Eichendorff, Joseph von - Sehnsucht (Gedichtinterpretation)

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Joseph von Eichendorff, Analyse, Interpretation, Romantik, Gedichtinterpretation, Referat, Hausaufgabe, Eichendorff, Joseph von - Sehnsucht (Gedichtinterpretation)
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Referat

Gedichtanalyse: „Sehnsucht“ (Joseph von Eichendorff)

Das Gedicht „Sehnsucht“ wurde im Jahr 1830/31 von Joseph Freiherr von Eichendorff verfasst und handelt von einem lyrischen Ich, welches vorübergehende Wanderer sowie die Natur betrachtet. Das Gedicht stammt aus der Epoche der Romantik und enthält für diese Epoche typische Motive wie das Fernweh und, wie bereits im Titel benannt, die Sehnsucht. Eichendorff selbst war der mittlere Nachkomme einer wohlhabenden Adelsfamilie und studierte Jura in Heidelberg und Berlin, wo er unter anderem die Vorlesungen Philosophie und Ästhetik besuchte. Nach seinem Studium zog er auf preußischer Seite in die napoleonischen Befreiungskriege, was viele seiner Gedichte stilistisch prägte. Im Jahr 1943 wurde er aufgrund seiner Krankheit entlassen und widmete sich ganz der Literatur.

Sehnsucht
von Joseph von Eichendorff

Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte,
Da hab ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!
 
Zwei junge Gesellen gingen
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Vorüber am Bergeshang,
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Ich hörte im Wandern sie singen
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Die stille Gegend entlang:
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Von schwindelnden Felsenschlüften,
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Wo die Wälder rauschen so sacht,
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Von Quellen, die von den Klüften
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Sich stürzen in Waldesnacht.
 
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Sie sangen von Marmorbildern,
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Von Gärten, die überm Gestein
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In dämmernden Lauben verwildern,
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Palästen im Mondenschein,
21 
Wo die Mädchen am Fenster lauschen,
22 
Wann der Lauten Klang erwacht
23 
Und die Brunnen verschlafen rauschen
24 
In der prächtigen Sommernacht. —

(„Sehnsucht“ von Joseph von Eichendorff ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (24.6 KB) zur Unterstützung an.)

In der ersten Strophe des Gedichts befindet sich das lyrische Ich in einem Raum, indem es das gesamte Gedicht über verweilt. Es steht an einem Fenster (vgl. V. 2) und sehnt sich nach der Natur in der Ferne (vgl. V. 3). Es äußert zudem den Wunsch, zu reisen. Die zweite Strophe beschreibt, wie das lyrische Ich zwei Gesellen (vgl. V. 9), die in der Natur wandern und singen (vgl. V. 11), wahrnimmt. In der letzten Strophe wird der Gesang fortgeführt (vgl. V. 17) und die Natur wird als von dem Menschen beeinflusst dargestellt (vgl. V. 18, 23).

Das Gedicht besteht aus drei Strophen mit jeweils acht Versen, die in einem kontinuierlichen Kreuzreim verfasst sind. Das Metrum ist ein dreihebiger Jambus und die Kadenz ist eine von weiblich zu männlich alternierende, was dem Gedicht eine Aufbruchsstimmung verleiht. Die Atmosphäre ist sehnsüchtig und unbeschwert, weckt jedoch auch den Gedanken an eine gewisse Einsamkeit des lyrischen Ichs. Das Tempus ist das Präteritum, das auf eine Erzählung schließen lässt.

Der erste Eindruck des Gedichts ist ein idyllischer, der Adressat spürt die sehnsüchtige Stimmung des lyrischen Ichs und versetzt sich in dessen Lage. Die Natur erscheint als organisches Glied und schafft ein familiäres Verhältnis zwischen Betrachter und lyrischem Ich.

Die im ersten Vers genannten „goldenen Sterne“ bringen die Sehnsucht nach den unerreichbaren unendlichen Weiten zum Vorschein. Das Adjektiv „einsam“ (vgl. V. 2) sowie die strikte Trennung von der Außenwelt durch das Fenster erschafft eine melancholische Stimmung, denn das lyrische Ich fungiert lediglich als ein betrachtendes und kein erlebendes Subjekt. Es ist eingeengt und hat eine rezeptive Haltung inne. Durch das „Posthorn“, welches das lyrische Ich nur „aus weiter Ferne“ (vgl. V. 4) wahrnimmt, erkennt man den Eskapismus, denn es will raus aus dem Fenster, raus aus dem bürgerlichen Alltagstrott. Es vermittelt ebenfalls eine gewisse Aufbruchsstimmung. Das Enjambement von Vers zwei zu drei verstärkt die Dringlichkeit des Willens des lyrischen Ichs zu entfliehen. Mit dem Pleonasmus „heimlich gedacht“ (vgl. V. 6) und dem Konjunktiv II „könnte“ (vgl. V. 7) wird die Sehnsucht verstärkt und eine Unerreichbarkeit geschaffen. Die „prächtige Sommernacht“ (vgl. V. 8) stellt ein typisches Motiv der Romantik dar und kreiert eine innere Wärme und eine angenehme Gefühlslage. Das Ausrufezeichen am Ende der Strophe steht für den Ausruf des lyrischen Ichs und unterstreicht dessen Sehnsucht deutlich.

