Skript zur Differentiellen Psychologie
Schlagwörter:
Persönlichkeit, William Sheldon, Carl Gustaf Jung, Behaviorismus, Skinner, Dollard, Miller, Bandura, Julian Rotter, Locus of control, Kurt Lewin, Rogers, Kelly, Lersch, Rothacker, William Stern, Gordon Allport, Maslow, Cattel, Eysenck, Guildford, Referat, Hausaufgabe, Skript zur Differentiellen Psychologie
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pygniker athlet leptosom kretschmer, sorkc beispiel manie, leptosom mesomorph ektomorph, gegenbesetzung psychologie, körperbau leptosom
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Referat
Weder die Autoren/innen, noch die Fachschaft
Psychologie übernimmt irgendwelche Verantwortung für dieses
Skript.
Das Skript soll nicht die Lektüre der
Prüfungsliteratur ersetzen.
Verbesserungen und Korrekturen bitte an
fs-psycho@uni-koeln.de mailen.
Die Fachschaft dankt den AutorInnen im Namen aller
Studierenden!
Version 1.0 (11/97)
Skript zur Differentiellen
Psychologie
Frank Borchard
1 Grundbegriffe und Leitideen der Differentiellen Psychologie
1.1 Naive vs. Wissenschaftliche Pschologie
Schneewind: Person := unteilbare lebendige
Einheit als Träger körperlicher und seelischer Attribute.
Alltagspsychologie besteht aus impliziten Persönlichkeitstheorien
(subjektive Theorie) in der personenbezogene Erfahrungen zu überschaubaren
Einheiten zusammengefaßt werden. Hierdurch werden bezüglich anderer
Personen flexibel handhabbare Erfahrungsmuster entwickelt. Ziel der
Alltagspsychologie (wie der wissenschaftlichen P.) ist beschreiben,
erklären, voraussagen, verändern in Bezug auf Verhalten und
Entwicklung. Die Alltagspsychologie bezieht ihre Informationen
aus
- personengebundenen Merkmalen (mit der
körperlichen Person unmittelbar und gegenwärtig verknüpfte M.):
1) äußere Merkmale und 2) intern ablaufende, nur indirekt zu
erschließende Prozesse
- personenunabhängigen Merkmalen (mit der
körperlichen Person mittelbar verknüpfte Merkmale, die auch ohne diese
zugänglich sind): 1) Situtative Bedingungen von Verhalten und 2) Werk
(sichtbare Verhaltensresultate einer Person aus der Vergangenheit) 3)
biografische Elemente
Alltagspsychologisches Wissen ist in der Regel zum
größten Teil unmittelbar und unreflektiert verfügbar,
andererseits aber auch der Reflektion zugänglich. Es ist meistens
auch wertend, wobei sich diese Wertungen der Reflexion
größtenteils entziehen.
Jede (auch nonverbale!) Interaktion mit anderen Personen
erfordert (implizites, weil so viel gar nicht gleichzeitig explizit sein kann)
alltagspsychologisches Wissen und bewirkt Beeinflussung des Verhaltens anderer.
Entwicklung := das weite Spektrum aller
physischen und psychischen Merkmale ihrer zeitlichen Veränderung...d.h.
alles was nachher anders ist als vorher und was dem Betrachter bei seinem
subjektiven Vergleich von gespeichertem und wahrgenommenen Zustand
auffällt.
Es gibt keine sichere Verbindung von Verhalten und
Wirkung, da wir aber trotzdem darauf angewiesen sind, die Folgen unseres
Handelns vorherzusagen, werden für eine Prognose i.d.R.
implizite/unreflektierte Wahrscheinlichkeitshierarchien der möglichen
Verhaltensauswirkungen benutzt. Dazu Bandura 1979: Ergebnis- und
Effizienzerwartungen: jemand erwartet mit seinem Verhalten etwas Bestimmtes
(Ergebnis) mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit (Effizienz) zu erreichen.
Erklärungen haben auch dann einen Sinn, wenn wir wissen, daß wir mit
unserem Verhalten etwas nicht ändern können (Coping Strategie).
1.2 Wissenschaftliche Aufarbeitung der Alltagspsychologie:
Inhaltliche Kategorien vs. Organisationsprinzipien
(= Beziehungen zwischen Kategorien)
Arbeit zu inhaltlichen Kategorien: Allport und Ogden
(1936) trugen in Fleißarbeit 18.000 Eigenschaftsattribute zusammen und
sortierten sie in 4 Kategorien:
- konstistente und stabile Verhaltensdispsitionen (->
aggressiv, intelligent, selbstsicher, gewissenhaft...)
- momentane Zustände (Gedanken, Gefühle,
Absichten, z.B. nachdenklich, erregt,...)
- wertende Stellungnahmen (z.B. rücksichtslos,
unmoralisch)
- Restkategorie (u.a. physische und demographische
Merkmale)
ähnlich arbeitete Broomley (1977)
Inhaltsanalyse aus 320 Selbst- und 8
Fremdbeschreibungen; Zuordnung von 30 gefundenen Inhaltsklassen für
Persönlichkeitsattibute) zu 5 übergeordneten
Kategorien:
- interne Aspekte der Person (z.B. Fähigkeiten und
Fertigkeiten)
- externe Aspekte der Person (z.B. äußere
Erscheinungsweise, Gesundheitszustand, auf Person projezierte Erwartungen,
episodische Ereignisse, in denen Person Rolle spielt, zugängliche
biografische Daten)
- soziale Beziehungen (sozialer Stand/Position,
Interaktion mit Freunden und Kollegen)
- soziale Beziehung zwischen Beurteiler und Person
(gegenseitige Reaktion aufeinander)
- Bewertungen und Restkategorie
(das Schema erscheint uns etwas
kontraintuitiv)
Vom gesamten alltagspsychologischen Wissen über
andere Personen sind jeweils nur Ausschnitte präsent, das was aktualisiert
wird, hängt stets vom Handlungszusammenhang ab. Wenn ich mit
jemanden Tennisspielen gehen will, denke ich nicht darüber nach, wer von
meinen Bekannten gut kochen kann, dieses Wissen dringt in dem Moment nicht ins
Bewußtsein.
Prinzip der interpretativer
Schlußfolgerung: eine Eigenschaft, die als solche nicht unmittelbar
erfahrbar ist, wird über die Zeit aus einem mehr oder weniger komplexen
Interaktionsgefüge erschlossen (Intelligenz, Güte ect.). Die genaue
Kenntnis personenspezifischer Verwertungsstrategie von Information
ermöglicht ein besseres Verständnis des indiviuellen Verhaltens der
informationsverwertenden Person im jeweiligen Handlungskontext.
Untersuchung über Intelligenzkonzepte von
Wiggins, Hofman und Taber (1969): aus vorgegebenen Information (Abinote,
sozialer Status, Schulbildung der Mutter,...) sollten Beurteiler die Intelligenz
der zugeordneten Person auf einer 9-stufigen Skala einordnen. Gefunden wurden 8
Beurteilertypen: bei einem klärte bereits die Abiturnote 100% des
Intelligenzurteils auf, bei anderen war eine Kombination von bis zu 4 Merkmalen
nötig. Jeder dieser Beurteiler hat somit ein unterschiedliches
Intelligenzkonzept, wobei diese nicht richtig oder falsch an sich sind, sondern
in der Regel dem jeweiligen alltagspsychologischen Zusammenhang in Bezug auf den
Beurteiler angemessen.
Eine wissenschaftliche Psychologie muß deshalb zur
Vereindeutigung diesen Begriff explizit definieren. Deswegen ist BORINGs
operationale Definition von 1923 ”Intelligenz ist das, was ein
Intellilgenztest mißt” mal abgesehen vom fehlenden
Bedeutungsüberschuß treffend formuliert.
Organisationsprinzipien der impliziten
Persönlichkeitstheorie
(nach Bruner, Taguiri 1954, Cronbach,
1955)
sind die Prinzipien, nach denen Einzelurteiler
verknüpfen sind, d.h.: Korrelationen von Eigenschaftsattributionen
(Halo-Effekt, Thorndike, 1920) Bezüglich jeder Person stellen sich
die Fragen:
- wieviele Beurteilungskategorien verwendet eine Person
bei der Beurteilung von anderen und sich selbst (i.d.R.
4-5)
bei Schneewind (1976): Willenskraft/Extravertiertheit/Rational vs. Emotional/emot. Stabilität; method. Problem war Beschränkung auf verbale Daten)
bei Hofer (1969): Diszipliniertheit vs Undiszipliniert/geistige Regsamkeit vs Trägheit/bescheidene Zurückhaltung vs Geltungsstreben/soziale Aufge- vs Verschlossenheit/Emfindsamkeit vs Robustheit) Problem: Lehrer rateten ihre Schüler)
wichtig: Verhalten wird i.d.R. nach solchen Ratings ausgerichtet. Generelles Problem: Personen können je nach Situation und Umfeld entgegengesetzte Extreme einer Kategorie aufweisen. Standardbeispiel: Pantoffelheld, der im Betrieb den Meister raushängen läßt und umgekehrt.
bei Schneewind (1976): Willenskraft/Extravertiertheit/Rational vs. Emotional/emot. Stabilität; method. Problem war Beschränkung auf verbale Daten)
bei Hofer (1969): Diszipliniertheit vs Undiszipliniert/geistige Regsamkeit vs Trägheit/bescheidene Zurückhaltung vs Geltungsstreben/soziale Aufge- vs Verschlossenheit/Emfindsamkeit vs Robustheit) Problem: Lehrer rateten ihre Schüler)
wichtig: Verhalten wird i.d.R. nach solchen Ratings ausgerichtet. Generelles Problem: Personen können je nach Situation und Umfeld entgegengesetzte Extreme einer Kategorie aufweisen. Standardbeispiel: Pantoffelheld, der im Betrieb den Meister raushängen läßt und umgekehrt.
- ist die Anzahl der verwendeten Personenattribute von
Person zu Person unterschiedlich
- welche Personenattribute und damit Kategorien werden
verwendet
Zum Halo-Effekt: Chelsea 1965, N = 5
Schülerinnen aus Wohnheim Ermittlung der Rangkorrelationskoeffizienten von
5 Persönlichkeitsmerkmalen (mutig, aufgeschlossen, ...), Vpn waren sehr
unterschiedlich. z.T korrelierten alle (sowohl positiv, als auch negativ). Somit
war nur eine Kategorie gegeben, die alle andere
überstrahlt/beeinflußt). Die mittlere Korrelation differierte
zwischen .05 und .62.
Aufgrund der Unterschiedlichkeit von Situationen (s.o.)
muß als weiteres abstraktes Konstrukt bei beobachtetem Verhalten immer
eine Ziel-Mittel-Relation angenommen werden, d.h. dem Handelnden wird
eine Intention zugeschrieben. Handeln := zielorientiertes Verhalten. Ein-
und dasselbe Verhalten kann durchaus zum Erreichen verschiedener Ziele benutzt
werden, dasselbe Ziel kann mit verschiedenen Verhaltensweisen erreicht werden.
Was kann der (Alltags-)Psychologe beobachten und was
muß er für Konstrukte bilden, damit er eine logische Beziehung
zwischen Situation und Verhalten herstellen kann:
beobachtbar:
|
Situation +
|
= Verhalten ->
Konsequenz |
nicht beobachtbare Konstrukte
als intervenierende d.h. vermittelnde
Variablen zwischen zwei beobachtbaren Sachverhalten
|
angenommene Personeneigenschaften
(überdauernd), Handlungsziele und Ergebniserwartungen; z. T.
bedingt durch Lerngeschichte
|
|
Wissenschaftliche
Persönlichkeitstheorien:
Differentielle (Persönlichkeits-)psychologie
:= interessiert sich für interindividuelle Unterschiede auch von
Einzelaspekten des Verhaltens und Erlebens, kümmert sich nicht unbedingt um
Gesamtpersönlichkeit (z.B. Testpsychologie)
(Allgemeine) Persönlichkeitspsychologie :=
interessiert sich für interindividuell gültige intraindividuelle
Zusammenhänge von Verhalten und Erleben, um vom einzelnen auf die
Gesamtheit zu schließen, dies auch und gerade für
Entwicklungsprozesse.
1.3 Persönlichkeit := (nach Bente)
- eigenschaftsorientiert: ...bei jedem Menschen
ein einzigartiges, relativ stabiles Verhaltenskorrelat (Herrmann, 1976) Das
impliziert: Das es nicht um konkretes Verhalten geht, sondern um aus konkretem
Verhalten abgeleitete Traits = Verhaltensdispositionen, die bei jedem Individuum
einzigartig (-> die Auflösung sollte hoch genug sein) und zeitlich
stabil sein sollten. Philosophisch kann darüber diskutiert werden, ob
Traits Konstrukte oder ontologisch existent sind, für Psychologen ist das
nur bedingt ein Problem.
- interaktionell: ...das relativ
überdauernde Muster wiederkehrender interpersoneller Situationen, die ein
menschliches Leben charakerisieren (Sullivan, 1947)
- phänomenologisch: ...die dynamische
Ordnung derjenigen psychophysischen Systeme im Individuum, die seine
einzigartigen Anpassungen an seine Umwelt bestimmen (Allport, 1959)
Generell: Persönlichkeit ist ein sehr allgemeines
hypothetisches Konstrukt, dessen endgültige begriffliche Bestimmung - wenn
überhaupt - am Ende der Persönlichkeitsforschung stehen kann”
(Herrmann, 1976).
Persönlichkeit ist ein Superkonstrukt, was
aus mehreren Teilkonstrukten (z.B. Intelligenz,
Intro-Extraversion/änglichkeit/Leistungsstreben etc) besteht, welche
ihrerseits verschiedene Dimensionen (wie verbale Intelligenz) haben, über
diese wird i.d.R eine meist quantitative Anbindung an die Empirie
versucht.
Wenn gemessen wird, welche Ausprägungen jemand in
den verschiedenen Dimensionen hat, sagt dies noch längst nichts
darüber aus, warum dies so ist. Einige Pers.-Theorien versuchen,
Entwicklung zu erklären, andere nicht.
1.4 Definition Person
- in Umwelt agierendes psychophysisches System
mit einem internen (d.h. nicht beobachtbaren) Erfahrungsmodell (von Selbst,
Umwelt und den vermittelnden Relationen = Beziehung Selbst-Umwelt) und
reflexivem Bewußtsein (was in seiner Reichweite und Kapazität
beschränkt ist) seiner selbst. Rückkopplungscharakter: internes
Erfahrungsmodell bedingt zusammen mit Situationen (Umwelt) Handlungen,
Handlungsresultate bedingen (verändern) Erfahrungsmodell und Situationen
(Umwelt).
Wiss: Persönlichkeitstheorien sollten auch die
Beschreibung, Erklärung, Vorhersage und Veränderung menschliches
Verhaltens erfassen. Persönlichkeits...
...beschreibung: ist nicht ohne Beschreibung der
Umwelt möglich.
...erklärung: muß bezug auf Status der
Umwelt und der internen Zustände der Person nehmen.
Zustandserklärung: Querschnitt (”Das kann er nicht, weil er
dumm ist”) Veränderungserklärung: Längsschnitt
(”Das kann er nicht, weil er es nicht gelernt
hat”)
...vorhersage: erwarteter zeitlicher Verlauf
einer Entwicklung, wobei die Aussagen immer Spielraum zulassen oder mehr oder
weniger wahrscheinlich eintreffen (Prognosewert). Generell gilt: je länger
Prognosezeitraum/desto mehr im selben Zeitraum mehr passiert (frühe
Kindheit), desto größer der Spielraum; je konstanter die
Umweltfaktoren, desto kleiner der Spielraum. Aber: bereits ab dem 3. LJ
gestalten Kinder ihre Umwelt aktiv (Carew 1977, Untersuchung über
Umwelt und Intelligenzvorhersagbarkeit) selber mit und Person und Umwelt
sind nicht mehr ohne weiteres zu trennen. Persönlichkeitsdimensionen sind
verschieden beständig in ihren Ausprägungen, Intelligenz ist eine
überdauerndere Eigenschaft als z.B. Werthaltungen (Hofstätter
1977). Anwendungen: Patienten verschiedenen Therapieformen zuordnen,
Berufsberatung, Personalauswahl, Studienzulassung etc.
...veränderung: - 3 mögliche
Interventionen: Prävention, Optimierung, Korrektion; direkte
(Einwirkung auf Person) vs. indirekte Interventionen (Einwirkung auf
Umwelt/ Bezugspersonen/System bis hin zur Sozialgesetzgebung)
Interventionen liegt stets eine antrophologische
Werthaltung zugrunde, d.h. bevor geändert wird, muß Konsens
darüber erzielt werden, was als Ziel wünschenswert ist (->
letztendlich Leidvermeidung). Dies ist eine präskriptive Aussage.
Daneben gibt es noch deskriptiven und explanative (=
wenn dann) Aussagen. Tatsache := bestätigte deskriptive Aussage,
Sachverhalt := unbestätigte deskriptive Aussage (-> Hypothese).
Präskriptive Aussagen entziehen sich einer empirischen
überprüfung, trotzdem können sie in die empirische Wissenschaft
eingehen. Sonst wäre ein zulässiger Standpunkt: Die Welt ist in
Ordnung und keiner braucht Psychologen.
Die Nichtzulassung von präskriptiven Aussagen ist
eine Präskription, mithin ein Paradox. Dito sind die Konventionen des
Wissenschaftsbetriebs bis hin zu den Qualitätskriterien
Präskription/Konvention. Die Lösung ist, als Wissenschaftler
anzugeben: Mit der Handlung x verändert man Zustand A in Zustand B. Ob B
wünschenswerter als A ist, ist Frage des gesellschaftlichen Konsens. Was an
x überhaupt erforscht wird (z.B. Gehirnwäsche etc.) hängt
ebenfalls vom Konsens sowie den Vorlieben der Wissenschaftler ab, wobei es hier
durchaus Spannungen geben kann. Solange präskriptive Elemente isolierbar
bleiben ”Menschen, die sich und andere unglücklich machen,
gehören therapiert -> Wenn..., dann”, stellen sie kein Problem
dar. Generell kann gesagt werden, daß Präskriptionen sich auf
empirische Begriffe beziehen (”Freiheit muß” ist keine
sinnvolle Aussage, solange Freiheit nicht operationalisiert ist) und daß
in die Bildung von emppirischen Begriffen immer auch
Präskriptionen/Konventionen eingehen.
2 Kriterien für wissenschaftliche
Aussagen:
- empirische überprüfbarkeit (bis auf
den präskriptiven Anteil, welcher allerdings isolierbar bleiben muß
und der in den Naturwissenschaften fast 0 ist);
- Termini/Schlüsselbegriffe werden eingeführt
und unzweideutig verwendet, entweder über sprachliche oder über
operationale Definitionen. Gerade letztere zeichnen sich dadurch aus,
daß Aussagen mit ihnen leichter falsifizierbar sind und somit
größeren Wert haben. ”Persönlichkeitsstärke
korrelliert nicht mit Intelligenz” ist mit zwei Testbatterien und
genügend VP sofort zu überprüfen und ggf. zu widerlegen.
Unterscheidung von MacQuorquodale und Meehl (1948):
Intervenierende Variablen sind Konstrukte, die (s.o.) zusammen mit der
Situation das sichtbare Verhalten erklären. Hypothetische Konstrukte
sind darüber hinaus noch in ein theoretisches System eingebettet und
haben damit eine Beziehung zu anderen Konstrukten, sie sind somit
bedeutungshaltiger. Vergleiche ”Situation+ängstlichkeit =
Weglaufen” vs ”Situation+ängstlichkeit
(=Mißerfolgserwartungen etc.) = Weglaufen (Fluchtreaktion).”
Mißerfolgserwartungen und Fluchtreaktion wären weitere
Konstrukte des theoretischen Systems. Eine Theorie ist somit die
übergreifendste Instanz wissenschaftlicher Modelle. Sie trifft u.a.
Festlegungen, welche Konstrukte erklärungsbedürftig und welche
erklärend sind. Auf der Theorieebene wird dies zunächst als Hypothese
formuliert, welche dann in empirisch überprüfbare Sahcverhalte
hinuntertransformiert werden. Nur so können Theorien bezüglich ihrer
Gültigkeit überprüft werden.
1.5 Ansprüche an wissenschaftliche Theorien:
1) Angabe des Geltungsbereiches (je größer
dieser bei gleichen Umständen, desto besser die Theorie),
2) Explizitheit,
3) Widerspruchsfreiheit,
4) überprüfbarkeit,
5) Gültigkeit/wenigstens ein Falsifikationsversuch fehlgeschlagen,
6) Sparsamkeit (Occam´s Razor)
7) Brauchbarkeit - eine Theorie steht nicht so im Raum, sondern hat einen Zweck, z.B. Leid zu mindern oder so. Lewin: ”Es gibt nichts praktischeres als eine gute Theorie” (-> Folie 36, Schneewind, S.78).
2) Explizitheit,
3) Widerspruchsfreiheit,
4) überprüfbarkeit,
5) Gültigkeit/wenigstens ein Falsifikationsversuch fehlgeschlagen,
6) Sparsamkeit (Occam´s Razor)
7) Brauchbarkeit - eine Theorie steht nicht so im Raum, sondern hat einen Zweck, z.B. Leid zu mindern oder so. Lewin: ”Es gibt nichts praktischeres als eine gute Theorie” (-> Folie 36, Schneewind, S.78).
Die Theorien fußen auf allgemeineren Annahmen zum
Menschen:
Modell: ist so definiert, daß es ein
Original repräsentiert, wobei es von bestimmten Merkmalen/Eigenschaften
abstrahiert (ein Spielzeugschif z.B. von der Größe und zu kleinen
Details).
Schneewind ordnet die Persönlichkeitstheorien drei
verschiedenen Sichtweisen vom Wesen des Menschen - Modellen - zu.
3 Persönlichkeitsmodelle:
- mechanistische Modelle, Wurzeln: moderner
Empirismus = Behaviourismus; ”Der Mensch ist reaktiv und determiniert,
d.h. Verhalten ist vollständig erklärbar, vorhersagbar und
kontrollierbar”. ->Watson; Freud ”Verhalten ist eine Funktion
personinterner und weitgehend unbewußt bleibender Abläufe wie
Triebimpulse, Angstaffekte und Abwehrmechanismen). z.T. sind auch
interaktionistische Ansätze deterministisch: Endler und Magnusson (1977):
Verhalten ist determiniert durch Situations- und Personenvariablen und deren
Wechselwirkungen (Grenzfall!). Problem: Nie wird jemand vollständig bekannt
sein, damit ist das Antezednez nicht erfüllbar.
- organismischen Modell, Wurzel ist Idealismus,
Mensch ist grundsätzlich aktiv, Reize sind nicht determinierend, sondern
nur Material zur nicht determinierten Weiterverarbeitung im Organismus) Metzger,
Piaget, Kohlberg; teleologischer Aspekt: Entwicklung wird als
zielbezogene Aktion (Adler, Horney, Sullivan) ->
Selbstverwirklichung.
Die Phänomenologische Tradition (Verhalten wird erst aus der Interaktion von Handlungsintention und subjektiver Situationsdeutung verständlich) lebt in der theoretischen Ausrichtung von Maslow und Rogers fort.
Die Phänomenologische Tradition (Verhalten wird erst aus der Interaktion von Handlungsintention und subjektiver Situationsdeutung verständlich) lebt in der theoretischen Ausrichtung von Maslow und Rogers fort.
- dialektisches Modell; auch organismischer/nicht
deterministischer Ansatz, Individuum ist auch aktiv, aber darüberhinaus:
Wurzel: historischer u.dialektischer Materialismus (Marx, 1818-1883). über
das organismische Modell hinausgehend wird die Abfolge von Veränderung,
Widerspruch, Auflösung postuliert. Dialektische
Entwicklungsgesetze:.
1) Wechselwirkungszusammenhang zwischen allen Gegebenheiten; 2) qualitativer Sprung bei allmählicher quantitativer Ansammlung (Prozeß auch umgekehrt möglich); 3) in allen Abläufen entstehen Widersprüche u. Konflikte: Aufhebung von These und Antithese in Synthese und 4) gefundene Synthese wird zum zur neuen These + neue Antithese -> Synthese auf höherer Ebene
z.B. bei Piaget: Akkomodation + Assimilation -> äquilibration
Antagonismus von Kapitaleignern und Lohnabhängigen bedingt Warencharakter der Arbeit; Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit führt zu Selbstentfremdung. Humanes Leben nur durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel möglich - Verbindung von Marxismus und Psychoanalyse (Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft, Fromm noch 1980). Kommunismus = Naturalismus = Humanismus. Relativierung dieser Position in der kritischen Sozialphilosophie der Frankfurter Schule, was wissenschaftstheoretisch interessant ist, da Holzkamps kritisch-emanzipatorische Psychologie (1972) aus dieser Ecke kommt.
1) Wechselwirkungszusammenhang zwischen allen Gegebenheiten; 2) qualitativer Sprung bei allmählicher quantitativer Ansammlung (Prozeß auch umgekehrt möglich); 3) in allen Abläufen entstehen Widersprüche u. Konflikte: Aufhebung von These und Antithese in Synthese und 4) gefundene Synthese wird zum zur neuen These + neue Antithese -> Synthese auf höherer Ebene
z.B. bei Piaget: Akkomodation + Assimilation -> äquilibration
Antagonismus von Kapitaleignern und Lohnabhängigen bedingt Warencharakter der Arbeit; Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit führt zu Selbstentfremdung. Humanes Leben nur durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel möglich - Verbindung von Marxismus und Psychoanalyse (Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft, Fromm noch 1980). Kommunismus = Naturalismus = Humanismus. Relativierung dieser Position in der kritischen Sozialphilosophie der Frankfurter Schule, was wissenschaftstheoretisch interessant ist, da Holzkamps kritisch-emanzipatorische Psychologie (1972) aus dieser Ecke kommt.
Auch Persönlichkeitstheoretiker haben bestimmte
Annahmen über das Wesen der menschlichen Natur, so wie sie hinter den
oben beschriebenen Modellen stehen, so daß ”jeder
Persönlichkeitstheoretiker die menschliche Natur von der besonderen
Perspektive seiner eigenen Individualität aus betrachtet.”, stellt
sich für ihn nicht zuletzt auch die Frage, ob siene Theorie geeignet ist,
ihn selbst zu erfassen. Hjelle und Ziegler (1976) entwickelten deshalb
ein System aus 8 Dimensionen, auf denen jede Persönlichkeitstheorie
eingeordnet werden kann und zu deren vollen Verständnis auch werden sollte.
- Freiheit vs. Determiniertheit
- Rationalität (Kelly) vs. Irrationalität
(Freud)
- Ganzheitlichkeit (Gestaltpsychologie) vs.
Elementarismus (Faktorenanalyse mit ortogonalen Faktoren)
- Konstitutionalismus (nature, Kretschmer) vs.
Environmentalismus (nurture, Watson)
- Subjektivität vs. Objektivität (Setzung
bezüglich der Verwendbarkeit von Daten aus
Selbstbeobachtung)
- Proaktiviät vs. Reaktivität
(organismische/dialektische Modelle vs. reaktive)
- Homöostase vs. Heterostase (Aufrechterhaltung des
Status X vs. Entwicklung mit Ziel, vgl. Selbstaktualisierungsansätze,
Charlotte Bühler)
- Erkennbarkeit vs. Unerkennbarkeit (inwieweit ist
Verhalten überhaupt aufzuklären? Watson vs. Rogers ”Erlebnisse,
Gefühle und Erfahrungen sind durch für ihren Träger
erkennbar”)
Zimmermann fügt 2 weitere Dimensionen
hinzu
- Historisch vs. ahistorisch (Grad der Bedingung der
Persönlichkeit durch Philogenese)
- Sozialität vs. Asozialität (kommt der
sozialen Umwelt im Vergleich zur sonstigen eine Sonderrolle
zu?)
Annahmen über den Menschen lassen sich zu einem
Modell des Menschenbildes verdichten, welches jeder Persönlichkeitstheorie
zugrunde liegt. Rückwirkend kann die Arbeit an einer solchen Theorie auch
die beiden anderen Elemente beeinflussen, so daß diese Trais untrennbar
verbunden ist.
1.6 Philosophische Wurzeln:
- empirischer Rationalismus (Hobbes, Locke 1632-1704,
Berkeley, Hume: materielle Substanz im Fokus, Reduzierung auf Beobachtbares
-> Behaviorismus). Unabhängig davon haben Vertreter dieser Position
wissenschaftstheoretische Leistungen erbracht (Carnap, Wiener Kreis), die
auch bei Ablehnung des Paradigmas anzuerkennen sind.
- idealistischer Rationalismus
(kontinentaleuropäisch, Spinoza, Leibnitz, Wolf; geistige Substanz im
Fokus) Leibnitz 1646-1717 auf Lockes ”Es ist nichts im Verstand,
was nicht vorher in den Sinnen war” - ”Außer der Verstand
selbst”. Daran anschließend: Kants Kategorien. Später
wuchsen im dt. Idealismus die Wurzeln der organismischen Modelle vom Menschen,
der ein sich im einzelnen Menschen manifestierendes schöpferisches Prinzip
annimmt. In dieser Tradition steht an der Grenze zum 20. Jh bei Schopenhauer
der ”Wille zum Leben”, bei Nietzsche die
Herrenmoral...bei den Existentialisten ist´s die Angst - alles zu
beschreiben als unbeobachtbare Triebfedern, die den Menschen aktiv machen.
Ebenfalls in diese Tradition gehören Bergson (1859-1941) der nicht
nur eine Lebensschwungkraft annahm, sondern auch eine Unterscheidung zwischen
Intellekt und Intuition vornahm. Er behauptete, daß die subjektiv
empfundene Zeit nie einer Messung zugänglich wäre. Dilthey
(1833-1911; ”Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen
wir”) stellte sich schließlich explizit gegen die Psychologie eines
Wundt oder Ebbinghaus und leistete Vorarbeit zu Husserls
(1859-1938) Phänomenologie, zu der die Psychologie durch Maslow, Stern
und Salber direkten Bezug hat. -> Psychologie von innen heraus, verstehen,
die Intentionalität nachvollziehen, so z.B. den Blick eines Hungrigen etc.
(Später aktuell im ”New look”). Am Rande bemerkt: zielloses Tun
kann demzufolge nicht nachempfunden und verstanden werden.
- marxistische Tradition: siehe oben unter
”Modelle”
Weitere Wurzeln:
medizinisch-biologische Tradition: Hippokrates
Typologie (Sanguiniker=Augenblicksmensch, Melancholiker, Phlegmaitker,
Choleriker), Porta (ähnlichkeit von Mensch und Tierköpfen),
Lichtenberg (Physiognomie); Franz Gall (Phrenologie/Schädellehre, erste
Lokalisationen), Kretschmer, Sheldon, Pinell (1745-1825 ;sah in psychisch
Gestörten erstmals Kranke -> Ablehnung von Zwangsmaßnahmen,
während vorher von Syphillis-Infizierte Personen mit dem Symptom der
progressiven Paralyse gerne als Hexen verbrannt wurden). Kraepelin
(Unterscheidung von Schizophrenie und mansich depressiver Psychose); In
Anschluß an Mesmers (-1825): ”Magnetismus” Wirkung nicht
sichtbarer Kräfte: Hypnosetechniken in Behandlung der Hysterie (nachdem
Physiologie nicht weiterkam) (Charcot, Janet, Freud); biologische Einflüsse
durch Darwin, Brückes Rezeption des 2. Hauptsatzes der
Thermodynamik, die von Freud übernommen wurde ”der Mensch ist ein
offenes dynamisch-physiologisches System, das nach dem Prinzip der Erhaltung der
Energie funktioniert.”
mathematisch-statistische Tradition:
kontra Experiment - aber Annahme der Gültigkeit von mathematischen Gesetzen für nicht-ausgedehnte Substanz wie Geist (Herbart, 1776-1841), schnell Aufgabe des nichtexperimentellen Charakters: über die Regelmäßigkeiten erfahrbarer psychischer Phänomene lassen sich mathematische Gesetzmäßigkeiten aufstellen -> Psychophysik (Müller, Fechner, Weber, Stevens). Interindividuelle Unterschiede die von Wundt als Störfaktoren in Untersuchungen der Allgemeinen Psychologie gesehen wurden, hat J. McKeen-Cattell (1864-1944) erfaßt und mathematisch quantifiziert. Der Kontakt zu Galton (während eines Camebridge Aufenthaltes), der über große Mengen an Testdaten verschiedener Personen z.B zur Wahrnehmungsleitsungen verfügte, machen J.M: Cattell nach seiner Rückkehr zum Vater der Differentiellen Psychologie in den USA. Pearson (1857-1936) hat zusammen mit Galton (einem Neffen Darwins, 1822-1911) den Korrelationskoeffizienten (1895) und Chi^2 Test entwickelt. Binet und Simon: Intelligenztest (1905). Spearman (1863-1945): Aufspaltung der Intelligenz in Faktoren (1907), später Weiterentwicklung der Faktorenanalyse durch Thurstone (1937), Einmündung in Faktorentheorien der Persönlichkeit: Eyesenck (1953), Guilford(1964) und B. Cattell (1973)
kontra Experiment - aber Annahme der Gültigkeit von mathematischen Gesetzen für nicht-ausgedehnte Substanz wie Geist (Herbart, 1776-1841), schnell Aufgabe des nichtexperimentellen Charakters: über die Regelmäßigkeiten erfahrbarer psychischer Phänomene lassen sich mathematische Gesetzmäßigkeiten aufstellen -> Psychophysik (Müller, Fechner, Weber, Stevens). Interindividuelle Unterschiede die von Wundt als Störfaktoren in Untersuchungen der Allgemeinen Psychologie gesehen wurden, hat J. McKeen-Cattell (1864-1944) erfaßt und mathematisch quantifiziert. Der Kontakt zu Galton (während eines Camebridge Aufenthaltes), der über große Mengen an Testdaten verschiedener Personen z.B zur Wahrnehmungsleitsungen verfügte, machen J.M: Cattell nach seiner Rückkehr zum Vater der Differentiellen Psychologie in den USA. Pearson (1857-1936) hat zusammen mit Galton (einem Neffen Darwins, 1822-1911) den Korrelationskoeffizienten (1895) und Chi^2 Test entwickelt. Binet und Simon: Intelligenztest (1905). Spearman (1863-1945): Aufspaltung der Intelligenz in Faktoren (1907), später Weiterentwicklung der Faktorenanalyse durch Thurstone (1937), Einmündung in Faktorentheorien der Persönlichkeit: Eyesenck (1953), Guilford(1964) und B. Cattell (1973)
4 Geschichtliche Grundströmungen seit Beginn der
wissenschaftl. Psychologie:
- Klinische Beobachtung (Charcot, Janet, Freud, Jung,
McDougall)
- Gestaltpsychologie (William Stern, ”Verhalten
ist Einheit”)
- Lernpsychologie/Experimentalpsychologie (Hull; Watson,
Ebbinghaus) Formalisierung von Versuchen und Theorien
- psychometrische Traditionen (Pearson, Cattell)
Verfeinerung in Messungen und Verbesserungen in Datenanalyse
Persönlichkeitstheoreitker waren meist klinische
Praktiker und konnten deswegen die von den Experimentalpsychologen postulierte
Kontrolle aller Störvariablen nicht leisten und machten diese zum
Gegenstand ihrer Untersuchungen. Ihre Theorien waren oft etwas vage formuliert,
dafür hatten sie den Vorteil der Anwendbarkeit (komplexerer
Gegenstandsbereich).
