Kinderbücher - Politisch korrekte Kinderbücher? (Erörterung)

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Mohrenkind, Neger, Gendern, Zigeuner, Rassismus, Referat, Hausaufgabe, Kinderbücher - Politisch korrekte Kinderbücher? (Erörterung)
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Referat

Erörterung: Politisch korrekte Kinderbücher?

„Du siehst sie hier, wie schwarz sie sind, viel schwärzer als das Mohrenkind! Der Mohr voraus im Sonnenschein, die Tintenbuben hintendrein“ – so lauten einige Zeilen aus dem „Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann, der 1845 erschien. Heutzutage „stolpern“ die meisten über das Wort „Mohr“, während es zu Lebzeiten Hoffmanns noch als eine „normale“ Bezeichnung für einen Schwarzen galt. Der „Struwwelpeter“ ist nur eines von vielen Kinderbüchern, die heute als rassistisch geltende Begriffe enthalten. Viele Kritikerinnen und Kritiker stellen daher die Frage, ob Kinderbücher an heutige Sprachgewohnheiten, das heißt politisch korrekte Sprache, angepasst werden sollen. Das Deutschbuch definiert, dass „politisch korrekter Sprachgebrauch und politisch korrektes Handeln […] das Ziel [verfolgen], dass Menschen nicht aufgrund bestimmter Merkmale – etwa ihres Geschlechts oder ihrer „Rasse“ – diskriminiert werden.“ In der Diskussion soll also Willen zur Werktreue gegenüber sprachlichen Entwicklungen und Rücksichtnahme auf Minderheiten abgewogen werden. Dies erfolgt auf Grundlage verschiedener Materialien. Dabei ist zunächst die bereits angeführte Definition von „politisch korrekt“ aus dem Deutschbuch zu nennen (M1a). Außerdem wird als ein konkretes Beispiel ein Auszug aus dem Buch „Der Struwwelpeter“ von Heinrich Hoffmann hinzugezogen. Das Bilderbuch für Kinder erschien 1845 und ist vor allem geprägt von einem eher autoritären Erziehungsstil und sogenannter „schwarzer Pädagogik“ (M1b). Weiterhin wird auf zwei Artikel, die auf der Homepage der Zeitung „Die Zeit“ erschienen, Bezug genommen: Der erste wurde von dem Journalisten Ulrich Greiner 2013 unter dem Titel „Die kleine Hexenjagd“ verfasst und vertritt die Position, dass es sich bei der Anpassung von Sprache vielmehr um Zensur handelt (M2). Der zweite Artikel stammt von der Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger und trägt den Titel „Der Neger bleibt ein Neger“. Er erschien ebenfalls 2013 und enthält unter anderem die Meinung der Autorin, dass Kinderbücher in erster Linie Literatur sind und nicht zur Erziehung dienen (M5). Weiterhin wird eine Stellungnahme des Oettinger -Verlags, der unter anderem die Pippi Langstrumpf Bücher herausgibt, hinzugezogen. In der Stellungnahme von 2014 „Sind in den aktuellen Übersetzungen der Bücher Astrid Lindgrens die Worte ,,Neger" oder ,,Zigeuner" zu finden?“ begründet der Verlag auf seiner Homepage, warum diese Begriffe nicht mehr in den aktuellen Ausgaben zu finden sind (M3). Außerdem dient der Artikel „Schuldig sind wir alle“ als Materialgrundlage. In diesem Artikel beschreibt die Journalistin Marie Amrhein ihr Aufwachsen mit rassistischen Begriffen und ihr nun verändertes Verhältnis zu diesen. Der Artikel erschien 2013 auf der Website des Kulturmagazins Cicero (M4).

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Im Folgenden wird unter den Aspekten Pädagogik und die Rolle von Kinderbüchern, Zensur, sowie Kultur und Rassismus die Fragestellung zur Anpassung von Kinderbüchern an heutigen Sprachgebrauch erörtert.

