Silesius, Angelus - Sie verschmäht die Welt und wendet sich zu ihrem Jesu (Gedichtinterpretation)

Schlagwörter:
Angelus Silesius, Gedichtanalyse, Interpretation, Analyse, Referat, Hausaufgabe, Silesius, Angelus - Sie verschmäht die Welt und wendet sich zu ihrem Jesu (Gedichtinterpretation)
Themengleiche Dokumente anzeigen

Referat

„Sie verschmäht die Welt und wendet sich zu ihrem Jesu“ - Angelus Silesius (Gedichtinterpretation / Gedichtanalyse)

Sie verschmäht die Welt und wendet sich zu ihrem Jesu
von Angelus Silesius

Fahr hin, du schnöde Welt,
Mit deinem Gut und Geld.
Fahr hin mit deinem Prangen
Und den geschminkten Wangen,
Du wirst mit deinen Tücken
Mich nun nicht mehr berücken:
Jesus Christus soll allein
Meiner Seelen Vorbild sein.
 
Du zeigst mir deine Pracht,
10 
Dein Reichtum, deine Macht
11 
Und deiner Schönheit Rosen,
12 
Daß ich sie lieb soll kosen.
13 
Ach nein, es ist nur Heue
14 
Und stäubet hin wie Spreue:
15 
Jesus Christus soll allein
16 
Meiner Seelen Schönster sein.
 
17 
Dein Ruhm ist wie ein Schaum
18 
Und deine Pracht ein Traum,
19 
Und deine Herrlichkeiten
20 
Verbleichen mit den Zeiten.
21 
Fahr hin, ich mag nicht haben,
22 
Was nur kann zeitlich laben:
23 
Jesus Christus soll allein
24 
Meiner Seelen Liebster sein.
 
25 
Wer dir zu viel getraut,
26 
Hat auf den Sand gebaut.
27 
Wer dir sich hat ergeben,
28 
Verdirbt mit Leib und Leben.
29 
Drum will ich dich verlassen
30 
Und nimmermehr umfassen:
31 
Jesus Christus soll allein
32 
Meiner Seele Bräutgam sein.
 
33 
Ich schätze deine Lust
34 
So hoch als Kot und Wust.
35 
Und alle deine Freude
36 
Vergleich ich Traurn und Leide.
37 
Drum will ich auch nicht lieben,
38 
Was mich nur kann betrüben:
39 
Jesus Christus soll allein
40 
Ewig meine Liebe sein.

(„Sie verschmäht die Welt und wendet sich zu ihrem Jesu“ von Angelus Silesius ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (26.9 KB) zur Unterstützung an.)

Das vorliegende Gedicht „Sie verschmäht die Welt und wendet sich zu ihrem Jesu“, welches der Dichter Angelus Silesius in der Literaturepoche des Barocks verfasst hat, handelt von den Spannungen zwischen dem Schein und Sein sowie der Liebe und Glückseligkeit zu Gott. Das Gedicht verdeutlicht die Abneigung des lyrischen Ichs zum Leben auf der Welt und stellt dadurch die Hoffnung nach einer Erlösung in den Vordergrund.

Das Gedicht setzt sich aus fünf Strophen mit jeweils acht Versen zusammen und weist einen durchgehenden Paarreim (aabbccdd) auf. Ein fast gleichmäßiger Trochäus lässt sich in jeweils den ersten sechs Versen vorweisen, welcher jedoch in den letzten zwei Versen jeder Strophe von einem Jambus abgelöst wird. Dadurch liegt in den jeweils ersten sechs Versen eine stumpfe Kadenz und in den restlichen eine klingende Kadenz vor.

Die erste Strophe stellt die Welt auf eine demütigende Art und Weise vor. Während das lyrische Ich sich schon längst für „Jesus Christus“ (V. 8) entschieden hat, erzeugt die erste Strophe den Anschein, als ob die Welt das lyrische Ich versuchen würde umzustimmen. Doch schon in der zweiten Strophe werden die Tatsachen aufgedeckt und die trügerischen Wahrheiten stehen im Vordergrund. Denn „das Reichtum“(V.10) sowie „die Macht“ (V.10) sind bloß Lügen, welche dem lyrischen Ich eine heile Welt vorspielen sollen. Das lyrische Ich lässt sich jedoch in keinster Weise beeinflussen und fokussiert sich weiterhin auf die Abwendung von der Welt und die Zuwendung zu Gott. Den Höhepunkt erreicht das lyrische Ich in der vierten Strophe, in welcher die Entscheidung getroffen wird, die Welt zu „verlassen und nimmermehr [zu] umfassen“ (V. 29-30). Die letzte Strophe beschreibt abschließend die ewige Liebe zu Gott, denn dieser kann das lyrische Ich nicht „betrüben“ (V. 40).