Konstitutionspsychologie
Lange Tradition, von Hippokrates (Unterscheidet 4
Menschentypen, bei denen jeweils ein unterschiedlicher Körpersaft
vorherrschen soll und hatte damit gut Einfluß auf die Umgangssprache:
Choleriker) über Lavater bis zu Kretschmer und Sheldon.
Typus := Bezeichnung einer gemeinsamen
Grundstruktur unter Hervorhebung der wesentlichen und Vernachlässigung der
übrigen Merkmale. Die Behauptung einer Abhängigkeit von
Persönlichkeit zu Körperbau vollzieht sich in 3
Schritten:
1) Bündelung von Körperbaueigenschaften
zu Typen
2) Bündelung von Charaktereigenschaften zu Typen
3) statistischer Nachweis einer Korrelation
2) Bündelung von Charaktereigenschaften zu Typen
3) statistischer Nachweis einer Korrelation
Dies setzt voraus, daß sowohl die Körperbau-
und die Charaktereigenschaften quantifiziert werden müssen,
phänomenologischen Typisierungen sind somit ungeeignet für die
Konstitutionspsychologie.
2.1 Darstellung Kretschmer
Ernst Kretschmer 1888-1964. Hauptwerk
”Körperbau und Charakter” 1921. Ausgangspunkt: in
klinischer Tätigkeit fiel auf, daß bestimmte psychische
Störungen mit bestimmten körperlichen Konstitutionen in Zusammenhang
stehen könnten. Kretschmer ging von 3 phänomenologischen (extremen)
Körpertypen aus, denen er im nächsten Schritt in einem
Diagnoseschema bestimmter Werte zuordnete, wobei er eine Vielzahl von Indizes
benutzte.
Pykniker := starke Umfangsentwicklung der
Eingeweidehöhlen, im Verhältnis grazile Ausbildung des
Bewegungsapperats. pyknós: grch. gedrungen;
Leptosom := schlacksig; Spargeltarzen; geringes
Dickenwachstum bei relativ großem Längenwachstum. leptós:
grch. dünn.
Athlet: starke Skelett- und
Muskelentwicklung
Dysplastische Wuchsformen: Anomalitäten,
gleichzeitig starke Einschläge von verschiedenen anderen Kategorien,
Verwüchse.
Mischtypen wie Du und ich sind mit diesem Schema nicht
erfaßt. 3 Kategorien der psychischen Störungen:
Manie/Depression: i.d.R. zyklisch verlaufende
Störung im affektiven Bereich, die Patienten ohne ersichtlichen Grund
todtraurig oder übererregt/aggressiv machen
Schizophrenie: i.d.R. mit Halluzinationen und
Denkstörungen/Einbildungen einhergehende progressive und (in Schüben
verlaufende) Störung, endet unbehandelt meistens in
Persönlichkeitszerfall. 3 Unterarten: paranoide S., hepephrene S. =
”Jugendirresein”: Beginnt im Jugendalter, Störungen im
Ausdruckverhalten und Stimmungsschwankungen, katatone Schizophrenie:
Unruhezustände, extreme Bewegungsstörungen mit Versteifungen bis zum
Stupor (äußerliche Starrheit und Eindrucksunfähigkeit bei
innerlicher Erregung bis zum Kreislaufzusammenbruch).
Epilepsie: hirnorganisches Anfallsleiden, je nach
Schwere der Krampfanfälle Verstimmungen, kurzfristige
Wahrnehmungstrübungen, Bewußtlosigkeit.
Ergebnisse der Korrelationen:
manisch-depressiv
Pygniker: 0,78
dysplastisch: -0,8
leptosom: -0,45
Pygniker: 0,78
dysplastisch: -0,8
leptosom: -0,45
Schizophrenie:
Leptosom: 0,46
Pygniker: -0,43
Leptosom: 0,46
Pygniker: -0,43
Epilepsie:
dysplastisch: 0,53
Athlet: 0,32
dysplastisch: 0,53
Athlet: 0,32
Wolfgang Kretschmer, Sohn von E.K. führte dessen
Arbeit weiter. Er definierte Temperament als ”geformte Energiereserven in
Elementarzuständen” und als umweltstabil. Aus dem (angeborenen)
Temperament und den Umwelteinflüssen entsteht der Charakter. Nachfolgend
eine von W.K. auf die Normalbevölkerung ausgedehnte Typologie, wobei er
seine Befunde mit größeren VP-Zahlen (6.000)
stützte.
2.2 Darstellung Sheldon
William Sheldon, 1899-1977. Hauptwerk: ”The
variation of human physics: an introduction into constitutional
psychology”, 1940. Arbeitete fast ausschließlich an
Konstitutionspsychologie. Seine Definition von Konstitution: ...jene Aspekte des
Individuums, die verhältnismäßig fest und unveränderlich
sind wie Morphologie (nicht im Kölner Sinn!) und Physiologie. Sie kann
jenen Aspekten entgegengesetzt werden, die im Vergleich eher unbeständig
sind und modifiziert werden können z.B. durch Erziehung oder sonstige
Umwelteinflüsse. Sheldon wäre, wenn er heute geboren wäre,
wahrscheinlich Erbbiologe, mußte sich aber gemäß dem
Wissensstand seiner Zeit mit der leichter zugänglichen Morphologie der
Körper befassen. Sheldon postulierte verschiedene
”Morphogenotypen”, die als hypothetisch-biologische
Strukturen (z.B. komplexere Einheiten des Genotyps) dem Phänotypen (sowohl
des Verhaltens als auch des Körperbaus!) über die gesamte Lebensdauer
zugrundeliegen. Da er keine Mittel hatte, diesen Morphogenotypen direkt aus dem
Erbgut zu schätzen, näherte er sich diesem über die Ermittlung
von Konstanten im Verhaltens- und Körperproportionen. Die so gewonnenen
abstrakten Einheiten nannte er Somatotypen, um deutlich zu machen, daß sie
nur ein Versuch der Annäherung an den MGT sind, ohne ihn dabei
zwangsläufig genau zu treffen.
Bereits im frühen 19. Jh hat Embryologie
herausgefunden, daß die befruchtete Eizelle in frühen
Entwicklungsstadien aus drei Keimblättern besteht
endodermes/inneres K.: verantwortlich für
Wachstum von inneren Organen (insbes. Verdauungstrakt)
mesodermes/mittleres K.: dito für Muskeln,
Skelett, Bindegeweben
ektodermes/äußeres K.: dito für
Nervensystem und Haut
Zur Bestimmung der Körpertypen ging Sheldon
wie folgt vor:
Er fotografierte 4000 männliche Vpn in
Standardpositionen. Es ging darum, zwischen den Individuen unterscheidende
Körpermerkmale zu finden, welche folgenden drei Kriterien entsprechen
mußten.
1) eindeutige Bestimmbarkeit für jede
Person
2) intersubjektive übereinstimmung bei der
Beurteilung einer Person
3) sie durften nicht aus schon definierten
Merkmalen erschließbar sein (l.u.)
Dabei blieben lediglich 3
”Primärkomponenten” übrig, welche Sheldon nach den
Keimblättern benannte.
1) Endomorphie: Weich- und Rundwüchsigkeit.
Starke Entwicklung des Verdauungstrakts.
2) Mesomorphie: harte Körperform, Knochen
und Muskeln vorherrschend.
3) Ektomorphie: Zierlichkeit des Körpers,
schwach entwickelte Muskeln, ”relativ größeres ZNS”
Kretschmers Pykniker ist nach Sheldon eine Mischung aus
Endo- und Mesomorphem. Im nächsten Schritt wurden alle Fotos im Hinblick
auf diese 3 Primärkomponenten geratet. Anschließend wurden alle
möglichen anthropometrischen Maße (zumeist Durchmesser von
Körperteilen) genommen und von diesen diejenigen ausgesucht, die die
Unterschiede in der Ausprägung der Primärkomponenten erklären
konnten, d.h. damit korrelierten. So blieben 17 Maße, alles Quotienten,
übrig. (z.B: Ponderal = Schwereindex:
Körpergröße/(Gewicht)^1/3; TI- = Rumpf-Index Umfang
Torso(Brutkorb)/Abdomen(Bauch)) Diese ermöglichten es nicht nur, einen
Gesamtausprägung von 1-7 auf der Skala jeder Primärkomponente
anzugeben, sondern auch, diese jeweils unabhängig für 5
Körperregionen zu bestimmen (Kopf-Hals, Brustkorb, Arme, Bauch und Beine).
Notation: endo-meso-ekto. Sheldon legte fest, daß die Summe der
Ausprägung der drei Primärkomponenten zwischen 9 und 12
(einschließlich) liegen muß. Somit sind nicht die vollen 7^3 = 343
Varianten zugelassen. Tatsächlich entdeckte Sheldon nur 76 verschiedene
Kombinationen im ursprünglichen Sample von 4.000. Selbst als es auf das
Zehnfache ausgedehnt wurde, erhöhte sich die Zahl der Typen nur auf 88.
Später wurde das Dimensionsschem dahingehende verfeinert, daß auch
0,5 Abstufungen erlaubt waren und die Auflösung pro Dimension auf 13
erhöht wurde.
Zur genaueren Berschreibung der Individuen über
eine Klassifizierung hinaus entwickelte Sheldon Sekundärkomponenten. 3
davon sind der...
d-Index (Dysplasie): wurde von Sheldon
quantifiziert, was methodologische sicherlicher besser ist als Kretschmers
Restekategorie. Die Abweichungen der Körperregionen pro Dimension wurden
addiert. Somit ergeben sich 3 Dysplasiewerte für jedes Individuum, welche
ihrerseits summiert werden können.
g-Index (Gynandromorphie): gibt an, in welcher
Ausprägung Merkmale des anderen Geschlechts vorhanden sind. 1 = keine
sichtbaren Anzeichen, 7 = Hermaphroditismus. Unterscheidung zwischen
primären g-Index (Foto-Rating) und sekundärem g-Index (nach
Gesprächen mit Person)
t-Index (Texturindex): etwas problematische
Konstruktion, zunächst so angelegt, daß er mit
”Oberflächenfeinheit” korreliert (z.B. Feinheit des Haares),
nachher wurde nur noch postuliert, daß dieser Wert die (hoch
kulturspezifische!!!) ästhetische Gefälligkeit eines Individuums
angibt. Keiner konnte je die 7 erreichen.
Sheldon behauptete, daß sich die körperliche
Erscheinung des Somatotyps unabhängig von Alter und Ernährung nicht
ändert, da diese auf relativen Maßen beruht, so konnte er eine
lebenslange relative Konstanz des TI-Indes nachweisen. In bestimmten Phasen
seines Lebens war sich Sheldon dieser Behauptung jedoch nicht mehr völlig
sicher und ließ Statements wie ”zur genauen Feststellung des
Somatotyps braucht es eine Längschnittbeobachtung über mindestens ein
Leben” vom Stapel, des weiteren hielt er Fotos aus allen Lebensaltern und
die ”Gewichtsgeschichte” für sinnvoll bis notwendig.
Sheldon entwickelte Methoden zur direkten Ermittlung der
wichtigen anthropometrischen Werte von Fotos, später konzipierte er auch
Tabellen, in denen ausgehend vom Ponderal-Index und dem Lebensalter (in
5-Jahresstufungen) anhand einiger weniger zusätzlicher Maße die Werte
der Primärdimensionen abgelesen werden konnten.
Ermittlung der
Charaktereigenschaften:
Sheldon übernahm aus Literatur Liste mit 650
Eigenschaftsbegriffen, strich sich überlappende Begriffe. Es blieben 50
übrig. Anhand dieser wurden 33 Vpn (natürlich jung,
Collegestudenten/absolventen und männlich) sorgfältigst (ein Jahr
Beobachtung, 20 analytische Interviews) geratet. Diese wurden in der Weise in
Gruppen zusammgengefaßt, daß nur Eigenschaften mit positiven
Korrelationen > 0.6 zu allen anderen derselben Gruppe und <-0.3 (beides
willkürlich festgelegt) zu allen Eigenschaften aller anderen Gruppen
jeweils eine Gruppe bildeten. Es blieben 3 Gruppen und 22 Eigenschaften. Sheldon
ergänzte diese Liste mit Eigenschaftsdimensionen, von denen im allgemeinen
angenommen wird, daß sie eine hohe Konstanz über die Zeit besitzen
und kam so auf einen Pool von 78 Eigenschaften, aus denen in einer
abschließenden Interkorrelationsstudie (100 Vpn) auf 20 pro Faktor
reduziert wurden. Beispielhafte Aufzählung:
Viscerotonie: Hang zur Bequemlichkeit,
Geselligkeit und gutem Essen, gleichmütig und
unkompliziert
Somatonie: Selbstsicher, energisch,
rücksichtslos, Vorliebe für körperliche Abenteuer,
risikofreudig
Zerebrotonie: Zurückhaltung, Hemmung,
soziophob, sich-verbergen-wollen, überschnelle Reaktion, schlechter Schlaf,
hektisch
Viscerotonie und Zerebrotonie sind oft entgegengesetzt
(guter vs. schlechter Schlaf, gemütlich vs. überwach), wohingegen der
Somatone eher das unzivilsierte Tier ist.
Eine Einordnung von Individuen auf jeder der drei
Temperamentsdimensionen erfordert...mindestens ein Jahr
Längsschnittuntersuchung mit wenigstens 20 analytischen Interviews, wonach
für soviele der 60 Eigenschaften wie möglich Werte (von 1 - 7) gegeben
werden müssen.
Sheldon entdeckte Korrelationen von rund 0,8 (=
64% Varianzaufklärung) für die Zusammenhänge Viscerotonie -
Endomorphie, Somatonie - Mesomorphie und Zerebrotonie -
Ektomorphie.
In weiteren Studien versuchte er seine Typisierungen
auch für Geisteskranke und Delinquenten zu verwenden, was notwenidg machte,
daß er zunächst die Geisteskrnakheiten auch in eine 7stufigen
dreidimensionalen Skala quantifizierte (manisch-depressiv=affektive, paranoide
Schizophrenie, hebephrene Schizophrenie). Keine hohen Korrelationen.
Delinquenten sind Mesomorph, weniger endomorph, seltenst ektomorph.
Sheldon schreibt zum Thema Entwicklung, daß diese
vor allem in ihren Grenzen von den Anlagen determiniert ist. über das
Unbewußte: ”Das Unbewußte ist der Körper”
(1949).
2.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Beiden Theorien liegt ein mechanistisches
Menschenbild zugrunde. Kretschmer legt hierbei ein Schwergewicht auf die
genetische Determination, wohingegen Sheldon auch Wechselbeziehungen zwischen
Umwelt und Konstitution einräumt, so daß
Persönlichkeit/Verhalten nicht bei Geburt schon vollständig
determiniert ist (siehe Erklärungen 1,2,4 für gemeinsames Auftreten
von körperlicher Konstitution und Charakter).
Kretschmer ging von körperlichen Extremtypen
(3 durch diskrete Merkmale charakterisierte Prototypen und Dysplasie als
Restkategorie) und psychopathologischen Erscheinungen aus, die
Normalität liegt mithin nicht im Fokus seiner Theorie, wohingegen
Sheldon mit seinen skalierten Primärkomponenten die gesamte
Bandbreite vom Normalen zum pathologischen abdeckt.
2.4 Kritik
Generell heißen hohe Korrelationskoeffizienten
nicht, daß zwangsläufig ein genetischer Zusammenhang zwischen
Körperbau und Charakter besteht. Hall und Lindzey haben 4
Erklärungsmöglichkeiten zusammengetragen:
1) Körperbau determiniert Verhalten. So
haben stärkere Kinder beim Prügeln mehr Erfolgserlebnisse und werden
diese Strategie verstärkt anwenden.
2) bestimmte Verhaltensweisen werden in
Abhängigkeit vom Körper sanktioniert/verstärkt. Hier sind
allgemein akzeptierte Stereotypien am Werk
3) Umwelteinflüsse determinieren sowohl
Körperbau als auch Charakter, so z.B. da überbehütete Kind,
welches auch noch gemästet wird dick, außerdem unselbständig,
was in unserer Gesellschaft depressiv machen könnte.
4) genetische Einflüsse determinieren sowohl
Körperbau als auch Charakter.
Während Kretschmer vor allen Dingen 4) postulierte,
ließe Sheldon als Erklärung für seine Ergebnisse auch 1) und 2)
zu, während 3) eher die Position des Behaviourismus widerspiegelt, den
Sheldon zu bekämpfen versuchte. Ethisches Problem beider Theorien ist,
daß sie als ”self fullfilling prophecies” die entsprechenden
Korrelationen erhöhen und Menschen damit durchaus auch zum Nachteil
gereichen können.
Sowohl Sheldon als auch Kretschmer nehmen ein
Kontinuum von gesund zu krank an. Während dies bei der Depression
noch halbwegs plausibel sein mag, ist zumindest Kretschmer entgegenzuhalten,
daß dies für epileptische Störungen Blödsinn ist.
Beide Theorien sind keine Persönlichkeitstheorien,
weil sie den deskriptiven Pfad nie verlassen haben und zur Erklärung nur
bedingt, zur Vorhersage und gar Intervention noch viel weniger taugen. So
thematisiert keine beider Theorien einen möglichen
Entwicklungsverlauf.
Darüberhinaus gehen beide von einer
Determiniertheit aus, so daß Ziel einer Therapie nicht Heilung, sondern
Coping sein kann.
Hohe Korrelationen ergeben sich zum Teil auch daduch,
daß entsprechend wenig Dimensionen miteinander verrechnet werden. Beide
Autoren glänzen nicht gerade durch Differenziertheit.
Verdienst beider Theorien ist die Relativierung des vor
allem in Amerika tobenden Behaviorismus, gerade weil der deterministischer
Ansatz sich weder mit dem american dream noch mit vielen Menschenbildern
verträgt. Sheldon seine Arbeit in weiten Phasen seines Schaffenns
diesbezüglich auch richtig eingeschätzt. Er sah seinen Ansatz nur als
Korrektiv, nicht als Ersatz einer Allgemeinen Psychologie und meinte, die
Synthese sollte Psychologen nach ihm vorbehalten werden. Beide Autoren haben
eine Menge von Arbeiten provoziert, was sicherlich auch als Verdienst zu werten
ist.
Fazit ist: im Ansatz steckt wohl mehr als ein
Körnchen Wahrheit, jedoch sind die postulierten Zusammenhänge nicht in
dieser Stärke gegeben und ursächlich nur schwer aufzuklären
(s.o.)
An Kretschmer
Kretschmers Typologie ist sowieso im Hinblick auf
Extremtypen konstruiert und macht somit gar keine Aussagen über den
größten Teil der Population. Er ging aus von der Pathologie, und hier
auch nur von der Depression und der Schizophrenie, bereits beim Zusammenhang von
Athleten und Epilepsie müssen große Abstriche gemacht werden. Der
Fokus, wenn nicht sogar der Geltungsbereich der Theorie liegt lediglich beim
schizoiden und zykloiden Typen.
Er hat die Altersvariable nicht kontrolliert.
Mansich-depressive Psychosen brechen häufig erst im Alter aus. Daß
dann in unserer Gesellschaft sich die Leute gleichzeitig auch die Bäuche
fettgefressen haben, spricht nicht für einen Zusammenhang irgendeiner Art.
Wenn Kretschmer seine Zusammenhänge als
Kausalitäten verkauft hat, so spricht das nicht für ihn.
An Sheldon
Verdienst von Sheldon ist auch, daß er Verfahren
zur anthropometrischen Messung entwickelte, die von anderen Disziplinen benutzt
werden.
Sheldon hat alle Ratings selber vorgenommen, wobei er
jede Person, die er charaktermäßig ratete, für wenigstens ein
Jahr beobachtete. Wenn er vorher eine subjektive Theorie über Zusammenhang
von Körperbau und Charakter hatte, kann sich diese durchaus bereits in der
zuerst angefertigten Charakterbeurteilung niedergeschlagen haben. Gerade eine so
intensive Beschäftigung mit den Probanden führt sicherlich zu einem
bias. Sheldon konterte hier, daß ein rating von persönlich unbekannte
Subjekten wissenschaftlich sicherlich noch viel bedenklicher sei. Er
erklärte die hohen Korrelationskoeffizienten damit, daß er das zu
ratende Verhalten bereits vorher nach Konstanz ausgesucht hatte. Trotzdem
wäre eventuell ein Blindversuch mit über die Theorie nicht
aufgeklärten Charakterratern angesagt gewesen, vor allem, wenn sowieso ein
so hoher Aufwand betrieben wurde. Dafür hätte es auch ein Viertel der
Vpn getan.
Dies erklärt diese trotzdem nicht ganz, denn trotz
des hohen methodologischen Aufwands gelang es nicht, die Ergebnisse zu
Replizieren. Die festgestellten Korrelationen blieben durchweg deutlich unter
denen Sheldons.
Humphreys hielt Sheldon entgegen, sein System habe durch
die Beschränkung der Quersumme (9 <= x <= 12) nur zwei statt drei
unabhängige Dimensionen und verwies auf Korrelationen zwischen Endo- und
Mesomorphie, was Sheldon dadurch ausräumte, daß er neue Daten zu
seinem ursprünglichen Sample hinzunahm, wonach diese Korrelation nicht mehr
nachzuweisen war.
Die Tatsache, daß Sheldon genau auf 3
Charakterdimensionen stieß, liegt einzig und allein an der
willkürlichen Festlegung der Gruppierungskriterien (>0.6/>-0.3). Das
hätte man auch anders machen können.
Psychoanalyse
Freud entwickelte Gegenposition zu der Anfang des
20. Jh vorherrschende Strömungen der Bewußtseinspsychologie
(Elementen- und Gestaltpsychologie), indem er postulierte, daß das von
ihm sogenannte Unbewußte die Kontrolle über bewußte Gedanken
und Handlungen hat. Ohne die Analyse des Unbewußten sind die dem Verhalten
zugrundeliegenden Motive nicht zu verstehen. Eisberg-Methapher für
die Seele: Sichtbar/bewußt ist nur der kleinste Teil.
Sigmund Freud wurde 1856 in Mähren geboren, 1939 in
London (im Exil, da er Jude war) gestorben, lebte und lehrte dazwischen in Wien.
Im Laufe seiner Ausbildung hatte Freud nach seinem Studium der Medizin
(Neuropathologie) Kontakt zu dem französischen Psychiater Charcot,
der hysterische Symptome zeitweise durch Hypnose zum Verschwinden bringen
konnte. Nach Rückkehr Kontakt zu J.Breuer, der Hysterie mit mehr
Erfolg durch darüber-sprechen (Katharsis) behandelte. Nach
anfänglicher Zusammenarbeit (1895) Bruch wegen Freuds Postulat, daß
die Ursachen für Hysterie sexuelle Konflikte sein. Erstes wichtiges Werk:
Die Traumdeutung (1900), danach lebenslange Entwicklung seiner
Persönlichkeitstheorie genährt von seiner klinischen Arbeit. Wichtiger
Einfluß von E.W.Brücke, der den Mensch als dynamisches, den
Gesetzen der Natur unterworfenes System (1. HS Thermodynamik) sah. Zahlreiche
Schüler sammelten sich um ihn, aufgrund seiner seiner Weigerung, seine
Ideen abzuändern, kam es mit zahlreichen von ihnen, u.a. Jung und Adler
zum Bruch.
Hauptinhalt seines Lebenswerkes: Entwicklung der
psychoanalytischen Neurosenlehre und der Technik der
Psychoanalyse. Anwendung der Psychoanalyse auch in Geistes- und
Sozialwissenschaften und Künsten.
Die Struktur der
Persönlichkeit:
Drei Hauptsysteme: es, ich, über-ich: die in
dynamischer Interaktion miteinander die Persönlichkeit ausmachen. Jedes
System hat eigene Funktionen, Komponenten und Eigenschaften, kann aber nicht
isoliert betrachtet werden.
Das ES (biologische Komponente):
...ist das ursprüngliche (schon bei Geburt
vorhandene) System, aus dem ich und über-ich sich ausdifferenzieren. Enge
Verbindung zu körperlichen Prozessen, auch primäre Energiequelle, die
die anderen beiden Systeme mit Kraft versorgt. Das ES ist “die wahre
psychische Realität”, weil es die innere Welt der Subjektiven
Erfahrung repräsentiert. Es hat kein Wissen von der
“objektiven” Realität. Das Es ist nur begrenzt mit Spannung
belastbar und muß deswegen ein zuviel an Erregung sofort entladen (prinzip
der der Spannungsreduktion = Lustprinzip/Gewinnung von Lust, Vermeidung
von Schmerz). Dazu stehen zwei Prozesse zur Verfügung: Reflexe
(Lidschluß, Pupillenverengung, Niesen etc.) und der
Primärprozeß dieses erzeugt ein Bild eines Objekts, welches
die Spannung beseitigen kann (z.B. Nahrungsmittel), was Freud halluzinatorische
Wunscherfüllung nennt. Er interpretiert beim gesunden Menschen vor allem
Träume in diese Richtung. Pathologische Formen sind Wahnvorstellungen und
autistisches Denken (totales Fehlen von Emphatie). Da Primärvorgang die
Spannung nicht aufheben kann, muß sich ein sekundärer psychischer
Prozeß ausbilden, der Zugriff auf die Realität hat:
Das ICH (psychologische
Komponente):
kann zwischen Wunsch, Erinnerungsbild und der
Realität unterscheiden. Es steht unter Kontrolle des
Realitätsprinzips, was mittels des Sekundärvorgangs
funktioniert. Ziel ist die Verhinderung der Spannungsreduktion bis zum
Vorhandensein eines angemessenen Objekts, es wirkt damit dem Lustprinzip (bzw.
den Primärprozessen) entgegen. Das Ich ist das Vollzugsorgan der
Persönlichkeit, da es die Instanz für
Realitätsüberprüfung und damit für Handeln ist. Das Ich hat
Kontrolle über alle kognitiven Funktionen, es vermittelt zwischen sich, dem
es und dem über-ich.
Das über-Ich (soziologische
Komponente):
Innere Repräsentanz traditioneller Werte und
Ideale (Introjektion/Internalisierung elterlicher Grundsätze führt
zum Entstehen einer Selbstkontrolle). Es besteht aus dem Gewissen (was
darf ich nicht tun, wofür bin ich bestraft worden, später auch
Selbstbestrafung durch Schuldgefühle) und dem Ich-Ideal (was soll
ich tun, wofür bin ich belohnt worden, später Selbstbelohnung durch
Stolz). Hauptfunktionen: Hemmen von Es- Impulsen (gegen Es), Ersetzung
realistischer durch ethische Ziele (gegen Ich), Streben nach Vollkommenheit. Es
ähnelt dem Es in der Irrationalität und dem Ich in der Kontrolle
über die Triebe, blockiert jedoch triebhaftes Verlangen, anstatt es wie das
Ich nur aufzuschieben.
3.1 Die Dynamik der Persönlichkeit
Freud postulierte, das psychische Energie in
physische umgewandelt werden konnte und umgekehrt. Der Berührungspunkt
des Körpers mit der Seele ist somit die biologische Komponente, das
Es.
Der Trieb ist die “psychische
Repräsentanz einer kontinuierlich fließenden, innersomatischen
Reizquelle”. Körperlicher Erregungszustand = Bedürfnis
(Unterzuckerung), psychische/phänomenologische Entsprechung = Wunsch
(empfundener Hunger). Der Trieb übt selektive Kontrolle aus, indem er
die Sensitivität des Organismus für bestimmte Reize erhöht, der
Wunsch ist Verhaltensmotiv. Freud glaubte, daß der Organismus durch
externe Stimuli (Außenwelt ) aktiviert werden kann, wichtiger sind jedoch
die endogenen Triebe, da man ihnen nicht ausweichen kann. Der gesamte
Energiebetrag der einer Person zur Verfügung steht, ist definiert als die
Summe der Triebe.
Vier Merkmale eines Triebes: Quelle =
Bedürfnis, Ziel = Beseitigung des Bedürfnisses, Objekt =
die gesamte Aktivität, die zwischen Quelle und Ziel liegt, Drang =
Kraft des Triebes, determiniert durch Stärke des zugrundeliegenden
Bedürfnisses. Das Ziel eines Triebs ist regressiv, da mit der
Beseitigung der Erregung der Zustand vor deren Entstehung wiederhergestellt
werden soll. Wiederholungszwang: die Spannungsreduktion zur
Aufrechterhaltung der Homöostase wir lebenslang wiederholt. Quelle und
Ziel eines Triebes (abgesehen von Reifungserscheinungen) stehts konstant, das
Objekt hingegen ist höchst variabel, weil die psychische Energie
verschiebbar ist. Bei Nichterreichen eines Objekts kann die Energie auf ein
anderes Objekt (Handlung) verschoben werden. Fließt Triebenergie in
Ersatzobjekte, so handelt es sich um Triebabkömmlinge, z.B.
Interessen, Gewohnheiten, Geschmacksrichtungen...
Alle Triebe können unter die Gruppen der
Lebenstriebe (Libido oder Eros) und Todestriebe (Thanatos)
eingeordnet werden. Der Aggressionstrieb ist die nach außen gerichtete
Tendenz zur Selbstzerstörung. Das ursprüngliche Ziel des Thanatos
stammt von G.T. Fechners Konstanzprinzip, welches dem 2.HS der
Thermodynamik entspricht: Alles Leben strebt nach der relativen Stabilität
der anorganischen Materie.
Die Dynamik der Persönlichkeit ist durch die
Aufteilung der Energie zwischen Ich, Es und über-Ich begründet. Da die
Energie konstant ist, geht Energiegewinn eines Systems stets zu Lasten der
beiden anderen Systeme. Das Es im Besitz aller Energie, diese ist dort jedoch
besonders leicht verschiebbar, da es Objekte nicht genau differenzieren kann.
Dem Ich es dadurch, daß der Primärprozeß auf Dauer nicht
befriedigt, ermöglicht, Energie auf die Unterterscheidung von
Außenwelt und interner Repräsentanz zu verwenden, um sich in Folge
den Objekten der Außenwelt zuzuwenden. Die
Identifizierung/Identifikation von interner Repräsentanz und realer
Welt erlaubt es somit, den Primär- durch den Sekundärprozeß zu
ersetzen. So erlangt das effizientere Ich die Vorherrschaft über die
seelischen Energievorräte, doch bleibt diese nur relativ, da das Es seine
Herrschaft sofort dann wiederherstellt, wenn das Ich die Triebe nicht mehr zu
befriedigen vermag (Hunger erzeugt Revolutionen). Erst dadurch, daß das
Ich einen überschuß an Energie erwirtschaftet, kann diese durch
Verschiebung/Sublimation für kulturelle Zwecke verwendet werden. Der
Begriff der Identifizierung wird auch in dem Zusammenhang verwendet, daß
daß über-Ich von der Sozialisationsinstanz dazu gebracht wird, die
Ideale der Gesellschaft zu internalisieren. Das über-Ich steht in unserer
Gesellschaft meist in Konflikt mit dem Es, da es von ihr benutzt wird, die
Triebäußerungen der Sexualität und Aggression zu kanalisieren.
Bereits geringe änderungen in der Energieverteilung können große
Verhaltensänderungen hervorrufen, weswegen Freud die Möglichkeit der
Psychologie als exakter Wissenschaft (Prognose) in Frage stellte.
Realangst: normale Reaktion eines Individuums auf
Gefahren der Außenwelt, denen es keine Abwehr entgegenzusetzen hat.
Neurotische Angst: Angst vor Bestrafung nach dem Kontrollverlust
über Triebe bzw. den daraus resultierenden Handlungen. Reale Grundlage
dieser Angst ist, daß tatsächlich Bestrafungen erfolgen würden.
Gewissensangst: ein Mensch mit starkem über-Ich neigt zu
Schuldgefühlen, wenn die Person etwas Böses tut oder auch nur zu tun
gedenkt. Grundlage ist hier, daß der Betreffende in der Vergangenheit
für entsprechende übertretung des Moralkodex bestraft worden ist.
Funktion der Angst ist Warnung vor Gefahr. Sie ist wie Hunger ein
Spannungszustand, allerdings im Gegensatz zu Trieben durch äußere
Ursachen bedingt. Prototyp aller späteren Angst ist das Geburtstrauma. Kann
Angst nicht durch wirksame Maßnahmen reduziert werden, wirft sie die
Person auf den Zustand infantiler Hilflosigkeit zurück und wird
traumatische Angst genannt.