Gegnerinnen und Gegner der Anpassung von Kinderbüchern an politisch korrekten Sprachgebrauch wie die Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger führen häufig an, dass Kinderbücher oft nicht als richtige Literatur gelten, sondern von vielen als so etwas ähnliches wie „Erziehungspillen, eingewickelt in buntes G’schichterlpapier“ (M5) gesehen werden. Sie ist also überzeugt, dass Kinderliteratur nicht zu pädagogischen Zwecken geschrieben wird, sondern genauso wie Literatur für Erwachsene zu lesen sei. Daher ist es nicht notwendig, politisch korrekte Sprache in Kinderbüchern zu nutzen, denn ihre Aufgabe ist nicht, Kinder über beispielsweise Rassismus aufzuklären.

Würde man von diesem Blickwinkel aus betrachtet die Sprache in Kinderbücher ändern beziehungsweise anpassen, so müsste man auch die Sprache in der Literatur für Erwachsene anpassen. Wo wäre die Grenze? Müsste man nicht im nächsten Schritt auch historische Werke überarbeiten? Gerade in diesen Werken sind vermehrt rassistische und veraltete Begriffe zu finden. Im Religionsunterricht wird beispielsweise häufig die Pflichtethik nach Immanuel Kant besprochen und dessen Originaltexte behandelt. So lasen wir neulich von dem „Südsee-Einwohner, der sein Talent rosten lässt und sein Leben bloß auf Müßiggang, Ergötzlichkeit, Fortpflanzung, mit einem Wort auf Genuss zu verwenden bedacht [ist]“. Dieses vergleichsweise harmlose, aber dennoch rassistische Beispiel steht stellvertretend für die rassistisch diskriminierenden Texte vieler heute noch in der Wissenschaft geschätzter historischen Persönlichkeiten. Würde man bei – oftmals ebenfalls „historischen“ – Kinderbüchern (wie beispielsweise dem „Struwwelpeter“, der nur etwa 40 Jahre nach Kants Tod erschien) mit der Anpassung beginnen, so wäre es nach Meinung vieler Kritikerinnen und Kritiker nicht mehr weit bis zur Anpassung von anderen historischen Texten.

Dass Kinderbücher nicht nur als reine Literatur ohne pädagogische Zweckmäßigkeit geschrieben werden, zeigt sich an dem bereits zitierten Buch „Der Struwwelpeter“. Dieser enthält Geschichten, in denen Kindern nach unvorsichtigem Verhalten drastische Folgen erleiden. Mithilfe der heute oft kritisierten sogenannten „schwarzen Pädagogik“ soll Kindern also mithilfe von Geschichten schon früh deutlich gemacht werden, wie sie sich zu verhalten haben und was passiert, wenn sie sich nicht daran halten. Auch wenn heute die Kinderbücher sicherlich nicht mehr solche teils brutalen Inhalte aufweisen, gelten Geschichten und vor allem deren Charaktere als Vorbilder für Kinder. Wie diese handeln und ebenso wie diese sprechen, wird von Kindern oft übernommen und als Norm beziehungsweise Ideal angesehen. Meine persönliche Heldin war Pippi Langstrumpf und so habe ich mich an Karneval so wie sie verkleidet und wollte genauso wenig wie sie das kleine Einmaleins lernen. Natürlich habe ich nichts an dem Leben einer zwölfjährigen, die alleine in einem großen Haus in Schweden wohnt und deren Vater tausende Kilometer entfernt im Südpazifik lebt, hinterfragt. Genauso wenig habe ich wahrgenommen, dass in diesem Buch Wörter verwendet werden, die allgemein als rassistisch gelten und die man nicht verwenden sollte. Über diese Wörter wurde hinweggelesen und nicht weiter geredet. Unbewusst und unreflektiert habe ich sie in meinen Wortschatz aufgenommen. Tatsächlich hat es bis zu meinem 17 Lebensjahr gedauert, bis ich mir über diese Worte und ihre Bedeutung Gedanken gemacht habe. Aber nicht nur mir geht es so: Die Journalistin Marie Amrhein schreibt zu der Thematik: „Ich selber bin mit dem Wort Neger aufgewachsen, unkritisch, unhinterfragt, laut und deutlich ausgesprochen. […] Bis heute kommt es über meine Lippen.“. Das zeigt, welche Wirkung Kinderbücher auf uns haben. Die ersten Lebensjahre prägen das restliche weitere Leben und so prägt uns auch die Literatur, die wir in dieser Zeit – freiwillig oder nicht – konsumieren.

