Brecht, Bertolt - Von der Freundlichkeit der Welt (Gedichtinterpretation)

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Bertolt Brecht, Analyse, Interpretation, Referat, Hausaufgabe, Brecht, Bertolt - Von der Freundlichkeit der Welt (Gedichtinterpretation)
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Referat

Gedichtinterpretation: Von der Freundlichkeit der Welt – Bertolt Brecht (1927)

Von der Freundlichkeit der Welt
von Bertolt Brecht

Auf die Erde voller kaltem Wind
Kamt ihr alle als ein nacktes Kind.
Frierend lagt ihr alle ohne Hab
Als ein Weib euch eine Windel gab.
 
Keiner schrie euch, ihr wart nicht begehrt
Und man holte euch nicht im Gefährt.
Hier auf Erden wart ihr unbekannt
Als ein Mann euch einst nahm an der Hand.
 
Und die Welt, die ist euch gar nichts schuld:
10 
Keiner hält euch, wenn ihr gehen wollt.
11 
Vielen, Kinder, wart ihr vielleicht gleich.
12 
Viele aber weinten über euch.
 
13 
Von der Erde voller kaltem Wind
14 
Geht ihr all bedeckt mit Schorf und Grind.
15 
Fast ein jeder hat die Welt geliebt
16 
Wenn man ihm zwei Hände Erde gibt.

(„Von der Freundlichkeit der Welt“ von Bertolt Brecht ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (24.3 KB) zur Unterstützung an.)

Das Gedicht „Von der Freundlichkeit der Welt“ ist eine von Bertolt Brecht verfasste Ballade, welche 1927 veröffentlicht wurde. Brecht, der als Autor der Neuen Sachlichkeit bekannt ist, behandelt in ihr eine der Tradition der Contemptus mundi Literatur entsprechenden Weltansicht, welche für gewöhnlich im Barock zu finden ist. Er thematisiert den Lebensweg, sowie die Verantwortung des Menschen aus einer negativen Sichtweise heraus und erläutert diese sachlich und objektiv. Dabei scheint er dem lyrischen Gegenüber warnen zu wollen, dass ein jeder seine eigene Verantwortung trüge und niemand ihn etwas schulde, erst recht nicht die Welt.

Zunächst erläutert das lyrische Ich die Vergangenheit der Geburt, welche es als ein Ankommen eines nackten Kindes auf der kalten Welt beschreibt und lediglich ein „Weib“ für das Kind zu sorgen schien. Weiter wird behauptet, dass niemand dieses Kind kannte und sich um es kümmern wollte, doch ein Mann nahm es nun zu sich. Nun springt das lyrische Ich in die Gegenwart und meint, die Welt hätte gegenüber dem lyrischen Gegenüber keine Verantwortung, sowie auch die anderen einem nichts schuldeten. Zum Schluss spricht das lyrische Ich vom Tod und beschreibt das lyrische Gegenüber als mit oberflächlichen Wunden bedeckt. Aber trotzdem scheint das lyrische Gegenüber die kalte Welt geliebt zu haben, auch wenn ihm lediglich zwei Hände Erde gegeben wird.

Stellt man diesen Inhalt dem Titel gegenüber, so erscheint dieser eher als eine Ironie. Denn „Von der Freundlichkeit der Welt“ wird in dem Gedicht weniger gesprochen, als vielmehr von ihrem „kalten Wind“ (V. 1) und dass die Welt einem „gar nichts schuld [ist]“ (V. 9). So wird im Titel die Annahme und das Bild der Welt des lyrischen Gegenübers verarbeitet, welche dann vom lyrischen Ich der scheinbaren Realität gegenübergestellt wird und so ähnlich wie eine Antiklimax wirkt.

Das lyrische Ich scheint letztlich eine sehr negativ konnotierte Sichtweise auf die Welt zu haben und die Sichtweise des lyrischen Gegenübers ist fast schon als Hochmut zu interpretieren, da es nach dem Titel, der über die „Freundlichkeit der Welt“ spricht, direkt „die Erde voller kaltem Wind“ (V. 1) beschreibt und dem lyrischen Gegenüber seinen Hochmut zu nehmen scheint. Auch stellt es sich über dem lyrischen Gegenüber mit der Bezeichnung „Kinder“ (V. 11), mit der es das lyrische Gegenüber direkt anspricht und somit in die Figur eines Kindes, welches meist für naiv, unerfahren und zu belehren gilt. Das lyrische Ich scheint sich allerdings weniger als Elternfigur, sondern mehr als Lehrer gegenüber dem lyrischen Gegenüber zu sehen, da es weder Possesivpronomen, wie beispielsweise „meine [Kinder]“, nutzt noch Emotionen zeigt, welche die Fürsorge für das lyrische Gegenüber ausdrücken könnte.