3.2 Entwicklung der Persönlichkeit:
Freuds Methode war die Rekonstruktion individueller
Biografien aus den Erinnerungen erwachsener Patienten. Er ging davon aus,
daß die Persönlichkeit bereits am Ende des 5. Lebensjahres relativ
gut entwickelt ist und sich später nur noch ausformt. Vier
Spannungsursachen führen dazu, daß sich die Persönlichkeit
entwickelt: physiologische Wachstumsprozesse, Frustationen, Konflikte,
Gefahren. Die Spannungsreduktion kann auf folgende Weisen erfolgen: durch
Identifizierung. Dies bedeutet hier auf einmal übernahme von
Handlungsweisen anderer (auch von Tieren oder Dingen), in der Regel von denen,
die als hilfreich zur Erreichung eigener Ziele angesehen werden.
Identifizierung ist in einer verwandten Bedeutung auch die Methode zur
Wiedererlangung eines verlorenen Objektes, indem man es in sich selber
rekonstruiert. Spannungsreduktion kann des weiteren durch Verschiebung
erreicht werden. Die Richtung der Verschiebung weg vom Primärobjekt
wird durch zwei Faktoren bestimmt: die hnlichkeit des Ersatzobjektes und
gesellschaftliche Sanktionen und Verbote. Der Grad der Spannungsabfuhr gibt
Hinweis auf den Abstand des Ersatzobjektes zum Primärobjekt. Wenn
ursprüngliche Triebenergie in kulturelle Leistungen geleitet wird, liegt
die Sublimation als ein Spezialfall der Verschiebung vor. Die
Verschiebung -d.h. die Fähigkeit, ersatzweise Objektbindungen einzugehen -
ist der wirkungsvollste Mechanismus der
Persönlichkeitsentwicklung.
Abwehrmechanismen geben dem Ich die Möglichkeit,
mit extremer Angst fertigzuwerden. Ihnen allen ist gemein, daß sie die
Realität leugnen, verdrehen und/oder verfälschen und unbewußt
sind. 1. Verdrängung: Wenn eine Objektwahl sehr große Angst
erzeugt, kann sie durch den Prozeß der Gegenbesetzung aus dem
Bewußtsein gedrängt werden. Diese steht der Besetzung
(Objektwahl des Es) entgegen und ermöglichen es dem Ich, sich dem Es zu
widersetzen. Einmal erfolgte Verdrängungensind schwer aufzuheben, da die
betreffende Gefahr nicht mehr überprüft werden kann, weil die
Verdrängung ja gerade eine Auseinandersetzung mit der Realität
unmöglich macht. 2. Projektion: die Quelle der Angst wird der
Außenwelt zugeschrieben statt den eigenen Impulsen, d.h. neurotische oder
Gewissensangst wird als Realangst erlebt. (“Andere verfolgen mich.”
statt “Mein Gewissen plagt mich.”, “Er greift mich an”
statt “Ich greife ihn an”, was ja im Gegensatz zur Verteidigung
verboten ist). 3. Reaktionsbildung: Ein im Bewußtsein
angsterzeugendes Gefühl wird in sein Gegenteil verkehrt. überzogene
Verhaltensweisen sind häufig Anzeichen von Reaktionsbildung (Die Freundin
des Memmingen-Richters hat abgetrieben, eine Mutter die ihr Kind nicht leiden
kann und es mit Zuneigung überschüttet). 4.1. Fixierung: ist
Entwicklung mit zu großer Angst verbunden, wird u.U. auf einem bestimmten
Stadium verharrt. 4.2. Regression: Rückkehr zu einem früheren
Entwicklungsstadium, wenn Angst zu groß ist, um eine Situation
bewältigen können. Regrediert wird oft in Stadium, in denen noch
ungelöste affektive Bindung bestand. z.B. der Aphasiker, der rundum
versorgt wird, weil er sich dadurch der überforderung seines Berufes
entziehen kann.
Entwicklungsphasen sind der schwächste Teil
von Freuds Theorie: Jede Entwicklungsphase wird im Hinblick auf eine bestimmte
Körperzone definiert. Orale Phase, 1. LJ, Mund. Verschiebung auf
Erwerb von Wissen und Besitz. Entstehung von Abhängigkeitsgefühlen.
Anale Phase: 2.-3. LJ, After. Reinlichkeitserziehung. Aufschiebung des
Lustgewinns durch sofortiges Scheißen. Entwicklung von produktiven,
retentiven (geizig) und expulsiven (kollerartige Charakterausbrüche)
Charakteren, was vom Verhalten der Mutter während der
Reinlichkeitserziehung abhängt. Phallische Phase: autoerotische
Tätigkeit und kindliches Phantasieleben. Entstehung des
ödipuskomplexes = erotische Bindung an gegengeschlechtlichen Elternteil und
feindselige Gefühle dem gleichgeschlechtlichen Elternteil gegenüber,
was später verdrängt wird, aber die Einstellung zum anderen Geschlecht
bedingt. Kastrationskomplex: Beim Männchen angblich: Angst um
Beschädigung des Genitales durch Vater (Kastrationsangst) und Nachfolgende
Identifikation mit demselben, beim Weibchen angeblicher: Penisneid, woran
die Mutter schuld ist, übertragung der Liebe auf den Vater und später
halt Kinderkriegen, da können dann ja auch wieder Männchen bei sein.
Die unterschiedliche Verarbeitung des Kastrationskomplexes bedingt viele
Unterschiede zwischen den Geschlechtern und das Weltwetter. Latenzphase:
6.-8. Lebensjahr. Freud behauptet, daß hier nicht viel passiert. Am
besten, 6-8 jährige fragen. Genitale Phase: andere nennen es auch
Pubertät. Die libidinösen besetzungen der anderen (prägenitalen)
Phasen sind narzistisch, während der genitalen Phase wird ein Teil der
Selbstliebe in echte Objektliebe umgeleitet. Am Ende der Adoleszens werden diese
sozialisierten, uneigennützigen Bindungen weitgehend stabil in Form von
habituellen Verschiebungen, Sublimierungen und Identifikationen. Die biologische
Funktion der genitalen Phase, die Reproduktion, wird so durch die
psychologischen Aspekte, die Stabilität gewähren, gefördert. In
der endgültigen Persönlichkeitsorganisation sind Anteile aller vier
Phasen enthalten.
3.3 Forschungsmethoden:
Freud vertrat, obwohl er
medizinisch-naturwissenschaftlich ausgebildet war, eine
phänomenologische Psychologie: Der richtige Anfang jeder - auch der
exaktesten - Wissenschaft besteht vielmehr in der Beschreibung von
Erscheinungen, die dann weiterhin gruppiert und klassifiziert werden. ... Erst
nach gründlicher Erforschung sind schärfere Begriffsbestimmungen
möglich, die noch später in Definitionen münden.
Sämtliches Material sind Fallstudien aus der
psychotherapeutischen Praxis (=Klinik). Kritische Analyse verbalen
Materials von Patienten, Anwendung des Prinzips der inneren Konsistenz
auf immense Datenmengen pro Patient. Induktive Theoriebildung. Freud
hat Theorien erst formuliert, wenn er sich sehr sicher sei, ist dann aber nur
extrem ungern von seiner Position abgewichen. 1887-89: Hypnose, danach
Katharsis, daraus wurde die Methode der freien Assoziation
entwickelt, bei der der Therapeut den Patienten bittet, alles zu
erzählen, was ihm in den Sinn kommt, gleich wie unpassend es erscheint.
Charakteristisch für das psychoanalytische Setting ist die vorwiegend
passive Rolle des Therapeuten. Die Vergangenheit wird aus den aktuellen
äußerungen des Patienten rekonstruiert. Der Therapeut leistet die
Verknüpfung der Patientenäußerungen mit dem Zweck der Bestimmung
von Bedeutung und Triebdynamik. Traumanalyse: die Hypothese ist,
daß Traum Ausdruck der ursprünglichen Arbeitsweisen und Inhalte des
Psychischen ist. Träume sind Primärvorgänge, sie dienen der
Wunscherfüllung und dem Spannungsabbau durch Produktion der
gewünschten Bilder wird Spannung abgebaut. Träume wurden bei der
Methode der freien Assoziation oft von den Patienten selber berichtet.
3.4 Kritik der Methodik:
Unzulänglichkeiten der empirischen Arbeiten:
Nicht-Preisgeben der Datenbasis, keine Verwendung von wörtlichen
Protokollen, sondern Notizen aus der Erinnerung von Freud nach den Sitzungen
(Verzerrungen!), daher eventuell Nicht-Berücksichtigung von Material,
welches nicht hypothesenkonform ist. Keine Verifikation der
Patientenäußerungen z.B. am Umfeld der Patienten. Generalisierung von
Erkenntnissen aus Einzelfällen, die weitreichenden Schlußfolgerungen
waren z.T. zu verallgemeinernd und konnten z.T. von anderen Forschern nicht
nachvollzogen werden. Unscharfes und mehrfach besetztes Vokabular. Fehlende
Quantifizierung von Daten. Fragliche Kriterien für die Zuordnung der
Patienten zu bestimmten Krankheitstheorien. Mangel an Beziehungsregeln in der
Theorie, keine empirischen Konsequenzen aus vielen Theorienteilen möglich
(z.B. Todestrieb). Methode der Retrospektive liefert nur
Ex-post-facto-Erklärungen.
Lob: interessante Thematik, Aufbruch von Tabus,
komplexes, lebendiges Menschenbild (im Gegensatz z.B. zu Watson), angeblich
schöner Schreibstil. Eine Besonderheit der Psychoanalyse ist ihre Anwendung
auf andere Gegenstandsbereiche, was zum Teil wohl den großen Erfolg dieser
Forschungsrichtung bei Laien erklärt.
Nach Freuds Tod wurde die Psychoanalyse in alle
möglichen Richtungen weiterentwickelt: im Gegensatz zu Freuds
Position, der das Es als dominanten Teil der Persönlichkeit ansah, wurde
das Konzept der Ich-Autonomie von Hartmann entwickelt, was von anderen
Neo-Analytikern als Rückschritt in die Bewußtseinspsychologie
gewertet wurde. Die Entwicklung des über-Ichs und des
ödipuspuskomplexes wurde früher in die Kindheit verlegt
(Melanie Klein, diese hat gleichzeitig auch Kinderanalyse betrieben),
später gab es auch Säuglingsbeobachtung (Anna Freud).
Verschiedene Vertreter betonten nichttriebhafte, d.h. soziale Determinanten
der Persönlichkeit (Fromm, Horney, Sullivan, Erickson). Die
Anwendung auf andere Gegenstandsbereiche wurde ausgedehnt und der
Wissensstand der Psychoanalyse mit dem der Wissenschaft Psychologie
abgeglichen, wobei die Psychoanalyse traditionell der Medizin näher
steht.
Analytische Psychologie: C. G. Jung (1875- 1961)
geb. in der Schweiz. Medizinstudium (zunächst
klass. Philologie u. Archäologie). Tätigkeit als Psychiater.
Kontakt zu E. Bleuler (prägte den gängigen Schizophreniebegriff) u. P.
Janet (Nachfolger Charcots). Habil. 1905, Zusammenarbeit mit Freud von
1906-1914. Jung war Präsident der Internationalen Psychoanalytischen
Vereinigung (1910 gegeründet). Bruch mit Freud aufgrund seiner Ablehnung
von Freuds Pansexualismus. Austritt Jungs aus der IPA. Psychiatrische
Lehrtätigkeit an der Universität, später Tätigkeit in freier
Praxis, Forschungs- und Ausbildungstätigkeit.
“Mein Leben ist die Geschichte der
Selbstverwirklichung des Unbewußten.”
Menschenbild: Verbindung von
finalem/teleologischem und kausalem Denken, d.h. Ziele und Bestrebungen
determinieren den Menschen ebenso wie seine individuelle Geschichte und die
Stammensgeschichte. Die Vergangenheit als Aktualität und Zukunft als
Potentialität bestimmen sein Verhalten. Jung betont die Wirkung
kumulativer Erfahrungen vergangener Generationen, aber auch das
schöpferische Entwicklungspotential des Individuums. Die
Persönlichkeit ist das Ergebnis einer Interdependenz innerer (Entfaltung
der Gene) und äußerer (Umgebung, die die Möglichkeit zur
Entfaltung geben muß) Kräfte. Freud betont die Wichtigkeit der
ontogenetischen Entwicklung, Jung im Gegensatz dazu die der Philogenetischen,
dazu forschte er in unserer Stammesgeschichte: Mythologie, Religion, Symbolik,
Sitten, Rituale, Glaubensvorstellungen von Urvölkern, Träume u.
Wuschvorstellungen Gesunder, Symptome v. Neurotikern, Wahnvorstellungen und
Halluzinationen v. Psychotikern.
4.1 Struktur der Persönlichkeit:
Die Persönlichkeit besteht aus differenzierten,
miteinander interagierenden Systemen: das Ich, das persönliche
Unbewußte, das kollektive Unbewußte (inkl. Archetypen), Persona,
Anima/ Animus und der Schatten. Dazu gibt´s Die Einstellungen der
Intro- und Extraversion und die Funktionen des Denkens, Fühlen und
Intuierens. Selbst schließlich steht für ”die Mitte der
Persönlichkeit”.
Das Ich: Zentrum des Bewußtseins,
enthält bewußte Wahrnehmungen, Erinnerungen, Gedanken u.
Gefühle, verantwortlich für das Wissen um Identität und
Kontinuität.
Das persönliche Unbewußte: grenzt an
Ichregion an und steht in Austausch mit dieser (vergleichbar mit dem
Vorbewußten bei Freud). Enthält früher bewußte
Erfahrungen, die entweder verdrängt, vergessen, ignoriert wurden oder bei
ihrem ersten Erscheinen zu schwach waren, um für das Individuum
bewußt erinnert werden zu können.Inhalte des persönlichen
Unbewußten sind potentiell bewußtseinsfähig. Im
persönlichen Unbewußten befinden sich Komplexe, dies sind
organisierte Konstellationen von Gefühlen, Gedanken, Wahrnehmungen u.
Erinnerungen. Jeder Komplex enthält ein Kernelement, das magnetartig
Erfahrungen an sich zieht. Bsp.: “Mutterkomplex”, enthält
kollektive und individuelle Erfahrungen mit Müttern. Vorstellungen,
Erfahrungen und Gefühle werden von diesem Zentrum angezogen, je
stärker die Energie dieses Kernelements ist, desto mehr Erlebnisse werden
hierdurch gebunden und können ggf. Kontrolle über das Ich gewinnen.
(alles wird auf Mütter bezogen). Kernelement und damit verbundene
Assoziationen sind i.d.R. unbewußt, können aber prinzipiell
bewußt werden.
Das kollektive Unbewußte: die ererbte,
artspezifische Grundlage der gesamten Persönlichkeits-struktur, auf dem das
Ich, das persönliche Unbewußte und alle individuellen Erwerbungen
gründen. Universelles, mächtigstes psychisches System, welches nach
Jung auf beim Menschen vergleichbaren Hirnstrukturen basiert. Inhalte des k.U.
sind nicht vererbt, aber der Mensch hat die (ererbte) Möglichkeit,
Erfahrungen vergangener Generationen durch eigene Erfahrungen zu
aktualisieren.Die bereits bei der Geburt vorhandenen Prädispositionen
bilden Muster des Denkens, Fühlens und Wahrnehmens aus und üben damit
eine selegierende Funktion auf das individuelle Verhalten aus. Das Baby
betrachtet die Mutter und nicht die Wand hinter dieser, weil Mütter im
Laufe der Evolution irgendwie wichtiger waren. Auch die Vorstellung eines
”allerhöchsten Wesens (Ronald McDonald?) soll im k.U. sein. Die
archetypischen Strukturen bergen ein großes Potential für den
Einzelnen. Wenn sie jedoch vom Ich ignoriert werden, können unbewußte
Prozesse auf bewußte einwirken und das Bewußtsein deformieren.
Psychotische Symptome, Phobien und Wahnvorstellungen sind nach Jung Ausdruck
vernachlässigter, unbewußter Prozesse. Die stukturellen Komponenten
des Unbewußten sind die Archetypen (auch Urbild, Imago):
Wahrnehmungsprogramme (Bente), universelle Gedankenformen, die einen
großen Anteil an Emotionen enthalten. Bsp.: Mutterarchetyp produziert das
Bild eines mütterlichen Wesens, mittels dessen die Mutter identifiziert
wird. Das Erleben des Kindes ist das Resultat der ererbten Prädisposition,
die Mutter in einer bestimmten Weise wahrzunehmen und der tatsächlich
erlebten Mutter. Archetypen sind der Niederschlag von Erfahrungen über
Generationen hinweg, sie fungieren als autonome Zentren psychischer Energie, die
dazu tendieren, die gleichen, nur individuell ausgestalteten Erfahrungen
wiederkehren zu lassen. Ereignisse wie Naturkatastorphen -> Archetypus der
(ungebändigten) Kraft, welcher bereits bei Kindern wirkt. Weitere
Archetypen: Geburt, Tod, Kraft, Zauber, Einheit, Held, Kind, Dämon,
Gottes(bild), Tier, Alter, Weise, Erdmutter, darüberhinaus ging Jung von
einer Menge noch nicht entdeckter Archetypen aus. Archetypen sind zwar autonome
Zentren, aber nicht voneinander isoliert, sie beeinflusssen sich gegenseitig und
sind darüberhinaus ”mischbar”, z.B. Held+Weiser =
Philosophenkönig. Persona, Anima, Animus und Schatten sind Archetypen,
die sich soweit entwickelt haben, daß sie als seperate System behandelt
werden können:
Die Persona: öffentliche Seite der
Persönlichkeit, die auf die Anforderungen der gesellschaftlichen Tradition
und Konvention reagiert - “soziale Maske”, die nicht immer mit der
privaten Persönlichkeit übereinstimmt. Identifiziert sich das Ich mit
der Persona, werden Menschen zu sozial verträglichen Abziehbildern.
Ursprung dieses Systems ist die evolutionäre Wichtigkeit von
Sozialkontakten.
Anima und Animus: repräsentieren die
feminine Seite der Persönlichkeit im Mann (Anima) und die maskuline Seite
der Persönlichkeit der Frau (Animus) und sind Resultat der phylogenetischen
Erfahrung des Mannes mit der Frau und vice versa. Diese kollektiven Bilder
ermöglichen es beiden Geschlechtern, den/die andere(n) zu verstehen und auf
diese zu reagieren. Wenn archetypische Vorstellungen auf den Partner projiziert
werden, ohne dessen Eigenschaften zu berücksichtigen, kommt es zu
Konflikten. Es ist ein Kompromiß zwischen Ansprüchen des kollektiven
Unbewußten und realen Gegebenheiten notwendig, nicht jede ist das
Superweib und nicht jeder Supermann.
Der Schatten: verkörpert die animalische
Seite der menschlichen Natur und repräsentiert die gesellschaftlich
geächteten Facetten der Persönlichkeit. Auf die Person bezogen ist der
Schatten für die Vorstellung der ”Ursünde” verantwortlich,
nach außen projiziert entsteht ein Teufels- oder Feindbild. Vitaler,
“tierischer” Instinktbereich, der die Persönlichkeit
vervollständigt. Vom Schatten initierte Handlungen oder Gedanken werden
entweder vor der öffentlichkeit versteckt oder ins persönliche
Unbewußte verdrängt. Instinkt = Verhaltensprogramm
(Bente).
Das Selbst: In früheren Schriften ist das
Selbst die Gesamtpersönllichkeit überhaupt, d.h. die Summe aller
Systeme, im Laufe seiner Theoriebildung verschob er aber dann den Fokus auf das
integrative Element, das Streben nach Einheit. Damit ist das Selbst der
Mittelpunkt der Persönlichkeit, um den alle anderen Systeme konstelliert
sind, ein Punkt zwischen Bewußtsein und Unbewußtem, der wegen seiner
zentralen Lage eine sichere Grundlage gewährt. Es hält die
verschiedenen Systeme zusammen und stattet die Persönlichkeit mit Einheit,
innerem Gleichgewicht und Stabilität aus. Die Bildung eines Selbst sieht
Jung denn auch als das Ziel des Lebens, das erst nach Ausbildung der
verschiedenen Komponenten der Persönlichkeit erreicht werden kann (d.h.
kaum vor der Lebensmitte). Deutlich sind hier Anklänge an
(fernöstliche) Religionen/Philosophie zu finden, so betrachtet Jung
Christus oder Buddha als maximal hoch ausgebildete Erscheinungsweisen des
Selbstarchetypus.
Einstellungen bzw. Orientierungen: Extra-
(Ausrichtung auf äußere/objektive Welt) vs. Introversion (...auf
innere/subjektive Welt). Kompensation: Normalerweise ist ein bewußt
extravertierte Mensch in seinem Unterbewußtsein introvertiert und
umgekehrt.
4.2 Funktionen:
vier psychologische Grundfunktionen - Denken-
Fühlen- Empfinden- Intuieren.
Denken: intellektueller Vorgang;Versuch, die Welt
zu begreifen (Bedeutungserfassung).
Fühlen: Bewertungsfunktion, ermöglicht
subjektive Erfahrung von Lust, Schmerz, Freude, Liebe.
Empfinden: = Perzipieren, Wahrnehmungs- oder
Realitätsfunktion, liefert durch innere u. äußere Reizaufnahme
und -verarbeitung konkrete Tatsachen oder abstrakte Begriffsvorstellungen von
der Welt.
Intuition: Wahrnehmung mittels unbewußter
Prozesse und unterschwelliger Inhalte.
Denken und Fühlen sind rationale
Funktionen, die Urteilsvermögen, Abstraktion und
Generalisierung verwenden. Ermöglichen das Finden von
Regelmäßigkeiten in Umwelt, gewichten Informationen, Entscheiden
über wahr/falsch.
Empfinden und Intuieren sind irrationale
Funktionen, basieren auf der Wahrnehmung des Konkreten,
Besonderen, Zufälligen. Kriterien wie wahr/falsch spielen hier keine Rolle:
“Es ist, was ist.”
Jede Person verfügt über alle in der Regel
jedoch unterschiedlich starkt ausgeprägte der vier Funktionen: Die das
Bewußtsein dominierende, am stärksten ausdifferenzierte Funktion wird
die superiore genannt, eine andere steht als Auxiliarfunktion an
ihrer Seite um die Führung zu übernehmen, wenn die superiore behindert
wird. Die inferiore Funktion ist die am schwächsten ausgeprägte
der vier, frei nach dem analytischen Heissassa ist sie damit in
Unterbewußtsein unterdrückt und findet ihren Ausdruck in Träumen
und Visionen, die übrigbleibende vierte Funktion ist die Hilfsfunktion der
Inferioren. Die Funktionen sind dabei so verteilt, daß sowohl im
Bewußtsein, als auch im Unterbewußtsein jeweils eine rationale und
eine irrationale vorhanden sind. Im Falle einer Annäherung an die
Verwirklichung des Selbst werden die Funktionen alle vier annähernd gleich
stark.
4.3 Die Interaktion zwischen den Systemen der Persönlichkeit:
Ein System kann die Schwäche eines anderen
kompensieren, zwei Systeme können sich zueinander im Gegensatz
befinden oder zu einer Synthese vereinigen. Inhalte des
Bewußtseins werden durch Inhalte des Unbewußten kompensiert.
Kompensationen sind sowohl zwischen Einstellungen als auch zwischen Funktionen
möglich.
Kompensation: ist die im Bewußtsein
vorherrschende Funktion rational, so das Unterbewußtsein vorwiegend
irrational etc. Oder: Ich vs. Anima/Animus. Jung geht dabei davon aus, daß
jeder immer beide Pole einer Skala in sich trägt. Die Spannung, die durch
solcherart entgegengestzte Elemente entsteht, ist Quelle der Lebensenergie.
Polare Elemente stehen sich aber nicht nur gegenüber, sondern ziehen sich
auch an, die Vereinigung erfolgt in der transzendenten Funktion, das
Ergebnis ist das ausbalancierte Selbst. Dieser wirken Mechanismen wie
Verdrängung etc. entgegen, letztendlich wird die t.F. allerdings beim
gesunden Menschen die überhand behalten. Interessant ist Jungs Beispiel: Im
Jungen bildet sich aufgrund des Mutterkontakts die Anima und ein starker
Mutterkomplex aus, die er beide aufgrund der an ihn gestellten Rollenerwartungen
alsbald verdrängt, die aber dafür sein Frauenbild bestimmen.
Bewußte Zuneigung zu einer Frau, die diesen Erwartungen nicht entspricht
führt zu scheinrationaler Kritik und auf Dauer zum Bruch. Jung warnt vor
der Vernachlässigung des Unbewußten, was neuere
Persönlichkeitstheorien z.T. ignorieren.
4.4 Dynamik der Persönlichkeit:
die Psyche ist ein partiell geschlossenes System, dem
Energie von außen zugefügt werden muß (Nahrung) und das Energie
nach außen abführt (Muskelarbeit) - ein Kritikpunkt ist die
Verwischung zwischen Psyche und Organismus. Umweltreize können eine
Umorientierung von Aufmerksamkeit und Wahrnehmung bedingen und damit
Energieumverteilungen innerhalb des Systems hervorrufen. Da die
Persönlichkeit konstant Außeneinflüssen unterliegt, kann sie nie
einen Zustand vollkommener Stabilität erreichen, außer wenn sie tot
ist.
Die Psychische Energie stellt ein hypotherisches
Konstrukt dar und ist eine Manifestation der Lebensenergie (bei Jung: Libido).
Sie leistet die Arbeit innerhalb der Persönlichkeit. Sie hat ihren Ursprung
in Stoffwechselprozessen (wie soll man sich das bei einem Konstrukt vorstellen?)
und steht mit physischer Energie in einer nicht näher definierten
Wechselbeziehung. Psychische Energie findet ihren Ausdruck in aktuellen
(Wünschen, Wollen, Fühlen, Streben, Aufmerksamkeit) und in
potentiellen Kräften (Dispositionen, Befähigungen, Neigungen,
Tendenzen, Einstellungen) der Person. Die Menge der psychischen Energie, mit der
ein Element der Persönlichkeit ausgestattet ist, heißt Wert
und ist ein Maß für Intensität, welches sich als relatives
Maß, nicht als absolutes Maß bestimmen läßt. So
läßt sich z.B. sagen, die Wahrheit spielt für jemanden eine
geringere Rolle als Macht, je nachdem wieviel Energie er zur Erlangung von
beidem aufwenden kann/aufwendet.
Aus der Anzahl der Assoziationsgruppen, die sich zu
einem Kernelement eines Komplexes finden lassen, läßt sich die
konstellierende Kraft eines Komplexes bestimmen. Die (1) direkte
Beobachtung mit analytischen Deduktionen (z.B. sehen, wie oft jemand meint, es
ginge um A, obwohl es nicht der Fall ist), (2) Komplexindikatoren (Versprecher,
Gedächtnisblockaden, Stottern,
Wortassoziationstestsverzögerungszeiten) und (3) die Intensität des
emotionalen Reagierens (physiologische Indikatoren) sind Methoden zur
Einschätzung der konstellierenden Kraft. Jung entdeckte die Komplexe mit
Hilfe des Wort-Assoziations-Tests, bei dem der Pb zu den einzeln vorgegebenen
Wörtern einer Standardliste assoziieren soll. Komplexindikatoren sind
Verlängerungen der Reaktionszeit, Wiederholungen des Stimuluswortes oder
keine Reaktion.
Die psychodynamische Auffassung Jungs gründet auf
zwei Prinzipien: dem äquvalenzprinzip: (1. Hauptsatz der
Thermodynamik); Prinzip der Erhaltung der Energie, die Verringerung der Energie
eines Systems bewirkt die Erhöhung der Energie eines anderen Systems der
Persönlichkeit und dem Entropieprinzip (2. Hauptsatz der
Thermodynamik), welches die Herstellung eines Gleichgewichts der Kräfte
(z.B. Temperaturausgleich zwischen zwei Körpern) postuliert. Ein schwaches
System versucht auf Kosten eines starken Systems seine Energiemenge zu
steigern. Dieser Prozess erzeugt (An)Spannung. Jede einseitige
Persönlichkeitsentwicklung, z.B. das Dominieren des bewußten Systems
gegenüber dem Unbewußten oder die extravertierte gegenüber der
introvertierten Einstellung erzeugt Konflikte, Spannungen und Druck. Nach Jung
wird innerhalb der Psyche ein Gleichgewicht an Energie angestrebt. Das Ideal,
bei dem die Gesamtenergie gleichmäßig über alle psychischen
Systeme veteilt ist, entspricht dem Selbst. Ein permanenter Kräfteausgleich
kann allerdings innerhalb eines lebenden Organismus niemals realisiert werden.
Ergänzend ist hinzuzufügen, daß beide Hauptsätze nur
für geschlossene Systeme gelten und daß der Organismus deswegen auch
in verlieren (Arbeit/nach außen) bzw. gewinnen (Essen) kann, wobei hier zu
Unterscheidung von Physis und Psyche nur erwähnt wird, daß mensch
nach einem guten Essen ja auch psychisch erholt sei.
Energie wird sowohl für die angeborenen,
instinktiven Funktionen (Hunger, Sexualität) als auch für
geistig-kulturelle Ziele verwendet, wobei Jung herausstellt, daß ein
Individuum, welches seine biologischen Interessen mit
Verhältnismäßig wenig Energie abdecken kann, mehr Energie
für spezifisch Menschliches (Kultur und sowas) übrighaben
wird.
4.5 Die Entwicklung der Persönlichkeit:
Entwicklung wird als ein Differenzierungsprozeß
aufgefaßt. Ziel ist die Selbstverwirklichung d.h. eine
vollständige und vollkommene Differenzierung und die harmonische
Verschmelzung aller Aspekte der Gesamtpersönlichkeit (statt des Ich
entsteht ein Selbst). (Entwicklungs)Fortschritt manifestiert sich in der
phylogenetischen Entwicklung ebenso wie in der individuellen Entwicklung, der
Mensch an sich ist besser als der Wolf an sich, Leute die Anzüge tragen
sind in der Regel weiter als Buschmänner/frauen und am Ende der Entwicklung
steht die humane Gesellschaft.
Kausalität (Erklärung der Gegenwart
durch die Vergangenheit) und Finalität (Bestimmung der Gegenwart
durch Zukünftiges, Zielgerichtetheit) sind weitere, die Entwicklung
determinierende Faktoren. Gegen Ende seines Lebens formulierte Jung das
Prinzip der Synchronizität, das die Gleichzeitigkeit zweier kausal
nicht verbundener Ereignisse beschreibt (träumen, daß jemand
gestorben ist und nach dem Aufwachen kommt dann der Anruf). Dies würde vom
Menschen wahrgenommen, weil es einen Archetypen dafür gäbe, und das es
diesen Archetypen gäbe, deutete auf eine “höhere Art von Ordnung
im Universum hin”.Jaja, das Alter...
Vererbung: betrifft neben dem Körper die
biologischen Instinkte und die anzestralen Erfahrungen. In Hall & Lindzey
wird dies im Sinne Lamarcks ausgelegt, doch sind einige Wahrnehmungskonzepte
(Gesicht, Hand) nachgewiesenermaßen bei der Geburt vorhanden, so daß
kein Grund besteht, angeborene allgemeine Konzepte wie “das
Böse” etc. von vornerherein auszuschließen.
Die gelungene Anpassung des bewußten Ich an die
Anforderungen der Umgebung und an die Bedürfnisse des Unbewußten wird
als Progression bezeichnet. Regression ist die Antithese
zur Progression, sie verhindert ein Investieren der Energie in umweltorientierte
Werte und zieht sich auf das Unbewußte zurück, das Ich orientiert
sich nicht mehr an der Welt. Regression kann eine Möglichkeit zur
überwindung einer fehlgeleiteten Entwicklung sein, weil sie unbewußte
Ressourcen (Archetypen, die Weisheit von Generationen) finden kann, die zur
Konfliktbewältigung genutzt werden können. Der Wegweiser zu solchen
unbewußten Ressourcen ist der Traum.
Der Individuationsprozeß ist definiert als
die Entwicklung der Person unter Ausdifferenzierung aller psychischen Systeme,
wobei ganz im Jungschen Sinne kein System vernachlässigt werden darf, sonst
hagelt es Neurosen.
Die Verlagerung der psychischen Energie von weniger
differenzierten, instinktiven Prozessen auf höher differenzierte, geistige
und kulturelle Werte wird als Sublimierung (oder Sublimation) bezeichnet,
sie ist integrativ und progressiv (-> Fortschrittsdenken). Sind die
instinktiven oder sublimierenden Kanäle blockiert (ist der Sexualtrieb
stark, der Mensch darf sich aber weder fleischlich verlustieren noch
Rosenkränze beten bis er blutet), muß die Energie ins Unbewußte
abgedrängt werden, sie unterliegt der Verdrängung, die
desintegrativ und regressiv ist. Hoch energetisierte unbewußte Prozesse
durchbrechen ab einem gewissen Punkt gemäß dem Entropieprinzip die
Verdrängung und stören die rationalen Prozesse, was sich in
irrationalem und impulsiven Handeln äußert.
Symbolbildungen haben in der Jungschen
Psychologie zwei Hauptfunktionen, (1) die Befriedigung frustrierter Instinkt-
oder Triebimpulse auf Umwegen und (2) die Verkörperung archetypischen
Materials. Symbole sind Repräsentationen der Psyche und leisten das gleiche
wie Sublimationsprozesse, auch hier geht es den Abbau von Spannungen/die
Umwandlung von Libido. Symbolische Repräsentationen von Instinkthandlungen
sind jedoch niemals so befriedigend wie die Handlungen selber, weil sie nicht
das reale Objekt erreichen, weswegen stets nach weiteren Symbolen gesucht wird.
Jung glaubte, je bessere Symbole die Zivilisation zur Spannungsreduktion
verwendet, desto weiter schritte sie im kulturellen Niveau voran.
Symbole können auch zukünftige Leitlinien der
Persönlichkeitsentwicklung darstellen, diese sind dann nicht Hinweis auf
etwas Bekanntes, sondern erhellen durch Analogie etwas bis dahin
vollständig Unbekanntes (wie das Mandala die Einheit der Person). Symbole
haben sowohl eine Instinktgrundlage, als daß sie zur Spannungsabfuhr
dienen (kausal), andererseits dienen sie aber auch der transzendenten Funktion,
in dem sie dem Menschen erlauben, sich in Richtung auf eine humane Gesellschaft
immer weiter von seinen Triebgrundlagen zu entfernen (teleologisch). Somit ist
die Wirksamkeit eines Symbols größer als die des kausalen Faktors
allein.