Die erste Strophe beginnt mit einem Ausruf an ein unbekanntes lyrisches Du, welches jedoch im Kontext des Gedichts als die Welt interpretiert werden kann. Hierbei fordert das lyrische Ich die verachtenswerte Welt wegzufahren, um dem lyrische Ich keine weiteren „Tücken“ (V. 5) vorzugaukeln. Letzten Endes bleibt nur „Jesus Christus“ (V. 7) das alleinige Vorbild des lyrischen Ichs. Auffallend sind die sich wiederholenden Anaphern, welche nicht nur das Gedicht einleiten, sondern im Verlauf des Gedichts noch weitere Male genannt werden („Fahr hin“ Vers 1 und Vers 3). Ein ausdrucksstarker Imperativ, den das lyrische Ich verwendet, um seine Abneigung und Wut zu unterstreichen, deutet auf die Rechte des Adels zu verreisen. Die Anapher „Jesus Christus soll allein…“ (Vers 7), welche in der ersten Strophe zum ersten Mal genannt wird, jedoch alle fünf vorliegenden Strophen abschließt, stehen im starken Kontrast zu den jeweils ersten sechs Versen. Die Anpreisung Gottes sowie die damit verknüpfte Liebe und das Vertrauen zu Jesus Christus kontrastiert mit der eindeutigen Abneigung zur Welt und zu den Lügen und Tücken des Weltbildes. Die zahlreichen Anaphern, in welcher die Liebe zu Jesus Christus lobgepriesen wird, verdeutlicht die Entschlossenheit des lyrischen Ichs und den Wunsch nach der baldigen Erlösung.

Die Erniedrigung sowie die Bloßstellung der Lügen („Ach nein, es ist nur Heue“ - V. 13), welche in der zweiten Strophe zum ersten Mal verdeutlicht werden, jedoch im gesamten Gedicht eine tragende Rolle für die Emotionen des lyrischen Ichs spielen, stellen eine Art der Erklärung dar. Das lyrische Ich ist schon längst von seiner eigenen Position und seinen Wünschen überzeugt, jedoch erzeugen die zahlreichen Antithesen, Vergleiche sowie die direkte Anrede die Vermutung, dass der innere Monolog des lyrischen Ichs eine Form des Streitgespräches zwischen dem lyrischen Ich und der Welt darstellen soll. Das erzeugte Streichgespräch erhitzt die Situation des lyrischen Ichs und lässt vermuten, dass die Emotionen sich schon eine längere Zeit angestaut haben. Die Vorwürfe tückischer Ziele (V. 5-6), das Auftischen von Lügen (V.13-14) sowie das fälschlich aufgebaute Ansehen einer herrlichen Welt (V. 19), welches jedoch nur ein trügerischer Schein ist, sind Argumente des lyrischen Ichs sich von der Welt abzuwenden. Die Aufzählungen zu Beginn der zweiten Strophe verdeutlichen ein weiteres Mal, auf eine schon fast sarkastische Art und Weise, wie wunderschön die Erde doch sei. Doch die Tatsachen stimmen nicht mit der glorifizierten Illusion überein. Die „Pracht“ das „Reichtum“ sowie die „Macht“ (Vers. 9) sind bloß „Heue“ (Vers. 13), welche innerhalb kürzester verfliegen werden. Der Wandel und die Aufdeckung der Lügen wird vom lyrischen Ich im 13. Vers verdeutlicht. Während die wunderschönen Aspekte der Welt das lyrische Ich zu zärtlichen Handlungen antreiben sollen, erlöscht die Naivität des lyrischen Ichs und jegliches Verständnis verfliegt.

Die darauffolgende Strophe beinhaltet eine genauere Beschreibung der einzelnen Tücken und Lügen, welche das lyrische Ich nun immer weiter aufdeckt. Das lyrische Ich verwendet in dieser Strophe mehrfache Vergleiche des Weltbilds mit alltäglichen und banalen Objekten („Dein Ruhm ist wie ein Schaum“ V.17), welches jedoch in den meisten Fällen direkt mit der trügerischen Wahrheit und den idealisierten Vorstellungen verknüpft ist. Der Ruhm der Welt verfliegt hierbei wie der Schaum (V. 17), die Pracht kann mit einem Traum verglichen werden (V. 18) und die Herrlichkeit der Welt verbleicht mit der Zeit (V.20). Dieser Klimax verdeutlicht erneut , wie schnell die Vorstellung einer glorifizierten Welt auseinanderbrechen können und wie instabil diese Lüge aufgebaut wird. Zurückführend zur ersten Strophe, wird in der dritten Strophe die Anapher „Fahr hin“ ein drittes Mal verwendet. Im Kontext der dritten Strophe verweist das lyrische Ich direkt auf die vergehende Zeit und der Wunsch nach der Ewigkeit.

