Schlink, Bernhard - Der Vorleser (Motive der Beziehung zwischen Hanna und Michael)
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Referat
Bernhard Schlink „Der Vorleser“
Motive Hannas für Ihre „Beziehung“ zu Michael.
Interessant für die Beantwortung der Fragestellungen ist in erster Linie der erste Teil des Romans, da nur hier überhaupt ein Einblick in das Liebesleben der beiden Protagonisten gegeben wird. Dabei die Motive Hannas für ihre „Beziehung“ zu Michael zu erörtern, ist nicht sehr einfach. Der ganze Roman ist eine Nacherzählung aus der Sicht Michaels. Er schreibt seine Geschichte mit Hannah nach ihrem Tod auf, um sie loszuwerden (S. 206). Rückschlüsse auf die wahren Motive Hannas sind lediglich Spekulationen. Die Fragestellungen nach konkreten Motiven lassen sich jedoch anhand einiger Textstellen aus dem ersten Kapitel von Schlinks Roman belegen.
Für das erste Motiv: „weil sie sich ein Stück Jugend zurückholen will“, gestaltet sich dies schwierig. Textstellen, die dies konkret belegen, gibt es keine. Jedoch stellt sich die Frage, ob es Frauen, die eine Beziehung mit einem jüngeren Mann anfangen, nicht generell genauso geht, wie Männern, die eine Beziehung oder Affäre mit einer jüngeren Frau beginnen? Warum sollte sich eine Frau, die älter ist, nicht auch „verjüngt“ fühlen, wenn sie ein Verhältnis zu einem jungen Mann hat. Dass Hanna Analphabetin ist, ändert auch nichts an der Tatsache, dass sie spürt, dass sie älter wird. Sie hat keine Familie, keine Kinder. Dabei kann man sowohl im ersten Kapitel des ersten Teils erkennen (als sie sich um den fremden Jungen Michael kümmert…), als auch in ihrem sonstigen Umgang mit ihm (das Waschen, nachdem er sich mit Kohlestaub eingedreckt hat etc.) erkennen, dass sie es mag, sich um ihre Mitmenschen zu kümmern, für jemanden da zu sein. Sie hat, wie sie Michael erzählt keinerlei Verwandtschaft und ist ganz alleine. Das Zusammensein mit Michael lässt sie das Älterwerden vergessen. Man kann sich jedoch gut vorstellen, dass für Hanna das Alter eine besonders beängstigende Vorstellung sein muss. Sie ist ganz alleine. Solang sie jung und fit ist, stellt das Leben alleine für sie kein wahrhaftiges Problem dar. Mit 36 ist man noch weit von wirklichem Alter entfernt, trotzdem ist sie sich sicherlich darüber bewusst, dass sie niemals eine Beziehung eingehen kann, solange sie ihren Analphabetismus geheim halten will. Man kann sich jedoch vorstellen, dass sich dies im Alter, wenn man auf Hilfe und Unterstützung angewiesen ist, zu einem wirklichen Problem werden kann. Ich geh davon aus, dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass sich Hanna auch Gedanken über ihr weiteres Leben machen muss und sehe dieses Motiv als plausibel an.
Für das nächste angeführte Motiv: „wie sie gerne die klassische Rolle der Liebeslehrerin spielt“, lassen sich weitaus konkretere Textbelege finden. Insbesondere in einer Passage in Kapitel acht wird darauf eingegangen: „sie lehrt mich, dass nicht verschämt zu tun, [...] Auch wenn wir uns liebten, nahm sie selbstverständlich von mir Besitz. Ihr Mund nahm meinen, ihre Zunge spielte mit meiner, sie sagte mir, wo und wie ich sie anfassen sollte, und wenn Sie mich ritt, bis es ihr kam“ (S.33). Jedoch geht diese Passage weiter: „war ich für sie nur da, weil sie sich mit mir, an mir Lust machte […] Sie tat es zu ihrem spielerischen Vergnügen“ (S.33f). Man sieht an dem Zitat, dass sie dem sexuell noch unerfahrenen Michael zeigt und „lehrt“, was ihr (was Frauen) gefällt. Somit kann man schon sagen, dass sie auf eine Art und Weise die Rolle der Liebeslehrerin für Michael einnimmt. Offen bleibt, ob sie ihre größeren sexuellen Erfahrungen gerne an Michael weitergibt, oder ihm diese einfach nur um ihrer Lust Willen, vermittelt.
