Goethe, Johann Wolfgang von - Faust I (Vor dem Tor, Szene 5)

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Johann Wolfgang von Goethe, Analyse, Interpretation, Szenenanalyse, Referat, Hausaufgabe, Goethe, Johann Wolfgang von - Faust I (Vor dem Tor, Szene 5)
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Referat

Dramenszenenanalyse Faust: Der Tragödie erster Teil

In der 1808 von Johann Wolfgang Goethe veröffentlichten Tragödie Faust: Der Tragödie erster Teil steht der Wissenschaftler Dr. Heinrich Faust als Hauptfigur im Mittelpunkt. Zentrales Streben seines Lebens ist die Suche nach der Erkenntnis über die Welt und dem Sinn des Lebens, woran er jedoch zunehmend verzweifelt.

Dem vorliegenden Auszug „Vor dem Tor“ aus der Szene 5 ist vorangegangen, dass Faust trotz einer Geisterbeschwörung nicht zu Erkenntnissen gelangen kann und in Selbstmordgedanken verfällt. Mit dem Klang der Osterglocken am Morgen fasst er wieder mehr Mut und unternimmt nun mit seinem Schüler Wagner einen Spaziergang. Zu Ende des Szenenauszugs begegnet er zum ersten Mal dem Teufel Mephisto in Gestalt eines Pudels, was wegweisend für den weiteren Verlauf des Dramas und Fausts Pakt mit dem Teufel ist.

Bei seinem Spaziergang mit Wagner am Ostersonntag vor den Toren der Stadt beschreibt und lobt Faust im ersten Teil der Szene (V. 903-948) zunächst den beginnenden Frühling und die damit einhergehenden Phänomene in der Natur. Auch das bunte Menschentreiben fasziniert ihn. Sein Begleiter, Wagner, fühlt sich geschmeichelt von dem Spaziergang in Gegenwart Fausts, allerdings bekundet dieser seinen Unmut gegenüber der lauten Menschenmenge. Im zweiten Teil des Auszugs (V. 1070-1133) verliert sich Faust daraufhin in Beschreibungen der Abendsonne und thematisiert seine innere Zerrissenheit, die er in starken Bildern verdeutlicht. Nachdem Wagner bekundet, sich auf den Heimweg machen zu wollen, begegnet ihnen im letzten Szenenabschnitt (V. 1142-1163) ein Pudel, dem Faust magische Kräfte zuschreibt.

Die in Versform geschriebene Szene weist zu Anfang vor allem einen unregelmäßige Wechsel von Kreuz- und Paarreimen auf, die das Gewimmel der Menschenmengen und die relativ gelöste Frühlingsatmosphäre im Reimschema widerspiegeln. Hinsichtlich der beiden in dem Szenenauszug vorkommenden Figuren Faust und Wagner lässt sich sagen, dass sie in einem asymmetrischen Verhältnis zueinander stehen. Wagner hat nur einen Bruchteil des Redeanteils von Faust und schmeichelt ihm als dessen Schüler mit Aussagen wie „Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren / Ist ehrenvoll und ist Gewinn“ (V. 941f.), was seine Höflichkeit zeigt. Diese ist auch in seiner zu Anfang recht bedachten Sprechweise, die sich durch die ausschließliche Nutzung von Kreuzreimen bemerkbar macht (Vgl. V. 941-948), erkennbar. Wagner wechselt erst im weiteren Gesprächsverlauf zu einer etwas lockereren Mischung aus verschiedenen Reimen. Es lässt sich dennoch erkennen, dass er nicht uneingeschränkt Gefallen an dem Spaziergang findet. Einerseits würde er sich in den fröhlichen Menschenmassen „nicht allein [...] verlieren“ (V. 943), weshalb es einen triftigen Grund seinerseits für das Gespräch mit Faust geben muss. Zudem ist auch Wagner derjenige, der das Aufbrechen zum Heimweg mit seiner Aufforderung „Doch gehen wir! [...]/ Am Abend schätzt man erst das Haus.“ (V. 1142-1144) initiiert, was vermuten lässt, dass das Gespräch nicht in seinem Interesse verläuft.

In Bezug auf Fausts Beziehung zu Wagner ist nicht nur eine Dominanz hinsichtlich Fausts Redeanteils sehr deutlich, sondern auch die Tatsache, dass er auf Wagners Aussagen fast permanent nicht eingeht. Beide befinden sich dabei auf unterschiedlichen Ebenen, die zu keiner erfolgreichen Kommunikation führen. Faust ist von seinen Gedanken zur Natur und Vorstellungen des Übernatürlichen eingenommen, die ihn zu seiner finalen Erkenntnis und Lebensfreuden führen könnten. Dabei verwendet er metaphorisch das Bild von Flügeln, die nicht nur den Geist, sondern auch Körper in die Lüfte erheben sollten (Vgl. V. 1090) und erkennt auch in dem Pudel magische Eigenschaften (Vgl. V. 1159). Wagner hingegen steht dem Übernatürlichen skeptisch gegenüber, hält den Pudel für einen gewöhnlichen Hund (Vgl. V. 1156) und zieht sein Wissen über die Welt aus schon Dagewesenem, aus Büchern. Letzteres wird insbesondere dadurch deutlich, dass er das Lesen, von ihm als „Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt“ (V. 1105) beschrieben, als das „selig Leben“ (V. 1107) bezeichnet.