4.6 Forschungsmethoden: klinische und experimentelle Forschung
(WAT (s.o.) zur Erforschung der Komplexe), aber keine
Fallstudien, so wie Freud sie veröffentlicht hat, stattdessen
Komparative Studien unter Einbeziehung von Geschichte, Mythos, Religion und
Etymologie zur Erforschung der archetypischen Grundlage von Träumen und
Phantasien. Jung beschäftigte sich in diesem Rahmen u.a. mit Hinduismus,
Taoismus, Yoga, Konfuzianismus, Yoga, der christlichen Messe, Astrologie,
Parapsychologie, dem Denken von Naturvölkern und Alchemie. In punkto
letzteres weist er zwischen den Träumen eines jungen Mannes und
alchemistischen Handbüchern auf recht unterhaltsame Weise
Zusammenhänge nach, die nach dem Motto: “Die Methode wird durch die
gewünschten Ergebnisse bestimmt” allerdings nur imponieren, nicht
überzeugen können.
Traumanalyse: Unterscheidung zwischen
großen Träumen mit viel Archetypen (philogenetischem Material)
und kleinen Träumen mit mehr individuellem; näher dem
Bewußtsein liegenden Inhalt (ontogenetisches Material). (1) Methode der
Amplifikation zur Klärung von Trauminhalten: Ein Traumelement dient
als Ausgangspunkt für multiple und parallele Assoziationen, d.h. es wird
immer wieder vom Traumelement ausgegangen. Anstatt einer Kette von Assoziationen
wird ein Stern von Assoziationen/Bedeutungen um ein bestimmtes Traumelement
gebildet, wobei der Analytiker aus seinem Mythenwissen etc. beisteuern kann. (2)
Methode der Analyse von Traumserien. Die Serien stellen den Kontext dar,
den der Träumer selbst liefert und sie ermöglichen die Rekonstruktion
des Sinnzusammenhangs. Die Traumdeutung folgt dem Prinzip der inneren Konsistenz
der einzelnen Elemente. (3) Die Methode der aktiven Imagination
konzentriert sich auf ein eindrucksvolles, aber unverständliches
Traumgebilde oder spontanen visuellen Vorstellungen, welches
“objektiv” betrachtet werden soll, dabei sollen alle
Veränderungen des Bildes während der Betrachtung registriert und
aufgezeichnet werden. Diese Veränderungen sind dann die
Schlüsselsymbole. Kritik (Frank): Mensch bedenkte die hohe Faszination der
verwendeten Symbole, die oft schwachen Persönlichkeiten der Klienten und
die Souveranität des Therapeuten - viele Leute werden einfach von der
Methode und dem Setting fasziniert gewesen sein und haben sich dareingelebt,
vielleicht nachher sogar “für den Analytiker geträumt”,
siehe das Interesse am Okkultismus.
4.7 Bewertung und Kritik:
Wahrscheinlich größte Wirkung auf
zeitgenössisches religiöses/philosophisches Denken. Hatte
Einfluß u.A. auf Hermann Hesse und zahlreiche Föreder unter
nichtwissenschaftlichen Reichen (z.B. Paul Mellon), was die Verbreitung seiner
Lehre sicherte. Auswirkungen auf die wiss. Psychologie mit Ausnahme der
Experimente mit dem WAT gering (A. Adler sei hier zu nennen). Urheber des
WAT war F. Galton, eingeführt in die experimentelle Psychologie wurde er
von W.Wundt. Das Konzept der Archetypen wurde von dem englischen
Psychoanalytiker E. Glover (1950) als metaphysisch und nicht beweisbar
abgelehnt, die Jungsche Psychologie als Rückzug auf eine veraltete
Bewußtseinspsychologie dargestellt (Interessant wäre, von Herrn
Glover zu Erfahren, wo Freuds Theorie denn wissenschaftlicher sein soll).
Kritisiert wurde weiterhin die klinische Grundlage seiner Forschung, der
Rückgriff auf historische und mythische Quellen und die
Vernachlässigung experimenteller Untersuchungen, also die übliche
Kritik der akademischen Psychologie.
Von H.-J. Eysenck wurde mit Hilfe der Faktorenanalyse
die Existenz der Einstellungen Introversion-Extraversion als einer der
drei primären Dimensionen der Persönlichkeit neben Neurotizismus und
Psychotizismus bestätigt, was dieser als Bestätigung für Jungs
Ideen ansah.
Nicht geschätzt werden kann der indirekte
Einfluß Jungs durch die weite nichtakademische Verbreitung seiner Ideen,
z.B. das Streben nach Einheit der Person, das Streben nach einer humanistischen
Gesellschaft der menschlichen Rasse.
So ist Jungs Werk wohl eher als Manifest denn als
Theorie, aus welcher empirische Sätze abgeleitet und überprüft
werden können, zu werten, allerdings als einflußreiches Manifest,
welches vieles erstmals thematisierte und auch heute noch für
Denkanstöße gut ist. Die von Jung beschriebenen Phänomene sind
allerdings von unserem Standpunkt aus besser mit anderen Theorien zu
erklären.
Lerntheoretische Modelle der Persönlichkeit
5.1 Bedeutungen des Behaviorismus:
a) radikaler B., in dem alle
nicht-operationalisierbaren, mentalistischen Begriffe wie Gefühl, Trieb
etc. verpönt sind
b) konventioneller oder methodologischer B., in
dem zwar die Operationalisierungsstandards im Vordergrund stehen, aber nicht auf
Konstrukte wie Triebe verzichtet wird
c) kognitiver B. (kontradiktio in ipso?):
subjektvie Merkamle wie Situationsdeutung etc. gehen gleichberechtigt mit
beobachtbaren/meßbaren in Modelle ein.
Ein Schema zur Modellierung behavioristischer Theorien
ist (Kanfer und Phillipps)
S -> O -> R -> K (C)
S = Stimulus/Reiz, O = Organismus, R = Reaktion, K =
Konsequenzen, wobei deren Wirkung eine Funktion der C = Contingenzen
ist.
5.2 Klassische Konditionierung - Watsons orthodox behavioristischer Ansatz
Absehen von inneren Personvariablen, Beschränkung
auf das Beobachtbare: Reiz, Reaktion und deren Beziehung. Funktionale
Gesetzmäßigkeiten der Verhaltensentwicklung- und Kontrolle und damit
der gezielten Verhaltensmodifikation stehen im Mittelpunkt. Psychologie als
Naturwissenschaft.
John B. Watson (1878-1958) Am Rande: Watson ist wegen
der Scheidung von seiner Frau und der Heirat seiner Assistentin von der
Johns-Hopkins-University relegiert wurde und er hat später an einer
24-jährigen Person die Gewohnheiten des Schuhemachens mit den
religiösen Gewohnheiten gleichgestellt.
Wurzeln: Konditionierte Reflexe wurden bereits von dem
Amerikaner Twitmyer 1904 auf einem Kongreß vorgestellt, ohne daß
dieser in irgendeiner Weise Beachtung fand. I.P. Pawlow (1849-1936) 1906:
Hundeversuch. Futter (UCS) -> Speichelabsonderung (UCR); Glocke (NS) + Futter
(UCS) -> Speichelabsonderung. Wiederholung: Glocke (CS) ->
Speichelabsonderung (CR). (Reizsubstitution). Watson & Raynor: Little
Albert: Koppelung von Geräusch (Hammerschlag) und Ratte; Konditionierte
Furchtreaktion + Reizgeneralisierung auf andere pelzige Kleintiere.
Watson hielt jede Phobie für eine gelernte Reaktion. Klassische
Konditionierung höherer Ordnung (Staats 1977): Wörter, die
kondionierte Reize (Wörter werden aufgrund von Erfahrung als emotional
besetzt empfunden) sind, werden an zunächst emotional neutrale UCS
angelagert (z.B. Personennamen). Dadurch werden auch die Personennamen emotional
aufgeladen (Personen/CS->Wörter/CS->CR=Emotion).
Klassische Konditionierung kann durch kognitive
Prozesse vermittelt werden: Die Vorstellung von angstauslösender
Situation kann entsprechendes Verhalten (inkl. Reaktion des autonomen
Nervensystems) bewirken. Wenn vertrauenswürdige Personen mitteilen,
daß nach dem UCS kein CS mehr folgt, kommt CR Reaktion auf den CS schnell
zum erliegen. Gegenkonditionierung entwickelt von Studentin Mary Jones
(1924; später von Wolpe zur systematischen Desensibilisierung
erweitert). Koppelung eines positiven Stimulus/angenehme Situation mit einem
gefürchteten Objekt (VP ißt, Felltier zunächst noch weit weg,
kommt aber immer näher), bis eine Extinktion des Problemverhaltens
stattfindet. Sherman 1979: Unangepaßtes Annäherungsverhalten
(Aggressivität, Drogen, sexuelle Perversion) -> aversive
Gegenkonditionierung, auf subjektiv angenehmes Verhalten folgt die Strafe
auf dem Fuß. Verdeckte Sensibilisierung: relativ preisgünstige
Therapie, da sich sowohl subjektiv angenehmes Verhalten als auch die Strafe in
der Vorstellung des Patienten abspielen (Cautela 1966). Unangepaßtes
Vermeidungsverhalten: schrittweise Extinktion von Furchtreaktionen durch
Erlernen einer mit der Furcht unvereinbaren Reaktion, seit Wolpe (1958) meistens
Jacobsons progressiver Muskelentspannung. Angsthierarchie heraufarbeiten.
Watsons Persönlichkeitstheorie bestand im
wesentlichen aus den Annahmen, daß Persönlichkeit a) durch
Reizsubstitution (CS statt UCS) und b) die Bildung von Gewohnheiten durch die
Integration unkonditioneierter Teilreaktionen zu komplexeren Reaktionseinheiten
entsteht. Zu a) gehört auch Reizgeneralisierung und -diskriminierung. b)
gründet in der eher absurden Behauptung, “...daß es tausende
von einfachen ungelernten und unbedingten Reaktionen gibt (wie Finger und
Armbewegungen...), die nur der geübte Beobachter wahrnimmt. Dies sind die
Elemente, aus denen sich unsere gestalteten, erlernten Reaktionen
zusammensetzen. Nach Watson ist menschliches Verhalten völlig
umweltdeterminiert ist, “Glaube an die Machbarkeit” des Menschen.
“Persönlichkeit ist nur das Endprodukt unseres
Gewohnheitssystems” (alles Watson 1930). Da Gewohnheiten konditionierbar
sind folgt für Watson: “Geben Sie mir ein Dutzend gesunder Kinder...
(S. 150)”. Wichtigster Verdienst ist die Vorbereitung des Bodens für
spätere Lerntheoretiker und die Abkehr vom genetischen und biographischen
Determinismus. Probleme: Mechanistischer Ansatz, ethisch fragwürdige
Versuche. Gültigkeit der tierexperimentellen Forschung für
menschliches Verhalten fraglich.
5.3 Skinner: Operante Konditionierung
geb. 1904 in Pennnsylvania. Hat als Kind schon alle
möglichen Apperate konstruiert. Zunächst Englsichstudium, um
Schirftsteller zu werden, nach einem kurzen Gastspiel in Greenwich Village und
einer Europareise wurde es dann aber doch Psychologie in Havard.
Beeinflußt von Pawlow, Watson, Thorndike.
Hauptwerke : The Behavior of Organisms (1938); Science
and Human Behavior (1953); Walden Two (1948) - Beschreibung einer
experimentellen Gesellschaft, die nach den Prinzipien der Verhaltenskontrolle
durch Verstärkung funktioniert, “Beyond freedom and dignity”
(1971).
Skinner bezeichnete seine Arbeit als systematischen
Empirizismus, nicht als Theorie. Er sammelte Verhaltensdaten, die er in einem
Netzwerk von Verhaltensgesetzen (oder universalen Hypothesen) ohne jeglichen
Erklärungsanspruch anordnete (Hall/Lindzey, Bd. II,S.168). Seiner Ansicht
nach sollte die Psychologie sich zunächst auf einfache Verhaltensereignisse
konzentrieren, bevor sie komplexe Ereignisse erklären und voraussagen
könne.
Verhalten ist gesetzmäßig , individuelles
Verhalten ist ein Produkt der objektiven Umwelt und läßt sich im
Hinblick auf diese auch vollständig erklären. Die Annahme der
Gesetzmäßigkeit schließt die der Verhaltenskontrolle durch
Manipulation der Umweltbedingungen, die das Verhalten beeinflussen, mit ein.
Dies geschieht über den Weg der Funktionsanalyse, d.h. einer Analyse des
Verhaltens auf Kausalzusammenhänge hin (Unterscheidung UV-AV). Die Kenntnis
der im Organismus wirkenden Mechanismen hielt Skinner für nicht notwendig.
Mentale Prozesse wurden als verursachende Faktoren abgelehnt. Die Kenntnis bzw.
Manipulation der input- Variablen erlaubt die Vorhersage bzw. Kontrolle der
output- Variablen (black box).
Grundlegende Beobachtung: häufig ist im
Gegensatz zu den Annahmen des klassichen Konditionierungsparadigmas nicht
bekannt, welcher Reiz eine Reaktion ausgelöst hat. Der aktive Organismus
operiert mit bestimmten Verhaltensweisen in die Umwelt hinein, z.B. Autofahren,
Klavierspielen etc. Diese sog. Operanten werden weniger durch das
Vorhandensein bestimmter auslösender Stimuli beeinflußt, als vielmehr
durch die auf sie folgenden Konsequenzen. Wird die Auftretenswahrscheinlichkeit
des Verhaltens erhöht, handelt es sich um Verstärker, man
unterscheidet:
primäre Verstärker
|
sekundäre Verstärker
|
z.B. Nahrung, Wasser, sexuelle Reize
|
materielle V.: Geld, Konsumgüter
|
|
soziale V.: Lob, Anerkennung
|
|
Handlungsverstärker: Freizeitunternehmungen
außer Sex und Essen.
|
Operante Konditionierung: wenn nach Einsatz von
Verstärkern das zuvor gezeigte Verhalten häufiger auftritt, ist es
nach Skinner zu einer Koppelung dieses Verhaltens und dem nachfolgenden Ereignis
gekommen, d.h eine Verknüpfung von R und K im S-O-R-K-C Schema nach Kanfer
und Philipps. Durch Transfer auf ähnliche Verhaltensweisen kommt es zu
einer Reaktionsgeneralisierung (=Reaktions-Induktion), ansonsten
wäre (Transfer-)Lernen nicht möglich, und keine zwei Situationen sind
genau gleich, so daß stets ein Mindestmaß an Transfer erfordlerlich
ist.
Differentielle Verstärkung eines ganz
bestimmten Verhaltensaspekts (i. Unterschied zur Verstärkung des gesamten
Verhaltens) führt zu Reaktionsdiskriminierung (Bsp: bestimmte
Fußstellung beim Tennisspielen), eine oder mehrere neue Teilreaktionen
werden geformt.
Die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Reaktion
kann grundsätzlich durch die Zufuhr eines angenehmen Reizes (=positive
Verstärkung) oder den Entzug eines aversiven Reizes (=negative
Verstärkung) erhöht werden bzw. durch den Entzug eines
angenehmen Reizes oder die Zufuhr eines aversiven Reizes (=Bestrafung)
verringert werden.
Das Eintreten eines belohnenden oder bestrafenden
Ereignisses kann durch einen vorgeschalteten Reiz = diskriminativen Reiz
signalisiert werden. Bei zwischenmenschlichen Interaktionen hat das nonverbale
Verhalten (Mimik) oft die Funktion eines diskriminativen Reizes (einen schlecht
gelaunten Vater bittet ein Kind eher nicht um Geld für die Kirmes). Wenn
eine Reaktion über einen zuverlässig wirkenden diskriminativen Reiz
ausgelöst wird und eine entsprechende Verhaltenssequenz folgt, wird das
Verhalten nicht mehr ausschließlich durch verstärkende Reize, sondern
auch durch den diskriminativen Reiz kontrolliert (=Reizkontrolle).
Allerdings haben im Unterschied zu den Annahmen der klassischen Konditionierung
diskriminative Reize per se keine belohnende oder bestrafende Funktion
(Schneewind, Bd.I, S.155).
Um die erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit eines
Verhaltens zu sichern, müssen die Kontingenzverhältnisse gewahrt sein
(C- Varibale im S-O-R-C-K Schema). Ferster & Skinner (1957) entwickelten in
diesem Zusammenhang die sog. Verstärkerpläne:
- kontinuierliche Verstärkung: alle R werden
unmittelbar verstärkt - besonders anfällig für Löschung der
R, sinnvoll in der ersten Phase des Aufbaus neuer
Verhaltensweisen
- Intervallverstärkung: Verstärkung
erfolgt entweder nach variablen oder fixierten (vorher festgelegten)
Zeitintervallen. Die Extinktionsgeschwindigkeit für Verhalten, daß
nach einem variablen Zeitplan (Lotto) verstärkt wurde, ist wesentlich
geringer als bei fixierter Intervallverstärkung.
- Quotenverstärkung: Verstärkung mit
fixierter Quote erfolgt nach vorher festgelegter Anzahl von R (z.B.
Stücklöhne), bei Verstärkung mit variabler Quote ist die
Anzahl der erforderlichen R für die Betroffenen nicht kalkulierbar, sie ist
in hohem Maß löschungsresistent.
Empirisch nachgewiesen ist die überlegenheit der
intermittierenden Verstärkung. Quotenverstärkung ist effektiver
als Intervallverstärkung und variable Verstärkungspläne weisen
eine höhere Löschungsresistenz auf als fixierte Intervall- oder
Quotenverstärkung, d.h. Verstärkungspläne, bei denen die
betrofffene Person nicht antizipieren kann, wann sie verstärkt
wird.
Die Verhaltensformung (shaping) besteht in einem
sukzessiven Aufbau von Teilreaktionen zu komplexen Reaktionsmustern durch den
Einsatz von Verstärkern und Verstärkungsplänen. Zunächst
erfolgt die Verstärkung nach einer Teilreaktion, dann nur noch, wenn zwei,
drei etc. Reaktionen in die gewünschte Richtung gehen (=Methode der
sukzessiven Approximation). Auf diese Weise soll auch das Erlernen
komplexer Verhaltensweisen (Sportarten, Sprechen??, Schreiben) funktionieren.
Ob´s so ist, sei dahingestellt, Skinner gibt im Gegensatz zu Watson
immerhin eine spezifische Theorie über das Entstehen neuer komplexer
Reaktionen.
Anwendung von shaping im
klinisch-therapeutischen Bereich, hier zur Aufhebung von
Verhaltensdefiziten mit Hilfe der sukzessiven Approximation. Da operante
Verhaltensweisen letzlich nicht ohne Verstärkung auskommen, ist der Aufbau
von Selbstkontrolle bei gleichzeitigem kontinuierlichen Ausblenden der
externen Verstärkung wichtig, um den Klienten unabhängig von diesen
externen Verstärkungsquellen zu machen, z.B. durch Aufsuchen von
Situationen, in denen die Verstärkung verabreicht wird oder durch
Selbstverstärkung. Das neu aufgebaute Reaktionsmuster kann dann selbst zu
einem Verstärker i. Sinne von Handlungsverstärker werden.
Verstärken kann letzten Endes jede gern ausgeübte Handlung (Premack).
Klinische Anwendung zur Verhaltenskontrolle von (auch unheilbar) geistig
Kranken: Token-Systeme für genehmes Verhalten (generalisierte
Verstärker).
Im pädagogischen Bereich: Erziehung
besteht in “...Handlungen, durch die ein Mensch in den Prozeß
des Werdens der Persönlichkeit eines anderen Menschen einzugreifen
versucht, um Lernvorgänge zu unterstützen oder in Gang zu bringen,
welche vom Handelnden als seinsollend angesehen werden.” (Brezinka 1976)
Sozialisation als umfassenderer Begriff dagegen besteht aus “allen
Prozessen, durch die der einzelne im Umgang mit der Welt und mit sich selbst
relativ dauerhafte Verhaltensweisen entwickelt, die es ihm ermöglichen, am
gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und unter Umständen an seiner
Veränderung mitzuwirken” (Lüscher und Fisch, 1977), somit ist
Erziehung ein Teil der Sozialisation. Erziehung und Sozialisation sind keine
Einbahnstraße, Kinder tragen durchaus zur Sozialisation der Eltern bei,
manche erziehen diese auch. Endpunkt dieser Entwicklung ist idealerweise die
Fähigkeit zur Selbstsozialisation. Eltern können mittels Skinners
Theorie das Verhaltens des Kindes formen. Sie müssen darauf Rücksicht
nehmen, was das Kind überhaupt an Reizen der Umwelt und seines Verhaltens
diskrimieren kann. Eine funktionalistische Analyse von fördernden und
hindernden Reizen (was läßt das Kind eher essen, was läßt
es die Nahrung verweigern) kann eine große Hilfe für erfolgreiche
Verhaltensformung sein. Das im behavioristischen Modell entwickelte
Instrumentarium zur Erfassung verhaltenskontrollierender Situationsbedingungen
kann somit im Sozialisationsbereich einerseits zur Analyse häufig
wiederkehrender und dmit verhaltensstabilisierender Umweltgegebenheiten
verwendet werden, andererseits kann dieses Instrumentarium aber auch zum Abbau
unerwünschter bzw. zum Aufbau erwünschter Verhaltensweisen
herangezogen werden. Dabei ist zu beachten, daß operante
Konditionierung mit Belohnungen (unterstützender Erziehungsstil)
gegenüber dem Bestrafen (strenger E.) Vorteile hat, u.U.
Internalisierung der vermittelten Werte, emotionale Stabilität, positives
Selbstbild vs. Bravheit, die aufhört, wenn die Kontrolle wegfällt,
erhöhte Bereitschaft zur Konformität, ängstlichkeit. Skinners
Theorie erklärt auch folgenden Satz: Wer seinen Kindern nur Aufmerksamkeit
schenkt, wenn diese schreien, erzieht sie zum Schreien. In der Rüstung:
Eine interessante Perversion einer psychologischen Theorie ist, Tauben
als Raketenlenkhilfe zu mißbrauchen. Diese sollten auf ein Ziel
picken. Liegt dieses nicht geradeaus auf dem Bildschirm, so picken die Tauben
nicht in das Zentrum des Bildschirms. Daraufhin wird die Rakete so umgelenkt,
daß das Ziel wieder im Zentrum des Bildschirms liegt. Solange die Tauben
auf dieses picken, wird geradeaus geflogen. Bezeichnend Skinners Zitat hierzu:
“Eine Taube ist ein außergewöhnlicher und subtiler
Mechanismus...” Auch in der englischen Sprache existiert für
Lebewesen das Wort Organismus.
Grundsätzliche Erwägungen: Nach Skinner
sollte sich die Psychologie zunächst um einfahce Verhlatensweisen
kümmern, dann erst um kompliziertere. Wenn Verhalten nicht regelhaft
wäre, würde es keinen Sinn haben, es wissenschaftlich zu untersuchen.
Wenn es aber regelhaft ist, so muß es irgendwodurch determiniert sein.
Deswegen ist der Mensch nicht frei, und das ist auch gut so, denn sonst
könnten die Menschen, die es als Ausdruck ihrer Freiheit empfinden
würden, andere zu metzeln, dieses ungehindert tun. Das machen sie nicht,
weil ihr Verhalten geformt wurde. Verhaltenskontrolle dient dem Wohl aller
(-> Walden II). Was im Organismus passiert, ist noch nicht zugänglich,
aber anscheinend auch nicht so wichtig, um dessen agieren in der Welt zu
begreifen. Skinner postuliert, daß dieses Verhalten durch neuronale und
endokrine Strukturen vermittelt ist, die aber gar nicht genau bekannt sein
müssen, genausowenig, wie man einem Motor verstehen muß, um Auto zu
fahren.
5.3.1 Struktur der Persönlichkeit
Fokus auf modifizierbarem Verhalten und zwar auf dem
Operant in Abwesenheit eines auslösenden Stimulus und nicht auf relativ
überdauernden Verhaltensmerkmalen. Da genetische Faktoren ohnehin nicht der
experimentellen Kontrolle unterliegen, ist ihre Kenntnis für die praktische
Verhaltenskontrolle nur von begrenztem Nutzen, eventuell, um noch besser
Kontrolle über das Verhalten ausüben zu
können.
5.3.2 Dynamik der Persönlichkeit
Skinner nimmt keine innere Antriebsenergie o.ä. an,
negiert aber natürlich nicht die Variabilität des Verhaltens. Um die
Stärke eines Verhaltens voraussagen zu können, muß die
Umweltvariable benannt werden, mit der die innere Kraft zusammenhängt. Bsp.
für die Erklärung unterschiedlichen Eßverhaltens eines Kindes:
Hunger ist eine Funktion der UV “Zeit des Nahrungsmangels bzw. -
entzugs”. Die Variabilität der Stärke eines Verhaltens kann
somit als Folge der Variation einer UV erklärt werden, das hypothetische
Konstrukt, der interne Zustand Hunger ist zur Erklärung des Verhaltens
nicht mehr notwendig und kann somit über Occam´s Razor springen.
Antriebe werden von Skinner nicht als eine Klasse von Stimuli akzeptiert (i.
Gegensatz zu Hull, Dollard & Miller). Auch Emotionen lassen sich aufgrund
der Kenntnis der Umwelt- und abhängigen Reaktionsvariablen erklären,
wir erschließen aus dem Verhlatenskorrelat in einer Situation, daß
sich jemand ärgert (und wenn es das nicht gibt, gehen wir davon aus,
daß er sich nicht ärgert), somit ist es im Sinne einer saubereren
Begriffsverwendung nicht unsinning, nur das Verhaltenskorrelat und die Situation
anzugeben, ohne auf ein Konstrukt wie ärger zurückzugreifen.
5.3.3 Entwicklung der Persönlichkeit
Das Verständnis der Persönlichkeit ist durch
die Beobachtung der Verhaltensentwicklung des sich in ständiger
Auseinandersetzung mit der Umwelt befindlichen Organismus möglich, denn:
Persönlichkeit ist nichts anderes als eine Ansammlung von
Verhaltensmustern, die Frage nach ihrer Entstehung ist somit die Frage nach
der Entstehung von Verhaltensmustern.
Ein Schlüsselkonzept bei Skinner ist die
(Wieder)-Verstärkung bzw. Bekräftigung (operante
Verstärkungstheorie), das beinhaltet, daß nach ausbleibender
Verstärkung die konditionierte Reaktion gelöscht wird
(Extinktion). Entwicklung läßt sich voraussagen, kontrollieren
und erklären, indem man untersucht, inwieweit das Prinzip der
Verstärkung, das für frühere Reaktionen ausschlagebend war,
für das aktuelle Verhalten verantwortlich ist. Erwerb und Extinktion von
Verhaltensweisen läßt sich durch den Einsatz von
Verstärkerplänen (s.o.) steuern. Der Lernprozeß kann u.a. durch
Reizgeneralisierung erklärt werden. Zu beachten ist: je mehr der
neue Reiz von dem ursprünglichen abweicht, desto mehr entfernt sich die
Reaktion von ihrer Ausgangsqualität (vergl. Experiment mit Tauben, die erst
auf eine rote, später auf andersfarbige Scheiben picken sollten). Das
gleiche gilt für die Situation: je stärker die neue Situation von der
ursprünglichen abweicht, desto schwächer ist die Reaktion. Dieser
Punkt ist entscheidend für die Verhaltensmodifikation in Erziehung und
Therapie, u.U. ist es für den Klienten schwierig, ein im therapeutischen
Kontext erlerntes Verhalten auf seine reale Lebenssituation zu generalisieren,
weil entweder die Stimulusbedingungen andere sind oder die Situation sich zu
sehr von der in der Therapie unterscheidet. Wichtig für den
Lernprozeß ist weiterhin die Reizdiskrimination, die es dem
Individuum ermöglicht, angemessen auf unterschiedliche Situationen
reagieren zu können. Für Skinner gibt es keinen prinzipiellen
Unterschied zwischen (den subtileren) sozialen Verhaltensweisen und
Verhalten in nichtsozialen Situationen, hier gelten die gleichen
Gesetzmäßigkeiten, soziales Verhalten ist lediglich schwieriger zu
identifizieren. Zu beachten ist, daß eigenes Verhalten das Verhalten
anderer entscheidend determiniert, wer freundlich auf andere Menschen zugeht,
wird meist auch freundlich behandelt. Nach Skinner lassen sich
übergeordnete Persönlichkeitszüge auf eine Reihe spezifischer
Reaktionen zurückführen. Die Tatsache, daß ganz bestimmt
Reaktionen (andere nicht ausreden lassen, Schlagen etc.) , zu einer
Reaktionsklasse (hier dann Agressivität, aber auch andere traits wie
Dominanz, ängstlichkeit etc) miteinander verknüpft werden,
läßt sich wahrscheinlich durch gruppenweise selektive
Verstärkung erklären, d.h. ein Umfeld verstärkt alle
Reaktionen aus dieser Klasse gleichzeitig. Ob die Gruppe für das Umfeld
oder die Reaktionsklasse steht, sei dahingestellt. Weiterhin sind Reaktionen
aufgrund ihrer funktionalen Austauschbarkeit miteinander verknüpft
(jemanden mit Worten begrüßen - ihm die Hand geben- mit dem Kopf
nicken und lächeln), je nach subtilen Unterschieden in der Situation wird
die eine oder das andere Verhalten gezeigt. Hier kann nur die Klasse von
funktional Austauschbaren Reaktionen vorhergesagt/verstärkt werden, es sei
denn, einzelne der Reaktionen werden durch differentielle Verstärkung aus
dieser Klasse herausgelöst.
5.3.4 Charakteristische Forschungsmethoden
Konzentration auf einfache Verhaltensereignisse in
kontrollierbaren, experimentellen settings. Bevorzugung der Arbeit mit einzelnen
Versuchstiere oder Vpn, um unkontrollierte Einwirkungen auf den Versuchsablauf
reduzieren zu können (ideographischer Ansatz), d.h. detaillierte
Analyse der antezedenten und konsequenten Verhaltensbedingungen auf der Basis
allgemeiner Verahltensgesetze. Gebrauch der schalldichten und künstlich
beleuchteten Skinner-Box, um Störfaktoren auszuschalten, die sich als
“Rauschen”, nicht aufklärbare Varianz im Untersuchungsergebnis
niederschlügen. Zahlreiche Arbeiten in der Psychopharmakologie,
Auswirkungen von Drogen auf Wahrnehmen, Lernen/Verhalten, Timing, Furcht/Angst,
Vermeidung und appetitive Reaktionen von Ratten und Tauben. So kann für
eine Ratte getestet werden, wie lange es braucht, bis sie eine neue Reaktion
lernt. Anschließend bekommt sie die Droge verabreicht, während der
nun folgenden Session kann beobachtet werden, ab wann die Droge, wie und wie
lange die Droge wirkt. Interessenten sei der Versuch empfohlen, bei dem Tauben
unter LSD-Einfluß eine bis zu 60fach höhere visuelle
Wahrnehmungsschwelle hatten, wobei im H&L steht, daß die
Wahrnehmungsschwelle gesenkt wurde.
5.3.5 Bewertung
Vorteile:
- rigorose Orientierung am Ideal
naturwissenschaftlicher Forschung. Saubere Datenerhebung durch gut
kontrollierte Versuchsbedingungen; detaillierte Bestimmung des Lernprozesses;
experimentelle Untersuchungen zur Untermauerung der Theorien statt
überredung und metaphysisches Bläh. Systematische Untersuchung von
Bekräftigungs- und Verstärkungsplänen bzw. -programmen. In sich
konsistente, widerspruchsfreie Terminologie.
Wiederentdeckung einer ideografischen statt
nomothetischen Zugansweise, forschte Skinner doch mit einzelnen Tauben und
nicht mit Gruppen, wodurch der Kontext von Experimenten genauer kontrolliert
werden konnte. Wären in der Skinnerbox 20 Tauben gewesen, so hätte
Skinner wohl kaum Ergebnisse gehabt.
An Entwicklung und Veränderung orientiertes
Menschenbild: der Mensch ist nicht Opfer seiner Gene oder seines
Triebschicksals. Persönlichkeitsmerkmale sind prinzipiell veränderbar
(Betonung von milieugebundenen Einflüssen auf das Verhalten).
Betonung von Operanten: Der Mensch agiert eher,
statt zu reagieren.
Weitreichende Anwendungsmöglichkeiten:
Erziehung (z.B. programmiertes Lernen, Modifikation des elterlichen
Erziehungsverhaltens), Sozialisation, Einzel-Gruppen-therapie, Tierdressur (!),
Nutzbarkeit operanter Techniken im Geschäfts-und
Industriebereich.
Nachteile/Kritik:
Laborforschung in uniformer Umwelt.
übertragbarkeit der Ergebnisse auf menschliches Verhalten
problematisich, da Versuchsbedingungen künstlich - Skinner entgegnet hier,
daß auch in anderen Wissenschaften die Empirie ein schmutziges
Geschäft sei, welches nur begrenzt den Formeln entspräche. Selbst das
Abkühlen von Kaffee in einer Tasse sei nicht genau vorhersagbar.
Generalisierung von Tierexperimenten auf
Humanverhalten fraglich. Der Mensch ist mehr als eine “Ratte im
King-Size-Format” (Sargent 1965).-
Vorhersagbarkeit von Verhalten in einer
Situation, die aus einer Kombination von neuen Reizen oder Reizkonfigurationen
besteht mit Hilfe des Skinnerschen Systems schwer vorstellbar
(Hall/Lindzey, S.207).
Molekularer Ansatz: Summierung von
Verhaltenselementen reicht nicht aus zur Erklärung komplexerer Einheiten.
Vernachlässigung subjektinterner Prozesse,
z.B. spielen mentale Prozesse keine Rolle. So wäre im Behaviorismus
eine Psychologie des Glücks undenkbar. Manche Lernprozesse lassen sich
darüberhinaus gar nicht ohne die Einbeziehung von Konzepten zur
symbolischen Repräsentation erklären, z.B. Spracherwerb.
