Eichendorff, Joseph von - Die zwei Gesellen Frühlingsfahrt (Analyse)

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Joseph von Eichendorff, Analyse, Interpretation, Romantik, Gedichtinterpretation, Referat, Hausaufgabe, Eichendorff, Joseph von - Die zwei Gesellen Frühlingsfahrt (Analyse)
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Referat

Joseph von Eichendorff (Analyse des Gedichtes „Die zwei Gesellen“)

Die zwei Gesellen
von Joseph von Eichendorff

Es zogen zwei rüst'ge Gesellen
Zum erstenmal von Haus,
So jubelnd recht in die hellen,
Klingenden, singenden Wellen
Des vollen Frühlings hinaus.
 
Die strebten nach hohen Dingen,
Die wollten, trotz Lust und Schmerz,
Was Rechts in der Welt vollbringen,
Und wem sie vorübergingen,
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Dem lachten Sinnen und Herz.
 
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Der erste, der fand ein Liebchen,
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Die Schwieger kauft' Hof und Haus;
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Der wiegte gar bald ein Bübchen,
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Und sah aus heimlichem Stübchen
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Behaglich ins Feld hinaus.
 
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Dem zweiten sangen und logen
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Die tausend Stimmen im Grund,
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Verlockend' Sirenen, und zogen
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Ihn in der buhlenden Wogen
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Farbig klingenden Schlund.
 
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Und wie er auftaucht' vom Schlunde,
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Da war er müde und alt,
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Sein Schifflein das lag im Grunde,
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So still war's rings in die Runde,
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Und über die Wasser weht's kalt.
 
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Es singen und klingen die Wellen
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Des Frühlings wohl über mir;
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Und seh ich so kecke Gesellen,
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Die Tränen im Auge mir schwellen
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Ach Gott, führ uns liebreich zu dir!

(„Die zwei Gesellen“ von Joseph von Eichendorff ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (25.9 KB) zur Unterstützung an.)

Strophe I und Strophe II:

Die gemeinsame Ausfahrt: „klingende, singende Wellen“: Dieses Bild ist die Leitmusik des Gedichtes. Die Weltfahrt wird als Meerfahrt gezeichnet: Die Wellen des Frühlings sind Symbol des Bewegten, des Strömenden und Gleitenden. In diesem Leitbild klingt ein Jubellaut an (e – i), der Frühlingszauber wird im Partizip Präsens präsentiert („jubelnd“ ist zwar eine Zustandsbeschreibung, als P.P., als Verb also, deutet es aber auch eine Tätigkeit an.

Strophe III:

Das Versanden des ersten Gesellen findet sich auch in den formalen Elementen und in den Bildern. Das Reimpaar aus der ersten Strophe wird wiederholt: „Haus – hinaus“. Aber er ist schon am Ende. Auf halbem Wege ist er schon wieder angekommen, bevor er den Weg durchlaufen hat (Kurz – Schluss). Er vollzieht den Rückzug ins Häusliche, Diminutive: Liebchen, Bübchen, Stübchen, in den Kreis des Niedlich – Zutraulichen. Er ist im eigentlichen Sinne provinziell, abgeschlossen von der großen Welt. Da ist die volle Geschlechterkette: Großmutter, Mutter und Vater, Kind, also der abgeschlossene Kreis biologischer Aufeinanderfolge. Der Vater erscheint in Mutterpose: neben der Wiege sitzend und das Kindlein in den Schlaf schaukelnd (von emanzipiertem Hausmann kann wohl bei Eichendorff noch nicht geredet werden). Das Weibliche („Schwieger“) erscheint dem Bereich des Mütterlichen, des hegenden und Hütenden zugeordnet. Beim zweiten Gesellen erscheint dieses Leitmotiv aus dem Bereich des Verführerischen („Verlockend Sirenen“ = mythische Figuren der Verführung), nicht als Mütterliche, sondern als die Elementargewalt des Sexuellen.

Das hochgestimmte Streben des ersten Gesellen findet, sobald er genannt ist, sein Ende: „Der erste, der fand …“. Das Finden ist per definitionem das Ende des Suchens. Was als Streben „nach hohen Dingen“ begann, endet für ihn im Flachen, mit dem Blick aufs ebene Feld. Die „singenden, klingenden Wellen“ werden aufgenommen im Schaukeln der Wiege, einer Bewegung, die nicht vom Fleck kommt, sondern lediglich, um eine Mittelachse gehend, immer auf der Stelle tritt.

Strophe IV:

Der zweite Geselle: Dem zweiten Gesellen werden die Wellen zum Schicksal: „Sein Schifflein, das lag im Grunde“, die Wellen werden Realität, das Singen und Klingen der ersten Strophe wird gestört und zerrissen. Der Akkord ist versprengt (V. 1 und 5). Das Bild vom Hinausziehen wird verschoben zum Hinunterziehen, die sanften Wellen werden zur tödlichen, drohenden Woge. Das Singen klingt in der Strophe des Untergehens an, jedoch herabgesunken zu „sangen“. Die Klangwelt des zweiten Gesellen besteht aus (o – u – a [s. die schauerliche Vertonung von Schumann] ). Das Untergehen, der Abgrund wird darin klanglich sichtbar. Die Bereiche des Hörens und Sehens werden in den Synästhesien vermischt („farbig klingenden Schlund“). Ihm vergeht Hören und Sehen. Zudem macht die Syntax deutlich, was in ihm geschieht (s. Syntax): Er ist der Überwältigte, der zum Objekt Gemachte, den Lockenden und Ziehenden hingegeben. Jeder Halt zerbricht und geht verloren, bei ihm geht die Syntax aus den Fugen.

Strophe V:

Die fünfte Strophe spricht von Verödung und Leere; nichts Menschliches ist mehr sichtbar, nur noch Wasser und Wind, kalter Wind, der alle Wärme des Kreatürlichen vertrieben hat, eine wahre Mondlandschaft der Seele, eine Welt ohne eigentliches Subjekt. Die letzten beiden Verse haben überhaupt kein benennbares Subjekt mehr (s. Syntax). Auch in der poetischen Substanz zeigt sich die Verödung der Welt ins Unweltliche: „So still war’s rings in die Runde“: Das Raumgefühl ist entglitten, ist aus den Angeln gehoben (Frage: Wohin ist es still?). Jegliche Raumorientierung ist verloren gegangen.

Das Windeswehen über den Wassern könnte eine Reminiszenz an den ersten Schöpfungstag sein. Dort schwebt aber der „Atem Gottes“ (ruach elohim) über den Wassern (al phene thehom), über der Urflut, über den Abgründen, über dem Schlund. Hier ist es der kalte Atem des Windhauches. Was als Ordnendes (Kosmos gegen Chaos) begann, wird für den zweiten Gesellen wieder ins Chaos zurückgeführt.

Strophe VI:

Damit kann uns aber der christliche Dichter nicht entlassen. In der sechsten Strophe wird die Summe aus dem gezogen, was vorging. Hier kehren alle Elemente der übrigen Strophen wieder. Auch der Lebenstakt, das rhythmische Motiv der beiden Gesellen taucht wieder auf (s. Metrum und Rhythmus). Die Einzelschicksale werden transzendiert zu menschenmöglichem Schicksal überhaupt.

Dies aber wird als Antwort auf alles Geschehene unter das „Auge Gottes“ gestellt. Das Gebt widerruft die menschenleere Stille und die kalte Öde der Urwelt. Es endet in der Anrede Gottes.
Damit ist wieder fester Grund, ein fester Bezugspunkt gefunden. Es zeigt sich auch in der Tonfülle und -schwere, womit das Gedicht endet.

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