Schubert, Franz - Gute Nacht (Analyse)

Schlagwörter:
Franz Schubert, Wilhelm Müller, Analyse eines Liedes, Gedichtanalyse, die Strophen im Einzelnen, Melodieverlauf, Schritttempo, Referat, Hausaufgabe, Schubert, Franz - Gute Nacht (Analyse)
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Referat

Franz Schubert: „Gute Nacht“ 

Gute Nacht 

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Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh' ich wieder aus.
Der Mai war mir gewogen
Mit manchem Blumenstrauß.
Das Mädchen sprach von Liebe,
Die Mutter gar von Eh', -
Nun ist die Welt so trübe,
Der Weg gehüllt in Schnee.

Ich kann zu meiner Reisen
Nicht wählen mit der Zeit,
Muß selbst den Weg mir weisen
In dieser Dunkelheit.
Es zieht ein Mondenschatten
Als mein Gefährte mit,
Und auf den weißen Matten
Such' ich des Wildes Tritt.

Was soll ich länger weilen,
Daß man mich trieb hinaus?
Laß irre Hunde heulen
Vor ihres Herren Haus;
Die Liebe liebt das Wandern -
Gott hat sie so gemacht -
Von einem zu dem andern.
Fein Liebchen, gute Nacht!

Will dich im Traum nicht stören,
Wär schad' um deine Ruh',
Sollst meinen Tritt nicht hören -
Sacht, sacht die Türe zu!
Schreib' im Vorübergehen
Ans Tor dir: Gute Nacht,
Damit du mögest sehen,
An dich hab' ich gedacht.

Analyse:
Das Lied „Gute Nacht“ ist das 1. Lied aus dem Liederzyklus „Winterreise“ von Franz Schubert (1797-1828). Dieser Liederzyklus basiert auf einer Gedichtsammlung von Wilhelm Müller mit dem Namen „Aus den hinterlassenen Papieren eines reisenden Waldhornisten.“ Aus dieser Sammlung hatte Schubert 24 Gedichte ausgewählt, welche er, zusammengestellt in „Winterreise“, vertonte, wodurch Wilhelm Müller ebenfalls bekannt wurde. Die Gedichtsammlung behandelt die Thematik wandernder Gesellen, welche von Dorf zu Dorf ziehen, dort bei einem Meister in die Lehre gehen, und schließlich nach einem Jahr weiter wandern. Auch „Winterreise“ handelt von solch einem Gesellen, welcher sich jedoch in seinem Ort in ein Mädchen verliebt, das ihn allerdings bald wieder verlässt. Der Geselle muss nun den Ort statt wie normal im Frühjahr bereits im Winter verlassen, daher der Name „Winterreise“.

Das Gedicht zu dem Stück „Gute Nacht“ spielt sich nur kurz nach dem Auszug ab (welcher im Übrigen heimlich geschah). Der Geselle (das lyrische Ich) lässt seine Vergangenheit Revue passieren, schildert seine Gefühle und seine jetzige Situation und wendet sich in der letzten Strophe direkt an seine Liebe (das Mädchen). Das Gedicht besteht aus vier Strophen à acht Verse, das Reimschema ist ein regelmäßiger Kreuzreim, und mit dem Reim wechseln auch die Kadenzen (w-m-w-m usw.).

Die erste Strophe wird schon durch die ersten beiden Verse zusammengefasst: „Fremd bin ich eingezogen | Fremd zieh’ ich wieder aus.“ Durch die Anapher „Fremd“ gibt es eine klare Gegebenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart. Dieses Wechselspiel Rückblick-Realität bestimmt die erste Strophe (Die Aussage im zweiten Vers zeigt natürlich auch das Unglück des Gesellen, denn normalerweise hätte er als „Freund“ aus der Stadt ausziehen müssen.). So berichtet der Wanderer in den Versen 3-6 von seiner (positiven) Vergangenheit, von seiner Liebe mit dem Mädchen. Die letzten beiden Verse beschreiben die (negative) Gegenwart, seine momentane Situation. Durch die Worte „Nun ist die Welt so trübe“ wird nicht nur die Jahreszeit (Winter) ausgedrückt, sondern auch sein innerer Zustand: auch sein Gemüt ist „trübe“.

In der zweiten Strophe beschreibt der Wandernde seine Einsamkeit; die Aussage, dass nur sein Schatten mit ihm zieht, verdeutlicht, wie allein es ist. Der Ausdruck „Schatten“ kann auch als Schatten seiner Erinnerung an das Mädchen, der auf seiner Seele lastet, verstanden werden. Auch sagt er, dass er „auf den weißen Matten“, d.h. im Schnee, nach Tierspuren sucht, woran man erkennt, dass er den Weg sucht, weil er im Schnee nicht sehen kann, wo er sich befindet.

