Gryphius, Andreas - Tränen des Vaterlandes (Gedichtanalyse)

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Andreas Gryphius, Gedichtinterpretation, Analyse, Referat, Hausaufgabe, Gryphius, Andreas - Tränen des Vaterlandes (Gedichtanalyse)
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Referat

Interpretation „Tränen des Vaterlandes“ von Andreas Gryphius

Tränen des Vaterlandes
von Andreas Gryphius

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!
Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun
Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun
Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.
 
Die Türme stehn in Glut, die Kirch' ist umgekehret.
Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,
Die Jungfern sind geschänd't, und wo wir hin nur schaun
Ist Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret.
 
Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut.
10 
Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut,
11 
Von Leichen fast verstopft, sich langsam fort gedrungen.
 
12 
Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,
13 
Was grimmer denn die Pest, und Glut und Hungersnot,
14 
Dass auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.

(„Tränen des Vaterlandes“ von Andreas Gryphius ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (24.4 KB) zur Unterstützung an.)

Das Gedicht in Sonettform „Tränen des Vaterlandes“ wurde 1636 von dem deutschen Dichter und Dramatiker Andreas Gryphius (geboren am 2.10.1616 in Glogau) verfasst.

Es entstand zur Zeit des Barocks und des 30-jährigen Krieges. Diese Zeit war geprägt von den Auswirkungen des Krieges auf das Leben der Menschen, sowie den existenziellen Fragen, denen sich jeder Einzelne zu stellen hatte. In Anbetracht der allgemeinen Zerstörung und der Vergänglichkeit von materiellem, menschlichem Leben und geistigem (=Vanitas) lebte die Gesellschaft in einem Zustand der Zerrissenheit und Unsicherheit.

Mit diesen Auswirkungen des Krieges auf die Bevölkerung beschäftigt sich Gryphius in seinem Sonett. Er schildert die materiellen Verluste, den Tod und die Abwendung vom Glauben, was er mit einem Sterben der Seelen gleichsetzt.

Mit dem Gedicht möchte der Autor auf die Schrecken seiner Zeit hinweisen. Gleichzeitig handelt es sich um ein Antikriegsgedicht. Durch das Aufzeigen der Missstände und die Beschreibung des Zustands von Gesellschaft und Land möchte er seine Friedenssehnsucht zum Ausdruck bringen. Durch die klare Form des Sonetts wird außerdem sein tiefes Bedürfnis nach Ruhe und Ordnung betont, dass jedoch nicht in der Realität befriedigt werden kann.

Bei dem vorliegenden Gedicht handelt es sich um ein Sonett, bestehend aus der für diese Gattung typischen Folge von zwei Quartetten und zwei Terzetten mit insgesamt 14 Versen. Das Reimschema in den Quartetten unterscheidet sich von dem der Terzette: in den ersten beiden Strophen umschließt jeweils ein umarmender Reim (Vers 1 & 4 und 5 & 8) einen Paarreim (Vers 2 & 3 und 6 & 7), wohingegen in den letzten beiden Strophen ein Schweifreim vorliegt. Das Reimschema sieht daher wie folgt aus: abba abba ccd eed, und weicht damit leicht dem gängigen ab. Bei dem Metrum handelt es sich um einen sechshebigen Jambus, also einen Alexandriner. Auffällig ist, dass auch bei der Silbenzahl jeweils die beiden Quartette und Terzette identisch sind. Bei den Quartetten handelt es sich um 19-, 12-, 12-, 13-silbige Jamben und bei den Terzetten um 12-, 12-, und 13-, silbige Jamben.

Der erste und der letzte Vers der ersten beiden Strophen (Vers 1 & 4 und 5 & 8) enden auf eine weibliche Kadenz, während die Verse 2, 3, 6 und 7 auf eine männliche Kadenz enden. Im Gegensatz dazu enden in den Terzetten die jeweils beiden ersten Verse auf eine männliche Kadenz und die jeweils letzten auf eine weibliche.

Auffällig ist der Aufbau des Textes vor allem durch die Funktion der einzelnen Strophen, die sich durch die Struktur des Sonetts ergeben.