Womit schon ein Beweis für das dritte und vorletzte zu überprüfende Motiv angeführt wäre, nämlich: „Weil sie eine Schlampe ist.“
Man bezeichnet Frauen als Schlampen, wenn deren Lebensstil von der Gesellschaft geächtet oder als unmoralisch angesehen wird. Häufig geht dies auch mit häufig wechselnden sexuellen Männerkontakten einher. Dies ist bei Hanna eher zu verneinen, obwohl es auch auf Seite 41 einen Anhalt darauf gibt, dass sie nicht an lange Beziehungen/ein langes Zusammensein mit Michael denkt: „sie mochte nicht einmal bis Ostern denken“. Durch ihren Analphabetismus fällt es ihr wahrscheinlich schwer, Menschen und auch Männern Einblick in Ihr Leben zu gewähren. Dass sie nicht lesen und schreiben kann, könnte bei jedem Zusammensein durch einen dummen Zufall herauskommen. Ihr Verhältnis zu dem 15-jährigen Michael (oder wie sie glaubt 17-jährigen) ist in jedem Fall moralisch, aber auch strafrechtlich, zu verurteilen. Die 36-jährige Hanna führt eine Beziehung zu einem Minderjährigen und missbraucht diesen (auf ihrer Fahrradtour auch physisch). Sie ist Michael, nicht nur durch die Tatsache, dass sie erwachsen und viel erfahrener ist, sondern auch dadurch, dass er von ihr abhängig ist, überlegen und weiß dies auch auszunutzen.
Ich persönlich denke, dass man Hannah schon „als Schlampe“ bezeichnen kann, jedoch finde ich das Wort unpassend und unkonkret.
Das letzte Motiv, das ich an dieser Stelle überprüfen möchte, „weil der Junge so schön vor liest“, ist, um es vorwegzunehmen, das Motiv, welches ich persönlich am ehesten zutreffendsten finde. Nach dem zweiten Treffen der beiden, musste Michael, ab dem vierten Treffen der beiden, auf Hannas Befehl hin („Lies es mir vor!“ (S. 43)), regelmäßig vorlesen („Ritual des Vorlesens, Duschens, Liebens uns Beieinanderliegens“ (S. 51)). Michael wollte dies zunächst gar nicht, er schlug Hannah vor, ihr die Bücher mitzubringen. Hannas strategische Begründung, ihr Ziel, dass er ihr vorliest, zu erreichen, war: „Du hast so eine schöne Stimme, Jungchen, ich mag dir lieber zu hören als selbst lesen.“ (S. 43). Jedoch bleibt auch hierbei unklar, ob Hannah wirklich dachte und beurteilen konnte, ob Michael so gut vorliest, oder ob ihr Kompliment nicht Taktik war. Durch ihren Analphabetismus war ihr die Welt der Bücher bislang verschlossen geblieben und Michael ihr einziger Schlüssel dazu. Es ist daher naheliegend, dass sie sich in dieser Situation einfach nur strategisch verhält, indem sie Michael ein Kompliment macht, ihr Ziel zu erreichen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass Hanna überwiegend deshalb mit Michael eine Beziehung angefangen hat, damit er ihr vorliest. Natürlich hätte sie so gut, wie jeden anderen Mann wählen können, aber sie wusste um den Reiz, welchen sie auf den pubertären Michael ausübt und durch ihre vielfache Überlegenheit (von der Lebenserfahrung her, dem Alter und auch der sexuellen Erfahrung) stellte Michael auch keine allzu große Gefahr dafür dar, dass er ihr Geheimnis lüftet und in die Welt trägt.
Motive für die Beziehung zwischen Hanna und Michael
Hannas Motive
- Flucht aus der Einsamkeit
- Lust nach Liebe
- sexuelles Interesse
- Preis, den Sie zahlt, um etwas vorgelesen zu bekommen
- Lesen „belohnt“ sie mit Sex
- Gewinn von Freiheit und Annehmlichkeiten → lässt sie Analphabetismus vergessen
- Fühlt sich begehrt und bestätigt
- erfährt Bildung durch das Vorlesen
- es kehrt ein geordneter Alltag ein
Michaels Motive
- Wunsch nach Geborgenheit
- Lust nach Liebe
- sexuelles Interesse
- Angezogen von Hannas Weiblichkeit und ihrer Körperlichkeit
- Liest vor, um mit Sex „belohnt“ zu werden
- wachsende Männlichkeit
- Gefühl des Erwachsenwerdens
- Selbstbewusstsein steigt, löst sich vom Elternhaus
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