Mann, Thomas - Tonio Kröger (Reisemotiv, Schiffsreise nach Dänemark)

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Referat

Novelle „Tonio Kröger“ von Thomas Mann

Die Schiffsreise Tonios nach Dänemark - Das Reisemotiv in Tonio Kröger

Die Novelle „Tonio Kröger“ von Thomas Mann erschien 1903 und handelt von dem Leben des Tonio Kröger und dessen innerer Zerrissenheit zwischen Künstlerdasein und Bürgertum. Diese zieht sich wie ein roter Faden durch die Novelle und ist auf verschiedensten Ebenen erkennbar. Im Folgenden werde ich die Schiffsreise Tonios nach Dänemark hinsichtlich dieser innerlichen Zerrissenheit untersuchen.

Die Schiffsreise Tonios beginnt mit Einfallen der Nacht. Er steht am Bug des Schiffes und blickt auf das Meer hinab. Dabei beschreibt er das „Wandern und Treiben der starken, glatten Wellenleiber“ (S. 53/54). Diese Personifikation des Meeres setzt sich über die gesamte Schiffsreise hinweg fort. Das weite Meer bildet dabei einen starken Kontrast zu den engen Gassen seiner Heimatstadt. Dieser Kontrast steht auch für den Hauptkonflikt der Novelle zwischen Künstler- und Bürgertum. Die „Enge“ der Heimatstadt kann dabei dem Bürgertum zugeordnet werden und die „Weite“ des Meeres dem Künstlertum. Dies zeigt sich auch an den „Wellenleibern […] die umeinander schwankten, sich klatschend begegneten, in unerwarteten Richtungen auseinanderschossen und plötzlich schaumig aufleuchteten.“ (S. 54) Die ungerichteten Bewegungen der Wellen sind dabei auch ein Zeichen für die Kunst, da diese eben nicht allein aus rationalen Gedanken entsteht, sondern mehr aus Gefühlen, die manchmal ungerichtet und willkürlich erscheinen. Die engen Gassen der Heimatstadt sind dabei ein Symbol für Rationalität und Bürgertum. Die Gesellschaft folgt strengen sozialen Regeln, was ein „einengendes Gefühl“ erzeugen könnte.

Während Tonio dem Verladen der Waren zusieht, bemerkt er, wie zwei Tiere, ein Königstiger und ein Eisbär, in „dicht vergitterten Käfigen“ (S. 54) im Schiff untergebracht werden. Diese verkörpern ebenfalls den Gegensatz zwischen Kunst und Bürgertum. Der „Königstiger“, auch „indischer Tiger“ genannt, hat seine Heimat auf dem indischen Subkontinent und stellt damit den Süden dar, während der „Eisbär“, als ein Tier der Arktis, den Norden selbst verkörpert. Den Norden verbindet Tonio aufgrund seiner Herkunft mit seinem Vater, also Rationalität und Bürgertum, den Süden dagegen mit seiner Mutter, also Emotionalität und Künstlertum. Als das Schiff auf das offene Meer hinausfährt, erinnert Tonio sich an seine Kindheit. Die „sommerlichen Träume des Meeres“ (S. 54) könnten dabei ein Hinweis auf Tonios Liebe zur Kunst sein. Das Wort „Träume“ erweckt jedoch den Eindruck einer entfernten, sehnsüchtigen Vorstellung und nicht von etwas Realem. Dies könnte darauf hindeuten, dass Tonio der Kunst zwar zugeneigt war, seine künstlerische Ader jedoch nie ganz akzeptieren konnte, aufgrund der Ablehnung durch seinen Vater sowie Hans und Ingeborg.

Der „starke Salzwind“ ruft in Tonio eine „gedämpfte Betäubung“ (S. 54) hervor und lässt ihn alles „Böse“ vergessen. Mit dem „Bösen“ könnte all die Ablehnung (auch durch sich selbst) gemeint sein, die er in seinem Leben erfahren hat. Trotz dessen hört er „in dem Sausen, Klatschen und Ächzen“ (S. 54) des Meeres auch „das Rauschen und Knarren des alten Walnussbaumes“ und das „Kreischen einer Gartenpforte“. So wie das Meer für Kunst und Emotion steht, so stehen Walnussbaum und Gartenpforte wieder für Bürgertum und ein „geordnetes Leben“. Hier wird also noch einmal die Zerrissenheit Tonios zwischen Bürgertum und Kunst deutlich, da er, obwohl er sich mit dem Meer, also der Kunst für den Moment wohlfühlt, auch „das Bürgerliche“ nicht vergessen kann.