Inhaltlich werden in den ersten beiden Strophen (Quartette) vor allem der Zustand des Landes, aber auch der Gesellschaft beschrieben. Sie treten als These und Antithese auf. Die These ist dabei die allgemeine Beschreibung der Zerstörung durch den Krieg, während die Antithese konkret benennt, was zerstört worden ist. Dabei wird einerseits auf materielles aber auch auf die psychische Belastung der Menschen eingegangen. Nun folgt eine Zäsur, denn in der dritten Strophe (1. Terzett) wird der Fokus direkt auf die Folgen des Krieges – den Tod von vielen Menschen gelegt. Dabei ist deutlich eine Bilanzierung der vorhergegangenen Strophen (Synthese) und eine Steigerung zu erkennen. Mit der vierten Strophe (2. Terzett) erreicht die Klimax ihren Höhepunkt und gipfelt in der Erkenntnis, dass viele Menschen ihre Seele durch verloren haben. Durch die Pointierung werden die Folgen des Krieges auf eine höhere bzw. religiöse Ebene gehoben.

Der Titel des Gedichtes „Tränen des Vaterlandes“ ist eine Personifikation und zugleich Metapher. Mit „Tränen“ wird betont, dass es sich um etwas sehr Bedrückendes handeln muss, dass das Vaterland zum Weinen bringt. Gleichzeitig hat der Begriff „Vaterland“ eine starke positive Konnotation und steht für Heimat und Geborgenheit. Durch „Vater“ hat das Wort sogar etwas Familiäres. Wenn nun der „Vater“ weint, so muss es sehr schlimm um die Familie (gleichzusetzen mit dem Volk eines Landes) stehen. Mit Vaterland meint der Lyriker Andreas Gryphius vermutlich Deutschland, da auch das Gedicht in deutscher Sprache verfasst ist.

Die erste Strophe beginnt mit dem Ausruf „Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!“ (Vers 1). Auffällig ist, dass der Ausruf mit dem Pronomen „Wir“ (Vers 1) beginnt. Durch dieses gefühlsbezogene Sprechen schließt das lyrische Ich sich selbst in eine Gruppe von Menschen mit ein, die alle „verheeret“, also verdammt sind. Bei dieser Gruppe handelt es sich vermutlich um die Bevölkerung des „Vaterlandes“ also um Landsleute des lyrischen Ichs, das augenscheinlich als Beobachter Teil des Geschehens ist. Durch die Correctio „doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz“ (Vers 1) verdeutlicht das lyrische Ich außerdem, wie schlimm es um alles steht, was auch durch die Wiederholung des Wortes „ganz“ (Vers 1) betont wird. Durch die im Vergleich zu den anderen Strophen hohe Anzahl an Silben, wird dem ersten Vers eine besondere Bedeutung zugeteilt.

In den folgenden Versen 2 und 3 werden Eindrücke und Bilder des Krieges aufgezählt. Sie ähneln sich aufgrund des parallelen Satzbaus stark, was ihre Wirkung verstärkt und sind durch einen Zeilensprung verbunden. Zunächst wird die „freche Völker Schar“ (Vers 2) aufgezählt, wobei „frech“ möglicherweise von dem Althochdeutschen Wort „freh“ kommt, das unter anderem „wild“ bedeutet. Damit nimmt das lyrische Ich eine starke negative Wertung der anderen Völker, die ebenfalls am Krieg beteiligt waren, vor. Auch attribuiert werden die „rasende Posaun“ (Vers 2), das „vom Blut fette Schwert“ (Vers 3) und die „donnernde Karthaun“. All diese Dinge sind Symbole des Krieges und werden durch die starken Attribute in ihrer Wirkung verdeutlicht. Das lyrische Ich scheint hier losgelöst von sich selbst und spricht von den Begebenheit um sich herum. Damit wird klar, dass in Anbetracht all des Schreckens durch den Krieg, die Menschen den Bezug zu sich selbst verloren haben und sie nur noch die Bedrohlichkeit des Krieges wahrnehmen können. Durch die männlichen Kadenzen bekommen die zwei Verse eine sehr rohe und stumpfe Wirkung.