In der dritten Strophe wird klar, dass der Geselle nicht wirklich vertrieben worden ist, sondern sich heimlich davongestohlen hat. Die Worte „Lass irre Hunde heulen | Vor ihrer Herren Haus“ (V.3f.) ist bildhaft zu verstehen: Er will keiner sein, der bis zuletzt vor dem Haus seiner Liebsten steht, wie ein Hund beim Herrchen. Dadurch, dass der Wandernde in Vers 5 sagt: „Die Liebe liebt das Wandern“, wird euphemistisch der Grund für sein Gehen deutlich: Sein Mädchen war wohl eine Dirne. Dass er noch ironisch hinzufügt, Gott habe sie so gemacht, zeigt seine Resignation.

Die letzten beiden Verse dieser Strophe klingen ebenfalls spöttisch, das „Fein Liebchen“ ist wohl auch wieder ironisch gemeint. In Gedanken verabschiedet er sich von ihr, um endgültig mit ihr abzuschließen. Doch wie es um seine wahren Gefühle um das Mädchen steht, wird in Strophe 4 klar: Hier geschieht nämlich etwas besonderes, der Geselle spricht zum ersten Mal sein Mädchen direkt an. Seine Ausdruckswiese ist auffällig: Wurde das lyrische Ich bisher stets durch Wörter wie „Ich“, „mir“, und „mich“ klar genannt, fällt das jetzt beinahe gänzlich weg. Er drückt sich vielmehr in Ellipsen aus, und im Vordergrund steht nur noch das Mädchen, er selbst stellt sich außen vor. Erkennbar wird das an den Wörtern „dich“, „deine“ und „dir“.

Worum geht es also in der Strophe: Der Geselle hat noch einmal beim Mädchen vorbeigeschaut, mitten in der Nacht, und deswegen natürlich besonders leise, damit er sie nicht „im Traum“ stört. Am Tor hat er ihr eine Nachricht hinterlassen, „gute Nacht“, damit sie sieht, dass er an sie gedacht hat. Das alles erzählt er im historischen Präsens, was bedeuten kann, dass er jetzt am liebsten noch bei ihr wäre. Auffällig am letzten Vers ist, dass die Pronomina „dich“ und „ich“ in einer Zeile genannt werden. Der Geselle und das Mädchen also, beide vereint. Man erkennt daran klar, wie sehr er sich danach sehnt, mit ihr zusammen zu sein.

Franz Schubert hat nun dieses Gedicht in einem 137-taktigen Klavier- und Gesangsstück vertont, wobei das Klavier nur die Begleitung der Gesangsstimme darstellt. Gesungen wird es von Dietrich Fischer Dieskau. Die formale Gliederung des Gedichts benutzt Schubert auch in seiner Vertonung; die Strophen sind stets in ein Zwischenspiel eingebettet (bzw. am Anfang als Vorspiel, am Ende als Nachspiel), zwei Verse bilden jeweils eine Einheit, die durch eine Viertelnote und eine Viertelpause von der nächsten getrennt ist.

Nun zu den Strophen im Einzelnen:
Nach einem sechs Takte dauernden Vorspiel beginnt die erste Strophe mit der Versen 1 und 2 als erste Einheit. Es wird (wie im gesamten Stück) mäßig und getragen gespielt, die Lautstärke ist pianissimo, die Tonart d-Moll, was alles schon die traurige Stimmung, in der der Wanderer sich befindet, ausdrückt und verstärkt. Dazu passt auch die tendenziell nach unten führende Melodie in der ersten beiden Versen (von f’’ zu d’). Auffällig ist, dass die Tonfolge in der Versen 3 und 4 identisch ist mir der der ersten beiden Verse.

Die Verse 5 und 6 werden wiederholt, in der Wiederholung jedoch eine Quarte höher gespielt. Das hebt die Bedeutung dieser Worte hervor, denn wenn der Geselle das Mädchen tatsächlich geheiratet hätte, dann hätte er nicht gehen müssen. Nach einem 2-taktigen Zwischenspiel folgen die letzten beiden Verse, welche ebenfalls in gleicher Tonfolge wiederholt werden, lediglich der letzte Ton ist ein anderer. Nach der ersten Strophe gibt es ein Zwischenspiel, welches mit dem Vorspiel identisch ist. Schon jetzt kann man darin ein Anzeichen von Monotonie erkennen, er hat sich nichts verändert, es ist, als ob das Lied wieder von vorne beginnt, nur mit anderem Text.