Situationen und Bekräftigungen werden als
objektive, nicht von individuellen Bedürfnissen und Erfahrungen
beeinflußte Faktoren angesehen, aber was dem einen seine Belohnung,
ist dem anderen seine Bestrafung. Der eine diskriminiert Reize besser, der
andere ist farbenblind. Sehr hungrige Menschen können Hunde als potentielle
Mahlzeit sehen. Organismen sind nicht alle gleich.
Vernachlässigung biologisch-konstitutioneller
Faktoren dies wird z.B. durch Harlows (1962) Studie über die soziale
Entwicklung von Rhesusaffen belegt, gleiches gilt eigentlich für alles klar
erkennbare Instinktverhalten.
Skinners Theorie ist überhaupt keine Theorie
(hat er selbst auch nicht behauptet)
Der Begriff des Verstärkers hat keinen
Bedeutungsüberschuß: ein Verstärker ist das, was die
Auftretenshäufigkeit einer Reaktion erhöht. Da Skinner auf
subjektiv-phänomenale Begriffe wie “angenehm” verzichtet,
muß jeweils ausgetestet werden, was ein Verstärker ist. Damit aber
sind Vorhersagen über die Wirkungsweise von neuen Reaktionskonsequenzen
nicht innerhalb der Theorie vorherzusagen.
Deterministische Auffassung vom Menschen ist eine
an für sich wertneutrale Feststellung, die nur unter Kritik steht, weil mir
diese Auffassung stinkt. Immerhin räumen auch Vertreter des Behaviorismus
ein, daß Selbstkontrolle Verhalten genauso formen kann wie Fremdkontrolle.
5.4 Psychodynamische Lerntheorie: Dollard (1900- ) & Miller (1909- )
John Dollard: Assistant-Professor für Soziologie am
Institut of Human Relations in Yale. Unterrichtete neben Soziologie und
Psychologie noch Anthropologie. Neil E. Miller: (Experimental-)Psychologe. Beide
auch Psychoanalytiker.
Integriert die theoretischen Aussagen von Hull zur
Verstärkung (weswegen die Theorie als S-R-Theorie bezeichznet werden kann),
die psychoanalytische Lehre und Ergebnisse der Sozialanthropologie. Zentrales
Konzept ist das der Gewohnheitsbildung. Dollard & Miller konnten
grundlegende Erkenntnisse aus psychoanalytischen Schriften und klinischer
Beobachtung gewinnen. Der Versuch, die Frustration und die daraus folgende
Aggression innerhalb des S-R Paradigmas zu analysieren, ist ein Beispiel
für die Integration von S-R Modell und psychoanalytischen sowie
anthropologischen Theorien. Die Anwendung der Hull’schen Theorie auf
die Probleme der Sozialpsychologie und der Klinischen Psychologie ist Thema der
folgenden Publikationen: Social Learning and Imitation (1941) und Personality
and Psychotherapy (1950). Die Deskription von Lernprozessen ist zentral für
ihre Methodik. Lerntheorie ist nach D & M das Studium der
Bedingungen, unter denen eine Reaktion und ein Hinweisreiz miteinander
verknüpft werden. Im folgenden ruft das Erscheinen des Hinweisreizes die
Reaktion hervor. Notwendige Bedingungen sind das Vorhandensein eines Antriebs
beim Lernenden und die auf R folgende Belohnung.
Rattenexperiment zur klassischen (und
instrumentellen) Konditionierung :
Die Ratten werden in einen durch eine Hürde
getrennten Käfig gesetzt, dessen Boden aus einem Rost besteht. Gleichzeitig
mit der Bestätigung eines Summers wird stoßweise Strom durch den Rost
geleitet. Summton und Strom hören auf, sobald die Ratte die Hürde in
eine Richtung überwindet. Wiederholung dieses Vorgehen in
unregelmäßigen Intervallen. Die Zeit zwischen Einsetzen von Summton
und Strom und dem überwinden der Hürde verkürzt sich zusehends.
Am nächsten Tag Wiederholen der Prozedur mit periodisch wiederkehrendem
Summton, aber ohne Strom. Trotz fehlendem Schock überwinden die Ratten die
Hürde.
US (Schock) > remot = sD
(Drive) >
Remot
overt intern intern overt
overt intern intern overt
CS (Summer) > remot = sD
(sekundärer Dr.) > Remot
Habit /
Habit /
UR und CR sind in der Regel ähnlich, wenn auch
selten identisch. Zwischen dem beobachtbaren US (Schock) und dem offenen
Verhalten (Remot) postuliert Miller eine Kette innerer Ereignisse:
remot = Anzahl interner, mit Schmerz verbundener Reaktionen, die
wiederum als (Hinweis-)Reiz (cue) für die offene Reaktion Remot
dienen. Den auf remot folgenden Reizen werden
(An)-Trieb(s)eigenschaften zugeschrieben und sie werden deshalb als Trieb- oder
Antriebsreize identifiziert (sD = drive stimuli). Trieb bzw. Antrieb
wird definiert als ungerichtete Aktivierung/Anstoß des Verhaltens
(Motivationskonzept im Hull’schen System). Beipiele für
Primärtriebe (werden verursacht durch Mangelzustände): Schmerz,
Hunger, Durst, Sexualität. Nach Miller kann jeder innere oder
äußere Reiz einen Trieb erregen oder eine Handlung motivieren, sofern
er intensiv genug ist. Je stärker der Trieb ist, desto heftiger ist das von
ihm energetisierte Verhalten. In dem Rattenexperiment wird die Stärke und
Ausdauer der Reaktionen (über eine Hürde klettern) durch die
Stärke des Schocks bestimmt. Der Lernvorgang besteht in dem Aufbau einer
Assoziation zwischen dem CS (Summer) und der internen Reaktion
(remot) und wird als Habit bezeichnet. S und R müssen
zeitlich und räumlich nahe beieinander liegen und R muß durch
Belohnung verstärkt werden, damit eine Gewohnheit entstehen kann. Je
häufiger S und R zusammen auftreten, desto stärker wird der
(die?/das?) Habit. Wenn die klassisch konditionierte remot gefestigt
ist, reicht einmalige Reizdarbietung aus, um die gesamte Ereigniskette in Gang
zu setzen. Das Muster innerer Stimulationen (sD) wirkt in Kombination
mit CS als Hinweisreiz für ein offenes Verhalten, ähnlich dem vorher
durch US hervorgerufenen. Der Trieb wird also durch eine gelernte Reaktion auf
einen zuvor neutralen Reiz ausgelöst, er wird deshalb als
sekundärer (An)Trieb bezeichnet, im Gegensatz zu dem primären
Trieb, der den Reaktionen auf die schmerzvolle Stimulation entspringt. Im ersten
Teil des Experiments liegt somit mit Schmerz ein primärer Trieb vor, im
zweiten Teil nach Bildung der Habit mit Angst/Furcht ein sekundärer. Da in
dem Experiment das Auftreten des Verstärkers (Beendigung des Schocks) von
der Reaktion abhängt (nur beim überwinden der Hürde hört der
Strom auf) beruht dieser Teil der Ereigniskette auf instrumenteller
Konditionierung.
Eine der besonderen Leistungen der Theorie ist die
Erklärung für “selbstverstärkendes Verhalten”: Die
Tatsache, daß nach Aussetzen der Stromschläge keine Extinktion der
Reaktion (Hürdensprung) stattfindet, erklärt Miller mit einer weiteren
Verstärkung der Reaktion. CS (Summer) erzeugt zwar keinen Schmerz, aber
eine erlernte Furchtreaktion, die die instrumentelle Gewohnheit aktiviert. Durch
die instrumentelle R wird der Summer ausgeschaltet und somit der Grund für
die Furcht und damit diese (Triebreiz) geschwächt. Dies ist das Aussetzen
eines aversiven Reizes und damit verstärkend. Im folgenden unterliegen
sowohl die klassisch konditionierte Furchtreaktion als auch der instrumentelle
Hürdensprung der Verstärkung.
Nur wenn durch den Hürdensprung der Summton und die
damit verbundene Furchtreaktion nicht unterbrochen wird, wird diese Reaktion
gelöscht und ggf. durch eine neue instrumentelle Remot ersetzt.
Wenn der ursprüngliche US sehr intensiv war oder die Kopplung von CS und US
in größerer Anzahl stattfand, kann trotz Wirkungslosigkeit auf den US
die Remot noch Hunderte von Durchgängen anhalten. Dollard &
Miller postulieren eine Analogie zwischen der konditionierten Furcht der Vt und
irrationalen, neurotischen ängsten und Befürchtungen beim
Menschen.
Weitere Lernprinzipien sind Reizgeneralisierung,
wobei die Stärke der Reaktionstendenz sich direkt proportional zur
ähnlichkeit des Stimulus zum Ausgangsreiz verhält und auch in Relation
zur Stärke des Antriebs steht (dazu muß mensch nur an Hundeversuche,
Hosenbeine zu befruchten, denken) und Reaktionsgeneralisierung (ein Reiz
wird durch eine Anzahl ähnlicher Reaktionen, nicht nur der gewöhnlich
auf ihn folgenden Reaktion befolgt). Durch differentielle
Verstärkung läßt sich eine Reizdifferenzierung
bewirken.
5.4.1 Triebreduktionshypothese:
Ein Ereignis, das zu einer plötzlichen Verminderung
des Triebreizes sD führt,verstärkt oder belohnt jede
Reaktion, von der es begleitet wird. Die Reduktion von sD ist eine
notwendige und hinreichende Bedingung, damit es zur Verstärkung kommt.
Diese Hypothese impliziert, daß es nur dann zu S-R Verbindungen und der
Ausbildung von Gewohnheiten kommt, wenn die Reaktion verstärkt wird, eine
Annahme, die kontrovers diskutiert wird (vergl. Guthrie: zeitlich-räumliche
Kontiguität reicht aus; Zwei-Faktoren Theorien: gewisse Arten des Lernens
erfordern Kontiguität und Verstärkung). Miller formulierte
selbst eine Alternative zur Triebreduktionshypothese, er postulierte die
Existenz eines oder mehrerer activating mechanism(s) im Gehirn, die durch
triebreduzierende Ereignisse ausgelöst werden. Sie dienen dazu, durch cues
hervorgerufene Reaktionsverläufe zu intensivieren, dies entspricht Lernen
auf der Basis von Kontiguität. Die Aktivierung des Startmechanismus sei
selbst eine Reaktion, die durch Kontiguität konditioniert werden
könne. Ein vormals neutraler Reiz könne den Startmechanismus
aktivieren, wenn er bereits in Zusammenhang mit der Aktivierung des Mechanismus
vorkam. Dies ist eine genauso unelegante Lösung wie die der vermittelnden
Reaktionen im Behaviourismus, hier wird solange an der Theorie rumgefrickelt,
bis zwar das Einfachheitsgebot mit Füßen getreten wird, nur damit es
irgendwie dann doch noch
funkioniert.
5.4.2 Struktur der Persönlichkeit
Fokus der Theorie von Dollard & Miller auf
Lernprozeß, weniger auf dem Strukturaspekt der Persönlichkeit.
überdauernde Eigenschaften der Person lassen sich am ehesten durch die
Ausbildung von Gewohnheiten erklären. Eine wichtige Klasse von
Gewohnheiten wird durch verbale Stimuli begründet, ebenso sind viele
Reaktionen verbaler Natur. Weiterhin hängt die individuelle
Persönlichkeitsstruktur von den jeweiligen Lebensumständen ab.
Insbesondere die sekundären Triebe tragen zur Strukturierung der
individuellen Persönlickeit bei, die primären Triebe beziehen sich
eher auf das, was alle Menschen gemeinsam
haben.
5.4.3 Dynamik der Persönlichkeit
Erworbene Triebe wie Angst, Scham oder der Wunsch
zu gefallen, motivieren einen Großteil menschlichen Handels. Damit
übernimmt die Stimulation durch sekundäre Antriebe weitgehend die
Funktion primärer Triebstimulation. Die Wirkung der Primärtriebe
läßt sich meist nur noch in Krisensituationen erkennen. Die meisten
Verstärkungen sind nicht primär Belohnungen, sondern neutrale
Ereignisse, die erst durch die ständige Kopplung mit primärer
Verstärkung Belohnungswert erhalten (z.B. Lächeln der Mutter in
Zusammenhang mit Füttern und
Wickeln).
5.4.4 Entwicklung der Persönlichkeit
Angeboren sind: Spezifische Reflexe (Greifen etc
pp) und Reaktionshierachien (= Neigung zu gewissen R, die in spezifischen
Situationen vor anderen R auftreten, z.B. bei Lärm eher wegsehen statt zu
schreien) sowie die an physiologische Prozesse gebundenen primären
Triebe.
Entwicklung manifestiert sich
in:
•
der Ausweitung vorhandener Reaktionen auf neue Reizsituationen
bzw.-konstellationen
•
der Entwicklung neuer Reaktionen
•
der Entwicklung neuer oder abgeleiteter Motive
•
der Extinktion oder Eliminierung bestehender S-R Verbindungen.
Der Lernprozeß ist durch folgende Faktoren
zu beschreiben: (An)Trieb-Hinweis(reiz)-Reaktion-Verstärkung (s.o.).
Jeder Reiz kann, wenn er stark genug ist, sowohl Antriebs- als auch Hinweiswert
besitzen, d.h. das Verhalten sowohl motivieren, als auch dirigieren.
Reaktionsfaktoren: Je nach Kontext haben manche Reaktionen eine
höhere Auftretenswahrscheinlichkeit als andere und können auf diese
Wahrscheinlichkeit hin eingeschätzt werden. Die Reaktionswahrscheinlichkeit
in dem Augenblick, in dem eine Situation zum ersten Mal erscheint heißt
initiale Reaktionshierarchie, wenn sie ohne Lernen auftritt, handelt es
sich um eine angeborene Reaktionshierarchie. Wenn das individuelle
Verhalten durch vorausgegangene Erfahrungen mitbedingt ist, spricht man von
einer resultierenden Hierarchie. Im Verlauf der Entwicklung vermitteln
oder bestimmen zunehmend sprachliche äußerungen
unterschiedliche Reaktionshierarchien (z.B. bedrohlich-Spaß machend)
ebenso wie kulturelle Verhaltensnormen. Ob und wie häufig eine Reaktion
wiederauftritt, hängt von den nachfolgenden Konsequenzen, d.h. dem
Vorhandensein von Bekräftigung ab. Einerseits wird ineffektives Verhalten
gelöscht, andererseits kann es zur Ausbildung neuer, adaptiver
Verhaltensweisen kommen, insbesondere dann, wenn die alten, bis dato zur
Verfügung stehenden Verhaltensmuster zur Reduzierung der Triebspannung
nicht mehr ausreichen, was im Umkehrschluß bedeutet, daß vollkommene
Triebbefriedigung Verhaltensmodifikation bzw. Lernen
ausschließt.
Der Lernprozeß ist bestimmt durch die
Entwicklung von primären Trieben zu einem komplexen System sekundärer
Triebe. Dieser Prozeß läuft ähnlich ab wie die
Gewohnheitsbildung in dem oben beschriebenen Experiment. Die
Löschungsresistenz des instrumentellen Verhaltens, also der offenen
Reaktion hängt von der der Anzahl der US-CS Präsentationen
während der Lernphase und der Intensität des schädlichen US ab.
Starke Stimuli wie z.B. Schock lösen intensive innere Reize aus, die
wiederum als Hinweisreize für nachfolgende Reaktionen dienen und als
Antrieb fungieren, der den Organismus aktiviert oder in Aktion hält, bis
eine Bekräftigung erfolgt oder ein anderer Prozeß (z.B.
Ermüdung) dazwischentritt. Die offenen Reaktionen, die in einer
Verstärkung resultieren, sind diejenigen, die gelernt werden. Ein vormals
neutraler Reiz kann einen Teil der inneren Reaktionen auslösen, die
ursprünglich nur durch den Antrieb selbst ausgelöst wurden. Auf diese
Weise wird der sekundäre Trieb etabliert, was den Organismus zum Lernen
motiviert. Situationen, in der der triebreizerzeugenden remot keine
Verstärkung = (Triebminderung) zukommt, bewirkten die Extinktion einer
Reaktion. Schneller geht dies durch Gegenkonditionierung: eine starke, mit der
ersten unvereinbaren Reaktion wird an denselben Hinweis gekoppelt, ein
furchterregender Reiz (Summer) z.B. nicht mehr als Signal für einen
Stromschlag, sondern für eine Mahlzeit. Die Reaktionen Furcht und Appetit
sind nicht
vereinbar.
5.4.5 Höhere geistige Prozesse
Dollard & Miller unterscheiden zwischen
zweckgebundenen, instrumentellen Reaktionen und solchen, deren Hauptfunktion es
ist, den Weg zu einer anderen Reaktion zu ebnen oder zu leiten (= veritteln).
Die Sprache ist an den meisten dieser hinweisvermittelten Reaktionen beteiligt.
Die Bezeichnung von Ereignissen oder Erfahrungen ist eine der wichtigsten
hinweiserzeugenden Reaktionen. Generalisierung oder Transfer zwischen
Hinweisreizen kann durch deren Bezeichnung mit demselben Begriff gesteigert
werden. Auf diese Weise können völlig unterschiedliche Situationen als
in der entscheidenden Dimension als identisch, beispielsweise als
“bedrohlich” oder “sicher” usw. etikettiert werden oder
umgekehrt ähnliche Ereignisse, Situationen, Personen als verschieden
bezeichnet werden. In der Folge steuern die sprachlichen “cues”
das Verhalten. Darauf sollte man bei der Behandlung von Patienten achten,
sonst beißt sich der/die TherapeutIn bei der Verhaltensmodifikation
u.U.die Zähne aus: situationsinadäquates Verhalten kann zum
großen Teil aus inadäquaten sprachlichen Etikettierungen resultieren.
Sprache kann darüberhinaus Triebe erwecken, als Belohnung wirken und
als zeitverbindender Mechanismus, welcher Verhalten anregt, dessen merkbare
Konsequenzen erst in der weiteren Zukunft liegen, durch eine verbale
Repräsentation aber schon in der Gegenwart zugänglich sind.
Schlußfolgerndes Denken wird als ein Vorgang der
Substitution offenen Verhaltens durch innere, hinweiserzeugende Reaktionen
interpretiert, was effektiver als tatsächliches Versuchs- Irrtumsverhalten
ist und antizipatorische Reaktionen und Planen ermöglicht.
5.4.6 Kritische Phasen in der Entwicklung
D & M sehen ihre Theorie z.T. als die Fassung der
Begriffe der Psychoanalyse in ihr, eher am (natur-) wissenschaftlichen Standart
orientientiertes System. In der frühen Kindheit erfahrene un-(bzw.
vor)-bewußte Konflikte stellen die Grundlage für spätere
emotionale Probleme dar, wobei die ersten 6 Lebensjahre als vulnerable Phase
angesehen werden. Neurotische Konflikte werden im Kindesalter gelernt und sind
die Folge der von den Eltern geschaffenen Bedingungen, denen das kleine Kind
zunächst hilflos ausgeliefert ist. Es verfügt noch nicht über die
entsprechenden kognitiven Funktionen zur Selbststeuerung und
Konfliktbewältigung. Eltern sollten generell bemüht sein, die
Triebreize nicht zu stark werden zu lassen. Kritische Situationen für die
Entstehung von Konflikten sind die Still- und Fütterungssituation des
Säuglings, die Sauberkeitserziehung, der frühe Umgang mit der
Sexualität und die Erziehung zur Aggressionskontrolle. Als eine
Schlüsselsituation wird das Stillen bzw. der Umgang mit dem vor Hunger
schreienden Kind beschrieben. Rechtzeitiges Stillen des Hungers führt zur
Entwicklung von Vertrauen, während im gegenteiligen Fall sich Gefühle
des Alleinseins entwickeln können. Das Kind kann dann selbst ein relativ
schwaches Hungergefühl mit äußerst schmerzvollen Reizen, die es
in dieser Situation häufig erlebt hat, assoziieren. Dadurch können
bereits schwache Reize zu einer intensiven Triebstärke führen und
somit sehr starken Reizen gleichwertig werden (überreaktion). Die in dieser
Situation erlebte interpersonale Erfahrung wird später auf andere
zwischenmenschliche Situationen generalisiert (Reizgeneralisierung). Nach Harlow
(1958, 1959) überschätzten Dollard & Miller die Bedeutung der
Reduktion von Hunger und Durst für die emotionale Entwicklung und
unterschätzten den Stellenwert von Körperkontakt und Gehaltenwerden.
Vergl. Experiment mit Draht- und Fellmutter bei kleinen Affen, die sich bei
Bedrohung der Fellmutter gegenüber genauso wie normalerweise gegenüber
der richtigen Mutter verhielten, die fütternde Drahtmutter hingegen
völlig ignorierten (Fehler in der experimentellen Durchführung: die
Drahtmutter hatte kein Gesicht!).
Unbewußte Prozesse werden in
übereinstimmung mit der psychoanalytischen Sichtweise als bedeutende
Verhaltensdeterminanten angesehen, allerdings von Dollard & Miller anders
erklärt. Unbewußte Faktoren lassen sich in zwei Kategorien einteilen,
einerseits die (An)triebe, Hinweisreize und Reaktionen, die niemals bewußt
waren und vor dem Spracherwerb erlernt wurden und andererseits diejenigen
Hinweisreize und Reaktionen, die zunächst bewußt waren, später
jedoch verdrängt wurden. Verdrängung wird in gleicher Weise gelernt,
wie jede andere gelernte Reaktion, sie entspricht einem Prozeß, in dem
Gedanken vermieden werden. Dieses “Nicht-Denken” führt zu einer
Triebreduktion und wird damit verstärkt. Gedanken und Erinnerungen, die
Furcht erregen, werden also zu sekundären Triebreizen. Die Verdrängung
vermindert den Furchtreiz und dadurch wird “Nicht-Denken”
verstärkt. Reaktives “Nicht-Denken” wird später
antizipatorisch, noch bevor das Bewußtsein das Ereignis rekonstruiert hat.
Vor der Reaktion S (Gedanken) -> remot wird also eine
selbstverstärkende weitere etabliert, die in bestimmten Situationen gar
nicht erst aufkommen läßt. Diese antizipatorische Reaktion
interferiert mit dem normalen Extinktionsprozeß, weil eine Reaktion, die
nicht stattgefunden hat, nicht gelöscht werden kann. Ausmaß und
Stärke der Verdrängung variieren auf einem Kontinuum und hängen
von der angeborenen Stärke der Furchtreaktion, vom Grad der
Abhängigkeit von den Eltern und dem Ausmaß der Androhung von
Liebesverlust sowie von der Schwere der Traumata ab.
5.4.7 Analyse des Konfliktverhaltens: 5 Grundannahmen
•
die Tendenz, sich einem Ziel zu nähern wird umso stärker, je
näher das Ziel kommt (Annäherungsgradient)
•
die Tendenz, einen negativen Reiz zu vermeiden wird umso stärker, je
näher sich das Individuum dem Reiz nähert
(Vermeidungsgradient)
Diese beiden Gesetze lassen sich aus dem Gesetz der
Stimulusgeneralisierung ableiten.
•
der Vermeidungsgradient steigt steiler an, als der Annäherungsgradient,
Vermeidungsverhalten ist bei Annäherung an das Ziel größer als
Annäherungsverhalten
•
eine Zunahme des mit der Annäherung oder Vermeidung verbundenen Triebes
resultiert in einem höheren Niveau des Gradienten
•
von zwei konkurrierenden Reaktionen findet die stärkere
statt
Konfliktarten:
approach-avoidance conflict (Junger Mann, der
sich in Gegenwart einer attraktiven Frau ängstlich fühlt). Nur wenn
beide Tendenzen gleich stark ausgeprägt sind, ist eine Reaktion schwierig.
Da der Vermeidungsgradient steiler ist, wird er sich ihr eventuell nur bis zu
einem bestimmten Grad annähern und dann stoppen. Verhalten in einem
Annäherungs-Vermeidungskonflikt findet dann statt, wenn sich beide
Gradienten vor der Interaktion mit dem Ziel (Objekt/Person) nicht schneiden
(d.h. der Schnittpunkt auf deren hypothetischen Fortführung
läge).
avoidance-avoidance conflict (der Junge, der
Angst vorm Klettern hat, sich aber nicht vor seinen Freunden blamieren will).
Hier kann kommt das Verhalten an einem Ort zum Stillstand, der bei gleich
starkem Vermeidungsgradienten gleicht weit von beiden Zielen entfernt ist. Als
Lösung bleibt nur die Wahl eines Ausgangs aus der Zwickmühle.
Einen Konflikt zwischen zwei positiven Alternativen
halten D & M für nicht realistisch, meist liegt hier eine versteckte
Vermeidungsreaktion zugrunde. Sobald ein positives Ziel angenähert wird,
desto wichtiger wird es, während das andere unwichtiger wird.
Neurotische Konflikte werden gelernt (s.o.), die
offenkundigen Syptome werden verstärkt, weil sie das neurotische Elend
verringern, und zwar dadurch daß sie wenigstens vorübergehend eine
Flucht vor den Befürchtungen und ängsten ermöglichen. Symptome
sind als “habits” gelernt. Die Problemlösung gelingt nicht,
weil die Konflikte unbewußt sind. Besipiel: die angstreduzierende Wirkung
phobischen Verhaltens bei einer Frau mit geleugneten sexuellen Gefühlen.
Die Aufmerksamkeit auf die phobischen Reaktionen verhindert das
Bewußtwerden verdrängter Gedanken. Durch die damit verbundene
subjektive Erleichterung werden die phobischen R verstärkt. Da diese
Probleme unbewußt sind, sind sie für bewußte
Problemlösevorgänge nicht erreichbar. Wird ein Symptom beseitigt, ohne
die Ursachen zu beseitigen, wird sich wahrscheinlich eine Symptomverschiebung
ergeben - hier werden die S-R Theoretiker richtiggehend zu Protagonisten des
psychoanalytischen Ansatzes.
Neben diesen erlernten Reaktionen gibt es allerdings
auch angeborene psychosomatische Reaktionen, welche durch das autonome
Nervensystem hervorgerufen werden und meistens (nicht immer) durch primäre
Triebe hervorgerufen werden: feuchte Hände, nervöser Magen etc. Im
Gegensatz zu früheren Annahmen lassen sich solche autonom gesteuerten
Reaktionen des Organismus (z.B. Pulsfrequenz, Herzschlag, viszerale
Kontraktionen) aber auch z.T. instrumentell konditionieren wie willkürliche
Reaktionen (Biofeedback), so daß eine überformung des angeborenen
Verhaltens in Grenzen machbar ist.
5.4.8 Psychotherapie:
nach den gleichen Prinzipien, wie neurotische Konflikte
gelernt werden, lassen sie sich auch wieder verlernen (gezielte Extinktion)
und stattdessen adäquate Verhaltensweisen neu lernen (gezielter
Aufbau von Habits). D & M benutzen klassische therapeutische
Vorgehensweise (permissiver Therapeut, der den Klienten zu freien Assoziationen
ermutigt und die äußerung “verbotener Gedanken”
unterstützt).Die Therapie sollte Bedingungen herstellen, die zur Extinktion
des fehlangepaßten Verhaltens statt zur Verdrängung, Vermeidung und
Flucht führen (über Probleme reden statt sie zu verdrängen). Der
Extinktionseffekt soll auf ähnliche, beunruhigendere Konflikte (über
bitterere Probleme reden) generalisiert werden und der Patient durch eine
verbesserte Diskriminationsfähigkeit zur eigenständigen, konstruktiven
Konfliktbewältigung befähigt werden. Sind die unbewußten
Probleme erst einmal erkannt, so kann ein mündiger Mensch sie mit der Zeit
selber kognitiv lösen, wobei hier wie bei allen S-R orientierten Therapien
auch der “Fuß-in-der-Tür”-Effekt erklärt wird: Je
erfolgreichere Verhaltensweisen jemand hat, desto weniger Angst etc wird er
haben, desto erfolgreicher wird er handeln können.
5.4.9 Exemplarische Beispiele für Forschungsmethoden:
Die psychoanalytische Verschiebung kann mit dem
Konstrukt der Reizgeneralisierung erklärt werden. Wenn Aggressionen
nicht da ausgelebt sind, wo sie sanktioniert werden, sondern in ähnlichen
Situationen, so ist einfach der auslösende Reiz für die A. so weit
generalisiert worden, daß sich der Organismus die Möglichkeit zur
Triebabfuhr geschafften hat. Miller und Bugelski (1948) legten in einem
Sommerlagen den Jugnen Fragebögen vor, welche u.a. die Einstellungen
gegenüber Japanern und Mexikanern maßen. Die zweiten Sitzung wurde
absichtlich so langwierig gestaltet, daß die Vpn eine geschätzte
Kinoveranstaltung verpaßten. Die so gegenüber den Vpn/der Welt
aufgestauten Aggressionen schlugen sich nieder in negativeren Werturteilen
über Japaner und Mexikaner. Experimentell wurde Reaktionsgeneralisierung
an Ratten getestet: Am Ende eines Labyrinths gab es stets Wasser, was alle
Ratten einheitlich (zu schätzen) lernten. Danach wurden diese in zwei
Gruppen aufgeteilt, die einen mußten hungern, die anderen nicht. Die
hungernde Gruppe rannte danach schneller durch das Labyrinth, es hatte eine
Generalisierung der Reaktion stattgefunden, die jetzt auch durch Hunger, nicht
nur durch Durst hervorgerufen werden konnte.
Im Gegensatz zu Dollard und Miller haben Wolpe und
Eysenck abgelehnt, mit S-R Theorien psychoanalytische Begriffe zu
untermauern. Sie forderten, Behandlungen ohne den Umweg über das ihrer
Meinung nach inadäquate Begriffsinventar der Psychoanalyse theoretisch zu
untermauern und forderten radikal das ein, was heute unter Verhaltenstherapie
(VT) läuft.
Joseph Wolpe, Südafrika, Medizin, 1940-1959
als Arzt tätig, davon die letzten zehn Jahre auch als Dozent für
Psychiatrie. übersiedelte 1960 in USA. Hans-Jürgen Eysenck,
1916 in Berlin geboren, studierte zunächst französische und englische
Geschichte und Literatur, emigrierte 1934 zunächst nach Dijon, dann nach
Exeter und blieb nach dem Krieg an der Uni London. Obwohl beide nie
zusammengearbeitet haben, so haben sie sich gegenseitig durch ihre Ideen
angeregt und sind zu ähnlichen Schlußfolgerungen gekommen. Eysenck
hat übrigens auch aus einer Position der Kritik an bestehenden
Persönlichkeitsmodellen ein faktorenanalytisches entworfen. U.a.
postulierte er, daß die Menschen (genetisch verursacht) in sehr
unterschiedlicher Schnelligkeit S-R Verbindungen bilden. Damit sind Individuen
unterschiedlich stark zur Entwicklung neurotischer Angst prädisponiert,
diese Angst selber wird aber als stets gelernt angesehen. Kern jeder Neurose ist
sowohl für Wolpe wie für Eysenck eine konditionierte Furchtreaktion
mit eventuell folgender Reizgeneralisierung, den psychoanalytischen Begriff des
Konflikts schaffen sie ab. Danach werden selbstverstärkende Mechanismen
(s.o.) angenommen.
Spezielle verhaltenstherapeutische
Techniken
Gegenkonditionierung (Wolpe, 1958): eine
Reaktion, die sich antagonistisch zur Angst - in der Regel (progressive
Muskel-)Entspannung - verhält, wird in Gegenwart des angstauslösenden
Reizes bzw. Reizkonstellation aufgebaut, sodaß schließlich die
Verbindung zwischen der Reizkonstellation und der Angstreaktion geschwächt
wird (Spezialfall des Prinzips der reziproken Inhibition). Um die
Gegenkonditionierung zu erreichen, wird mit systematischer
Desensibilisierung (entwickelt in Anlehnung an Mary Jones, Studentin bei
Watson, 1924) nach Aufstellung einer Angsthierarchie gearbeitet. Der
Klient soll sich zunehmend schwierige Situationen vorstellen. Die zuvor erlebte
Angst wird durch die Realisierung der Entspannungsreaktion und Generaliserung
auf die in der Angsthierarchie höher fungierenden Situationen
gelöscht. Systematische Desensibilisierung kann in sensu und in vivo
stattfinden.
5.4.10 Bewertung der traditionellen S-R Thoerien (vor der kognitiven Wende)
Wertfrei:
Haben durch die Vorherrschaft in von amerikanischen
Psychologie weite Teile des psychologischen Wissenschaftsbetriebs geprägt.
Positiv:
Saubere Operationalisierungen in Kernbegriffen, deswegen
klare empirische/experimentelle Fundierung, trotzdem bei D&M Rückgriff
auf bedeutungshaltigere Begriffe der Psychoanalyse. Integrationsversuch von zwei
psychologischen Theorien sowie sozialanthropologischer und soziokultureller
Kenntnisse. Als Lerntheorie erklärt D&Ms Theorie vor allem
Verhaltensmodifikation, was entwicklungspsychologisch gesehen ein großer
Vorteil ist, als soziale Theorie sieht sie den Menschen in seinem wichtigsten
Kontext - der Gesellschaft, die von anderen Theorien oft vernachlässigt
wird. Die Lerntheoretiker, welche sich von Tierexperimenten über´s
Labor in Richtung menschliches Leben hangelten, sind zumindest teilweise auch da
angekommen, so haben D&M sowohl mit Ratten experimentiert als auch
Therapiekonzepte erstellt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß
Vorhersagen etc. selbstverständlich um so ungenauer werden, je komplexer
die vorherzusagenden Vorgänge sind, diesbezüglich haben
Rattenexperimente Vorteile.
