Lessing, Gotthold Ephraim - Über den Grund für die Identifikation des Zuschauers mit einer tragischen Figur und über die Wirkung der Tragödie (Brief an Mendelssohn)

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Referat

Sachtextanalyse – „Über den Grund für die Identifikation des Zuschauers mit einer tragischen Figur und über die Wirkung der Tragödie“

Bei dem vorliegenden Text mit dem Titel „Über den Grund für die Identifikation des Zuschauers mit einer tragischen Figur und über die Wirkung der Tragödie“ handelt es sich um einen Auszug aus einem Brief an Moses Mendelssohn vom 18.12.1756 von Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781). Der Autor befasst sich in seinem Briefwechsel mit der Identifikation im Theater und dessen essenzieller Rolle in der Tragödie. Seine These besagt, dass die Tragödie die Funktion hat, dem Zuschauer das Mitleid zu lehren, wodurch es ihn automatisch zu einem besseren Menschen macht.

Lessing beginnt seinen Brief mit einer grundlegenden Erklärung zu den zentralen Aufgaben der Tragödie und der Heldengeschichte, gegen dessen Vermischung er sich ausspricht (vgl. Z. 1-8). Im zweiten Sinnabschnitt bezieht er sich auf Aristoteles, um die notwendigen Eigenschaften eines Protagonisten zu belegen (vgl. Z. 9-14). Anschließend wird auf das durch diese Eigenschaften hervorgerufene Mitleid eingegangen, sowie erneut die vorherige Argumentation gestützt (vgl. Z. 15-25). Der folgende fünfte Abschnitt erklärt den Grundsatz, das Trauerspiel solle bessern, indem Lessing seine Definition in anderen Worten darlegt (vgl. Z.26-30). Diese wird im weiteren Verlauf vertieft und detaillierter ausgeführt, mit der Folgerung, dass das Trauerspiel uns zu besseren Menschen machen soll, indem es unsere Empathie fördert (vgl. Z. 31-41). Im letzten Sinnabschnitt wird noch auf die Komödie und ihre zugehörige Funktion eingegangen (vgl. Z. 42-49).

Als vorläufige Deutungshypothese lässt sich festhalten, dass es Lessing in seinem Brief darum geht, die eigentliche Funktion der Tragödie aufzudecken und verständlich zu machen. Dabei nimmt er Bezug auf Aristoteles, welcher sich bereits zuvor damit befasst hat. Neben dieser autoritären Argumentation verwendet er Plausibilitätsargumente sowie normative Argumente. Es lässt sich schließen, dass Lessing Mendelssohn von seiner Meinung überzeugen möchte. Damit erreicht er wirkliches Verstehen des Lesers, dem die Fakten klar dargelegt werden.

Im Folgenden wird der Text im Hinblick auf Argumentationsweise und Argumentationsstruktur untersucht werden. Sofort fällt ins Auge, dass Lessing hauptsächlich mit Autoritäts- und Plausibilitätsargumenten arbeitet, um den Leser von seiner Meinung zu der wichtigen Rolle der Einfühlung im Theater zu überzeugen. Dabei bezieht er sich auf den „Philosophen“ (Z. 9) Aristoteles als anerkannte und geschätzte Autorität (vgl. Z. 9/ 20/ 41). Außerdem setzt er sich selbst mit ihm auf eine Ebene, indem er von der Gegenseite verlangt, sie solle es dem Aristoteles abbitten oder ihn selbst widerlegen (vgl. Z. 41). Dadurch, dass er somit seine eigene Meinung und Folgerungen, mit denen des Aristoteles vergleicht, ja sogar gleich wertet, ist seine Selbstdarstellung sehr selbst verherrlichend. Da er jedoch schlüssig mit Plausibilitätsargumenten belegt und seine These stützt, wird seine selbst ernannte Autorität trotzdem anerkannt (vgl. Z. 15-17/ 26-36).

Nun werde ich mich dem Aufbau und der Struktur des Briefes zuwenden. Zunächst beginnt der Auszug aus Lessings Brief an Mendelssohn mit der Frage, warum die Arten der Gedichte ohne Not verwirrt werden und die Grenzen der einen in die andern laufen gelassen werden sollten (vgl. Z. 1-2). Diese Frage dient als Auftakt für eine Einleitung, welche kurz den Konflikt der beiden Aufklärer zusammenfasst, sodass dieser selbst für Außenstehende nachzuverfolgen ist. Dabei legt Lessing auch seinen Standpunkt fest, der sich teilweise mit dem von Mendelssohn überschneidet, jedoch auch Differenzen aufweist. Auch im weiteren Verlauf werden Fragen verwendet, um dem Brief Struktur und Ordnung zu verleihen, jedoch handelt es sich dabei um zwei rhetorische Fragen, die in dem nachfolgenden Abschnitt beantwortet werden (vgl. Z. 21-22). Schließlich betont der Autor auch konkret, dass er nun „auf einen Satz den [Moses Mendelssohn] vorläufig demonstrieren“ (Z. 36) könnte eingehen wird.