Selbst die Fürsorge der Mutter wird lediglich durch „eine Windel“ (V. 4) ausgedrückt, welche zwar ein Symbol für Schutz ist, aber dennoch als einzige Handlung der Fürsorge eher materiell und oberflächlich erscheint, sodass die Atmosphäre eher als kühl, abweisend und sachlich beschrieben werden kann. Diese Wortwahl spiegelt allerdings lediglich die Beschreibung der Erde wider und deren abweisenden Charakter der durch die mangelnde Fürsorge beschrieben wird.

Der zeitliche Ablauf bleibt ebenfalls chronologisch und somit geordnet. Die Phasen der Vergangenheit und der Gegenwart werden sogar mithilfe dem Tempus der Prädikate unterstützt, da zunächst im Präteritum erzählt wird (vgl. V. 1-8) und zwischen der zweiten und dritten Strophe auf Präsens gewechselt wird (vgl. V. 9-16), sodass diese Lebensabschnitte sowie der Zeitsprung zwischen Kindheit und Gegenwart verdeutlicht werden.

Formal ist dieser sachliche Inhalt mit seiner kühlen Atmosphäre in vier Strophen mit je 4 Versen eingebunden. Das alternierende Metrum ist ein 5-hebiger Trochäus und das Reimschema wird durchgängig durch Paarreime bestimmt, welche ausnahmslos auf einer männlichen Kadenz enden. Diese Regelmäßigkeit des gesamten Aufbaus wirkt nüchtern, durchgeplant und emotionslos. Lediglich die dritte Strophe scheint eine geringe Abweichung zu beinhalten, da sie zwei Assonanzen enthält, welche das Reimschema zwar nicht vollständig durchbrechen, aber dennoch in diesem regelmäßigen Gedicht auffallen. So reimt das lyrische Ich an dieser Stelle „schuld […auf…] wollt“ (V. 9-10), sowie „gleich […auf…] euch“ (V. 11-12), was diese Strophe aus dem Gedicht herausstechen lässt und einen formalen Bruch darstellt, welcher inhaltlich damit korrespondiert, dass das lyrische Ich zuvor die Welt nur beschrieben hat und nun zum einen von der Kindheit in die Gegenwart wechselt, zum anderen aber auch zum ersten Mal das lyrische Gegenüber direkt zu konfrontieren scheint, indem es eine indirekte Anschuldigung hervorbringt, das lyrische Gegenüber würde der Welt eine Schuld zuschreiben (vgl. V. 9), sowie diese als nichtig erklärt. Ebenso wird durch den Euphemismus „Keiner hält euch, wenn ihr gehen wollt.“ (V. 10) die Aufforderung zum Selbstmord ausgedrückt, sollte das lyrische Gegenüber nicht mit der Realität, welche das lyrische Ich hier präsentiert, leben wollen. Dieser Euphemismus des Selbstmords könnte jedoch auch der Grund sein, weshalb das Gedicht im Laufe der Jahre auch oft ohne die dritte Strophe veröffentlicht wurde.

Insgesamt weist das Gedicht lediglich parataktisch aufgebaute Sätze auf, welche sich ohne Enjambements über ein bis zwei Verse erstrecken und sachlich und faktisch formuliert sind. So wird wieder die emotionslose Atmosphäre ohne jeglicher Ausschweifungen unterstützt.

