Gedichtvergleich - Abschied (Eichendorff) und Der Winter (Lichtenstein)
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Referat
Gedichtvergleich - "Abschied" von Joseph von Eichendorff und "Der Winter" von Alfred Lichtenstein
Obwohl die Gedichte „Abschied“ von Joseph von Eichendorff und „Der Winter“ von Alfred Lichtenstein aus zwei grundsätzlich verschiedenen Epochen, nämlich der Romantik und dem Expressionismus, stammen, weisen sie einige Gemeinsamkeiten auf. Bereits die äußere Form, welche sich bei „Abschied“ aus vier Strophen zu je acht Zeilen, durchzogen von einem regelmäßig drei-hebigen Jambus, zusammensetzt und bei „Der Winter“ aus 3 Strophen à vier Zeilen mit einem ebenso regelmäßigen fünf-hebigen Jambus, wirkt sehr ähnlich. Diese äußerliche Ordnung korrespondiert bei Eichendorffs Gedicht auch mit dem Inhalt, während in „Der Winter“ eine für den Expressionismus typische Spannung zwischen Dionysos und Apoll bei Aufbau und Inhalt vorherrscht. Bereits in der Personifikation „ein Hund [schreit vergrämt]“ in der ersten Zeile von Lichtensteins Gedicht wird die inhaltlich auffallende Unruhe deutlich, die im Kontrast zur beschriebenen äußeren Form steht. Diese wird im Verlauf des Gedichts weiter ausgeführt und mit Vergleichen wie in Zeilen zwei bis vier (vlg. Z.2-4 „Himmel [...] wie alter grauer Stein“ und „ein toter Fluß [wie Tau/ Aus Teer]“) bekommt die Natur einen sehr unästhetischen Charakter und es scheint so, als ob sie als etwas Hässliches und Unerwünschtes auf dem lyrischen Ich und der gesamten Menschheit lastet. Die vom lyrischen Ich betrachteten Bäume wirken mit der antithetischen Umschreibung „schwarzgefrorne Flammen“ (Z.5) wie erfroren. Außerdem erinnert das Adjektiv „schwarzgefrorne“ an ein beim Menschen abgefrorenes Körperteil, welches sich aufgrund der Unterkühlung beim Absterben schwarz färbt. Dadurch erlangen die Bäume hier, wie auch der zuvor erwähnte Hund, menschliche Eigenschaften und werden dadurch aufgewertet.
In der zweiten Strophe werden die Bäume weiterhin umschrieben, und sogar als drohend und möglicher Auslöser eines Weltuntergangs gesehen (vgl. Z.5f „Drei Bäume [...] drohn/ Am Ende aller Erde.“). Mit sehr aggressiv-provokanter Wortwahl und einer auffallenden Häufung von S-Lauten (vlg. Z.6f „stechen scharf/ Mit spitzen [...]“) wird das messergleiche „stechen“ (Z.6)der Bäume gen Himmel beschrieben, in welchem der mit dem Neologismus „Vogelfetzen“ beschriebene Vogel „hängt“. Hier wird also auf die Tierwelt angespielt, welche mit Einbruch des Winters ebenso wie die Pflanzen unter Zerstörung, Tod und Elend leidet. Das Wortfeld des Sterbens und des Todes zieht sich durch das gesamte Gedicht und geht von der Pflanzen- über die Tierwelt bis hin zur Stadt und dem damit einhergehenden Untergang des Menschen (vgl. „alt[...] grau[...]“ Z.2; „tot[...]“ Z.4; „schwarzgefrorn[...]“ Z.5; „Leichenkerzen“ Z.10; „Ertrunken“ Z.12). In der letzten Strophe erfährt der Mensch zunächst durch die Bezeichnung „ein Fleck/ Aus Menschen“ (Z.10f) eine Degradierung sondergleichen, „schrumpft zusammen“ (Z.11), wird also immer unbedeutender und kraftloser, bis er schließlich in der letzten Zeile den endgültigen Untergang durch das Verschwinden (bzw. das „Ertr[i]nken“ Z.12) und den Zusammenbruch unter der Naturgewalt des Winters (vgl. Z.12 „weißen Sumpf“) erfährt.