Die Aufbruchsstimmung wird in der zweiten Strophe durch die „zwei jungen Gesellen“ (vgl. V. 9), die „Wandern“ (vgl. V. 11) erneut angeschnitten. Der „Bergeshang“ aus Vers zehn steht gleichzeitig für die Grenze zwischen den erlebenden Gesellen und dem betrachtenden lyrischen Ich.

Er lässt ebenso ein Gefühl von Abenteuerlust aufkommen, nach der das lyrische Ich sich sehnt. Romantisiert sowie idealisiert wurden die „rauschenden Wälder“ in Vers 14 mit dem Beiwort „sacht“. Die „stürzenden Quellen“ (vgl. V. 15-16) wiederum visualisieren die Bewegung des Wanderns, welche, wie bereits erwähnt, von der Form des Gedichts unterstützt wird. Die sprachlichen Mittel „Schwindelnden Felsenschlüften“ (vgl. V. 13) und „stürzende Quellen“ (vgl. V. 15-16) stellen Personifikationen der Natur dar und bewirken, dass der Adressat eine engere Verbindung zu dieser aufbaut. Ein weiteres Enjambement verbirgt sich von Vers 15 zu Vers 16 und hebt erneut die Schnelligkeit und Apartheid hervor.

Auffällig erscheint in der dritten und letzten Strophe der Wechsel von einer unberührten (vgl. V. 10-15) zu einer von Menschen beeinflussten Natur (vgl. V. 17-18, 20, 23). Dieser Wechsel spiegelt den Stimmungsumbruch zu einer einsameren und etwas depressiveren Atmosphäre wider. Das lyrische Ich ist alleine in einem Zimmer, während die Gesellen draußen wandern und Mädchen an Fenstern lauschen (vgl. V. 21). Die Mädchen stehen metaphorisch für die unerfüllte Liebe oder das Bedürfnis nach einer Liebe ausgehend vom lyrischen Ich. Die Personifikation die „Brunnen verschlafen“ löst eine magisch wirkende Empfindung der Umgebung aus. Der nach dem Punkt, am Ende der letzten Strophe, stehende Gedankenstrich (vgl. V. 24) symbolisiert die niemals vergehende Sehnsucht des lyrischen Ichs sowie die daraus hervorgehende Unendlichkeit der Unvollständigkeit.

Das von Eichendorf geschaffene Gedicht wirkt zu Beginn idyllisch und leicht, schwankt jedoch zu einer einsamen und depressiven Atmosphäre über, die beim ersten Lesen noch nicht deutlich wird. Es sind klare Motive der Romantik zu erkennen und das Gedicht ist einfach zu verstehen, was ebenfalls ein Merkmal der Romantik darstellt. Eichendorff hat in seinem Werk die zwei Attribute sanft (vgl. Vers 14, 21-23) und mächtig (vgl. Vers 10, 13-16) genutzt. Damit kennzeichnet er die Vielseitigkeit der Natur und dem Leben. Die Gesellen bilden insbesondere das Gegenstück zum lyrischen Ich.

Zusammenfassend ist das Werk eindeutig der Epoche der Romantik zuzuordnen, welche sich durch die Flucht vor der Französischen Revolution und der Industrialisierung sowie der kantigen Wirklichkeit in eine bessere Welt auszeichnet. Der Autor geht nicht nur auf die visuellen Aspekte, sondern auch auf die akustischen ein, was das Gedicht trügerisch real wirken lässt, da das lyrische Ich nichts von dem Erwähnten erlebt, sondern es sich womöglich nur, wie in der ersten Strophe erwähnt, „heimlich denkt“. Eichendorff sieht sich als Lyriker nicht wie zuvor in der Epoche der Aufklärung als Ratgeber, sondern, was an der Situation des lyrischen Ichs klar wird, als Außenseiter. Er hat also Parallelen zwischen seinem wirklichen Leben und seinem Werk „Sehnsucht“ geschaffen.

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