Zusätzlich beendet er diesen letzten Abschnitt seiner Argumentation mit der bereits zuvor erwähnten Aufforderung, eine Autorität des Sachverhalts zu widerlegen und gibt ihm somit einen klaren Rahmen (vgl. Z. 41). Außerdem erfüllt diese Aufforderung die Funktion eines Schlusssatzes, vergleichbar mit einem Verweis auf weitere Quellen, falls der Leser immer noch Zweifel hegen sollte. Im Endeffekt läuft seine Argumentation auf eine Art Ausblick hinaus, in dem Lessing seine Theorie auf die Komödie überträgt, mit welcher er ,auf gleiche Weise verfährt‘ (Z. 42). Dieser Ausblick festigt die Nachvollziehbarkeit und Plausibilität seiner These, denn wenn diese sich noch auf weitere Bereiche des Theaters übertragen lässt, scheint sie nicht so falsch sein zu können. Durch den gesamten Brief verläuft ein roter Faden, sodass die gesamte Argumentation sehr schlüssig und in sich geschlossen auftritt.

Im weiteren Verlauf meiner Analyse wird die sprachliche Darstellung untersucht, beginnend mit dem Satzbau. Zu Beginn lässt sich sofort feststellen, dass es sich um einen hypotaktischen Satzbau mit überaus langen und komplizierten Sätzen handelt. Dies spricht in Verbindung mit den verwendeten Kausal- und Konditionalsätzen für eine Argumentation des plausiblen Stils, Lessing setzt dabei auf ausführliche Erklärungen mit Beispielen, um den Leser mit Verständnis zu überzeugen (vgl. Z. 7-8/ 22-25/ 28-30/ 31-33/ …). Der Autor möchte Mendelssohn in seinem Brief nicht überreden, sondern ihn seinen Standpunkt nachvollziehen lassen. Bei Betrachtung der Tatsache, dass es sich bei Moses Mendelssohn um einen gebildeten Mann, einen Philosophen, handelt, gewinnt diese Tatsache an Bedeutung und Nachvollziehbarkeit für diese Argumentationsstrategie. Schließlich würden auch wir nicht auf die Idee kommen, einen Wissenschaftler mit „unsachlichen“ Argumenten zu überzeugen, mit denen wir komplett systemfrei um uns werfen.

Auch die Wortwahl des Autors ist überaus bedacht. Da es sich bei diesem Brief um einen Ausschnitt aus einem Dialog zwischen Wissenschaftlern handelt, ist es nicht überraschend, dass Lessing unter anderem mit „ἁμαρτία“ (Z. 18/ 20) einen komplizierten Fachbegriff verwendet. Dies unterstreicht zum einen seine eigene Bildung und Vertrauenswürdigkeit, da er sich scheinbar auf vertrautem Terrain befindet, wenn er derartige Begriffe einbindet und zum anderen wird für den außenstehenden Leser klar, auf welcher hohen inhaltlichen aber auch sprachlichen Ebene sich diese Auseinandersetzung befindet. Außerdem verwendet Lessing mit „hört auf, mir angenehm zu sein, und wird desto unangenehmer“ (Z. 16) einen Pleonasmus, mit dem er seine starke Abneigung in Bezug auf das parallele Wachsen von Vollkommenheit und Unglück unterstreicht.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die zuvor aufgestellte Deutungshypothese in weiten Teilen bewahrheitet hat. Lessing möchte tatsächliche die wahre Funktion der Tragödie mithilfe der Rolle der Einfühlung herausstellen. Trotzdem sollte noch ergänzt werden, dass sich sein Brief nicht an die breite Allgemeinheit richtet, sondern dass er speziell Moses Mendelssohn von seinem Standpunkt überzeugen möchte. Durch die häufigen Kausal- und Konditionalsätze lässt sich ergänzen, dass er auf sachliche, erklärende Argumente setzt und auf die Einsicht, während er selbst neben Aristoteles über allem er als Autorität schwebt.

Nun folgt eine Wertung der Sprache. Im Grundlegendem lässt sich kaum etwas an dem Sprachgebrauch des Autors aussetzen, lediglich die langen Sätze können zum Verhängnis werden, da bei kurzer Ablenkung der ganze Satz wiederholt werden muss. Es zieht sich ein roter Faden durch die gesamte Erörterung, welchem der Leser leicht folgen und den Inhalt verstehen kann.

Auch die Darstellung der Situation ist gelungen, die eigentliche Funktion des Theaters wurde sehr verständlich herausgearbeitet. Durch eine Einführung und Lessings plausiblen Argumentationsstil erzielt er die volle Zustimmung des Lesers. Das Thema des Briefes beziehungsweise des gesamten Briefwechsels zwischen Lessing und Mendelssohn ist heute nicht mehr ganz aktuell, da das Theater im Vergleich zu früher deutlich an Wichtigkeit verloren hat. Jedoch lassen sich die Ansätze auch auf den heutigen vorherrschenden Ersatz für das Theater, den Film, übertragen. Denn auch hier lässt sich eine Debatte darüber führen, ob Filme nur der Unterhaltung oder auch anderen Zwecken dienen.

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