Negativ:
Viele im Tierexperiment gewonnene Erkenntnisse
müßten noch für den Menschen bestätigt werden, was sich
seit 1974 allerdings auch schon entspannt haben dürfte. Hauptkritikpunkt
neben den Standardargumenten gegen Laborforschung ist: S-R Theorie ist
eigentlich eine “Bindestrich-Theorie”, sie sagt mehr über die
Beziehung der beiden Glieder aus, als über Stimulus und Reaktion für
sich genommen. Was sind Stimuli, unter welchen Bedingungen wirken sie etc. -
dies sind Fragen, mit denen sich diese Psychologie kaum auseinandersetzte.
Immerhin wurden zumindest einige soziale Bedingungen wurden von D&M, die mit
Stimuli interagierten, thematisiert (s.o., Kontext von Mutter-Kind
Interaktionen) S-R Theorien sagen wenig über die erworbenen Eigenschaften
und die Struktur der Persönlichkeit aus, sie stellt eigentlich nur eine
Teiltheorie der Persönlichkeit dar. Weitere Kritikpunkte: molarer Ansatz
(statt Organismus als Einheit zu betrachten), Vernachlässigung komplexer
kognitiver Funktionen (s.o.). Gegen letztere Einwände wird für
gewöhnlich entgegnet, daß auch die Physik erst Steine von Türmen
werfen mußte, bevor sie CERN bauen konnte, d.h. die S-R-Theorien
könnten in Zukunft kognitiv erweitert werden - was ja auch geschehen ist.
Nur haben sie dabei leider fast alle ihre Vorteile eingebüßt.
5.5 Soziale Lerntheorien der Persönlichkeit: Bandura’s Theorie des Modell-Lernens
Albert Bandura, geb. 1925 in Alberta (Kanada,
sofern das nicht vom Risiko-Spielen bekannt ist). Studienschwerpunkt Klinische
Psychologie an der Universität von Iowa, welche damals ganz dem
Behaviorismus in der Tradition von Hull verschrieben war. Wenigstens
erwähnt werden soll hier sein Mitarbeiter Richard Walters.
Forschungsinteressen: familiäre Interaktionsprozesse und die Entstehung von
Aggression bei Kindern, Imitation, Identifikation, soziale Verstärkung,
Selbstverstärkung, Selbstsystem, Selbstwirksamkeit, Techniken zur
Verhaltensmodifikation. Veröffentlichungen: Principles of bahavior
modification (1969); Social learning theory (1977).
Bandura versucht, in seiner sozial-kognitiven
Lerntheorie nicht nur die Veränderung bereits vorhandener Verhaltensweisen,
sondern auch die Aneignung und Ausführung neuer
Verhaltensweisen zu erklären, die sofort als Ganzheit auftreten, was
mit den herkömmlichen behavioristischen Theorien nicht zu erklären
sind. Hierzu bemerkte Bandura trocken: “Die meisten Menschen würden
den Sozialisationsprozeß niemals überleben, wenn soziales Lernen
einzig und allein auf der Basis der Belohnung oder Bestrafung von
Verhaltenskonsequenzen erfolgte.” (Zimmermann, S. 186). Diese
klassisch-behavioristischen Ansätze versagen auch bei der Unterscheidung
zwischen Aneignung und erstmaliger Ausführung einer Handlung.
Er postuliert die Notwendigkeit sozialer Modelle
für die übermittlung und Modellierung von Verhaltensweisen. Ein
Modell wird als jegliche Repräsentation eines Verhaltensmusters
definiert. (Lefrancois, 1986, S.200). Damit sind nicht nur Personen, sondern
auch symbolische Modelle, wie Bücher, Fernsehen,
Bedienungsanleitungen etc gemeint, halt alles, was zeigt, wie etwas gemacht
wird. Eine zentrale These Banduras ist, daß alles Lernen, das aus direkter
Erfahrung resultiert, auch durch die Beobachtung des Verhaltens anderer und
dessen Konsequenzen geschehen kann. Eine wichtige Voraussetzung für das
Modell-Lernen ist die Fähigkeit des Menschen zur Symbolisierung, zur
Selbstregulierung und zur Selbstreflektion (s.u.).
Die Symbolisierung umfaßt jene Bereiche
menschlicher Aktivität, die durch “Vermittlung” oder durch
internale Prozesse beeinflußt werden, z.B. verdeckte Verbalisierung von
Regeln (Selbstinstruktionen) oder die Vorstellung der Konsequenzen eines
Verhaltens (Antizipation) (Lefrancois, 1986, S. 197). Bandura zufolge nehmen
Beobachter eines Modells nicht einfache Reiz-Reaktions-Assoziationen auf,
sondern eher symbolische Repräsentationen modellierter Ereignisse.
Weiterhin geht Bandura von einer wechselseitigen Beeinflussung und
Abhängigkeit von Verhalten, Persönlichkeitsmerkmalen und
Umweltereignissen aus, wobei die verschiedenen Einflußfaktoren
unterschiedlich stark ausgeprägt sein können und zu unterschiedlichen
Zeitpunkten wirksam werden können. Das Postulat einer reziproken
Interdependenz von Verhalten und Umwelt steht in Zusammenhang mit den
angenommenen Wahlmöglichkeiten und Freiheitseinschränkungen des
Individuums im Kontext sozialen Lernens. Das Menschenbild der
sozial-kognitiven Theorien wird durch diese beiden Annahmen, 1. Fähigkeit
zur Symbolisierung,- Selbstregulierung und Selbstreflektion und 2. reziproke
Interdependenz von Verhalten und Umwelt entscheidend geprägt.
5.5.1 Subjektinterne (=kognitive) Teilprozesse, die das Beobachtungslernen steuern:
Bandura geht von den folgenden 4 Teilprozessen
aus, die das Beobachtungslernen steuern. Diese Prozesse und die Merkmale des
Beobachters bestimmen, welche Eigenschaften eines Modells überhaupt
aufgenommen werden, wie sie weiterverarbeitet werden, in bereits vorhandene
Schemata des Beobachters integriert und ggf. produziert werden.
a) Aufmerksamkeitsprozesse: bestimmt durch
Beobachtermerkmale (Kapazität, Erregungsniveau,
Wahrnehmungseinstellung...) und Modellmerkmale (Regelmäßigkeit
des Kontaktes zwischen Beobachter und Modellperson, Komplexität,
Deutlichkeit, Funktionaler Wert, Affektive Valenz (Dauerfernsehen wird mit der
intrisnsischen Motivation der Beobachtungshandlung erklärt),...) Selektive
Auswahl und Information bzgl. der Umweltereignisse, überprüfung und
Auswahl dessen, was an Modellen vorhanden ist.
b) Behaltensprozesse: kognitive
Repräsentationsprozesse Die Beeinflussung durch Modelle ist ohne
Behaltensleistungen nicht möglich. Behalten ist ein aktiver
Prozeß, der übertragung und Restrukturierung beinhaltet und durch
symbolische Umsetzung der modellierten Informationen in Gedächniscodes
unterstützt wird. Verzerrungen durch Prä-Konzeptionen und emotionale
Einflüsse möglich. Wiedererinnern ist ein Prozeß der
Rekonstruktion! Bandura geht davon aus, daß die meiste Verhaltensmuster in
der Sprache repräsentiert sind und daß sie am
zweckmäßigsten wirken, wenn die erst symbolische Organisierung
wiederholt wird (mentales Training), bevor die Handlung in die Tat umgesetzt
wird.
c) Produktionsprozesse: Umsetzung symbolischer
Konzeptionen in passende Handlungsabläufe (motorische Reproduktion):
Abhängig von physischen Fähigkeiten, Fähigkeiten zur
Selbstbeobachtung etc. Schließt die überprüfung der
Angemessenheit der Handlung durch einen Vergleich mit dem Modell ein und erlaubt
eine Modifikation der ausgeführten Handlung durch feedback
Information.
d) Motivationsprozesse Menschen führen nach
Bandura eine Handlung nur aus, wenn sie eine Verstärkung erwarten. Wichtig
ist die hier gemachte Unterscheidung Erwerb/Ausführung einer Handlung. Die
Erwartung wird beeinflußt durch direkte (externe, selbsterfahrene),
stellvertretende (beobachtete) und selbstproduzierte
Bekräftigung/Motivation (Selbstbelohnung: Stolz, Selbstbestrafung:
Niedergeschlagenheit etc).
Inwieweit ein Verhalten von der Modellperson
übenommen wird, hängt vom Grad ihrer Attraktivität, Status,
Prestiges und vom Geschlecht ab, davon, ob sie für kompetent, intelligent
gehalten wird. Diese Faktoren können dazu führen, daß Verhalten
übernommen wird, obwohl die Konsequenzen gar nicht beobachtet werden, es
genügt schon die statusmäßige Einstufung einer Person
(“Ich will so gern wie Konrad sein...”) Fußgänger gehen
weit häufiger hinter einer gutgekleideten als nach einer
schlechtgekleideten Person bei Rot über die Ampel. Grenzen sind hier
natürlich, wo sich Verhalten im Leben des Beobachters nicht bewährt.
Personen, die über die Ressourcen der Belohnung verfügen, werden eher
nachgeahmt, als solche, die Belohnung lediglich konsumieren. Auf der
Beobachterseite haben interindividuell variierend Verhaltensdispositionen
wie Selbstsicherheit, Beeinflußbarkeit, Abhängigkeit, soziale
Isolation oder Informiertheit einen Einfluß auf das Ausmaß des
Beobachtungslernens. Im Rahmen der Aggressionsforschung konnte nachgewiesen
werden, daß Jungen eine größere Bereitschaft zeigen,
aggressives Verhalten zu imitieren. Eine weitere Rolle spielt die
Qualität der Beziehung zwischen Beobachter- und Modellperson:
Häufigkeit des Kontaktes etc. Ersterer sollte glauben, daß
letzterer ihm wohlgesonnen ist; herzlich und warmherzig ist Trumpf, insbesondere
für die übernahme prosozialer Verhaltensmuster. Je größer
die ähnlichkeit zwischen beiden, desto größer die
Wahrscheinlichkeit einer Verhaltensübernahme, wahrscheinlich auch, weil
dies den Grad der Gegenseitigen Attraktion erhöht. Die Technik der
ähnlichkeitsverstärkung ist besonders bei Kindern ein gutes Mittel zur
Verbesserung des Rapports. (Wenn böse Onkels auch Fix und Foxi Heftchen
lesen, kommen Kinder eher mit.) Aus der Situation selber ergibt sich
natürlich die Beobachtung der stellvertretenden Verstärkung, sie
läßt sich aber auch charakterisieren bezüglich der
Anonymität: Gewalt von Hamburger Polizisten mit runtergeklappten Helm gegen
Demonstranten ist einfacher als dieselbe Gewalt ohne Helm gegen
Bürgerbewegungen vor laufenden Fernsehkameras.
5.5.2 Voraussetzungen für das Modell-Lernen:
Fähigkeit zur
Symbolisierung
Bandura bezeichnet kognitive, stellvertretende,
selbstregulierende und selbstreflektierende Prozesse als wichtige Determinanten
in allen psychosozialen Prozessen, also auch für das Modell-Lernen. Die
symbolische Repräsentation von Ereignissen erlaubt die Beeinflussung von
aktuellem Verhalten durch zukünftige, zu erwartende Konsequenzen
(Antizipation von Ereignissen und deren Konsequenzen) und sie befähigt
Menschen durch Beobachtung zu lernen, ohne durch Umsetzung in die Tat
verstärkt worden zu sein. Dadurch können Aneignungsprozesse
verkürzt werden. Kognitive Faktoren bestimmen:
- welchen Ereignissen der Umwelt Aufmerksamkeit zuteil
wird
- welche Bedeutung ihnen zugemessen
wird
- welche und ob sie bleibende Effekte
hinterlassen
- welche emotionale Wirkung sie haben
- welchen motivierenden Einfluß sie
haben
- wie sie durch vermittelte Information für den
zukünftigen Gebrauch organisiert werden
Fähigkeit zur
Selbstregulation
Die Selbstregulation von Motivation und Handeln
geschieht durch interne Normen und bewertende Reaktionen des Menschen auf
eigenes Verhalten. Die Fähigkeit zur Antizipation erweitert die
Selbstregulation um eine weitere Dimension: der Zukunftsperspektive menschlichen
Handels. Zukünftige Ereignisse und deren Konsequenzen sind kognitiv in der
Gegenwart vorhanden, deshalb können Zukunftsvorstellungen einen kausalen
Einfluß auf Verhalten haben und sie beeinflussen dieses oft stärker
als die aktuellen Konsequenzen. Wenn angenommene und tatsächliche
Konsequenzen sich unterscheiden, wird Verhalten nur wenig durch die
tatsächlichen Ergebnisse beeinflußt, bis sich reale Erwartungen
heausgebildet haben.
Sozial schädliches Verhalten, das mit den
internalisierten Normen nicht in Einklang steht, wir durch Mechanismen wie die
der Selbstrechtfertigung durch z.B. Umdefinition dieser Normen, der
Dissoziation der Beziehung zwischen Handeln und dessen Auswirkungen
(Verharmlosung, Nichtbeachtung und Mißdeutung von Konsequenzen,
Attribution von Schuld) sowie durch selektive Erinnerungsleistungen
erklärt.
Fähigkeit zur
Selbstreflektion
Gemeint ist die überprüfung und ggf.
Modifikation des eigenen Denkens, des eigenen Handels und deren Wirksamkeit.
Bandura unterscheidet 4 verschiedene Arten der kognitiven überprüfung:
aktive: Grad der übereinstimmung zwischen
den gedanklichen Vorstellungen und den Ergebnissen eigenen Handelns. Bei
hoher übereinstimmung werden die Vorstellungen bestätigt, bei
niedriger bzw. fehlender widerlegt.
stellvertretende: Adäquatheit eigenen
Denkens wird durch Beobachtung der Interaktion anderer mit ihrer Umwelt
und den daraus resultierenden Konsequenzen
überprüft.
überzeugende: Vergleich zwischen den eigenen
Gedanken und den Bewertungen bzw. Urteilen anderer.
logische: Logische Wahrscheinlichkeit der
Richtigkeit von Annahmen wird durch Ableitung aus bereits Bekanntem
überprüft (Regelwissen).
Durch die überzeugende und die logische
Verifikation können Menschen Wissen erwerben und überprüfen,
welches über den eigenen Erfahrungshorizont hinausgeht. Diese
metakognitiven Aktivitäten können eigenes Denken verifizieren oder
falsifizieren, aber auch zu falschen Kognitionen führen. Das ist dann der
Fall, wenn falsche Annahmen zu sozialen Konsequenzen führen, die diese zu
bestätigen scheinen. Bsp.: negative Erfahrungen in zwischenmenschlichen
Beziehungen bedingen abweisendes Verhalten gegenüber anderen, die daraufhin
eintretenden Konsequenzen scheinen die negativen eigenen Erwartungen zu
begünstigen.
5.5.3 Das Menschenbild der sozial-kognitiven Theorien und dessen Begründung
Die sozial-kognitiven Theorien gehen davon aus,
daß menschliches Handeln durch Unterscheidungslernen bzgl. verschiedener
Verhaltensweisen und den daraus entstehenden Konsequenzen gesteuert wird. Die
Fähigkeit des Menschen zur symbolische Repräsentation von Ereignissen
bedingt seine Fähigkeit zum vorausschauenden Handeln. Verhalten wird jedoch
nur dann von seinen Konsequenzen beeinflußt, wenn bewußt
wird, was verstärkt worden ist, d.h. heißt, eine Person muß
die instrumentelle Beziehung zwischen Handeln und Ergebnis erkennen können.
Da man nicht von einem mechanischen Verstärkungsfaktor ausgehen kann, sind
der Manipulation (auch durch Institutionen) von Menschen Grenzen
gesetzt.
Verstärkung kann zwar informierenden und
motivierenden Charakter haben, aber Menschen funktionieren nicht wie
“mechanische Puppen”. Anwendungsbeispiel bzgl. der Ausbildung
humaner Verhaltensweisen: Informationen sind wirkungsvoller als Konditionierung
durch die Kontiguität von Ereignissen. Menschliches Handeln ist nicht
ausschließlich als Ergebnis von Umweltkontrolle zu erklären, sondern
wird durch selbstgeschaffene Konsequenzen gesteuert. Ziel menschlichen
Handels ist die Steigerung von Selbstwert und Freude und die Vermeidung von
Selbstbestrafung. Innovatorische Leistungen sind nur durch die Wirksamkeit von
selbsterzeugten Einflüssen erklärbar, Umwelteinflüsse wirken sich
hier zunächst oft hinderlich aus. Selbstbewertende Reaktionen und externe
Ergebnisse wirken zusammen, die Selbstbeeinflussung kann durch externe Faktoren
unterstützt werden. Bandura geht von einer Interdependenz von Umwelt und
Verhalten aus, die er als reziproke Wechselbeziehung
bezeichnet:
V = f (U ) Veränderung des Verhaltens durch
Umweltkontingenzen
U = f ( V ) Veränderung der Umwelt durch
Verhalten
Menschen aktivieren und schaffen Umwelten und weisen
diese auch zurück (s. Bandura, 1976, S. 222). Die Freiheit des Menschen
kann durch Verhaltensdefizite, Selbstbeschränkung und soziale
Diskriminierung eingeschränkt sein. Die Selbstverwirklichung des Einzelnen
muß die Konsequenzen für die Umwelt inklusive besonders der sozialen
Konsequenzen berücksichtigen. Soziales Lernen geschieht durch
Umweltkontrolle und persönliche Kontrolle.
(* Ende *)
Experiment zum Modell-Lernen (Bandura, Ross,
Ross, 1961): Eine Gruppe von Kindergartenkindern beobachtet einen Erwachsenen,
der einer großen Spielzeugpuppe gegenüber verbale und physische
Aggressionhandlungen äußert, eine zweite Gruppe von Kindern
beobachtet einen Erwachsenen, der der Puppe keine Aufmerksamkeit schenkt. Nach
einer leichten Frustration (sie durften nur zwei Minuten in einem Raum voller
Spielzeug sein) läßt man die Kinder in einem Raum mit der Puppe
allein. Das Verhalten der Kinder entsprach im Wesentlichen dem des erwachsenen
Modells. Die Kinder, die den sich aggressiv verhaltenden Erwachsenen beobachtet
hatten, waren der Puppe gegenüber aggressiver als diejenigen, die kein
aggressives Modell beobachtet hatten. Die Kinder, die einen nichtaggressiven
Erwachsenen beobachtet hatten, äußerten weniger Aggressionen, als die
Kinder, die kein Modell beobachtet hatten (Kontrollgruppe).
In einem anderen Experiment (Bandura 1965) wurde
nachgewiesen, daß Aneignung und Ausführung von neuen
Verhaltensweisen nicht dasselbe ist. Alle Kinder bekamen einen Film
vorgeführt, in dem ein Erwachsener eine Puppe so richtig zu Sau machte und
ihr mit einem Schlagholz auf den Kopf schlug. Der Film unterschied sich jedoch
für die drei Gruppen in seinem Ende: im ersten Fall wurde der Erwachsene
für sein Verhalten bestraft, im zweiten passierte gar nichts und im dritten
wurde er belohnt. In einer nun folgenden Spielsituation zeigten die Kinder aus
Film 3 weniger Aggression als die aus den anderen beiden Filmen. Es konnte
jedoch nachgewiesen werden, daß alle Kinder sich die Verhaltensweisen des
Modells angeeignet hatten (in dem sie am Ende des Experiments aufgefordert
wurden, das Verhalten der Modellperson nachzuahmen). Somit hängt die
tatsächliche Ausführung einer Handlung von den nachfolgenden
Konsequenzen ab: Belohnung verstärkt die Auftretenswahrscheinlichkeit,
während Bestrafung sie verringert.
Die Beobachtung solcher stellvertretender
Verstärkung kann zu vier verschiedenen Handlungsweisen
führen: Reproduktion: hier wird Verhalten übernommen, was
nachweislich neu ist, allerdings stellt sich die Frage, wie dieser Nachweis zu
führen sein soll, zumal eine neue Handlung ja auch aus mehreren bekannten
Teilhandlungen zusammengesetzt sein kann. Bei der Hemmung oder Enthemmung
dagegen wird nur die Auftretenswahrscheinlichkeit bereits erlernter und mit
Sanktionen versehener Handlungen verändert. Beispiel für Hemmung:
öffentliche Hinrichtungen sollen hemmend auf die Verhaltensweisen, deren
Konsequenz sie sind, wirken (dabei dienen sie doch in erster Linie der
Befriedigung der Sensationsgeilheit der ganzen Familie). Enthemmung tritt ein,
wenn Sanktionen auf einmal wegbleiben Beispiel: Falschparken, weil die
Politessen Urlaub haben. Zum Schluß gibt es noch den
Auslösungseffekt: eine Person wird durch die Beobachtung einer
Modellperson für einen bestimmten Behaltensbereich sensibilisiert und wird
in einer ähnlichen Situation dieses oder ein funktional äquivalentes
Verhalten äußern. Unterschied zur Enthemmung ist hier, daß das
Verhalten nicht mit Sanktionen belegt sein mußte und auch funktional
äquivalente Handlungen statt derselben auftreten können.
Nicht ganz einsichtig ist hier Banduras Sonderbehandlung
für sozial unerwünschte Handlungen mit Hemmung/Enthemmung,
während sozial erwünschtes Verhalten nur über den
Auslösereffekt determiniert wird. Beobachte ich, wie ein Kollege gefeuert
wird, weil er krank war und ich nicht krank feiere, ist das Hemmung, beobachte
ich, wie er befördert wird, weil er ach so fleißig war un ich
bin´s auch, so ist dies nicht enthemmung, sondern ausgelöst. Etwas
inkonsistent, oder?
Auch Enthemmung (= Auslösung) sozial
geächteter Verhaltensweisen läßt sich über Modell-Lernen
steuern. Vergl. das Experiment von Walters & L.Thomas (1963) bei dem Vpn
einer Person, die bei Lernaufgaben für Fehler bestraft werden sollte, dann
stärkere Strafreize verabreichten, wenn sie vorher eine gewaltätige
Szene in einem Film gesehen hatten. Wichtig ist hier, daß die sozial
geächtete Verhaltensweise in einen Kontext eingebettet war, in dem sie
keine Sanktionen nach sich zog.
Nicht nur Verhaltensweisen, die in die Kategorie der
instrumentellen Reaktionen fallen, können stellvertretend erworben werden,
sondern auch klassisch konditionierte emotionale Reaktionen. Ein
Beobachter, der die emotionalen Reaktionen eines Modells sieht, wird nicht nur
ähnliche Reaktionen zeigen, er wird u.U. auch emotional auf Reize
reagieren, die diese Reaktionen beim Modell hervorriefen. Vergl. Experiment von
Bandura & Rosenthal (1966): Vpn beobachten eine Person, die angeblich
gleichzeitig mit einem Summerton intensive Elektroschocks verabreicht bekommt
und eine Vielzahl von Schmerzreaktionen zeigt. Die Vpn entwickelten
allmählich eine konditionierte emotionale Reaktion auf den Summer (durch
physiologisches Maß der emotionalen Ansprechbarkeit ermittelt). Emotionale
Reaktionen können nicht nur stellvertretend erworben, sondern auch
gelöscht werden. Dies wurde bei der Behandlung von Schlangenphobien
empirisch nachgewiesen, wobei die Beoachtung eines realen Modells anderen
Techniken der systematischen Desensibilisierung (Bilder, Filmszenen, s.u.)
überlegen war. Durch die Beoachtung einer Person im Umgang mit einer
lebenden Schlange konnte das Verhalten Schlangen gegenüber am
nachhaltigsten beeinflußt werden.
5.5.4 Selbstwirksamkeit
(auch: Kompetenzerwartung, Wirksamkeitserwartung)
betrifft die Frage, ob sich eine Person die Ausführung eines bestimmten
Verhaltens zutraut oder nicht und wird unterschieden von der
Ergebniserwartung, mit der Eingeschätzt wird, wie wahrscheinlich das
richtig ausgeführte Verhlaten zum Erfolg führt. Es gibt drei
Möglichkeiten der Verhaltenskontrolle durch Wirksamkeitserwartungen:
realistische Einschätzung der eigenen Kompetenzen sowie über- oder
Unterschätzung. Realistische S. führt zur optimalen Ausnützung
der eigenen Fähigkeiten, überschätzung zu aversiven Konsequenzen
(wer glaubt, den Mount Everest nackt besteigen zu können, der wird halt
erfrieren), Unterschätzung zu unangemessener Selbstbeschränkung
(überängstlichkeit, Angebote ablehnen, weil mensch glaubt, ihnen nicht
gewachsen zu sein etc)
Man unterscheidet vier Hauptquellen, die
Wirksamkeitserwartungen erzeugen bzw. modulieren, die hier der Wichtigkeit nach
sortiert sind:
•
konkrete Leistungen
•
stellvertretende Erfahrungen. Die Beobachtung erfolgreichen Handelns kann zu
der Erwartung führen, daß man selbst auch mit positiven Konsequenzen
rechnen kann, wenn man das Modellverhalten imitiert. Die
Verhaltensübernahme wird erleichtert, wenn das Modell zunächst
ähnlich wie man selbst handelt (vergl. Modell-Lernen bei Phobikern, die ein
zunächst ebenfalls ängstliches Modell beobachten). Vorhersagbarkeit
(zu wissen, wieviel Angst man haben wird, weil das Modell es gezeigt hat,
nimmt die Angst vor der Angst) und Kontrollierbarkeit (z.B. der Angst,
ebenfalls vorgeführt durch das Modell) sind zwei wichtige Bestandteile
für die Entwicklung von Wirksamkeitserwartungen. Allerdings muß die
lernende Person an sich selbst erfahren, daß die modellierte
Verhaltensweise zum Erfolg führt. (-> teilnehmende Modellierung)
•
verbale überredung. Auf diese Weise induzierte
Leistungseffizienzerwartungen sind nach Bandura auf Dauer nicht sehr effektiv,
erlebnisorientierte Ansätze der Hypnotherapie (M. Erickson) weisen hier
andere Ergebnisse auf.
•
emotionale Erregung. Selbstwirksamtserwartung ist bei mittlerem
Erregungsniveau am höchsten. Wenn Personen zu erregt sind, sind sie
geneigt, niedrigere Selbstwirksamkeiten anzunehmen. Allerdings erhalten interne
Erregungszustände erst durch den sozialen Kontext ihre jeweilige Bedeutung
für die Person (soziale Ettikettierungsprozesse), d.h. es gibt auch
Situationen, wo sehr hohe Erregung erwartet wird. Die Wirksamkeit der
systematischen Desensibilisierung wird durch die sozial-kognitiven
Lerntheorien durch die Erwartung der Person, im entspannten Zustand effektiver
handeln zu können, erklärt.
Angemessenes Bewältigungsverhalten tritt somit als
Folge einer Stärkung der Selbstwirksamkeit auf und umgekehrt. Zwischen
Selbstwirksamkeit und Verhalten besteht eine wechselseitige
Abhängigkeit.
Modifikation der
Selbstwirksamkeit
Nur wenn Verhaltensänderungen zu
Wirksamkeitsänderungen führen, besteht eine Aussicht auf dauerhafte
Veränderung des Verhaltens. Dabei erhöht die Formulierung von
Nahzielen nicht nur die Wirksamkeitserwartung, sondern auch das
Leistungsniveau. Für die Erreichung eines Ziels ist die Formulierung von
Unterzielen hilfreich, die mit häufigen und unmittelbaren
Erfolgsrückmeldungen gekoppelt sein sollte. Außerdem konnte in einer
pädagogischen Interventionsstudie von Bandura & Schunk (1981) das
Interesse der Kinder an dem bearbeiteten Aufgabentypus nach Festigung der
Kompetenzerfahrung gesteigert werden, d.h. hat eine Person erst einmal
Wirksamkeitserwartungen bezüglich eines bestimmten Bereiches, so wird sie
sich dort auch häufiger betätigen und übung sammeln, die zu
besserer tatsächlicher Wirksamkeit führt. In einer Studie (1980) zur
Behandlung von Schlangenphobikern wurden die Auswirkungen von vier
unterschiedlichen Interventionen auf die Selbstwirksamkeitserwartungen und das
objektive Verhalten untersucht. Die Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen
war unterschiedlich stark ausgeprägt und zwar in der folgenden Abfolge:
•
teilnehmende Modellierung (Klient muß nach Beobachtung des Modells das
Verhalten selbst ausführen
•
stellvertretende Verstärkung (Beobachtung einer erfolgreichen
Modellperson)
•
symbolische Modellierung (sich eine kompetente Modellperson vorstellen, was
in diesem Zusammenhang und “überredung” fällt)
•
klassische Desensibilisierung (Senkung des internen
Erregungsniveaus).
Interssant ist noch, daß beide Gruppen, die
tatsächlich ein Modell beobachtet hatten, sich leicht
überschätzten (oder die Aufgabe unterschätzten), während die
anderen beiden Gruppen sich weniger zutrauten (Selbstwirksamkeit) als sie
konnten (Prozentsatz der gelösten Aufgaben).
ähnlich positive Effekte der teilnehmenden
Modellierung wurden auch in der Behandlung von Agoraphobikern nachgewiesen
(Bandura, 1980). Die Bewältigung verschiedener Aufgaben (aus dem Haus
gehen, die Straße überqueren etc.) stieg von 47% auf 77% . Die
Korrelation zwischen dem Grad der Situationsbewältigung und der
Ausprägung der Selbstwirksamkeit betrug r =.78. Fazit: klar
definierte Verhaltensziele, Formulierung von Teilzielen, direkte Erfahrungen
durch stellvertretende Verstärkungsprozesse bei der teilnehmden
Modellierung ergänzt sind wirksame Methoden zur Modifikation von
Wirksamkeitserwartungen und Handlungskompetenz und geeignet, aversive Emotionen
zu kontrollieren.
Effekte der Selbstwirksamkeit
Selbstwirksamkeit steht einerseits in Zusammenhang mit
vergangener Erfahrung, beeinflußt andererseits auch zukünftige
Erfahrungen. Dies hängt wesentlich vom Niveau, der Stärke und vor
allen Dingen der Allgemeinheit der individuellen Wirksamkeitserwartungen ab.
Personen mit hochgeneralisierten Wirksamkeitserfahrungen sind in den
unterschiedlichsten Lebenssituationen erfolgreicher, als solche, die nur
über begrenzte Erfahrungen der Selbstwirksamkeit verfügen.
Selbstwirksamkeit beeinflußt die Vorbereitung einer Handlung, das
Ausmaß der Anstrengung bei schwierigen Aufgaben, die Ausdauer
bei der Bewältigung einer Situation sowie die sie begleitenden
Gefühle und Gedanken (z.B. Angst vs. Geschwindigkeitsrausch beim
Skifahren). Selbstwirksamkeitsüberzeugungen beeinflussen die
Selbstregulation des Verhaltens (Auswahl und Gestaltung von Situationen)
und unterstützen die von anderen unabhängige
Selbstbekräftigung. Sie sind eine wichtige Voraussetzung für
innovatives Handeln und den Prozeß der Selbstentwicklung.
Folgen von Wirksamkeits- und Ergebniserwartungen auf
Handeln und Erleben:
- die Kombination hohe Selbstwirksamkeit - hohe
Ergebniserwartung führt zu sicherem, angemessenen
Verhalten,
- die Kombination hohe Selbstwirksamkeit - negative
Ergebniserwartung führt zu sozialem Aktivismus, Protest oder Milieuwechsel
und zu emotionalem Verdruß
- die Kombination niedrige Selbstwirksamkeits- und
negative Ergebniserwartung führt zu Resignation und Apathie. Wichtig sind
hier soziale Vergleichsprozesse, andere sind auch nicht in der Lage, das Ziel zu
erreichen, d.h. es geht nicht (z.B. Wissen um die Unheilbarkeit einer
Krankheit). Entwicklung von “universeller Hilflosigkeit”
(Abrahamson,Seligman & Teasdale ,1978).
- die Kombination geringe Selbstwirksamkeitserwartung -
hoher Ergebniserwartung führt zu Selbstabwertung und Verzweiflung, da es im
Prinzip möglich wäre, mit einer Handlung ein Ergebnis zu erreichen,
allerdings nicht für einen selber. Sie kann in den Zustand der
“personalen Hilflosigkeit” (Autoren s.o.) münden und
letztendlich eine Depression werden.
Bandura schlug vor denBegriff der Wirksamkeit auch auf
Gruppen, Organisationen, Nationen usw. zu übertragen (kollektive
Wirksamkeit). (z.B. wie gut ist unsere Gewerksachft, wenn es ums Strieken
geht, ausgerüstet)Diese ist besonders in sozialen Krisen- oder
Konfliktsituationen von Bedeutung. Allerdings können Umweltstrukturen
(undurchschaubare Technologien, Bürokratien, Einzelinteressen von
Teilgruppen etc.) die Entfaltung kollektiver Wirksamkeit behindern.
Dementsprechend wären auch kollektive Ergebniserwartungen zu postulieren,
was Bandura allerdings nicht behandelt (z.B. inwiefern kann durch einen Streik
überhaupt unser Ziel erreicht werden?). Personale und kollektive
Erwartungen sind immer Bestandteile eines individuellen Erwartungssystems, weil
letzlich die Person als Handlungsverursacher fungiert.
5.5.5 Bewertung der sozialen Lerntheorie Banduras
Positiv:
- deterministisches Menschenbild der S-R Theorien
überwunden, der Mensch wird als fähig zur Gestaltung seiner Umwelt und
Selbstentwicklung gesehen, andererseits werden aber auch die sozial, biologisch
und ökologisch bedingten Grenzen in Rechnung gestellt. Das Konzept des
reziproken Determinismus berücksicht menschliche Fähigkeiten und
Begrenzungen. Damit ist die Unterscheidung UV-AV nicht mehr möglich:
dasselbe Ereignis kann im sozialen Interaktionskontext sowohl als Reiz,
Reaktion oder Verstärker fungieren.
- Weiterhin geht die Berücksichtigung kognitiver
und emotionaler Faktoren über den traditionellen Behaviorismus hinaus
(Beobachtungslernen interner Handlungsrepräsentationen), insbesondere
personspezifische Erwartungshaltungen (Selbstwirksamkeit) erhöhen
die Erklärbarkeit des aktuellen Verhaltens.