Ebenfalls auffällig ist der Rahmen, der durch den parallelen Aufbau „Auf die Erde voller kaltem Wind“ (V. 1) und „Von der Erde voller kaltem Wind“ (V. 13) erzeugt wird und gleichzeitig nicht nur Anfang und Ende des Gedichts, sondern auch Geburt und Tod des lyrischen Gegenübers einrahmt und zusammenführt. Doch was genau wird dadurch eingerahmt? Wie zeigt sich die Welt? Sie wird vom lyrischen Ich als „Erde voller kaltem Wind“ (V. 1) bezeichnet, was sich auf verschiedenen Ebenen betrachten lässt: So führt ein zu kaltes Klima für gewöhnlich zu einer sehr geringen Überlebenschance oder gar keinerlei Lebensformen, was die Welt alles andere als freundlich darstellen würde oder aber es ist metaphorisch eine emotionale Kälte gemeint, was auch bereits in der Form des Gedichts nachgewiesen wurde. In diese unfreundliche Welt kommt nun das „nackte[..] Kind“ (V. 2), welches durch das Fehlen von Kleidung schutzlos der Welt ausgeliefert ist. Dort liegt es nun „Frierend“ (V. 3), so beschreibt es das lyrische Ich und greift somit das Motiv der kalten Welt wieder auf. Daher kann auch dies wieder in zwei Dimensionen betrachtet werden, in der ersten Dimension ist dem Kind kalt und droht zu erfrieren und in der zweiten Dimension ist wieder die Sprache von emotionaler Kälte, aufgrund derer das Kind friert und somit einsam ist. Zusätzlich zu der Abwesenheit von Emotionen ist das Kind zudem „ohne alle Hab“ (V. 3), sodass es keinerlei Chance zum Überleben hätte. Doch dem gegenübergestellt wird ein „Weib[, das] euch eine Windel gab“(V. 4), womit das Kind eine gewisse Fürsorge und Schutz erfährt (s.o. Symbol „Windel“), welche allerdings begrenzt auf die physische Dimension zu sein scheint. Dennoch wird der Unterschied zu der vorherigen Einsamkeit betont, da die letzten beiden Verse sich als Chiasmus gegenüberstehen (vgl. V. 3-4) und so nicht nur gegensätzlichen Inhalt, sondern auch eine gegensätzliche Form darstellen.

Weiter beschreibt das lyrische Ich die Kindheit mit „Keiner schrie euch, ihr wart nicht begehrt“ (V. 5), wo eine ungewöhnliche Nutzung des Wortes „schrie“ (V. 5) auffällt, da man für gewöhnlich „Keiner rief euch“ sagen würde und schreien entweder in Zusammenhang mit Babys, die so auf sich aufmerksam machen, oder bei Wut verwendet wird. Diese Wortwahl zeigt also, dass dem lyrischen Gegenüber ein so geringer Wert zugeschrieben wird, dass nicht einmal Wut ihm gegenüber empfunden wird, geschweige denn „begehrt“ (V. 5) oder „im Gefährt [geholt wird]“ (V. 6). Auffällig ist, dass auch in dieser Strophe die letzten beiden Verse als Chiasmus aufgebaut sind und „Hier auf Erden wart ihr unbekannt“ (V. 7) mit „Als ein Mann euch einst nahm an der Hand“ (V. 8) gegenüberstellt, sodass auch hier zunächst von Einsamkeit durch Unbekanntheit die Rede ist, die dann durch einen Menschen in Fürsorge und Schutz gewandelt wird. Auch ist der letzte Vers der Strophe parallel zu dem letzten Vers der ersten Strophe aufgebaut, womit ein Bezug hergestellt wird, der sich im Inhalt bestätigt, da in diesen Versen, die einzigen Handlungen von Fürsorge zu erkennen ist. Zudem scheinen lediglich Menschen, dem lyrischen gegenüber Fürsorge entgegenbringen zu können, während die Erde als kalt beschrieben wird und von Anonymität geprägt zu sein scheint (vgl. V. 7). Darüber hinaus sind die Frau und der Mann die einzigen Menschen, die genauer benannt und mit Eigenschaften der Fürsorge ausgestattet zu sein scheinen, sodass anzunehmen ist, dass das lyrische Ich dabei von den Eltern des lyrischen Gegenübers spricht.

Diesen ersten beiden Strophen der Kindheit stellt das lyrische Ich nun die Gegenwart gegenüber. Und dabei scheint es das lyrische Gegenüber ermahnen zu wollen, denn „die Welt, die [sei ihm] gar nichts schuld“ (V. 9), womit es anzunehmen scheint, dass das lyrische Gegenüber die Schuld seine Fehler auf die Welt abzuschieben versucht oder aber eine Leistung von dieser erwartet. Doch dies scheint laut lyrischem Ich nicht der Fall zu sein, sondern jeder habe seine eigene Verantwortung und sollte einem dies nicht gefallen, so schlägt es vor „keiner hält euch, wenn ihr gehen wollt“ (V. 10). Dieser Euphemismus des Selbstmordes stellt diese Option in keinerlei schlechten Licht dar, sondern vielmehr positiv, womit der zunächst beschönigende Ausdruck, der in diesem Gedicht über die Verachtung der Welt zusammenhanglos erscheint, besonders in Bezug auf den Titel eine fast schon makabre Wirkung verleiht. Denn es scheint, als wollte einem die Welt nett bitten sie zu verlassen. Dies könnte auch der Grund sein, weshalb diese dritte Strophe in Laufe der Jahre immer wieder nicht mit veröffentlicht wurde. Obwohl sich das lyrische Ich nun mit der Gegenwart beschäftigt, springt es nun noch einmal in die Kindheit zurück und spricht das lyrische Gegenüber mit „Kinder“ an, was zu einem Ungleichgewicht beider Rollen führt und das lyrische Ich über dem lyrischen Gegenüber stehen lässt. Auch werden zwei vergangene Situationen durch die Anapher „Vielen […] Viele“ (V. 11-12) unter gleicher Gewichtung gegenübergestellt und das lyrische Ich meint „Vielen […] wart ihr vielleicht gleich. Viele aber weinten auch über euch.“ (V. 11-12). Für das „gleich“ (V. 11) sind dabei verschiedene Interpretationsmöglichkeiten vorhanden, so könnte es eine Gleichheit ausdrücken, was eine Anonymisierung des lyrischen Gegenübers zu Folge hätte, oder aber es ist die Sprache von Gleichgültigkeit, welche eine Einsamkeit des lyrischen Gegenübers beschriebe. Das Weinen der anderen Kinder stellt jedoch auch dar, dass diese Einsamkeit nicht eben der Welt geschuldet war, sondern eben durch das Verhalten des lyrischen Gegenübers hervorgerufen wurde.