Auch in dem Gespräch mit dem „rotblonden und schlicht gekleideten“ Mitreisenden Tonios zeigt sich dieses Motiv. Einerseits empfindet er den Mann als lächerlich, da dieser offensichtlich keine künstlerische Begabung aufweist („Au…nein, der hat keine Literatur im Leibe!“ S. 55), andererseits empfindet er eine gewisse Sympathie für ihn, so wie er auch mit dem Bürgerlichen sympathisiert („Tonio Kröger lauschte all dieser zutunlichen Torheit mit einem heimlichen und freundschaftlichen Gefühl“ S. 56). Der Mitreisende ist zudem ein „Kaufmann aus Hamburg“ (S. 55) und erinnert somit an den Vater Tonios.

Tonio erzählt dem Kaufmann, das Essen im Norden mache „faul und Wehmütig“ (S. 56). Damit bezieht sich Tonio jedoch wahrscheinlich nicht nur auf das Essen, sondern auch auf die generellen Eindrücke, die eine Wehmütige Stimmung in ihm hervorrufen, da sie ihn an seine Sehnsucht nach dem Bürgerlichen, „Normalen“ erinnern. Der Kaufmann reagiert darauf überrascht und fragt Tonio, ob er hier fremd wäre. Dieser antwortet daraufhin: „Ach ja, ich komme weit her!“ (S. 56). Seine Heimatstadt, die ja im Norden liegt, und damit nicht allzu weit von Dänemark entfernt ist, kann er damit nicht gemeint haben. Im Süden, dem Platz der Kunst, sieht Tonio sein zu Hause jedoch auch nicht. Stattdessen steht er zwischen den Stühlen und ist damit gewissermaßen weiter vom Norden weg, als er es im Süden je sein könnte.

Nachts findet Tonio keine Ruhe und kann nicht schlafen. Auf dem Deck des Schiffes findet er das Meer „tanzend“ vor (vgl. S. 56). Das „Tanzen“ ist dabei mit dem Künstlerischen verbunden. Das Meer wird somit zur personifizierten Kunst. Auch das Motiv der „Ordnung“ wird wieder aufgegriffen, als Tonio die Wellen betrachtet die anstelle von „in Ordnung daher“ (S. 56) zu kommen, „zerrissen, zerpeitscht und zerwühlt,“ (S. 56) sind. Hier wird wieder der Gegensatz zwischen „Kunst und Bürgertum“ aufgespannt und die Kunst als etwas „unordentliches, ungerichtetes“ dargestellt. Die See, die „zerrissen, zerpeitscht und zerwühlt,“ ist, könnte dabei auch Tonios eigene Gefühle widerspiegeln. Des Weiteren beschreibt Tonio, dass die See in „flammenartigen Riesenzungen“ (S. 57) emporspringt. Auch hier wird ein Gegensatz aufgespannt. Das Wasser auf der einen Seite, das Feuer auf der anderen.

Das stürmische Meer bereitet Tonio jedoch Freude („In ihm schwang sich ein Jauchzen auf“, S. 57). Dies impliziert, dass auch die Kunst ihm Freude bereitet, die sogar so groß erscheint, dass sie die innere Zerrissenheit Tonios kompensieren kann ([…] und ihm war, als sei es mächtig genug, um Sturm und Flut zu übertönen.“ S. 57). Auch der Satz „Sein Herz lebte…“ (S.57) unterstreicht seine Leidenschaft für die Kunst.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Schiffsreise Tonios von dem Motiv der Zerrissenheit zwischen Künstler- und Bürgertum geprägt ist. Entsprechende Gegensätze tauchen auf verschiedensten Ebenen auf. So zum Beispiel: Tiger – Eisbär; Meer – Heimatstadt: Feuer – Wasser; Sausen, Klatschen, Ächzten des Meeres – Rauschen und Knarren des Walnussbaumes. Tonio kann sich nicht zwischen einer der beiden Identitäten entscheiden - und will es auch nicht. Weder dem „Norden“ noch dem „Süden“ fühlt er sich ganz und gar zugehörig. Diese Identität des „Dazwischen“ kann Tonio jedoch auch nicht akzeptieren. Einerseits fühlt er sich anderen als Künstler überlegen, und andererseits wäre er gerne ein „normaler Bürger“. Seine Reise mit dem Schiff bringt ihn einen Schritt näher an seine „Selbstfindung“, die sich durch die Gesamtheit seiner Reisen vollzieht. Der Sturm symbolisiert dabei auch den inneren Kampf Tonios, den nur er mit sich selbst austragen kann. Letzten Endes legt sich der Sturm jedoch, sowohl auf dem Meer, als auch in Tonio selbst. Damit ist seine Selbstfindung zwar nicht abgeschlossen, aber es hat dennoch eine Annäherung stattgefunden.

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