Im Folgenden soll nun der Charakter Fausts näher untersucht werden. Seine übergeordnete Position gegenüber Wagner wurde bereits herausgearbeitet. Gesellschaftlich genießt Faust damit, als „Herr Doktor“ (V. 941), wie Wagner ihn bezeichnet, eine hohes Ansehen und gehört zur gehobeneren Gesellschaftsschicht.

Dennoch oder gerade deshalb ist der innere Zwiespalt, mit dem er zu kämpfen hat, besonders herausstechend. Er selbst klagt in der Szene, er habe „zwei Seelen [...] in [s]einer Brust“ (V. 1112). Faust ist dabei hin- und hergerissen zwischen einerseits weltlichen Genüssen, „derber Liebeslust“ (V. 1114), also seinen Trieben, die entgegen aller Vernunft gehen. Auf der anderen Seite steht sein immerwährendes Streben nach der Erkenntnis der Welt, denn er sehnt sich danach, das „ew‘ge[...] Licht [der Sonne] zu trinken“ (V. 1086).

Dass er die Sonne und ihre Eigenschaften stark bewundert, wird in der vorliegenden Szene überdeutlich. Die bereits zu Beginn beschriebenen Naturphänomene des Frühlings führt Faust immer wieder auf die Sonne zurück. Er personifiziert die Sonne und weist ihr übermenschliche Kräfte zu. Beispielhaft ist dafür seine Aussage „Aber die Sonne duldet kein Weißes, [...] / Alles will sie mit Farben beleben“ (V. 911-913). Auch im weiteren Verlauf der Szene verfestigt sich dieses Motiv, denn in seinen Ausführungen erfolgen erneute Personifikationen der Sonne, beispielsweise „eilt sie hin und fördert neues Leben“ (V. 1073). Damit steht die Sonne in Fausts Ansicht sinnbildhaft für die Schöpferin des Lebens und hat somit göttliche Eigenschaften.

Fausts Streben nach der Erkenntnis über die Welt lässt sich mit diesem Motiv in Einklang bringen. In seinen Äußerungen möchte er „Ihr nach und immer nach [...] streben“ (V. 1075) und mit „des Geistes Flügeln“ (V. 1090) fliegen können, um der Sonne näher zu sein. Er strebt also nach dem, was die Sonne zu schaffen vermag und bezeichnet dies als einen seiner „Triebe“ (V. 1085).

Um seinem inneren Zwiespalt entfliehen zu können, sehnt Faust sich nach einer übernatürlichen Kraft, die ihn aus seiner Situation befreit. Dabei deutet der verzweifelte Ausruf „O gibt es Geister in der Luft, / [...] So [...] führt mich weg zu neuem, buntem Leben!“ (V. 1118-1121) bereits das spätere Auftauchen einer solchen Macht, des Teufels, an.

Hinsichtlich der Gestaltung des weiteren Szenenverlaufs ist der starke Spannungsaufbau sehr auffällig. Zum Einen bildet die einsetzende Dämmerung einen starken Kontrast zu der zuvor außergewöhnlich positiv beschriebenen Sonne. Damit wird bereits eine entsprechende negative Wendung vorbereitet. Hinzu kommt auf sprachlicher Ebene die große Masse an Fragen, die bezüglich des auftauchenden Pudels gestellt werden, etwa „Siehst du den schwarzen Hund [...]?“ (V. 1146), „Für was hältst du das Tier?“ (V. 1149), „Bemerkst du, wie [...] er um uns her und immer schneller jagt?“ (V. 1152-1153). In Kombination mit Fausts äußerst bildlichen Sprache unter Verwendung von Nomen wie „Schneckenkreise“ (V. 1152) und „Feuerstrudel“ (V. 1154), der Ahnung, dass der Pudel „Schlingen zu künft‘gem Band um [ihre] Füße zieht“ (V. 1158f.) und dem verwendeten Kreuzreim ergibt sich eine starke Dynamik und damit auch Spannung hinsichtlich der zukünftigen Bedeutung des Pudels. Ein weiterer wichtiger Aspekt, den man in der Szene erkennen kann, sind die zeitlichen Umstände zur Entstehung des Werkes. Diese sind äußerst präsent in Fausts Charakter vertreten. Er vertritt als Gelehrter nicht nur aufklärerische Gedanken, die das vollständige Erfassen der Welt beinhalten, sondern geht noch darüber hinaus. Die Frage nach dem Sinn des Lebens, seine tiefe Sehnsucht nach Erkenntnissen, und seine Nähe zum Übersinnlichen können zudem auch als Elemente der Romantik verstanden werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Faust in seinem inneren Konflikt einerseits weltliche Genüsse erfahren will, auf der anderen Seite jedoch der Erkenntnisgewinn und das Verstehen des Lebens in seinem Fokus stehen. Dafür bemüht Goethe das Motiv der schöpferischen Macht der Sonne, nach der Faust strebt. Faust hat, im Gegensatz zu seinem Schüler Wagner, einen Hang zum Übernatürlichen und ist der Hilfe dessen in seinem Konflikt nicht abgeneigt. Die vorliegende Szene, die die erste Begegnung Fausts mit dem Teufel Mephisto einleitet, erzeugt eine starke Spannung und ist an dieser Stelle wegweisend für den weiteren Verlauf des Dramas.

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