Dies hat jedoch auch Auswirkungen auf die Gegenwart, in welche das lyrische Ich nun zurückkehrt und den Tod des lyrischen Gegenübers schildert. Auch hier wird der Tod, wie auch schon der Selbstmord in der dritten Strophe, mit dem Euphemismus „Geht ihr all“ (V. 14) ausgedrückt, womit die Freundlichkeit der Welt darin zu bestehen scheint, den Menschen gehen und somit sterben zu lassen. Jedoch nur „bedeckt mit Schorf und Grind“ (V. 14), welches eine Metapher für oberflächliche Wunden ist und somit das Leben keine ernsthaft Tiefen Einschnitte hinterlassen zu haben scheint. Doch die Beerdigung, die erfolgt einsam, „Wenn man ihm zwei Hände Erde gibt“ (V. 16), welche gleichzeitig die Anzahl der Anwesenden beschreibt, da es ein Brauch ist, dem Verstorbenen eine Handvoll Erde ins Grab zu werfen. Diese Anzahl korrespondiert gleichzeitig mit der Anzahl derer, die dem lyrischen Gegenüber zuvor in der Kindheit Fürsorge entgegengebracht haben, welche somit seine einzigen Vertrauten zu sein scheinen und es wieder einsam erscheinen lässt. Diesem einsamen Leben gegenüber steht allerdings die Aussage „Fast ein jeder hat die Welt geliebt“ (V. 15), welche eine Herzlichkeit beschreibt, die in diesem Gedicht kaum vorhanden ist. Daraus stellt sich dann natürlich die Frage, weshalb der Mensch die Welt geliebt haben sollte und darauf lässt sich im Gedicht selbst nur eine Antwort finden: Der anderen Menschen wegen. Denn nur diese haben für ihn gesorgt und ihm Schutz geboten, nicht die Welt, und vielleicht kann man diese beiden Menschen, die erwähnt werden, als Eltern sehen, sodass diese schlussendlich die einzigen bedingungslos liebenden Menschen für das lyrische Ich darstellen und jede andere Gunst muss sich hart erarbeitet werden muss.

Letztlich bleibt das lyrische Ich also der Tradition der Contemptus mundi treu und stellt die Welt als einen kalten und abwesenden Ort dar, in dem jeder seine eigene Verantwortung zu tragen hat. Dennoch lassen sich auch einige wenige Elemente der Liebe durch Unterstützung finden, wenn diese auch abgeschwächt sind. Dies könnte einen Zusammenhang damit haben, dass Brecht das Gedicht nach dem 1. Weltkrieg schrieb, nachdem er als Hilfssanitäter in einem Lazarett gearbeitet hatte. Er sah dort Soldaten sterben an der Schwere ihrer Verletzungen oder wegen mangelnder Versorgung der Wunden. Diese hatten bisher nur die Liebe der Eltern erfahren und die Welt war grausam zu ihnen. Dennoch liebten sie die Welt und starben im Kampf für ihr Land. Für meinen Geschmack ist dieses Gedicht dennoch etwas zu kühl, denn diese Schrecken der Welt erfahren wir zwar immer wieder, aber sollten wir dann nicht nach vorne blicken, uns selbst weiterentwickeln und versuchen Schrecken zu beenden? Dieses Gedicht Brechts macht zwar darauf aufmerksam, doch hat es keine Lösung oder zumindest einen Ansatz dafür, sondern es wird vielmehr – durch den Selbstmord oder den Tod – versucht davor zu fliehen.

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