In der zweiten Strophe werden haargenau dieselben Noten gespielt wie in der ersten. Das ist durchaus logisch, weil sich die Stimmung aus Strophe 1 in de zweiten Strophe fortführt. Es geht nun nicht mehr um den Verlust des Mädchens, sondern um die schlimme derzeitige Situation für den Wanderer. Nach dem gleichen Zwischenspiel wie vorher beginnt nur Strophe 3: Hier liegt nun eine etwas andere Melodie vor: zwar ist der erste Takt noch gleich, dann jedoch gibt es statt der Abwärtsbewegung ein Aufwärtsbewegung. Dadurch wird die Erregung des Gesellen darüber deutlich, dass er das Mädchen verlassen musste. Die Verse 3 und 4 stellen wieder die genaue Wiederholung der ersten beiden Verse dar (bezogen auf die Melodie).

In den letzten beiden Versen dieser Strophe ist die Tonführung dieselbe wie in der vorangegangenen Strophe an dieser Stelle. Jedoch der Textverlauf wird deutlich verändert: Statt nun wie eigentlich erwartet die Verse 5 und 6 zu wiederholen, schiebt Schubert an der Stelle die Verse 7 und 6 ein. Auch bei der letzten Einheit der Strophe wird variiert: Nach dem obligatorischen 2-Takte-Zwischenspiel folgen nicht die Verse 7 und 8, sondern 5 und 8, die in der Wiederholung durch die Kombination der Verse 7 und 8 ausgetauscht werden.

Die Verdrehung der Verse scheint zunächst vollkommen willkürlich, doch dadurch zeigt Schubert auch die Willkür Gottes und der Liebe, die beide in der Strophe angesprochen werden. An dieser Stelle ist er also über die formale Seite des Gedichts hinausgegangen und hat seine eigene Ansicht mit einbezogen. In der vierten Strophe passiert nun etwas Besonderes: War die Tonart bisher immer d-Moll (von einigen Ausschweifungen zu D-Dur abgesehen), so wechselt sie jetzt komplett zu D-Dur. Der Wechsel ist klar gekennzeichnet: Nach dem Zwischenspiel sind neue Vorzeichen angegeben und durch einen Doppelstrich sind die Teile klar voneinander getrennt. Die Lautstärke ist pianissimo.

Daran lässt sich erkennen: Der Wanderer befindet sich nicht mehr in der Realität, sondern in einer Traumwelt, in einer Welt voller Erinnerungen an schöne Zeiten. Durch die Dur-Tonart klingt dieser Teil daher sanfter und zarter.

Der Melodieverlauf der vierten Strophe ist ähnlich wie zuvor: die gleiche Abwärtsbewegung und auch die Tonverschiebung nach dem sechsten Vers, dieses Mal um eine Quinte nach oben. Nur der Textverlauf ist anders: Statt den fünften und sechsten Vers sofort zu wiederholen, lässt Schubert erst die ganze Strophe durchlaufen, und dann erst nach dem 2-Takte-Zwischenspiel die letzten vier Verse wiederholen. In diesen Einheiten finden wir allerdings keine reine Abwärtsbewegung mehr, sondern die Melodie führt wieder zum Ausgangston (d’’) zurück. Daran kann man die Freude des Gesellen über die schönen Erinnerungen an das Mädchen erkennen. Zum Ende des Liedes wechselt Schubert wieder in die Ausgangstonart d-Moll. Man sieht also, der Wanderer befindet sich wieder in der harten Wirklichkeit, die schönen Erinnerungen verblassen.

Zum Abschluss gibt es nun ein sechs Takte dauerndes Nachspiel. Schubert lässt die Achtelnoten in der Begleitung immer weiter ausklingen, die Lautstärke nimmt immer mehr ab, gekennzeichnet durch das ‚diminuendo’. Der einsame Wanderer geht also immer weiter seinen Weg, im gleichen Schritt wie zu Beginn, bis man ihn nicht mehr hört.

Insgesamt kann man sagen, dass die Tatsache, dass es im Gedicht keinen wirklichen Prozess, keine Handlung vorhanden ist, auch im Lied deutlich wird: Das Vorspiel und die Zwischenspiele sind genau identisch, woran man erkennt, dass sich nichts verändert. Auch das metrische Muster in der Begleitung (vier Achtel) bleibt immer das gleiche, sogar bis zum Schluss: der Geselle geht also immer noch im gleichen Schritttempo. Obwohl nun diese Gliederung des Gedichtes nur wenig Spielraum lässt für eine Komposition, gelingt es Schubert dennoch, durch z.B. gezielte Wiederholung bestimmter Passagen Akzente zu setzten, und macht seine Sicht der Dinge klar. So lässt sich sagen, dass die Willkür der Liebe in Strophe 3, Vers 5ff. durchaus von ihm selbst dort hineininterpretiert worden ist. Ich denke also, Schubert ist es nicht nur gelungen, das Gedicht optimal musikalisch umzusetzen, er hat sogar noch seine eigene ‚Note’ mit einfließen lassen.

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