Auch der vierte Vers ist durch einen Zeilensprung mit den beiden vorherigen Versen verbunden. Das lyrische Ich greift hier das Vanitas-Motiv auf und erklärt, dass die vorher genannten Begebenheiten, alles was durch „Schweiß und Fleiß“ (Vers 4) beispielsweise an „Vorrat“ (Vers 4) aufgebaut worden ist, zerstört wurde. Damit wird deutlich, dass alles vergänglich ist. Durch den Reim, beziehungsweise das Polysyndeton oder die Tautologie werden die schrecklichen Folgen des Krieges noch einmal betont und die Personifikation „aufgezehret“ (Vers 4) lässt vermuten, dass es sich um einen längeren Zeitraum des Krieges handelt. Die Bevölkerung ist müde von den Auswirkungen des Krieges und gleichzeitig, wurde alles mühevoll aufgebaute mit der Zeit zerstört. Die weibliche Kadenz zum Ende des Verses wirkt im Gegensatz zu den vorherigen männlichen Kadenzen weniger roh und stumpf und bring vor allem diese Ermüdung der Menschen zum Ausdruck.

In der nächsten Strophe geht es inhaltlich weniger um die direkte Symbolik des Krieges, sondern um die Auswirkungen auf die materiellen Dinge, Institutionen und den Menschen. Die ersten beiden Verse handeln zunächst von Gebäuden und Institutionen. Es handelt sich hier um einen doppelten Parallelismus, denn sowohl innerhalb der Verse sind Parallelismen zu finden („Die Türme stehn in Glut, die Kirch‘ ist umgekehret.“, Vers 5 und „Das Rathaus liegt im Graus, die Starcken sind zerhaun,“, Vers 6), als auch die Verse 5 und 6 an sich bilden einen Parallelismus. Diese parallele Struktur verstärkt die Wirkung der Aufzählung an zerstörten Dingen. Die „Türme (…) in Glut“ (Vers 5) sind eine Metapher für die zerstörten Städte, von denen nur noch wenig übrig ist. Da es zur Zeit des 30-jährigen Krieges vor allem die Anhänger der protestantischen und der katholischen Kirche gegeneinander kämpften, wurde bei der Eroberung eines gegnerischen Gebiets die Kirche entweiht und in die jeweilige andere Konfession umgewandelt. Dieser Vorgang könnte mit der Metapher „die Kirch’ ist umgekehrt“ (Vers 5) beschrieben werden. Gleichzeitig könnte auch eine Entfremdung der Menschen von der Kirche gemeint sein.

In Vers 6 wird nun das Rathaus als politische Institution genannt. Dabei bildet das Wort „liegt“ eine Antithese zu „stehn“ (Vers 5), was den Zustand der Verwüstung weiter verdeutlicht. Verbunden mit dem Wort „Rathaus“ (Vers 6) ist das Vorherrschen von Ordnung und Kontrolle. In Kombination mit der Aussage des lyrischen Ichs, dass „die Starcken zerhauen“ (Vers 6), also selbst die Mächtigen keinen Einfluss mehr besitzen, zeugt dies von den chaotischen Lebensumständen der Menschen. Die roh und stumpf wirkende männliche Kadenz bei „zerhaun“ (Vers 6) unterstreicht die Bedeutung des Wortes. Die Sprache des lyrischen Ichs ist anhand der unfassbaren Umstände, die es beobachtet, gegenstandsbezogen.

Auch die Verse 7 und 8 sind verbunden durch einen Zeilensprung. Zunächst verweist das lyrische Ich explizit auf die Auswirkungen des Krieges auf die Frauen. Es erklärt durch ein Oxymoron, die „Jungfern (…) (seien) geschändet“ (Vers 7) und verstärkt durch die Gegensätzlichkeit der beiden Begriffe die Bitterkeit dieser Tatsache. Mit der Vergewaltigung von Frauen verbunden ist ein allgemeiner Verfall von Moral und Sitte sowie der Verstoß gegen religiöse Normen.