Der Journalist Ulrich Greiner ist dagegen überzeugt, dass eine Anpassung der Sprache in Kinderbüchern unter dem Begriff der politischen Korrektheit einer Zensur gleichkäme und damit gegen das Grundgesetz verstoße. Dabei zitiert er Artikel 5 des Grundgesetztes, in dem steht: „Eine Zensur findet nicht statt.“. Neben ihm sind auch viele andere Kritikerinnen und Kritiker überzeugt, dass das „Verfälschen“ von Begriffen und Gedanken der Originaltexte die Gedanken und Sichtweisen der Menschen zur Zeit der Entstehung der Bücher verfälsche. Man spricht von einer Zerstörung des Zeitkolorits, das heißt von einer Zerstörung des für eine Epoche Eigentümlichen und Besonderen. In den 50er Jahren, als Otfried Preußler „Die kleine Hexe“ schrieb war es beispielsweise normal, dass sich die Kinder als Stereotypen wie „Indianer, Zigeuner oder Eskimo“ (M2) verkleideten. Diesen Zeitgeist verfälscht man, wenn man die Wörter in den Kinderbüchern ändert. Aus der Gegenwart heraus, etwas in der Vergangenheit zu ändern, halten viele für nicht akzeptabel.

Dagegen spricht, dass man grundsätzlich zwischen Anpassung an den heutigen Sprachgebrauch und Zensur unterscheiden muss. Wikipedia definiert Zensur dabei so: „Zensur ist der Versuch der Kontrolle von Informationen. Durch restriktive Verfahren – in der Regel durch staatliche Stellen – sollen Massenmedien oder persönlicher Informationsverkehr kontrolliert werden, um die Verbreitung unerwünschter oder ungesetzlicher Inhalte zu unterdrücken oder zu verhindern.“ Es handelt sich also bei Zensur um den Versuch, der Kontrolle von unerwünschten Informationen – meist von staatlicher Seite. Bei der Anpassung von Kinderbüchern kommt es jedoch weder zu einer staatlichen Einflussnahme noch zu der Verhinderung der Verbreitung von Informationen, vielmehr geht es – wie der Oettinger-Verlag schreibt – darum, Begriffe, die „nicht mehr zeitgemäß [sind], […] im deutschen Sprachgebrauch nicht mehr dem heutigen Menschenbild [entsprechen] und […] missverstanden werden [können]“ (M3) zu entfernen.

Sprache prägt unser Denken und letztendlich auch unser Handeln.

Die Bedeutung von Sprache für unser Denken wurde auch in einem wissenschaftlichen Experiment bei Grundschülerinnen und Grundschülern deutlich: Dort legte man den Schülerinnen und Schülern zwei Ankreuzbögen aus, in denen sie ihren Traumberuf ankreuzen konnten. In einem der Bögen waren die Berufsbezeichnungen gegendert - in dem anderen nicht. Auffällig war, dass in dem gegenderten Bogen mehr Mädchen typische „Männerberufe“ wie beispielsweise „Austronaut:in“ ankreuzten als in dem nicht-gegenderten.

Um also rassistische Taten, wie beispielsweise die Anschläge von Hanau vor ungefähr einem Jahr, vorzubeugen, muss bei der Sprache – auch in Kinderbüchern – begonnen werden, indem diese explizit antirassistisch wird.

Als weiteres Argument vieler Gegnerinnen und Gegnern der Anpassung von Kinderbüchern wird häufig der Willen zur Werktreue und der Authentizität des Originals genannt. Bei den Büchern handelt es sich um Kulturgut, dass man verfälsche, wenn man es an heutigen Sprachgebrauch anpasse.