- Klare Operationalisierung zentraler
theoretischer Begriffe und empirische überprüfung von Hypothesen;
größeres Gewicht auf interner statt externer Validität (keine
feldexperimentellen oder korrelativen Studien).
- Theoriegeleitete überprüfung
klinischer und pädagogischer Interventionmethoden, allerdings auf
eingeschränktem Gegenstandsbereich (Reduzierung von Kompetenzdefiziten,
Therapie von Phobien), immerhin eine fruchtbare Anwendung im therapeutischen
Bereich.
- Fokus liegt in letzter Zeit eher auf defizitärem
Verhalten denn auf exzessiven, somit steht die Forschung in engerer Verbindung
zum Leben - Berücksichtigung relevanter, auch gesellschaftlich
bedeutender Probleme der Humanpsychologie.
Kritik:
- Die soziale Lerntheorie ist keine umfassende
Persönlichkeitstheorie, allenfalls liefert sie Bestandstücke
für diese. Eher allgemeinpsychologische als differentialpsychologische
Perspektive. Fokus ist das Erlernen von Rollenverhalten, das Leben besteht aber
aus mehr.
- Vernachlässigung struktureller zugunsten
prozessuraler Aspekte menschlichen Verhaltens, was aufgrund der Verwurzelung
im behvioristischen Ansatz liegen könne. Persönlichkeitsdispositionen
könnten als generalisierte Erwartungshaltungen konzipiert
werden.
- Mangelnde entwicklungspsychologische Orientierung.
Einfluß des Niveaus der kognitiven Reife bzgl. der Ausgestaltung von
Erwartungshaltungen nicht untersucht.
- Ungenaue Auswertung kognitionspsychologischer
Befunde - wie verarbeitet der Mensch denn die Informationen, die zur
Veränderung seiner Selbstwirksamkeit führen? Wie gewichtet er sie etc.
Keine Definitionen von Prozeß - Konstrukt - Ereignis.
- Bewußtseinspsychologie: Lediglich dem
Bewußtsein zugängliche Reflexionsprozesse des Subjekts werden
berücksichtigt, unbewußte Prozesse bleiben
unberücksichtigt.
- Keine dialektische Sichtweise im engeren Sinne:
Spannungen, Konflikte und Widersprüche im innerpsychischen System und im
Person-Umwelt System werden nicht thematisiert.
- Distanzierter Wertneutralismus, keine Angaben
darüber, wofür die erweiterten Kompetenzen und Wahlmöglichkeiten
genutzt werden sollen. “Die Zielstrukturen menschlicher
Lebenstätigkeit hat er ...ausgeklammert” (Schneewind, Bd II, S.239),
was aber nicht unbedingt ein Vorwurf sein muß. Was gut und
wünschenswert ist, sollten dann vielleicht doch die Philosophen entscheiden
und nicht die Psychologen.
5.6 Julian B. Rotter: Theorie des sozialen Lernens
Versucht, den kognitiven und den lerntheoretischen
Ansatz zu verbinden. Die Interaktion des Individuums mit seiner bedeutsamen
Umwelt steht für ihn im Mittelpunkt der Forschung.
5.6.1 Persönlichkeit
wird definiert als ein Gefüge von
Möglichkeiten, in bestimmten sozialen Situation zu reagieren, welches zum
großen Teil durch seine Lerngeschichte bestimmt ist. Dabei wird
Persönlichkeit als Einheit gesehen, die zwar ständiger
Veränderung unterworfen ist, aber im Kern stabil bleibt, da bisherige
Erfahrungen den Erwerb neuer Erfahrungen mitsteuern. Motivation ist bei
Rotter nicht aus Trieben hergeleitet, sondern aus der Antizipation von
Handlungsonsequenzen. Verhalten ist “jegliches Handlung eines
Individuums, die eine Reaktion auf einen Reiz darstellt und die entweder direkt
oder indirekt beobachtet oder gemessen werden kann”.
Verhaltenspotential ist die Wahrscheinlichkeit,
in der in einer bestimmten Situation ein bestimmtes Verhalten ausgeführt
wird, wobei dieses durch frühere Verstärkungen bedingt ist.
Erwartung ist die individuelle Einschätzung, ob ein bestimmtes
Verhalten zu einem bestimmten Verstärker führt, dabei gibt es eng
umrissene Erwartungen wie “Ich werde diesen Schein schaffen, wenn ich mich
anstrenge” und generalisierte wie “Ich werde alles schaffen, wenn
ich mich anstrenge.”. Verstärkungswert ist der subjektive Wert
eines Verstärkers, relativ gemessen wird dieser daran, welche Handlungen er
im Vergleich zu anderen Verstärkern (oder Personen, Situationen)
hervorrufen kann. Verschiedene Verstärker können aneinander gekoppelt
sein: eine reiche Frau heiraten, nicht arbeiten müssen etc.
5.6.2 Psychologische Situation:
diese Variable hat Rotter eingeführt, um zu
erklären, warum selbst bei gleicher Erwartung und gleichem
Verstärkungswert zwei Personen unterschiedlich handeln. Dies wird am
Beispiel deutlich: Schüler A und B brauchen beide eine 4 in Mathe, um nicht
sitzenzubleiben, halten sich für gleich fähig und sind beide
motiviert. Allerdings meint Schüler A, der Lehrer bevorzuge ihn,
Schüler B dagegen, daß er benachteiligt wird. Diese Variable ist das
schwächste Konstrukt in Rotters System, entlastet aber die anderen drei.
Den Zusammenhang dieser vier Hauptkonstrukte drückt Rotter in einer
Verhaltensgleichung aus (wahrscheinlich, weil es wichtiger aussieht), wobei
diese das Verhalten einer konkreten Person beschreibt, was auch noch durch einen
zusätzlichen Index an jedem Großbuchstaben deutlich gemacht werden
könnte.
VPx,S,Va =
f(Ex,Va,S+VWa,S)
Das Verhaltenspotential für ein Verhalten x in der
Situation S unter Erwartung der Verstärkung Va ist eine Funtkion der Summe
aus der Erwartung, daß in der Situation S daß Verhalten x zur
Verstärkung Va führt und dem Wert, den die Verstärkung a in der
Situation S hat.
Interessant wäre die Frage, warum die Summe in
der Funktion steht und nicht zwei Funktionen summiert werden, was flexibler
wäre, noch interessanter die Frage, warum hier auf Koeffizienten verzichtet
wurde und überhaupt die Gleichung eine Addition ist und keine
Multiplikation.
Rotter erweitert in der Folge die Grundkonstrukte auf
komplexere Verhaltensabläufe, welche sich auf allgemeinere Ziele hin
orientieren. Diese komplexeren Verhaltensabläufe gruppieren sich um eine
Reihe von erlernten Bedürfnissen/Motiven: Das Verhaltenspotential wird zum
Bedürfnispotential, dieses umfaßt Verhaltensweisen mit denen
das gleiche Ziel angestrebt werden, d.h. die als geeignet betrachtet werden, ein
Bedürfnis zu erfüllen. Die Erwartung wird zu einer Serie von
Erwartungen, die Rotter Bewegungsfreiheit nennt. Diese erlaubt es, die
Befriedigung, zu denen die Verhaltensweisen führen, angemessen zu
antizipieren und damit z.B:, zu planen. Schließlich wird der
Verstärkunsgswert zu einem Bedürfniswert, d.h. der Grad, in
welchem einem Bedürfnis bezüglich seiner Dringlichkeit Präferenz
vor anderen zukommt. Da alle diese Variablen komplexer sind als ihre
Gegenstücke, kann die psychologische Situation als Zusatz-UV in diesem
Kontext entfallen. Somit gilt: BP = f(BF+BW) d.h. was ich mache, hängt
davon ab, was ich davon als Ergebnis erwarte und wieviel mir dieses Ergebnis
bedeutet. Als Beispiele für Bedürfnisse gibt Rotter: Annerkennung und
Status, Dominanz, Unabhängigkeit, Liebe und Zuneigung, Schutz und
Abhängigkeit, physisches Wohlbefinden. Dabei stehen einzelne
Bedürfnisse im Widerspruch zueinander.
Von Rotter wurden 3 Gruppen generalisierter Erwartungen
untersucht:
Problemlösen: Manche Personen haben gelernt,
alternative Möglichkeiten zu suchen, wenn das geplante Verhalten nicht zum
Ziel führt, diese werden auch bei anderen Problemen erfolgreicher sein.
Personen, die nicht so sehr nach alternativen Lösungen suchen, haben nach
Rotter eine geringere generalisierte Problemlöseerwartung.
5.6.3 Locus of control (Ort der Kontrollüberzeugung):
gibt an, inwieweit Personen selber meinen, für ihre
Verstärker und Bestrafungen verantwortlich zu sein. Leute die glauben,
daß sie alles aus eigener Kraft (interne Kontrollüberzeugung)
erreichen sind motivierter als Leute, die glauben, im Prinzip werde eh alles von
einer äußeren Macht, dem Schicksal, der bösen Welt etc.
gesteuert. Diese erfahren sich als einflußlos/hilflos.
Zwischenmenschliches Vertrauen: bezeichnet Unterschiede,
inwiefern Leute grundsätzlich und im Durchschnitt anderen Menschen
vertrauen. Dies bezieht sich nicht nur auf das Vertrauen in neu kennengelernte
Menschen, sondern auch auf die Tiefe des Vertrauens in Partnerschaft, Kommune,
Schule, Beruf und Band.
Rotters Forschung widmete sich vor allen Dingen der
Erforschugn der generalisierten Erwartungen, weswegen er seine anderen
Konstrukte vernachlässigte. Diese aber haben für viele Phänomene
einen hohen Erklärungswert. Eine vollständige
Persönlichkeitstheorie bietet er allerdings nicht.
Kognitive Persönlichkeitstheorien
6.1 Kurt Lewin (1890- 1947): Feldthorie des menschlichen Verhaltens
1914 Promotion
1926 Professor für Psychologie und Philosophie an
der Humboldt Universität Berlin
30er Jahre: Gastprofessur an der Standford University,
danach Emigration in die USA
1933 Professor für
Kinderpsychologie
1945 Direktor des Research Center for Group Dynamics
(MIT)
1935,1936,1938,1951: theoretische
Schriften
Einfluß der physikalischen Feldtheorie auf die
Psychologie zunächst bei den Gestaltpsychologen (Köhler, Koffka,
Wertheimer): die Perzeption wird weniger von den fixierten Eigenschaften der
individuellen Komponenten als von den Beziehungen der Komponenten des
Wahrnehmungsfeldes bestimmt.
Lewin faßte die Feldtheorie als eine “Gruppe
aufeinanderbezogener Begriffe” - “eine Methode der Analyse von
Kausalbeziehungen und der Synthese wissenschaftlicher Konstrukta” auf, die
er in allen Gebieten der Psychologie (und Soziologie) und für alle Arten
von Verhalten einsetzen wollte. Anwendung auf Klein(st)kind- Kindverhalten,
Adoleszenz, Schwachsinn, Minderheitenprobleme, nationale Charakterunterschiede
und Gruppendynamik. Aus Lewins humanitärer Grundeinstellung ergab sich die
Handlungs- und Aktionsforschung (Gegenstand: Wechsel der sozialen
Bedingungen).
6.1.1 Hauptmerkmale:
- Verhalten ist eine Funktion des Feldes, das zur Zeit
des Verhaltensereignisses existiert.
- Die Analyse beginnt mit der Situation als einem
Ganzen, von dem die Bestandteile ausgesondert werden.
- Die konkrete Person in einer konkreten Situation kann
mathematisch dargestellt werden
- Zugrundeliegende Kräfte sind Determinanten des
Verhaltens
- Das Feld soll psychologisch, nicht physiologisch oder
physikalisch beschrieben werden.
- Betonung der psychologischen im Gegensatz zur
physikalischen oder physiologischen Beschreibung des
Feldes.
6.1.2 Definition “Feld”:
Gesamtheit aller gleichzeitig bestehenden Tatsachen, die
als gegenseitig voneinander abhängig begriffen werden.
Struktur der Persönlichkeit - topologische
Darstellung
Die von Lewin benutzte Mathematik ist nicht-metrisch,
d.h. es kommt nicht auf Größe und Form der dargestellten Objekte
an, sondern nur auf deren relativ zueinander gesehene Lagen. Sie beschriebt im
wesentlichen wechselseitige Zusammenhänge zwischen Bereichen oder
Gebieten.
Definition Person (P): eine Einheit, die von der
übrigen Welt abgesetzt ist. Repräsentiert durch eine geschlossene
Figur, deren Rand die Grenze zur psychologischen Umwelt darstellt. Die Trennung
von der Umwelt mittels der Grenze stellt die Eigenschaft der Differenzierung
dar, der Einschluß in einen größeren Raum die
Teil-Ganz(es)-Beziehung. Die psychologische Umwelt (U), meist
durch eine Ellipse dargestellt, muß zwei Bedingungen erfüllen: sie
muß größer als die Person sein und die Person so
einschließen, daß zwischen dem Rand der Person und der Ellipse stets
ein freier Raum bleibt (kein gemeinsamer Punkt).Die Grenze zwischen P und U hat
die Eigenschaft der Permeabilität. Angenommen wird eine
wechselseitige Beeinflußbarkeit von P und U; P = f (U) und U = f (P).
Der Gesamtbereich innerhalb der Ellipse wird als
Lebensraum (L) bezeichnet, der sich aus P und U zusammensetzt (L = P +
U). Der Lebensraum ist das Ganze der psychologischen Realität, er
enthält die Totalität der möglichen Tatsachen, soweit sie das
Verhalten des Menschen bestimmen können. Das Verhalten V ist somit eine
Funktion des Lebensraumes: V = f(L).
Der Raum außerhalb der Ellipse stellt die
nichtpsychologischen Aspekte des Universums dar. Hierzu gehören z.B.
pyhsikalische, aber auch soziale Tatsachen. Der Einfachheit halber wird
diese trotzdem ab jetzt nur mit “physikalischer Welt” bezeiczhnte.
Der Lebensraum ist kein Teil der physikalischen Welt, sondern liegt in ihr.
Tatsachen der physikalischen Welt (äußere, psychologiefremde
Hülle) können die psychologische Umwelt entscheidend beeinflussen,
z.B. ein Unfall u.ä., was die Prognose zukünftigen Verhaltens
erheblich erschwert. Damit erklärt Lewein, daß es einfacher sei,
durch eine Beschreibung mit Feldtheoretischen Begriffen das Verhalten eines
Menschen (a posteriori) zu erklären, als vorherzusagen.
Auch Fakten der psychologischen Umwelt können die
physikalische Welt beeinflussen, die Grenze zwischen beiden ist permeabel. Das
Studium der zur psychologiefremden Hülle (foreign hull) ist Gegenstand der
psychologischen ökologie. Die physikalische Welt kann nicht direkt
mit der Person kommunizieren und umgekehrt, dies geht nur über die
psychologische Umwelt.
Die Struktur der Person ist heterogen, sie
gliedert sich in seperate, aber miteinander kommunizierende und voneinander
abhängige Komponenten. Der zentrale Teil (= innerpersonaler
Bereich) wird von dem sensomotorischen Bereich (S=
Wahrnehmungssystem- M= motorisches System) umschlossen, er ist selbst in Zellen
unterteilt. Die dem sensomotorischen Bereich anliegenden Zellen werden
periphere Zellen, die im Inneren des Kreises liegenden zentrale
Zellen genannt. Per definitionem grenzt keine der zentralen Zellen direkt an
die psychologische Umwelt. Lewin sagt wenig über die Gleiderung des
sensomotorischen Bereichs in kleinere Zellen. Er geht davon aus, daß das
Motorium als Einheit operiert, weil in der Regel nur eine Aktion
durchgeführt wird. Eine mögliche Lösung wäre, den peripheren
Bereich je nach Richtung der passierenden Informationen entweder als senosorisch
(von außen nach innen) oder motorisch (von innen nach außen) zu
bezeichnen. Auch die psychologische Umwelt ist in Teilbereiche gegliedert, wobei
diese allerdings nur aus einer “Schicht” besteht: Alle Teile der
psychologischen Umwelt sind einander ähnlich, nicht alle stehen in direkter
Verbindung zur Person.
Die konkrete Darstellung einer bestimmten Person in
einer konkreten psychologischen Situation erfordert die Kenntnis der Anzahl und
relativen Position der Umweltbereiche sowie Anzahl und relative Position der
innerpersonalen Zellen.
Eineindeutige Zuordnung Teilbereiche psychologische
Umwelt-Tatsachen: Jeder Teilbereich der psychologischen Umwelt enthält
eine Tatsache. Keine Tatsache ist in mehr als einem Bereich. Tatsachen sind
hierbei nicht nur empirisch zu erfahrende Fakten, sondern auch erschlossene
Hypothesen (“Sie liebt mich nicht”) und dynamische Fakten (d.h.
Ereignisse mit zeitlicher Ausdehnung). Das Resultat der Interaktion mehrerer
Tatsachen nennt Lewin Ereignis. Die meisten psychologischen
Phänomene dürften daher in die Ereignisklasse einzuordnen sein.
Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Bereichen
des Lebensraumes:
Ist ein Bereich für einen andern Zugänglich,
so kann von diesem beeinflußt werden, wobei sich diese Relation nicht
immer auf Gegenseitigkeit beruhen muß. Das Ausmaß der Beeinflussung
zwischen unterschiedlichen Bereichen bzw. ihre gegenseitige Zugänglichkeit
wird durch folgende Dimensionen bestimmt:
•
Nähe vs Ferne der Bereiche: bestimmt durch die Art und Anzahl der
zwischen zwei Bereichen A und B dazwischenliegenden Bereichen und die Art und
Anzahl der zu überschreitenden Grenzen
•
Stärke vs Schwäche der Grenze- Grad der Durchlässigkeit
der Grenze (unpassierbar - schwach)
•
Flüssigkeit vs Festigkeit des Mediums- Natur des Mediums einer
Region. Ein flüssiges Medium reagiert sehr leicht auf einen Einfluß,
der auf es ausgeübt wird, ein festes Medium widersetzt sich diesem
Einfluß.
Bsp: eine dicke Grenze des Lebensraumes bedeutet sehr
wenig Kontakt zur physikalischen Realität, die Person ist in ihre
psychologische Umwelt eingekapselt (dekompensierte Schizophrene, Schlafende,
Träumende).
Die topologischen Darstellungen repräsentieren
jeweils momentane Situationen, die infolge dynamischer Kräfte
ständig in Veränderung begriffen sind. Eine harte Grenze kann
weich werden, die Beschaffenheit der Medien, selbst die Lage und Anzahl der
Bereiche kann sich innerhalb von Momenten verändern. Diese Annahme Lewin
erlaubt es, den Lebensraum überschaubar darzustellen, da ansonsten auch
alle Erinnerungen etc. modelliert werden müßten, so daß die
Zahl der Zellen gegen unendlich liefe. Lewin somit geht nicht von der Existenz
konstanter Persönlichkeitseigenschaften aus. Die Anzahl der Regionen im
Lebensraum hängt von der Zahl psychologischer Tatsachen, die zu einem
Zeitpunkt vorhanden sind, ab. Eine psychologische Tatsache ist immer nur einem
Bereich zugeordnet. Im Extremfall (überwältigung durch panische Angst)
besteht die gesamte psychologische Umwelt nur aus diesem einen Bereich. Bewegt
sich eine Person in der psychologischen Umwelt, so ist dies eine Lokomotion
(z.B. ein Aufmerksamkeitswechsel). Bereiche müssen nahe
zusammenhängen, einander zugänglich und damit wechselseitig
beeinflußbar sein, damit Lokomotion stattfinden kann. Es gibt neben den
physischen (sich an einen anderen Ort bewegen) auch soziale (in Verein
eintreten) psychische (ein Problem lösen) Lokomotionen. Die Richtung des
Weges der Person durch die Umwelt ist dabei durch Stärke der Grenzen und
die Natur der Medien beeinflußt, zum anderen Teil durch dynamische
Faktoren (s.U.). Die Regionen des innerpersonalen Bereichs treten durch
Kommunikation miteinander in Beziehung, da sich hier keine Teilgebilde
verschieben. Auch die Richtung der Kommunikation ist durch die
Struktureigenschaften der Zellen (s.o.) und durch dynamische Faktoren bestimmt.
Lokomotion und Kommunikation sind Ereignissse, sie
resultieren aus einer Interaktion von Tatsachen, d.h. durch eine Interaktion
zwischen einzelnen Bereichen. Ereignisse sind duch die folgenden drei
Prinzipien bestimmt:
•
Prinzip der Bezogenheit - ein Ereignis ist das Ergebnis der Interaktion
zwischen zwei oder mehreren Tatsachen, gibt es nur Tatsache ohne etwas, worauf
sie bezogen ist (z.B. Person ohne Umwelt), so passiert nichts.
•
Prinzip der Konkretheit- nur konkrete Tatsachen können einen Effekt
haben, nicht lediglich potentielle oder mögliche.
•
Prinzip der Gleichzeitigkeit- nur Gegenwartstatsachen können
gegenwärtiges Verhalten hervorrufen, wenn Ereignisse aus der Jugend noch in
einer Person wirken, dann nur, wenn sie sich in einer Ecke der Person ihre
Existenz bis in die Gegenwart gerettet haben.
Außer der zweidimensionalen, räumlichen
Darstellung ist noch eine dritte Dimension zur vollständigen Darstellung
des Lebensraumes notwendig, das Konzept der Realitäts- bzw.
Irrealitätsgrade. Die Realität besteht aus tatsächlichen,
die Irrealität aus bloß eingebildeten Lokomotionen (Handlungen als
reale Durchführungen; Planen/Denken auf der mittleren Ebene; Phantasieren
als die unrealistischste). Lokomotionen sind umso leichter auszuführen, je
größer de Irrealitätsgrad ist.Auch Kommunikationen zwischen
innerpersonalen Bereichen können mehr oder weniger realistisch sein (Es ist
leichter, im Traum dem Chef die Meinung zu sagen (Kommunikation zwischen Zentrum
und Peripheren Zellen) als tatsächlich).
Da Lewins Modell Gegenwartsorientiert ist, muß die
Zeitdimension in die Bereiche aufgenommen werden. D.h., wenn etwas aus der
Zukunft in der Gegenwart wirkt (Hoffnung etc.), so muß dieses den Status
einer gegenwärtigen Tatsache bekommen und einen eigenen Bereich. Die
Darstellung der Gegenwart beinhaltet also die psychologische Vergangenheit und
die psychologische
Zukunft.
6.1.3 Dynamik der Persönlichkeit
Zur Erklärung von Verhalten sind außer den
topologischen Begriffen zusätzlich dynamische Konzepte notwendig.
Energie: wie andere
Persönlichkeitstheoretiker sieht Lewin die Person als ein komplexes
Energiesystem an. Er hat keine Probleme mit der Verbindung von physischer und
psychischer Energie, weil es sein rein psyhcologisches System sich lediglich mit
letzterer Ebenen befaßt. Psychische Energie wird frei, wenn die Person in
einen Gleichgewichtszustand zurückzukehren versucht, nachdem das System
zuvor in einen Ungleichgewichtszustand versetzt wurde (vgl. Entrophiesatz). Ein
Ungleichgewicht entsteht durch Spannungserhöhung in einem Teil des Systems
relativ zum Rest desselben, resultierend aus äußerer Reizung oder
innerer Veränderung. Nach Spannungsausgleich kommt das Gesamtsystem zur
Ruhe.
Spannung: Merkmal des innerpersonalen Systems.
Zustand eines innerpersonalen Bereichs in Relation zu den anderen
innerpersonalen Bereichen. Der Spannungszustand in einem bestimmten System
tendiert zu einem Spannungausgleich mit der Spannungsmenge der umgebenden
System. Die Spannung geht von einem System auf ein anderes über, bis die
Spannung überall gleich groß ist. Dies geschieht durch psychologische
Hilfsmittel wie Denken, Erinnern, Fühlen, Wahrnehmen, Handeln, die
Prozesse genannt werden.Trotz der Tendenz zum Spannungsausgleich im
Gesamtsystem kann in einem Teilssystem mehr und mehr Spannung enstehen, dies
geschieht z.B. bei der Prüfungsvorbereitung für´s Vordiplom oder
dann, wenn für die Lösung eines Problems ein Umweg notwendig ist. Es
ist möglich, daß ein Teilsystem für längere Zeit isoliert
bleibt und ein Energireservoir bildet, welches die Person dann mit der Zeit
energetisieren kann.
Personen unterscheiden sich hinsichtlich der Höhe
des Spannungsniveaus, auf denen sie ihr Gleichgewicht ausrichten. Bei einem
hohen Spannungsniveau nimmt man an, daß der Druck auf die motorische
Sphäre größer ist, was sich in ruheloser, diffuser
Aktivität äußern kann.
Spannung erzeugt Druck auf die Grenzen des Systems. Das
Ausmaß, in dem die Spannung von einem zum anderen System übergehen
kann, hängt von der Stärke der Grenze bzw. eines Teils der Grenze ab.
Bei schwachen Grenzen fließt die Spannung leichter ins benachbarte System
ab. Grenzen sind Bezirke des Widerstandss, Barrieren, sie entsprechen einer
hemmenden Kraft. Grenzen können semipermeabel sein. Die
Durchlässigkeit der Grenzen ist nach Lewin keine Eigenschaft der Grenzen
als solcher, sondern resultiert aus dem Druck, den ein Bereich einem
benachbarten entgegensetzt.
Bedürfnis: Erhöhung von Spannung wird
durch ein Bedürfnis, das einem physiologischen Zustand (Hunger, Durst, Sex)
entspricht, verursacht. Auch soziale Bedürfnisse und Intentionen
verursachen Spannung. Bedürfnis ist also ein Motivationsbegriff.
Bedürfnisse können durch drei unterschiedliche Zustände
charakterisiert werden: Zustand des Hungers, der Sättigung und der
übersättigung. Quasibedürfnisse werden von
Bedürfnissen unterschieden, erstere sind Intentionen vergleichbar und stark
durch soziale Faktoren bedingt, letztere entsprechen physiologischen
Bedürfnissen. Die Bedürfniszustände des Hungers, der
Sättigung und der übersättigung entsprechen positiven, neutralen
und negativen Valenzen der Tätigkeitsregionen, die mit bestimmten
Bedürfnissen verbunden sind. Spannung, die auf die Außengrenzen der
Person wirkt, kann keine Lokomotion verursachen, sondern das Bedürfnis wird
mit verschiedenen Eigenschaften der Umwelt verknüpft, die dann die
einsetzende Lokomotion (nicht identisch mit overtem Verhalten)
bestimmen.
Valenz (ursprünglich
Aufforderungscharakter): Grundeigenschaft eines Bereichs der psychologischen
Umwelt, der Wert, den dieser für eine Person hat. Ein Bereich mit positivem
Wert enthält ein Zielobjekt, welches die Spannung reduzieren kann, sobald
die Person in ihn Eintritt (z.B. Nahrungsmittel für einen hungrigen
Menschen, ein Telefongespräch für jemanden mit dem Einsamkeitsblues).
Der Aufforderungscharakter eines Bereichs ist immer mit einem Bedürfnis
koordiniert und er wird durch nichtpsychologische Faktoren beeinflußt
(bsp. das Vorhandensein von Nahrungsmitteln oder Telefonen).Die Stärke der
Valenz kann variieren, sie hängt von der Stärke des Bedürfnisses
und von den nichtpsychologischen Determinanten ab. Die Valenz lenkt das
Individuum durch seine psychologische Umwelt, ist aber kein Antrieb für die
Lokomotion, keine Kraft.
Kraft oder Vektor: Kraft existiert in der
psychologischen Umwelt, dies ist der wesentliche Unterschied zur Spannung,
welche in der Person existiert. Wenn Kraft von ausreichender Stärke (von
außen) auf die Person einwirkt, findet Lokomotion statt. Eine Kraft ist
genau wie die Valenz einem Bedürfnis zugeordnet. Der Kraftbegriff
schließt folgende Eigenschaften ein: Richtung, Stärke und
Angriffspunkt, diese drei Aspekte werden durch einen Vektor dargestellt. Die
Richtung, in welche der Vektor zeigt, repräsentiert die Kraftrichtung, die
Länge des Vektors die Stärke und die Stelle, wo die Vektorspitze auf
die Person auftritt, den Angriffspunkt. Ein Vektor wird stets mit der
Pfeilspitze an der Außenseite der Person enden, weil psychologische
Kräfte der Umwelt angehören und nicht der Person. Der Vektor schiebt
die Person durch die Umwelt, wird diese durch mehrere Vektoren bewegt, gelten
die Gesetze der Vektoraddition.
Relation Valenz-Vektor: einen positiven
Aufforderungscharakter besitzt eine Region, wenn die auf die Person einwirkenden
Kräfte auf ihn gerichtet sind. Vektoren weisen in entgegengesetzte
Richtung, wenn es sich um Bereiche mit negativer Valenz handelt (schieben die
Person weg).
Lokomotion: jede Lokomotion kann mit Hilfe der
Konzepte Spannung, Kraft, Aufforderungscharakter, Barriere, den Eigenschaften
des Mediums, der Realitäts-Irrealitäts- Dimension und der
Zeitperspektive vollständig darsgestellt werden.
Beispiel: der Anblick z.B. von Schokolade weckt ein
Bedürfnis, welches Energie freisetzt und dadurch Spannung in einem
innerpersonalen Bereich erregt. Der Bereich, wo sich die Schokolade befindet,
erhält positive Valenz. Die entstehende Kraft drängt die Person in
Richtung der Schokolade. Ein unerreichbares Ziel ist durch eine Barriere von der
Person getrennt. Die Intention, die Barriere zu überwinden schafft u.U. ein
neues Quasibedürfnis, z.B. im Fall von Geldmangel der Wunsch, sich dieses
bei einer anderen Person zu beschaffen.
Die dynamische Umstrukturierung der psychologischen
Umwelt kann folgenden änderungen unterworfen sein:
•
quantitative (Betrag ändert sich) und qualitative (Vorzeichen ändert
sich) änderung der Wertigkeit eines Bereichs = änderung von Valenzen
•
damkt verbunden: änderung von Stärke und/oder Richtung von
Vektoren
•
änderung der Permeabilität und der Existenz von
Grenzen
•
änderung des Mediums eines Bereichs
(Festigkeit-Flüssigkeit)
Umstrukturierung der psychologischen Umwelt kann durch
Lokomotion, infolge kognitiver Prozesse oder auch als Folge des Eindringens von
Information aus der psychologiefremden Hülle erfolgen.
Das letzte Ziel aller psychologischen Prozesse ist es,
das Subjekt in einen Gleicgewichtzustand zurückzubringen. Sind alle Grenzen
weitgehend durchlässig (Baby), so kann alle Spannung in diffuse motorische
Aktivität abfließen. Geeignete Lokomotion (in einen Bereich mit
geeignetem Zielobjekt) kann die Rückkehr zum Gleichgewicht in der
psychologischen Umwelt bewirken, z.B. Bewerbung, Vorstellung, Annahme einer
Stelle bei einem Arbeitslosen. Spannungsreduktion und Rückkehr zum
Gleichgewicht kann aber auch durch eine Ersatzlokomotion (Sublimation, z.B:
Boxen statt Schlägerei, wobei dies je besser funktioniert, je enger die
Bedürfnisse verbunden sind), durch stellvertretende (Kino bzw. vorgestellte
bzw. phantasierte Lokomotion) bewirkt
werden.
6.1.4 Entwicklung der Persönlichkeit
Vererbungs- und Reifungsprozesse spielen in Lewins
psychologischer Theorie keine Rolle, da sie sofern sie zu Beeinflussung der
psychischen Realität führen, durch seine Theorie bereits erfaßt
sind. Lernprozesse werden durch Konstrukte wie kognitive Umstrukturierung,
Differenzierung, Organisation, Integration und Motivation erklärt.
Lewin widerspricht allerdings den
Behavioristen, wenn er sagt, Belohnung und Bestrafung würden, wenn sie
nicht in umfassendere Maßnahmen eingebettet wären, nicht die Valenz
einer Tätigkeit ändern, sondern nur die Durchlässigkeit der
situativen Grenzen auf dem Weg zu ihr und wären deshalb in neuen
Situationen nicht besonders wiksam.
Veränderungen während des Lebens
könne durch die folgenden Feldkonstrukte beschrieben
werden:
•
Varietät: zunehmende Vielzahl und Varietät von
Tätigkeiten, Bedürfnissen, Gefühlen, Kenntnissen, sozialen
Beziehungen mit zunehmendem Alter
•
Organisierung und Integration: wachsende Komplexität und
Hierarchisierung von Verhalten, Ausbildung von Dominanz- und
Subordinationsverhältnissen zwischen Bereichen bezüglich des
Spannungsreduktion.
•
Ausweitung (auch der zeilichen Dimension) von Tätigkeiten, weitere
Wirkungsbereiche, längerfristige Planungen nach vorne und Erinnerungen
zurück
•
Interdependenz von Verhalten: Verbindung und Zusammenfassung von
getrennten Handlungen oder Bedürfnissen zu einem größeren
Ganzen, von “bewegen vs. nicht bewegen” zu “diesem Menschen
gegenüber benehme ich mich zuunächst so und so, später dann so
und so, weil ich das und das erreichen möchte”
•
Unterscheidung und Differenzierung der Dimension Realität und
Irrealität.
Persönlichkeitsentwicklung kann durch die
folgenden drei Entwicklungsbegriffe gekennzeichnet werden:
Differenzierung aller Aspekte des Lebensraumes (Zunahme von Teilen eines
Ganzen). Veränderungen der Grenzeigenschaften im Hinblick auf Anzahl
und Stärke und Reziprozität (d.h. am Anfang gibt es kaum semipermeable
Grenzen, nachher viele) ; bei Kindern sind die Grenzen zwischen Person und
psychologischer Umwelt und die Grenzen innerhalb der Person schwächer als
bei Erwachsenen. Mit zunehmenden Alter verfestigen sich die Grenzen (bis zum
Altersstarrsinn). Integration (s. Organisierung/Integration).