Der zweite Teil des Verses bezieht sich aufgrund des Zeilensprungs bereits auf den nächsten Vers. Es wird beschrieben, dass überall nur „Feuer, Pest und Tod, der Herz und Geist durchfähret.“ (Vers 8.) sei. Die Klimax „Feuer, Pest und Tod“ ist dabei eine Anspielung auf das zu Zeit des Barock häufig genutzte Memento mori-Motiv. Es soll die Menschen daran erinnern, dass sie sterblich und vergänglich sind. Angesichts der Schrecken des Krieges und den vielen Opfern bekommt das Motiv eine besondere Bedeutung. Außerdem wird wie bereits in Vers 5 und 7 ein Bezug zur Kirche hergestellt, denn das Leitmotiv stammt ursprünglich aus christlichen Klöstern. Im Gegensatz dazu steht das eher positiv konnotierte Hendiadyoin „Herz und Geist“ (Vers 8), das die psychischen Folgen für die Menschen aufzeigen soll. Herz und Geist sind „durchfahren“ von „Feuer, Pest und Tod“, das heißt sie tragen diesen Schrecken immer mit sich. Die weibliche Kadenz verstärkt den Gegensatz von positiv und negativ konnotierten Worten. Mit der Inversion „und wo wir hin nur schauen“ (Vers 7) wird besonders betont, dass es sich überall so verhält. Das lyrische Ich verändert durch die Verwendung des Wortes „wir“ (Vers 7) auch seine Sprache, die für diesen Vers gefühlsbezogen ist. Es bezieht sich auf eine Gruppe von Menschen, in die es sich selbst mit einschließt.

Das erste Terzett widmet sich vor allem die Allgegenwärtigkeit des Todes. Es beginnt mit einem eigenständigen Satz in Vers 9. Bei „Hier durch Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut.“ (Vers 9) handelt es sich um eine Hyperbel, die durch ihre Grausamkeit die Leser*innen aufrütteln sollen. Durch die Alliteration „Schanz und Stadt“ werden beide Wörter in einen Zusammenhang gebracht. Sowohl in den militärischen Anlagen als auch bei der einfachen Bevölkerung in der Stadt kommt es zu vielen Toten und Verletzten und beide Orte sind Schauplätze des Krieges.

Die Verse 10 und 11 sind nun wieder durch einen Zeilensprung verbunden. Vers 10 beginnt mit der Zeitangabe, dass der Krieg bereits 18 Jahre dauere („Dreimal schon sind sechs Jahr“, Vers 10). Hier sticht vor allem die Zahlensymbolik heraus. Beide Zahlen haben einen religiösen Bezug, doch währen die „drei“ für die Dreifaltigkeit steht, bedeutet „dreimal die sechs“ (666) das genaue Gegenteil. Es handelt sich hierbei um ein Symbol für den Teufel. Die Verhältnisse, in denen die Menschen leben, vergleicht das lyrische Ich also mit der Hölle. Außerdem wird mit „all unser Ströme Flut“ (Vers 10) ein Bezug zum vorangegangenen Vers („Blut“) hergestellt. Als bildlicher Gegensatz dazu scheint die Hyperbel „Von Leichen fast verstopft“ (Vers 11). In seiner metaphorischen Bedeutung steht dieses Bild wieder für den Tod und greift noch einmal das Memento mori-Motiv auf. Ebenfalls wird das zeitliche Motiv aus dem vorherigen Vers in Vers 11 wieder aufgegriffen. „Sich langsam fort gedrungen“ unterstützt dabei auch das Gefühl einer endlos langen Zeit und auch die weibliche Kadenz verstärkt dieses Gefühl. Im Gegensatz dazu sind die Kadenzen der beiden vorherigen Verse männliche. Die Betonung liegt daher auf den Worten „Blut“ (Vers 9) und „Flut“ (Vers 10), was deren Wirkung zusätzlich hervorhebt.