Die Autorinnen und Autoren, die heute als rassistisch verstandene Wörter in ihren Büchern verwendeten, waren dadurch nicht unbedingt ebenfalls Rassistinnen und Rassisten, sondern sind viel mehr als „Kinder ihrer Zeit“ zu betrachten. Zu Lebzeiten von zum Beispiel Astrid Lindgren in den 1940er-Jahren war in Skandinavien laut dem Oettinger-Verlag „das Wort „Neger“ die übliche Bezeichnung für Menschen mit schwarzer Hautfarbe“ (M4). „Ihr Werk ist gekennzeichnet durch Liebe und Verständnis gegenüber allen Menschen und ihr humanitärer Anspruch prägt alle ihre Geschichten. Auch ihre Kinderbuchfiguren hegen keine Vorurteile.“ (M4). Lindgrens Intention war es also nicht durch die Verwendung von heute nicht mehr akzeptablen Wörtern andere zu verletzen, sondern sie nutze die für die Zeit gängigen Begriffe. Daher halten viele eine Anpassung nicht für notwendig, denn es handelt sich um ein Kulturgut, das mit keiner „rassistischen Intention“ geschrieben wurde. Dieses literarische Kulturgut soll erhalten bleiben, indem man es – ähnlich wie bei einem Denkmalgeschützen Gebäude – vor Veränderung schützt.

Dagegen spricht, dass „Wille zur Werktreue“ auch bedeutet, der Intention der Autorinnen und Autoren auch heute noch gerecht zu werden. Wie bereits erwähnt, war es nicht Intention von beispielsweise Astrid Lindgren Menschen durch rassistische Begriffe zu verletzten und zu diskriminieren. Und so ist es, wenn es um die „Authentizität des Originals“ geht, ebenso rechtfertigbar, diskriminierende Begriffe zu entfernen, wenn sie der Intention der Autorin oder des Autors offensichtlich widersprechen.

Eine rassistische Handlung ist wie, wenn jemandem auf den Fuß getreten wird – selbst wenn es ohne Absicht beziehungsweise eine böse Intention war, fühlt die Person, der auf den Fuß getreten wurde, den Schmerz. Daher spielt bei rassistischen Handlungen oder Aussagen die Intention keine Rolle, denn sie bleiben rassistisch und verletzen Menschen.

Wenn Gegnerinnen und Gegner sich gegen die „Anpassung“ beziehungsweise „Modernisierung“ von Sprache in den Kinderbüchern, die als „geschütztes“ Kulturgut erhalten bleiben soll, wehren, stellt sich außerdem die Frage, warum diese nicht kritisieren, wenn beispielsweise die originalen Zeichnungen durch neue ersetzt werden. Auch hierbei handelt es sich offensichtlich um eine Veränderung des Kulturguts. Warum sollte man also an verletzenden, missverständlichen Begriffen, die „nicht mehr dem heutigen Menschenbild entsprechen“ (M3) festhalten? Kultur ist wandelbar und muss hinterfragt werden – anders kann Entwicklung nicht geschehen.

Gerade in Deutschland sollte das kritische Hinterfragen von Kultur und Vergangenheit sowie das Anpassen dieser an das Menschenbild zum wichtigen Bestandteil deutscher Identität werden.

Wie Astrid Lindgren; Gottfried Preußler und Heinrich Hoffmann sind auch wir Kinder unserer Zeit und haben das Recht und die Aufgabe Kultur zu verändern und zu prägen.

Abschließend lässt sich sagen, dass ein genaues Abwägen der Argumente, die für und gegen eine Anpassung von Kinderbüchern sprechen, von großer Bedeutung ist. Ich spreche mich für eine Anpassung der Kinderbücher an den heutigen Sprachgebrauch aus, da für mich die Argumente, die dafürsprechen überwiegen. Die in den Büchern verwendeten rassistischen Ausdrücke können sehr verletzend für von Rassismus betroffene sein. Dass Sprache unser Denken und unser Handeln schon von frühauf prägt und daher explizit antirassistisch sein sollte, ist ebenfalls überzeugend. Dennoch ist es wichtig einen festen Rahmen zu schaffen, in dem das Anpassen von Büchern geschieht, damit es nicht zur Zensur kommt.

In Zukunft sollten vor allem viel mehr von Rassismus direkt betroffene Menschen bei der Diskussion zu Wort kommen, denn bisher wurde diese vor allem aus einer weißen Perspektive geführt.

Dieses Video wurde auf YouTube veröffentlicht.

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