Dieses Naturverständnis bildet wohl den größten Unterschied zu Eichendorffs Gedicht. In den ersten zwei Strophen wird die Natur hier in höchsten Tönen gelobt und sogar mit religiösen Wortfeldern (vgl. Z.4 „Andächt´ger“ und Z.15 „auferstehen“) gepriesen. Immer wieder wird der Kontrast zur „geschäft´ge[n] Welt“ (Z.6) und dem „trüben Erdenleid“ (Z.14) aufgeführt, womit die Ablehnung eines Lebens ohne die Natur und der damit verbundenen Empfindungen (vgl. Z.3 „Du meiner Lust und Wehen“) durch das lyrische Ich deutlich wird. Durch die Interjektionen „O“ und die damit verbundene direkte Anrede der Täler, Höhen und des Waldes in den ersten beiden Zeilen wird bereits die überschwängliche Begeisterung und Entzückung des lyrischen Ich in Anbetracht der Natur ausgedrückt. Dies wird weiterhin durch die Ausrufezeichen in den Zeilen vier, acht und 16 unterstrichen. Die Verwendung der Metapher eines Zeltes in Zusammenhang mit dem ihn oder sie umgebenden Wald zeigt den Schutz und Geborgenheit gewährenden Charakter der Natur. Besonders der Tagesanbruch, wie er in der zweiten Strophe beschrieben wird, wirkt wie auch die erste Strophe durch zahlreiche positive Konnotationen auslösende Verben und Adjektive (vgl.Z.9ff „dampft und blinkt“, „lustig schlagen“, „erklingt“) äußerst ästhetisch. In den darauffolgenden Strophen schlägt die Stimmung um und wirkt ernsthafter und nachdenklicher. Der Wald wird für das lyrische Ich, welches in Symbiose mit der Natur genau auf deren Zeichen und die in ihm oder ihr ausgelösten Gefühle achtet, zum Ort der Erleuchtung.Es wird sich darüber klar, was wirklich wichtig ist, was es erreichen will und wo es hingehört (vgl. Z.19f „Von rechtem Tun und Lieben,/ Und was des Menschen Hort.“). In der letzten Strophe fällt es daraufhin eine Entscheidung und beschließt sich von nun an des „Lebens Schauspiel“ (Z.28) hinzugeben, um es in all seinen Facetten und seiner Reichhaltigkeit auszukosten. Hiermit könnte eine Abkehr von der Natur, seiner oder ihrer bisherigen Heimat, gemeint sein, oder auch das Verlassen einer oder eines Geliebten. Die vorher negativ besetzte „geschäft´ge Welt“ (Z.6) wird nun zu „buntbewegten Gassen“ (Z.27) und einem Abenteuer, dem das lyrische Ich bereit ist sich zu stellen. Dennoch werden ihm oder ihr, wenn man davon ausgeht, dass der Adressat im Verlauf des Gedichts der Wald geblieben ist, die Naturerfahrungen, die ihn oder sie tief geprägt haben, immer Kraft spenden und „[s]ein Herz nicht alt [werden lassen]“ (Z.32).
Die Natur wirkt hier also zunächst als Geborgenheit spendender Schutzraum, welcher beim lyrischen Ich nicht nur Begeisterungsstürme, sondern auch tiefgreifende Empfindungen und symbioseähnliche Zugehörigkeitsgefühle auslöst und schließlich, als das lyrische Ich den Beginn eines neuen Lebensabschnitts beschließt, als Stütze und Trost in Einsamkeit und Fremde. Wie bereits beschrieben, ist dies einer der tiefgreifendsten Unterschiede zu „Der Winter“, in dem die Natur als hässlich, auf der Menschheit lastend und geradezu bedrohlich aufgefasst wird. Die langsame Selbstzerstörung der Natur und der Menschen während des Winters steht im kompletten Gegensatz zur frühlingshaften Naturbeschreibung in „Abschied“. Eine Gemeinsamkeit der beiden Gedichte ist, wie schon der Titel „Abschied“ verrät, das Ende von etwas. In Eichendorffs Gedicht ist dies das Ende eines Lebensabschnitts und die damit einhergehende Trennung von etwas Altem. In „Der Winter“ endet nicht nur das Leben der Natur (vlg. Z.5 „schwarzgefrorne [Bäume]“), sondern auch das der Tiere und schließlich sogar der Menschen. Unterschiedlich ist jedoch, dass in „Abschied“ ein neuer Lebensabschnitt beginnt und somit auch dank der kraftspendenden Natur Hoffnung für die Zukunft besteht und in „Der Winter“ hauptsächlich Bilder der Zerstörung und des Todes vorherrschen, die in der letzten Strophe im Untergang der Menschen gipfeln, wobei keinerlei Anzeichen einer Besserung des Zustandes zu erkennen sind.
Zusammenfassend gibt es einige grundsätzliche Gemeinsamkeiten, wie das Hauptthema der Natur. Insgesamt schockiert Lichtensteins Gedicht durch die fehlende Ästhetik der Beschreibungen und lässt den Leser nachdenklich gestimmt zurück, während Eichendorff mit durchaus positiven Naturbeschreibungen und der anhaltenden Helfer- und Freundrolle der Natur versucht Hoffnung zu spenden und die ästhetische Seite der Natur und des Waldes zu beleuchten.
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