Das zweite Terzett unterscheidet sich stark von den vorherigen Strophen. Das lyrische Ich tritt aus seiner wertenden Beobachterrolle heraus und bezieht eigene Stellung zu den Geschehnissen. Das lässt sich auch anhand der gefühlsbezogenen Sprache und der Verwendung des Personalpronomens „ich“ (Vers 12) erkennen. Alle drei Verse sind über Zeilensprünge miteinander verbunden und ergeben so einen Satz. Das lyrische Ich tritt bereits in Vers 12 direkt in Erscheinung und erklärt anhand von Vergleichen, was seiner Meinung nach, das Schlimmste an dem Krieg ist. Zunächst benennt es konkret den Tod, und schafft dadurch einen Rückbezug zur dritten Strophe, in der dieser nur umschrieben wurde.

In Vers 13 werden weitere Vergleiche gezogen: Es soll sich um etwas handeln, dass „grimmer denn die Pest, und Glut und Hungersnot“ (Vers 13) ist. Mit dem Trikolon, beziehungsweise der Akkumulation, wird die Härte dieser Worte noch verstärkt. Das lyrische Ich zählt auf, was für die meisten Gesellschaften eine Katastrophe bedeuten würde. Dennoch soll das, was schließlich in Vers 14 genannt wird, noch schlimmer sein. Durch die Aufzählung wird die Spannung stark gesteigert, denn eigentlich kann nichts schlimmer sein, als diese Dinge, was auch die Attribute „ärger“ (Vers 13) und „grimmer“ (Vers 14) betonen. Zusätzlich handelt es sich in beiden Versen um männliche Kadenzen, die die Wirkung von „Tod“ (Vers 12) und Hungersnot (Vers 13) verstärken.

In Vers 14 erreicht das Sonett nun seinen Höhepunkt und gipfelt in der Erkenntnis des lyrischen Ich, dass so viele Menschen ihre Seele verloren haben. Das, was eine Seele ausmacht, beschreibt es mit dem Neologismus „Seelenschatz“ (Vers 14). Aufgrund der vielen christlichen Andeutungen in dem Sonett ist es klar, dass auch hier die Seele in einem christlichen Bezug gesehen wird. Seelen sind, im Gegensatz zu allem anderen, nicht vergänglich (Vanitas-Motiv) und gehören in den Himmel. Durch den Verlust des „Seelenschatzes“ ist dieser aber erschwert. Für die Ewigkeit nicht in den Himmel zu kommen scheint für das lyrische Ich, dass einen starken religiösen Bezug hat, das schlimmste überhaupt zu sein.

In dem Gedicht bezieht sich der Autor Andreas Gryphius direkt auf den 30-jährigen Krieg, was sich an einigen Punkten des Gedichts festmachen lässt. In Vers 2 „der frechen Völker Schar“ wird klar, dass mehre Völker in diesen Krieg involviert waren. Auch der 30-jährige Krieg war ein Krieg auf europäischer Ebene, in den unter anderem Frankreich, Schweden und Habsburg verwickelt waren. Mit „die Kirch‘ ist umgekehrt“ (Vers 5) wird ein weiterer wichtiger Aspekt dieses Krieges benannt: Der 30-jährige Krieg begann zunächst als Religionskrieg zwischen Katholiken und Protestanten. Wurde ein Gebiet eingenommen, das von anderer Konfession war, so wurde die dortige Kirche entweiht und in eine Kirche der anderen Konfession umgewandelt. Weiter betont wird der religiöse Aspekt des Krieges in Vers 10 durch die Zahlensymbolik (Dreifaltigkeit und Hölle). Gleichzeit sprechen auch diese Zahlen („dreimal sechs“, Vers 10), die zusammen 18 Jahre bilden, für den 30-jährigen Krieg, denn sie stimmen mit dem Jahr der Verfassung des Gedichts 1636 überein. Als Beginn des Krieges wird der Prager Fenstersturz von 1618 gesehen. Ein weiterer Aspekt ist das Motiv des allgegenwärtigen Todes. Während des Krieges verlor ca. ein Drittel der Menschen ihr Leben. Ursache dafür waren nicht nur direkte kriegerische Handlungen, sondern auch Hungersnöte und Seuchen. Auch auf diese geht Andreas Gryphius in Vers 8 und 13 ein.

