Bürgertum im Kaiserreich - gesellschaftliche und politische Stellung des Großbürgertums

Schlagwörter:
Kaiserzeit, Kaiserreich, Selbstverständnis und die gesellschaftliche und politische Stellung des Großbürgertums der Kaiserzeit, Roman, Jenny Treibel, Referat, Hausaufgabe, Bürgertum im Kaiserreich - gesellschaftliche und politische Stellung des Großbürgertums
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Referat

Bürgertum in der Kaiserzeit

S. 91, Aufgabe g) Charakterisieren Sie das Selbstverständnis und die gesellschaftliche und politische Stellung des Großbürgertums der Kaiserzeit (M6).

Bei der zu bearbeitenden Quelle M6 handelt es sich um einen Auszug aus dem Roman „Frau Jenny Treibel“ aus dem Jahre 1893. Theodor Fontane beschreibt darin als auktorialer Erzähler die Villa des Fabrikanten Treibel.
Diese ließ Kommerzienrat Treibel in den 70-er Jahren auf seinem Fabrikgrundstück errichten, um sich und seiner Familie ein Heim zu bieten, das eher ihrem Stand entspricht (Z. 8 ff.), als es das alte Wohnhaus in einer weniger vornehmen Gegend getan hat (Z. 16 ff.). Die Familie Treibel fühlt sich darin schon seit16 Jahren wohl; als Manko empfindet Kommerzienrätin Jenny Treibel allerdings das Fehlen eines Dienstboteneingangs (Z. 36 f.). Ihrer Meinung nach wirkt, es lächerlich, wenn der Küchenjunge bei der Vorbereitung eines Diners durch den Vorgarten komme, als sei er ein Gast. Außerdem empfindet sie dies als „Zur-Schau-Stellen“, „als ob die ganze (...) Straße wissen solle: Treibels geben heut ein Diner“ (Z.43 ff.) und befürchtet eine Schürung sozialdemokratischer Gefühle.

Auch wenn dieser Romanauszug durch die bewusst einseitige Schilderung etwas übertrieben und ironisch erscheint, kann man die darin enthaltene Beschreibung in wesentlichen Punkten doch als repräsentativ für das Selbstverständnis und die Stellung des Großbürgertums betrachten. Dieses entwickelte sich in den „Gründerjahren“ zu der ökonomisch mächtigen Schicht im deutschen Kaiserreich. Die Hoffnung, den gesellschaftlichen Einfluss durch demokratische Reformen zu erweitern, erfüllte sich allerdings nicht. Der Adel blieb weiterhin im Besitz seiner sozialen Privilegien. Auch die Offiziersposten im gesellschaftlich sehr angesehenen Militär waren überwiegend von Adligen besetzt. Den zu beobachtenden Hang zur „Feudalisierung“ des Großbürgertums könnte man also als den Versuch deuten, auf anderen Wegen zu sozialem Prestige zu gelangen. Die Imitation des adligen Lebensstils scheint einer dieser Wege zu sein.

Diese erkennt man auch gut an dem (wenn auch fiktiven) Beispiel der Treibels: Sie bauen sich eine Villa (Z.1), legen Wert auf darauf, was „zeit- und standesgemäß“ (Z. 13) ist, verlassen deshalb die „unvornehme“ Jakobsstraße (Z. 18 f.). Sie geben Diners (Z. 29) und möchten sich deutlich von den Dienstboten abgrenzen (Z. 35 ff.). Auch Titel wie „Kommerzienrat“ (Z.11) dienen ihnen zur Steigerung des Ansehens. Eine weitere Gemeinsamkeit mit dem Adel ist die Ablehnung von Arbeiterbewegungen (Z.45 ff.). Das Großbürgertum verstand sich also als eine Art Geldadel. Den im Vergleich zu der Aristokratie spärlicheren sozialen Hintergrund versuchte man durch Besitz und Angleichung an den Adel und Streben nach Prestige und (Adels-/)Titeln wettzumachen. Allmählich nahm das gesellschaftliche Gewicht des Großbürgertums zu: Dessen Anteil im Offizierskorps und an der Spitze der Bürokratie wuchs, ebenso deren Einfluss in der ländlichen Verwaltung (bis 1891 den Großgrundbesitzern vorbehalten). Die Geltung in den Städten und der Einfluss auf Presse und Bildungswesen trug ebenfalls maßgeblich zu dem sozialen Aufstieg bei. Die Assimilation an den Adel gelang allerdings nicht vollständig. Durch z. B. Heirat vermischten sich reiche Großbürger-Familien zwar mit verarmten Adligen, als völlig gleichberechtigt akzeptiert wurden es vom Altadel aber nicht. Trotzdem bildete sich die neue gesellschaftliche Führungsschicht zusammen aus Großbürgertum und (Alt-)Aldel. Die politische Stellung des Großbürgertums erlebte also einen Wandel, der nach und nach ihrem Selbstverständnis nachkam.

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