Den Höhepunkt erreicht das lyrische Ich in der vierten Strophe, in welcher darauf hingewiesen wird, dass die Welt den Menschen in den Abgrund stürzt, da diese bloß „auf Sand gebaut“ ist (V. 26) und dadurch keine Stabilität bieten kann. Gleichzeitig beschuldigt das lyrische Ich die Welt , die Menschen betrogen und angelogen zu haben. Während die Menschheit der Welt vertraut (V. 25) und sich ihrer ergeben (V. 27) hat, wurde in den Abgrund gestützt und muss indessen mit den Konsequenzen leben. Die Angst vor ähnlichen Folgen bewegt das lyrische Ich zum Handeln. Das lyrische Ich beschließt, der Welt den Rücken zuzukehren und sich rundum der Liebe zu Gott zu widmen. Hierbei lässt sich vermuten, dass das lyrische Ich nun endgültig ins Jenseits abtreten und seine „Seele“ dem „Bräutgam“ (V. 32) schenken möchte.

Die abschließende Strophe verdeutlicht die ausdrucksstarke Abneigung gegenüber der Welt. Hierbei vergleicht das lyrische Ich die Bemühungen der Welt mit Ausdruck des „Kot und Wusts“ (V. 33). Ein Vergleich, der die Handlungen der Welt maximal kritisiert. Die „Freunde“ der Welt über das Leid der Menschheit und gleichzeitig über den Luxus und den Reichtum der eigenen Reihen vergleicht das lyrische Ich mit Trauer und Leid (Vers 35-36). Abschließend formuliert das lyrische Ich die ewige Liebe und Zuneigung zu Gott und unterstreicht damit ein letztes Mal den Willen, die Welt zu verlassen, um an Gottes Seite treten zu können. Verglichen mit den vorherigen Strophen lässt sich ein stets aufeinander aufbauender Klimax vorweisen, welcher jeweils die letzten zwei Verse jeder Strophe zusammenfasst. Zu Beginn des Gedichts ist Jesus bloß ein Lebensvorbild des lyrischen Ichs, doch dies steigert sich im Verlauf des Gedichts zum „Schönsten“, zum „Liebsten“, zum „Bräutigam“ und letzten Endes zur ewigen Liebe des lyrischen Ichs.

Das lyrische Ich beschreibt ein trügerisches Weltbild, welches auf den ersten Blick wunderschön erscheinen mag, jedoch in Wirklichkeit nur eine Traumvorstellung darstellt (V. 18). Anhand dieser Feststellungen sehnt sich das lyrische Ich nach einer Erlösung durch Gott (V. 29.-30.), um den grauenvollen Traumbildern und der Weltangst zu entfliehen. Hierdurch werden die zwei typischen Motive der Epoche des Barocks in den Vordergrund gebracht. Einerseits das Bewusstsein der Sterblichkeit (Memento mori), andererseits die Vergänglichkeit (Vanitas). Das lyrische Ich kennt jegliche Nachteile des Lebens auf der Erde und entscheidet sich nun, der Welt den Rücken zuzukehren und seine Seele sowie sein Herz „Jesus Christus“ (z. B. V. 15) zu schenken.

Das vorliegende Gedicht, welches in der Literaturepoche des Barocks verfasst wurde, basiert auf den dramatischen Ereignissen des Dreißigjährigen Krieges und beinhaltet das Leben und die Hoffnungslosigkeit der Menschen infolge des Krieges. Jedoch basiert das Gedicht von Angelus Silesius gleichzeitig auch auf den Spannungen zwischen der Prunksucht der absolutistischen Herrscher und der Weltangst der Bevölkerung sowie mit der damit zusammenhängenden Suche der Glückseligkeit in Gott. Gott stellt hierbei den allmächtigen Retter und Erlöser dar, welcher eine Befreiung von den Krankheiten und der Zerstörung darstellen soll. Während der Adel Luxus und Verschwendung genießen kann, lebt die einfache Bevölkerung in Armut, Hunger und Krankheit sowie in zerstörten und ausgerotteten Dörfern.

Zusammenfassend thematisiert das vorliegende Gedicht die Spannungen zwischen dem Schein, welchen die Welt versucht darzustellen und den ständigen Lügen, welche im Laufe der Zeit immer wieder ans Licht gelangen. Die Folgen des Dreißigjährigen Krieges lassen die Bevölkerung nicht los und führen zu großer Angst und der Suche nach einem ewigen Leben an der Seite Gottes.

Zurück