Frau Sorge von Hermann Sudermann
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Frau Sorge, die graue, verschleierte Frau, |
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Herzliebe Eltern, ihr kennt sie genau; |
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Sie ist ja heute vor dreizig Jahren |
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Mit euch in die Fremde hinausgefahren, |
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Da der triefende Novembertag |
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Schweratmend auf nebliger Heide lag |
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Und der Wind in den Weidenzweigen |
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Euch pfiff den Hochzeitsreigen. |
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Als ihr nach langen, bangen Stunden |
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Im Littauer Walde ein Nest gefunden |
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Und zagend standet an öder Schwelle, |
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Da war auch Frau Sorge schon wieder zur Stelle |
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Und breitete segnend die Arme aus |
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Und segnete euch und euer Haus |
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Und segnete die, so in den Tiefen |
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Annoch den Schlaf des Nichtseins schliefen. |
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Es rann die Zeit. ? Die morsche Wiege, |
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Die jetzt im Dunkel unter der Stiege |
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Sich freut der langverdienten Rast, |
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Sah viermal einen neuen Gast. |
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Dann, wenn die Abendglut verblichen, |
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Kam aus dem Winkel ein Schatten geschlichen |
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Und wuchs empor und wankte stumm |
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Erhobenen Arms um die Wiege herum. |
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Was euch Frau Sorge da versprach, |
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Das Leben hat es allgemach |
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In Seufzen und Weinen, in Not und Plage, |
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In Mühsal trüber Werkeltage, |
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Im Jammer manch durchwachter Nacht |
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Ach! so getreulich wahr gemacht. |
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Ihr wurdet derweilen alt und grau, |
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Und immer noch schleicht die verschleierte Frau |
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Mit starrem Aug und segnenden Händen |
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Zwischen des Hauses armen vier Wänden |
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Vom dürftigen Tisch zum leeren Schrein, |
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Von Schwelle zu Schwelle aus und ein |
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Und kauert am Herde und bläst in die Flammen |
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Und schmiedet den Tag mit dem Tage zusammen. |
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Herzliebe Eltern, drum nicht verzagt! |
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Und habt ihr euch redlich gemüht und geplagt |
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Ein langes, schweres Leben lang, |
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So wird euch auch bei der Tage Reigen |
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Ein Feierabend vom Himmel steigen. |
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Wir Jungens sind jung ? wir haben Kraft, |
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Uns ist der Mut noch nicht erschlafft, |
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Wir wissen zu ringen mit Not und Mühn, |
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Wir wissen, wo blaue Glücksblumen blühn; |
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Bald kehren wir lachend heim nach Haus |
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Und jagen Frau Sorge zur Tür hinaus. |
Details zum Gedicht „Frau Sorge“
Hermann Sudermann
5
49
305
1857 - 1928
Realismus,
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Frau Sorge“ wurde von Hermann Sudermann verfasst, einem deutschen Schriftsteller und Dramatiker, der von 1857 bis 1928 lebte. Er war einer der prominentesten Vertreter des Naturalismus, einer literarischen Bewegung, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland populär war.
Das Gedicht lässt auf den ersten Eindruck ein melancholisches und trauriges Gefühl zurück. Es personifiziert Sorge als eine Frau, die konstant anwesend und belastend erscheint. Sie ist eine ständige Begleiterin der Eltern des lyrischen Ichs. Sie wgilt als unvermeidbar und unausweichlich, fast wie ein Schatten, der das Leben der Eltern begleitet. Dennoch endet das Gedicht mit einer hoffnungsvollen und ermutigenden Botschaft.
Inhaltlich zeigt das Gedicht, dass das Leben der Eltern des lyrischen Ichs von Sorgen und Schwierigkeiten geprägt war. Sie haben hart gearbeitet und viele Nöte durchlebt. Trotz alledem kündigt das lyrische Ich in eine positive Richtung, indem es seinen Mut und seine Stärke betont und darauf hofft, die „Sorge“ eines Tages aus dem Haus zu jagen.
Formal besitzt das Gedicht eine variable Strophenlänge und einen freien Versmaß. Dies könnte die Unberechenbarkeit und Flexibilität von Sorge und die Unvorhersehbarkeit des Lebens darstellen. Mit seiner eindringlichen und bildreichen Sprache vermittelt das Gedicht das Gefühl von Schwere und Melancholie, das mit der Konstanten Nöte einhergeht, gleichzeitig aber auch Hoffnung und Optimismus.
Zusammenfassend lässt das Gedicht „Frau Sorge“ von Hermann Sudermann das Leben als einen stetigen Kampf gegen Sorgen und Schwierigkeiten erscheinen. Es fordert jedoch auch dazu auf, mutig zu sein, hoffnungsvoll zu bleiben und weiterhin für ein besseres Leben zu kämpfen.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Frau Sorge“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Hermann Sudermann. Sudermann wurde im Jahr 1857 in Matzicken, Kreis Heydekrug, Ostpreußen geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1873 und 1928. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zu. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 305 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 49 Versen. Das Gedicht „Heimatsbild“ ist ein weiteres Werk des Autors Hermann Sudermann. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Frau Sorge“ keine weiteren Gedichte vor.
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