Gryphius‘ (1616-1664) Leben war geprägt durch den 30-jährigen Krieg (1618-1648), den er in seiner vollen Länge miterlebte. Trotz dass er in Polen, das von dem Krieg einigermaßen verschont geblieben war, aufwuchs, reiste er viel durch Europa, um an verschiedensten Universitäten zu studieren und sich fortzubilden. Auf diesen Reisen erlebte der Lyriker und Dramatiker die durch den Krieg entstandene Zerstörung und das Leiden der Menschen selbst mit. In seinem Gedicht verarbeitet er diese Erlebnisse und plädiert gleichzeitig durch das Aufzeigen der Missstände für ein Ende des Krieges. Damit handelt es sich bei „Tränen des Vaterlandes“ auch um ein Antikriegsgedicht.

Aufgrund seines unstetigen Lebens sehnte er sich, wie viele andere seiner Zeit auch, nach Ordnung. Diese Ordnung fand er vor allem in der Kunstform des Barock. Die klaren Regeln für Gedichte wie rhetorische Mittel (Enjambements, Bilder aus der Antike), festgelegtes Versmaß (jambisch oder trochäisch), Reime und feste Themen in Anlehnung an die lat. Antike (zum Beispiel das Vanitas-Motiv, das Memento mori-Motiv oder das carpe-diem-Motiv), sowie die Struktur der Sonette brachte eine feste Form in den sonst so chaotischen Alltag. Auch aus diesem Grund schrieb Gryphius viele seiner Gedichte als Sonette.

Ein weiterer Anker in seinem Leben war für ihn der Glaube. Als Kind eines Archidakons wuchs er schon früh mit der Religion auf und machte sie zu einem festen Bestandteil seines Lebens. Verstärkt wurde dies durch die Tatsache, dass das habsburgische Schlesien stark katholisch geprägt war und Gryphius daher als Protestant auch auf Widerstände traf und seinen Glauben verteidigen musste. Das könnte einer der Gründe sein, warum so viele kirchliche Bezüge beziehungsweise Bezüge zu christlichen Glaubensgrundsätzen und Moral (Vers 5, Vers 7, Vers 8, Vers 14) in dem Sonett zu finden sind.

Gryphius stellt in seinem Gedicht seine ganz persönliche Sicht auf den Krieg dar. Er betont dabei oft die schrecklichen Folgen, die sich auf materielles aber auch auf die Seele der Menschen und ihre körperliche Gesundheit beziehen. Oft bezieht er sich auf typische Motive seiner Zeit (Vanitas-motiv) und lässt seine Beziehung zu Religion durchblicken. Alles in allem ist Andreas Gryphius ein Kind seiner Zeit, geprägt durch Gegensätze wie Ordnung und Chaos sowie dem Wunsch nach Frieden.

Die historischen Leser konnten sich vermutlich gut mit den von Gryphius geschilderten Zustände des Landes identifizieren. Der Verlust des Glaubens bedeutete für viele eine Entwurzelung und ein damit verbundener Verlust von Traditionen. Gleichzeitig erlebten sie das Elend jeden Tag am eigenen Leib und hatten zu kämpfen mit Hunger und Tod. Der 30-jährige Krieg prägte eine ganze Generation, die nichts anderes kannte als Krieg. Daher ist die Erkenntnis Gryphius‘ am Ende des Gedichtes, dass „der Seelenschatz so vielen abgezwungen“ (Vers 14), nicht weiter verwunderlich und könnte auch als Mahnung von seinen Zeitgenossen verstanden worden sein.

Auch für uns im 21. Jahrhundert kann „Tränen des Vaterlandes“ eine Mahnung darstellen, denn die Schrecken dieser Zeit sollen sich nicht wiederholen. Vielerorts, beispielsweise in Nordirland oder im Libanon, wird auch heute noch unter Berufung auf Religion und Gott gekämpft. Nicht zu vergessen sind die jüngsten islamistischen Terrorangriffe in Frankreich und Wien. Bei all den Konflikten, in denen Religion für andere Zwecke missbraucht wird, ist es wichtig, nicht weg-, sondern hinzuschauen und einen Beitrag dazu zu leisten, dass dies in Zukunft nicht mehr geschieht.

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