu Kanälen steilrecht ausgehauen
3 Sind alle Straßen, voll vom Himmelblauen.
4 Und Kuppeln gleichen Bojen, Schlote Pfählen
5 Im Wasser. Schwarze Essendämpfe schwelen
6 Und sind wie Wasserpflanzen anzuschauen.
7 Die Leben, die sich ganz im Grunde stauen,
8 Beginnen sacht vom Himmel zu erzählen,
9 Gemengt, entwirrt nach blauen Melodien.
10 Wie eines Wassers Bodensatz und Tand
11 Regt sie des Wassers Wille und Verstand
12 Im Dünen, Kommen, Gehen, Gleiten, Ziehen.
13 Die Menschen sind wie grober bunter Sand
14 Im linden Spiel der großen Wellenhand.

Das Poem „Blauer Abend in Berlin“ von Oskar Loerke ist ein typisch expressionistisches Gedicht. Oskar Loerke ist am 13. März 1884 in Jungen bei Schwetz (heute polnisch: Wiąg) in Westpreußen geboren. Er starb bereits mit 56 Jahren am 24. Februar 1941 in Berlin. Loerke war ein deutscher Dichter des Expressionismus und des Magischen Realismus. Seine Abneigung gegen den Nationalsozialismus prägte ihn, seine späten Texte wirken verzweifelt. Loerke liebte die Großstadt und kommentierte die NS-Zeit kritisch in Gedichten.

Grundsätzlich war er aber ein Naturlyriker. Zunächst erschien ihm die Stadt und die Natur als völliger Gegensatz, der für Loerke aber irgendwann zu einer sich gegenseitig ergänzenden Einheit wurde.

Bekannte Gedichte:

  • 1911 Wanderschaft (darin: Blauer Abend in Berlin)
  • 1916 Gedichte (1929 in zweiter Auflage unter dem Titel Pansmusik)
  • 1921 Die heimliche Stadt
  • 1926 Der längste Tag
  • 1930 Atem der Erde
  • 1934 Der Silberdistelwald
  • 1936 Der Wald der Welt

Das Sonett "Blauer Abend in Berlin" erschien 1911. Es stellt durch einen Vergleich der Stadt und ihren Bewohnern mit einer Wasserlandschaft das Verhältnis zwischen dem Menschen und seiner künstlich geschaffenen Welt und der Natur dar.

Das Gedicht ist in Form eines Sonetts verfasst ist, mit zwei Quartetten und zwei Terzetten. In die erste Strophe wird mit einer Metapher eingestiegen, der Himmel soll die Natur darstellen und die steinernen Kanäle stehen für die Häuser einer Stadt. Dies hebt das Eingreifen der Menschen in die Natur vor und stellt das fortschreitende Abgrenzen von der Natur dar, was auch durch den nächsten Vers untermauert wird. Die sich weiter entwickelnde Urbanisierung wird in der dritten Zeile sehr deutlich, denn das Himmelblaue verkörpert die Bewohner der Stadt, die stetig zunehmen. Durch die Substantive „Kuppeln“, „Schlote“ und „Bojen“, „Pfählen“ (Zeile 4) wird die Stadt mit der Natur verglichen, die sich immer weiter von einander isolieren. Des Weiteren wird die Enthumanisierung durch die Industrialisierung thematisiert, das kristallisiert sich besonders in der zweiten Strophe heraus, durch die Verwendung des Begriffes der Schwarzen Essendämpfe (Zeile 5), welche ein typisches Beispiel für die Industrialisierung sind. Die Rauchschwaden welche sich einen Weg durch die dicht aneinander gebauten Gebäude bahnen müssen, lassen erkennen wie sehr die Stadt gewachsen ist.

Der Vers „Die Leben, die sich ganz am Grunde stauen“ (Zeile 7) weist auf die Menschen hin, die in der Stadt gefangen sind und sich immer weiter von der Natur entfernen, obwohl sie sich nach der Natur sehnen. Diese Tatsache wird in der letzen Zeile dieser Strophe deutlich. Im ersten Terzett benutz der Autor eine Synestie „blaue Melodie“, eine Vereinigung von zwei verschiedenen Sinneseindrücken. In den nächsten beiden Versen sind die Menschen gemeint, die sehr träge sind, aufgrund der tristen Stadt. Sie müssen sich der Bewegung des Wassers beugen die durch den Takt der blauen Melodie vorgegeben wird.

Die letzte Strophe beginnt mit einer Aufzählung von Verben die jedoch groß geschrieben werden, was die ständige Bewegung widerspiegelt. In der darauf folgenden Zeile ist zu erkennen, dass das einzelne Individuum in der Masse untergeht und sich dieser nicht widersetzten kann. Die Wellenhand im letzten Vers ist eine Personifikation und soll veranschaulichen, dass der Sand, der die Menschen widerspiegeln soll, von einer höheren Macht gelenkt wird, aber diese nicht beeinflussen kann.

"Blauer Abend in Berlin" ist der Epoche des lyrischen Expressionismus (etwa 1905-1925) zuzuordnen. Vor dem Hintergrund der sich vergrößernden sozialen Unterschiede und einer zunehmend beunruhigenden Außenpolitik, die letztlich in den ersten Weltkrieg gipfelte, beabsichtigten die Schriftsteller dieser literarischen Strömung gegen die herrschenden Normen und Konventionen durch Aufhebung überkommener Betrachtungsweisen zu protestieren. Dabei wurde wiederholt das Thema der Großstädte behandelt. Die Auswirkungen zeigten sich hier einfach am stärksten. Das Sonett wurde häufig zur Darstellung verwendet, da die strenge Form erlaubte, unruhige und unbegreifbare Vorgänge klar zusammenzufassen.

Trotz dieser Übereinstimmungen mit den Merkmalen des Expressionismus besitzt Loerkes "Blauer Abend in Berlin" eine ganz eigene Note. Er präsentiert nach den Schattenseiten der Großstadt ("schwarze Essendämpfe") die harmonische ("linde[s] Spiel") Einordnung der Menschen in die höhere Ordnung der Natur. Damit verweigert er sich den teilweise vorherrschenden Untergangsideen dieser Epoche und wendet sich nicht nur vom subjektkonzentrierten Denken seiner Zeitgenossen ab.

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