Enwicklung wird von Lewin als forgesetzter
Prozeß verstanden. Angenommen werden wichtige entwicklungsbedingte
Veränderungen im Alter von drei Jahren, danach folgt eine Periode relativer
Stabilität, die von der Adoleszenz als eine Periode dynamischer
Umorganisation abgelöst wird, auf die dann wieder eine Periode der
Stabilität folgt. Für Lewin ist die Dynamik der
Entwicklungsveränderungen und ihre Struktur entscheidend, die Verwendung
von Altersskalen hält er für unangemessen. Mit der Psychoanalyse
stimmt er insofern überein, als daß er die Bereiche des Essens und
Ausscheidens als die ersten differenzierten Bereiche in der gesamtperson
annimmt.
Regression: Wiederkehr einer lebensgeschichtlich
zurückliegenden Verhaltensweise einer Person. Wird z.B. durch Frustration
begünstigt.
Retrogression: änderung in Richtung auf eine
primitivere Form des Verhalten unabhängig davon, ob sich die Person selbst
früher einmal so verhalten hat und ist deswegen einfacher zu
untersuchen.
6.1.5 Forschungsmethoden:
Lewin war stets um empirische Beweise seiner Theorie
bemüht. Experimentelle Untersuchungen zur Wiederaufnahme unterbrochener
Aufgaben (vergl. Zeigarnik (1927): unterbrochene Aufgaben werden besser erinnert
als vollendete). Untersuchungen zum Substitutionswert von Aufgaben von Kate
Lissner (1933), die zeigten, daß der Substitutionswert einer Aufgabe mit
zunehmender ähnlichkeit (und Schwierigkeit) der Aufgaben wächst.
Leider ist es problematisch, die ähnlichkeit anders als “pi mal
Daumen” zu quantifizieren, weil die ausführende Person die Aufgaben
ähnlich finden muß und darüber unter Umständen eine ganz
andere Meinung hat als der VL. Auch der Realitätsgrad hat einen
Einfluß auf den Substitutionswert: zeichnet ein Kind ein Bild, wird
unterbrochen und soll erzählen, wie es weitergezeichnet hätte,
so wird es weniger wahrscheinlich die Zeichnung wiederaufnehmen, als wenn es
darüber nachdenken sollte (Sliosberg, 1934). Experimente zur
Substituierbarkeit von Aufgaben bei normalentwickelten und retardierten Kindern
(Köpke, 1935), die zeigten, daß, vermutlich bedingt durch die
festeren Grenzen in der innerpersonalen Sphäre, die Substituierbarkeit bei
den geistig behinderten Kindern geringer ausgeprägt ist als bei den
Normalentwickelten.
Weitere Substitutionstudien von Mary Henle (1942): diese
kritisierte den a-posteriori Charakter der bisherigen Substitutionsstudien. Da
die ähnlichkeit der Aufgaben vorher nicht bestimmt wurde, hatten die
Studien lediglich deskriptiven Charakter, waren aber nicht zur Bestätigung
von Hypothesen zu gebrauchen. Wenn eine Aufgabe nicht weiter ausgeführt
wurde, war sie halt ähnlich. Falsifiziert werden konnte da nichts. Sie
postulierte übertrug daher die Gestaltgesetze auf die Aufgaben
(ähnlichkeit, Nähe, Gleichartigkeit). Außerdem fand sie heraus,
daß die Wiederaufnahme von Aufgaben nicht zuletzt durch deren Valenz und
Schwierigkeit mitbeinflußt wird, was in früheren Untersuchungen nicht
berücksichtigt wurde. Material waren
Papier-Bleistift-Labyrinthprobleme.
6.1.6 Bewertung:
Weiterentwicklung der Theorie: Anwendung der
Feldtherorie im sozialwissenschafflichen Bereich, bei der Untersuchung von
Gruppenprozessen, in der Aktionsforschung. Keine wesentlichen Fortschritte in
Lewins Personkonzeption seit den 40er Jahren, wohl auch, weil dieser die
Grenzen seiner Persönlichkeitstheorie erkannte und sich auf die Anwendung
der Feldtheorie bei Gruppenprozessen und in der Aktionsforschung
konzentrierte.
Anstöße bezüglich der Erforschung des
Einflusses des nichtpsychologischen Lebensraumes. Studien zur
psychologischen ökologie beschrieben z.B. den Verhaltensraum aller
Kleinkinder einer Stadt im (na wo wohl?) mittleren Westen der USA
(Barker/Wright, 1951-1955/Barker 1963). Escalona (1954) zeigte, wie
konstitutionelle Faktoren (Sensitivität gegenüber bestimmten
Reizen etc) die psychologischen Umwelt beeinflussen. Weitreichender
Einfluß der Feldtheorie innerhalb der Psychologie, z.B. auf Atkinsons
Theorie der Leistungsmotivation (1962) , Festingers Theorie der kognitiven
Dissonanz (1957,1964) oder Heiders Analyse der sozialen Wahrnehmung und der
interpersonalen Beziehungen (1958).
Haupteinwände:
Lewins topologische oder vektorielle Repräsentionen
enthüllen nichts Neues über das Verhalten, das sie vorgeblich
erklären. Es handelt sich nur um bildliche Analogien oder anschauliche
Metaphern. Statt a priori- Aussagen werden “after the fact
eplanations” formuliert. Wäre dieselbe
Persönlichkeitsbeschreibung mit Wörtern erfolgt statt in der
nichtmetrischen Geometrie, wäre sie weit weniger spannend. Lewin vermerkt
dazu, daß die von ihm entwickelte Darstellungsweise
übersichtlicher/nützlicher sei, jedoch gelingt es ihm nicht,
die angeblichen Vorteile der mathematischen Darstellungsweise auszunutzen.
Er gibt keine Formeln zur Verhaltensbeschreibung oder Prognose an, keine Axiome,
aus dem irgendwas Neues hergeleitet werden kann.
Keine Systematisierung der Einflüsse der
objektiven Umwelt. Der Lebensraum ist kein geschlossenes psychologisches
System, dies behauptet Lewin ja auch nicht, allerdings hat seine Theorie
keinen Begriff davon, wie die äußere Welt Veränderungen im
Lebensraum hervorruft, wohingegen die gegenseitigen Einflüsse von
Person und psychologischer Umwelt recht gut elaboriert sind. Lewin hat
allerdings mit der ökologischen Psychologie einen Untersuchungsbereich
vorgrschlagen, der die wechselseitige Beeinflussung von psychologischen und
Umweltvariablen zum Gegenstand hat. Er hat sich halt nur nicht selber drum
gekümmert.
Spence (1944) behauptet, daß Lewins Experimente
nichts mit seinem Programm zu tun haben (Theorie will er in diesem
Zusammenhang nicht verwenden) - und in der Tat trifft der Vorwurf auf die
frühen Substitutionsexperimente zu.
Allport (1955) warf Lewin eine Vermischung der
inneren Welt der Phänomenologie mit der äußeren Welt der
Physik vor: Lokomotionen seien manchmal physischer, manchmal kognitiver Natur,
das Resultat sei ein hoffnungsloses Durcheinander. Nur durch systematische
Trennung der beiden Faktoren physische und phänomenale Welt sei die Theorie
zu retten. Gegenargument hierzu ist, daß alle physischen Elemente im
Lebensraum dort aufgrund von Kognitionen erscheinen, so daß lediglich die
Betrachtung der Kognitionen, d.h. der phänomenalen Ebene, notwendig ist.
Dann aber hat Lewin seine Beispiele schlecht gewählt.
Falsche Anwendung physikalischer und mathematischer
Begriffe. Begriffe wie Kraft, Vektor, Valenz (ursprünglich allerdings:
Aufforderungscharakter, übersetzungsproblem) sind aus ihrem
nauturwissenschaftlichen Kontext gerissen und werden als psychologische
Konstrukte verwendet, wobei Lewin diese oft nicht eindeutig definiert, weswegen
die alte Bedeutung dazu tendiert, zum Teil beibehalten zu
werden.
Ein nicht zutreffender Vorwurf ist die
Nichtberücksichtigen der individuellen Lebensgeschichte, das Prinzip
der Gleichzeitigkeit schalte die Wirkung vergangener Erfahrungen aus. Lewin
fühlte sich in diesem Punkt mißverstanden und dementierte, daß
historische Kausalität für die Psychologie keine Rolle spielen sollte
(s.o.).
Positive Kritik: Anregung von ausgedehnter
Forschungsaktivität. Richtungsweisende Arbeiten auf den Gebieten
Substitution, Anspruchsniveau, Folgen der Unterbrechung auf das Gedächtnis,
Regression, Konflikt und Gruppendynamik, Motivation. Präzisere
Formulierung, was ein Konflikt ist und Darstellung, wie man ihn experimentell
untersuchen kann. Mehrdimensionalität der Feldtheorie: eine Theorie
muß ein Netz von interagierenden Variablen umfassen, nicht nur bloß
Variablenpaare (Kritik an S-R Theorien). “Entschieden
psychologisch”: Subjektiver Bezugsrahmen (z.B. Intentionen,
Ansprüche, Werte) muß Gegenstand psychologischer Forschung sein.
Lewins Theorie führte zu Forschungen, die Verhalten in der natürlichen
Umgebung zum Gegenstand machte - Untersuchungen an Kindern beim Spielen statt an
Ratten -dies sind Formen der empirischen Arbeit, die der Behaviorismus erst viel
später entwickelte bzw. übernahm.
Selbstkonzept und Persönlichkeitsentwicklung: C. Rogers
Die Frage nach einer psychischen Instanz, die den
Menschen reguliert und kontrolliert, wurde immer wieder erhoben und kontrovers
diskutiert. Durch die aufkommende wissenschafliche Psychologie Ende des letzten
Jahrhunderts wurde die Idee einer psychischen Instanz, wie die der Seele, des
Geistes, des Ichs, des Willens oder des Selbst zunächst zurückgewiesen
(vergl. Friedrich A. Langes Forderung nach einer “Psychologie ohne
Seele”). Dies könnte damit zusammenhängen, daß die
betreffenden Ideen traditionell im metaphysischen Sumpf der Religion/Philosophie
zuhause waren, die die Seele als ”frei, unsterblich und von
göttlichen Ursprung” ansah, was immer das auch heißen
mochte.
Die Grundlagen für eine Theorie des
Selbstkonzepts schuf Wiliam James (1890), der das Selbst (self or
empirical me) als die Gesamtsumme dessen, was ein Mensch als “sein”
bezeichnen kann: seinen Körper, seine Eigenschaften und Fähigkeiten,
seinen materiellen Besitz, seine Familie, Freunde, seine Tätigkeiten
u.ä. definierte und unter drei Gesichtspunkten,
diskutierte:
(1) seinen Bestandteilen, (2) den Selbstgefühlen
und (3) den Akten der Selbstsuche und Selbstfindung. Das materielle Selbst
(Habe), das soziale Selbst (Fremdeinschätzung der eigenen Person), das
geisitige Selbst (psychische Vermögen und Dispositionen) und das reine Ich
oder Ego (nur subjektiv erfahrbar) sind die das Selbst konstituierenden Teile.
James unterschied das objektiv erfaßbare Me von dem reinen Ego oder Ich,
das für die Psychologie im Sinne eines “Stromes von Gedanken”
oder “Bewußtseinsstromes” bestimmbar sei
(Prozeßcharakter) und dem Einzelnen ein Gefühl der persönliche
Identität gibt.
In der modernen Psychologie wurden zwei Bedeutungen
des Terminus “Selbst” unterschieden:
Selbst als Objekt: Einstellungen, Gefühle,
Wahrnehmungen und Wertschätzungen eines Menschen über bzw. von sich
selbst, von einigen Autoren als “Selbst”
bezeichnet.
Selbst als Prozeß: das Selbst ist aktiv Handelnder
(doer), es besteht aus einer aktiven Gruppe von Prozessen wie Denken, Erinnern,
Wahrnehmen. Diese Prozesse bestimmen Verhalten bzw. Anpassung an die Umwelt und
werden häufig mit dem Terminus “Ego/Ich” bezeichnet.
Es gibt keine einheitliche Konvention bzgl. der
Verwendung dieser Begriffe. Faktorenanalytische Untersuchungen ließen
Zweifel an der Unabhängigkeit dieser beiden Konzepte aufkommen
(Rentz,White, 1967), einige Autoren machen die Unterscheidung nicht und
verwenden beide Begriffe synonym. Da es im deutschen Sprachraum nicht besser
aussieht, ist zu empfehlen, zu dem jeweiligen Terminus Technicus die
entsprechende Theorie, nach der dieser entnommen wurde, anzugeben.
Die Idee eine psychologisch erforschbaren Selbst
impliziert, daß dieses kein metaphysischer Gegenstand ist, sondern
entweder ein ”Verursacher” oder Katalysator von psychischen
Prozessen (bzw. diese Prozesse selber), wobei davon ausgegangen wird, daß
der Verursacher (bzw. die Prozesse sich gegenseitig) kausal beeinflussen.
Andernfalls wären regelhafte Erklärungen nicht
möglich.
Es folgt eine übervollständige
Aufzählung der Verwendung der Begriffe Selbst und Ich bei anderen Autoren:
hervorzuheben ist neben der Inkonsistenz, daß einige auf die engen
Verbindungen zwischen Selbst und Ich hinweisen (Symond: jemand, der eine
höhere Wertschätzung seiner selbst hat, handelt anders; jemand, der
handelt, verändert durch Erfolg oder Mißerfolg der Handlung auf Dauer
auch sein Selbstbild). Ein weitere Punkt ist, daß das Selbst nicht
völlig bewußt sein muß, (bzw. daß bei den Autoren,
bei denen das Selbst bewußt ist, es nicht die tatsächliche Sachlage
widerspiegeln muß), daß im Gegenteil eine Diskrepanz z.B. zwischen
bewußter Selbstüberhöhung und unbewußten Komplexen
existieren kann (Symond, Hilgard). Letzterer lehnt deswegen radikal
introspektives Material zur Erforschung des Selbst ab und fordert die Erfassung
eine ”erschlossenen Selbst” mit projektiven Techniken (Tests,
Interviews etc.), da der bewußte Teil des Selbst keinesfalls zur
Handlungserklärung ausreiche: Der Mensch ist nicht so selbstbestimmt, wie
er glaubt. Lundholm differenziert das Selbst in Selbstbild/Fremdbild, ohne das
Ich als Prozeß zu thematisieren, ähnlich verfährt Sarbin, der
zwischen ”Körperselbst” (Körperwahrnehmungen) und sozialem
Selbst (Art und Weise, wie sich der Mensch im Umgang mit anderen erfährt)
differenziert. Mead (1934) geht sogar einen Schritt weiter und postuliert die
Entwicklung einer Vielzahl von ”Rollenselbsten” (die in
verschiedenen sozialen Rollen erfahren werden), die sich angefangen mit der
Gewahrwerdung einer Existenz unabhängig von der Pflegeperson ständig
weiter ausdifferenzieren. Erikson schwenkte über zur Terminologie vom Ich
als organisierenden Prozeß, der die verschiedenen Selbste der Gegenwart,
der Vergangenheit und das Idealselbst integrativ zu verbinden versucht.
Die Theorie C. Rogers (1902-1987) gilt als die
vollständigste Selbsttheorie. Rogers entwickelte zunächst die
nicht-direktive Beratung und später die klientenzentrierte
Gesprächs(psycho)therapie. Er gilt als Vertreter des Humanistischen
Standspunkts innerhalb der Psychologie, der dritten Kraft neben Behaviorismus
und Psychoanalyse.
Frühes Interesse an Naturwissenschaften
(Landwirtschaft, Biologie, Physik). Konservative, christliche Haltung des
Elternhauses, später Kontakt zu einer liberalen, philosophischen
Religionsauffassung an der Universität. Beeinflußt durch den
Philosophen John Dewey und Ausbildung in Klinischer Psychologie bei Leta
Hollingworth.
Erste praktische Erfahrungen bei der Behandlung von
Entwicklungsstörungen und Erziehungsberatung.Während dieser Zeit
Kontakt zu dem Psychoanalytiker Otto Rank.
1940 Professor für Psychologie an der State
University of Ohio, 1945 nahm Rogers eine Professur an der University of Chicago
an und wurde gleichzeitig Leiter des Counseling Center. Entwicklung der
Konzeption der klientenzentrierten Methode und Untersuchungen zum
Therapieverlauf. Veröffentlichungen: Die klinische Behandlung des
Problemkindes (1939); Neuere Konzepte in der Praxis der Beratung und
Psychotherapie (1942); Allgemeine Theorie der interpersonalen Beziehungen (1959)
sowie Klientenzentrierte Therapie (1951) u.v.a.
Rogers entwickelte seine Persönlichkeitstheorie auf
der Grundlage seiner klinischen Erfahrungen. Die von ihm entwickelte
Behandlungsmethode basiert auf den folgenden Grundannahmen bzgl. Menschenbild
und therapeutischer Beziehung: Der Therapeut hat eine stark persönliche und
sujektive Beziehung zum Klienten, nicht wie ein Spezialist einem Studienobjekt
gegenüber, sondern von Mensch zu Mensch. Er schätzt den Klienten als
einen Menschen von bedingungslosem Selbstwert ein, der wertvoll ist, wie auch
immer sein Zustand, sein Verhalten oder seine Gefühle beschaffen sind.
Diese bedingungslose Akzeptanz des Therapeuten ermöglicht es dem
Klienten, auch die fremden und bedrohlichen Gefühle in ihm zu entdecken,
Gefühle, die er bis dahin aus seinem Bewußtsein/Selbst gedrängt
hat, weil sie ihm zu bedrohlich erschienen. So kann er erfahren, daß er
diese Gefühle ist. Die Erfahrung der unbedingten Zuwendung durch den
Therapeuten und dessen empathisches Verständnis seines Bezugsrahmens
ermöglicht dem Klienten, sich seiner wahren Gefühle und Erlebnisse
bewußt zu werden und damit die Voraussetzungen für Veränderung
seiner Selbst-Wahrnehmung zu schaffen. Sein Selbstbild (self-concept) gelangt
zu immer größerer übereinstimmung mit seinem Organismus/seinen
tatsächlichen Erfahrungen. Diese Kongruenz ist die Voraussetzung
für die volle Entfaltung der Persönlichkeit, die durch Offenheit
gegenüber (neuen) Erfahrungen, volles Bewußtsein, unbedingte
Selbstachtung, Verzicht auf Abwehrhaltungen und harmonische Beziehungen zu
Anderen gekennzeichnet ist. Auf seiten des Therapeuten ist Kongruenz eine
Voraussetzung für eine tragfähige Beziehung zum Klienten. Er
verhält sich dem Klienten gegenüber authentisch und begegnet ihm mit
Gefühlen, die er als organisch empfindet.
Diese Merkmale des therapeutischen Prozesse sind nach
Rogers nicht nur für den Kontext von Psychotherapie und Beratung
gültig, sie beschreiben allgemein gültige Eigenschaften von
zufriedenstellenden zwischenmenschlichen Beziehungen. Je größer
die Kongruenz von Erfahrung, Bewußtsein und Kommunikation ist, desto eher
sind Beziehungen durch eine Tendenz zur wechselseitigen Kommunikation,
zunehmendem gegenseitigen, genauem Verständnis und größerer,
wechselseitigen Zufriedenheit sowie besserem psychischem Angepaßtsein der
Partner charakterisiert, wobei es reicht, wenn einer der Partner (in der
Therapie halt der Therapeut) diese Eigenschaften besitzt.
Rogers bezeichnet seine Theorie, die sich auf das
Konzept vom Selbst als erläuterndes Konzept stützt, als
phänomenologisch. Die Persönlichkeitsentwicklung zielt auf eine
grundlegenden übereinstimmung zwischen dem Erscheinungsfeld der Erfahrung
und der begrifflichen Struktur des Selbst. Dies ermöglicht die
überwindung von innnerer Spannung und Angst, eine realistisch orientierte
Anpassung und den Aufbau eines individualisierten Werte-Systems, welches
freilich durch die Kultur größtenteils determiniert ist.
6.2.1 Struktur der Persönlichkeit
Rogers Schwerpunkt lag nicht zuletzt wegen der
klinischen Herkunft seiner Theorie auf den dynamischen Aspekten Wandel und
Entwicklung der Persönlichkeit. Für die strukturelle Seite sind zwei
Konzepte relevant.
Der Organismus: psychologisch gesehen der Ort
aller Erfahrungen, allen Erlebens auch körperlicher Vorgänge, sofern
sie potientiell dem Bewußtsein zugänglich sind. Diese
Erfahrungstotalität konstituiert das Erscheinungsfeld (phenomenal field)
und stellt das individuelle Bezugssystem dar, das nur die Person selbst kennt.
Es ist für andere lediglich über den Weg empathischer
Rückschlüsse zugänglich, kann jedoch niemals vollständig
erkannt werden. Verhalten hängt von der subjektiven Realität, dem
phänomenalen Feld, nicht von den Reizegegebenheiten ab. Das
phänomenale Feld und das Bewußtseinsfeld sind nicht identisch.
Bewußtsein oder Bewußtheit (consciousness or awareness) ist die
Symbolisierung eines Teils unseres Erlebens. Das phänomenale Feld
enthält immer sowohl bewußte (symbolisierte) als auch unbewußte
(nicht symbolisierte) Erfahrungen. Der Organismus kann auch unbewußte
Erfahrungen identifizieren und auf sie reagieren, einen Vorgang, den Rogers als
Subzeption (Wahrnehmung unterhalb der Perzeption) bezeichnete. Die
symbolisierten Erfahrungen müssen einer Realitätsprüfung
unterzogen werden. Ungeprüfte oder unvollständig überprüfte
eigene Erfahrungen können zu unrealistischem Verhalten führen, wobei
Rogers davon ausgeht, daß Menschen eine Vorstellung von der
äußeren, unpersönlichen Realität haben. Sie bilden
Hypothesen über die Realitätsangemessenheit ihres Denkens und Erlebens
und überprüfen ihre subjektiven Vorstellungen durch einen Vergleich
mit anderen Informationsquellen (z.B. das Aussehen eines Gegenstands mit dem
Geschmack, oder mit einer verbalen Information einer anderen Person, die
versichert, daß der Gegenstand eßbar ist). ”Der Organismus ist
ein zu allen Zeiten total organisiertes System, in dem die Veränderung
irgendeines Teils zur Veränderung jedes anderen führen kann.”
Mit diesem Postulat schließt sich Rogers der ganzheitlichen
Betrachtungsweise der Gestaltpsychologie an.
Das Selbst: nach Rogers ein Konzept, welches aus
Wahrnehmungen mit den Merkmalen des “Ich” oder “Mich”
(I or me) und aus Wahrnehmungen über die Beziehungen des “Ich”
oder “mich” zu anderen Subjekten oder zu verschiedenen Aspekten des
Lebens besteht. Fließende, sich verändernde Gestalt, die im Lauf
des Lebens aus dem phänomenalen Feld ausgegliedert wird. Dem
Bewußtsein prinzipiell zugänglich, aber nicht notwendigerweise im
Bewußsein enthalten. Das Selbst wurde von Rogers als zentraler
Bestandteil im Leben seiner Klienten bezeichnet.
Kongruenz bzw. Inkongruenz von Organismus und Selbst:
Wenn die symbolisierten Erfahrungen, die das Selbst
konstituieren, die Erfahrungen des Organismus getreu widerspiegeln, dann ist die
Person angepaßt, reif und voll lebensfähig. D.h. es besteht Kongruenz
zwischen dem Selbst, wie es von der Person wahrgenommen wird und dem Erleben des
Organismus. Es besteht keine Notwendigkeit zur Unterdrückung oder
Verfälschung von Erlebtem, welches deswegen vollständig in das Selbst
integriert werden kann. Dadurch bleibt das Selbst in enger Verbindung zur
Realität. Die Folgen von Inkongruenz sind Gefühle von Bedrohtsein und
Angst sowie rigide Denkmuster.
Kongruenz manifestiert sich auch in der erlebten
übereinstimmung zwischen subjektiver und äußerer
Realität und in dem Grad an übereinstimmung zwischen Selbst und
Idealselbst, ist die Diskrepanz hier zu groß, ist das Individuum
chronisch unzufrieden und als unangepaßt zu
bezeichnen.
6.2.2 Dynamik der Prsönlichkeit:
“Der Organismus hat eine grundlegende Tendenz,
den Erfahrung machenden Organismus zu aktualisieren, zu erhalten und zu
erhöhen” (Rogers, 1951). Er ist für Rogers bezügich des
dynamischen Aspekts ein monistisches System, bei dem ein einziger (An)trieb
ausreicht, um dem Verhalten Rechung zu tragen. Es gibt also nur eine einzige
motivierende Kraft und ein einziges Lebensziel. Die Grundtendenzen des Wachstums
- sich zu verwirklichen (Aktualisierung) und zu entfalten (Expansion)
werden in den Bahnen, die durch die Vererbung festgelegt sind, realisiert.
Im Leben eines jeden Menschen gibt es diese Vorwärts- und
Aufwärtstendenzen, die aber nur realisiert werden können, wenn die
Zukunftsmöglichkeiten eindeutig wahrgenommen und angemessen symbolisiert
werden können. ”Man muß die Alternativen kennen, um sich
entscheiden zu können; sind sie aber einmal erkannt, wird die Wahl stets
auf das Wachstum fallen und nicht auf die Regression.”
Rogers unterscheidet zwischen der aktualisierenden
Tendenz des Organismus und einer selbstaktualisierenden Tendenz. Wenn Kongruenz
zwischen Selbst und Organismus besteht, sind beide Aktualisierungstendenzen
verhältnismäßig einheitlich, im Falle der Inkongruenz
können die Aktualisierungstendenzen des Organismus und des Selbst im
Widerspruch zueinander stehen.
Als (durch Umsorgtwerden des Kleinkindes) erlernte
Bedürfnisse bezeichnet Rogers das Bedürfnis nach positiver
Beachtung/Zuwendung/Akzeptiertwerden (positive regard) und das
Bedürfnis nach Selbstachtung (self-regard). Diese beiden
Bedürfnisse wirken der Aktualisierungstendenz entgegen, indem sie die
Erfahrungen des Organismus verfälschen.
6.2.3 Entwicklung der Persönlichkeit:
Würde das Kind ausschließlich unbedingte
positive Zuwendung erfahren, blieben die Erfahrungen des Organismus und des
Selbst kongruent. Durch die positiven und negativen Reaktionen der sozialen
Umwelt lernt das Kind zwischen gebilligten und mißbilligten Handlungen und
Gefühlen zu unterscheiden, was zur Ausgrenzung der negativen Erfahrungen
aus dem Selbstbild führt, auch wenn diese für den Organismus
annehmbar sind. Das Kind versucht so zu sein, wie es von ihm erwartet wird.
übernommene Wertvorstellungen determinieren die Bewertung von Erfahrungen
und Ereignissen, und stehen damit u.U. im Gegensatz zur Aktualisierungstendenz
des Organismus. Es kommt zu Konflikten zwischen introjizierten, unechten und
echten, unbewußten Werten, die auf folgende Arten gelöst werden
können: 1. Es findet eine unrealistische Abwertung des Selbst statt
(”Ich bin böse böse böse, weil ich xyz will.”) 2. Die
introjizierten Gefühle werden nicht auf eine Aktion, sondern die Person
bezogen (Meine Eltern haben mich als solches gar nicht lieb) 3. Die negativ
bewertete Gefühle werden verleugnet (”Ich will gar nicht xyz”)
In der Regel findet keiner dieser Mechanismen bewußt statt. Auf lange
Sicht führt diese Entfernung des Selbstkonzeptes vom organismischen Erleben
zu größerer Inkonkruenz. Die Erfahrung der Unvereinbarkeit zwischen
organ(ism)ischer Erfahrung und Selbstkonzept wird als bedrohlich erlebt. Um das
Selbstbild zu schützen, wird dem inkongruenten Teil der organismischen
Erfahrung die angemessene Symbolisierung verwehrt, entweder er wird gar nicht
oder nur verzerrt symbolisiert, z.B. indem er auf andere projiziert wird.
Rogers erklärt die Möglichkeit einer
Verleugnung vor dem Bewußtwerden so: die mit der unbewußten
Wahrnehmung (Subzeption) von bedrohlichen Objekten verbundenen viszeralen
Reaktionen erzeugen Angstgefühle (die meist bewußt erlebt werden),
deren Ursache aber von der Person nicht erkannt werden kann. Durch diese
Angstgefühle wird die Bewußtwerdung der ursprünglich erlebten
Gefühle verhindert.
Die Inkongruenz zwischen Organismus und Selbst
beeinflußt auch die zwischenmenschlichen Beziehungen. Abwehrhaltungen
gegenüber eigenen Gefühlen bewirken feindselige Gefühle anderen
gegenüber, wenn sie die Gefühle zeigen, die mensch bei sich selber
nicht zuläßt.
Die Erfahrung des völligen Fehlens von Bedrohungen
für die Selbst-Struktur ist für die die Integration dieser mit ihr
nicht übereinstimmenden Erfahrungen notwendig. Diese Reorganisation im
Selbstkonzept, die die Bewußtmachung und Erforschung und Akzeptanz der
unbewußten, bedrohlichen Gefühle und damit deren Assimilation in die
Selbststruktur einschließt, bedarf nach Rogers eines nach den Prinzipien
der klientenzentrierten Therapie gestalteten Beziehungskontext. Die Aufnahme
aller Körper- und Sinneserfahrungen in eine konsistente und integrierte
Selbst-struktur ermöglicht dann auch ein akzeptierenderes Verhalten anderen
gegenüber. Dieses hat dann auch noch befriedigendere Sozialkontakte zur
Folge, so daß alles gut wird. (Hier geht übrigens implizit Rogers
Grundannahme ein, daß der Mensch gut ist - sollte ein verhinderter
Massenmörder nach einer Therapie seine Passion ausleben? Solche Menschen
gibt es bei Rogers nicht).
Eine gesunde Anpassung erfordert die ständige
Beurteilung von Erfahrungen und Erlebnissen sowie eine entsprechende
überprüfung des Wertesystems. Ein rigides Wertesystem verhindert die
angemessene Reaktion auf neue Erfahrungen und wechselnde Lebensumstände.
6.2.4 Forschungsmethoden:
Kontrollierte Studien über Psychotherapieverlauf.
Rogers war einer der ersten, die Tonbandaufzeichnungen von
Therapiegesprächen machte.
Qualitative Studien: Anhand von
Einzelfällen legte Rogers dar, welches Selbstbild der Klient zu
verschiedenen Phasen der Therapie hat (Tonbandtranskripte). Diese Methode dient
sowohl zur Illustration typischer Klientenäußerungen, als auch
dazu, seine Theorie plausibel zu machen, ist jedoch aufgrund der
Einzelfallorientierung kein Beweis.
Qualitative Studien: Analyse von
Tonbandtranskripten bezüglich des Selbstbildes der Klienten bei Beginn und
im Verlauf der Therapie. Inhaltsanalyse von Klientenäußerungen
nach folgenden Kategorien (durch dieses System konnten größere
Klientenzahlen zur Absicherung der Theorie verwendet werden): positiver,
zustimmender, akzetierender Selbstbezug vs. negativer, mißbilligender,
ablehneder Selbstbezug; ambivalenter Selbstbezug; Bezug zu Gegenständen und
Personen; Problematisches (questons). Zu Beginn der Therapie wurde häufig
negative Selbstbezüge geäußert, im (erfolgreichen)
Therapieverlauf traten Fluktuationen der Selbstbilligung mit steigender
Ambivalenz auf, gegen Ende der Therapie überwiegten selbstbejahende
äußerungen (C.Raimy, 1948). Eine größere Akzeptanz anderer
Menschen bei zunehmender Selbstakzeptierung konnte in einer Untersuchung nicht
bestätigt werden (J. Seemann, 1949), andere Studien unterstützten
diesen Zusammenhang (E.T. Sheerer, 1949; E.L. Philips, 1951). Zusammenhänge
zwischen der Selbstakzeptanz der Mütter und ihrer Annahme ihrer Kinder
wurden von G.R. Medinnus und F.J.Curtis (1963) gefunden.
Weitere Versuche, den Therapieerfolg zu bewerten,
unternahm man mit der Verwendung von Rating-Skalen, in denen die
Einstellung und das Verhalten des Therapeuten zu den Veränderungen beim
Klienten in Beziehung gesetzt wurde. (Stufe 1: Klare Diskrepanz zwischen Erleben
und Kommunikation des Therapeuten...Stufe 5: Der Therapeut ist völlig frei
und offen - Kongruenzskala von D.J. Kiesler, nach Rogers, 1967). Ebenso wurden
Skalen zur Messung der Qualität der therapeutischen Beziehung verwendet
(Stufe 1: Verweigerung jeglicher Beziehung...Stufe 6: Die Beziehung ist kurz
davor, permanente Realität zu werden - Gentlin, nach Rogers, 1967). Rogers
ließ sowohl Therapeuten und Patienten den Verlauf von Therapien raten als
auch Unbeteiligte, die nur die Scripte lesen konnten. Alle Skalen erwiesen sich
als Valie, bi auf diejenige, die die ”unbedingte positive Zuwendung”
messen sollte. Hier stellte sich heraus, daß die Therapeuten zum guten
Teil nicht in der Lage waren, ihre Einstellung zum Klienten, so wie dieser sie
erfährt, zu beurteilen, in dieser Aufgabe waren selbst Schizos besser.
Mit Hilfe der sog. Q- Technik versuchte man
Korrelationen zwischen Selbst- und Idealbild der Patienten zu ermitteln. Dabei
werden Aussagen (die Items stammen z.B. aus Therapieprotokollen) auf Karten
präsentiert, die sortiert werden sollen, in der Reihenfolge von der am
wenigsten auf das Selbst/die Person zutreffenden bis hin zur am besten
zutreffenden. Danach sollen dieselben Karten nocheinmal sortiert werden, diesmal
nach dem Idealbild von der eigenen Person. Zwischen beiden Sortierungen lassen
sich Korrelationskoeffizienten ermitteln (welche natürlich abhängig
von den Items sind). In einer Studie (Butler & Haig,1954) konnte bei
Anwärtern für eine psychologische Beratung keinen Zusammenhang
zwischen Selbst- und Idealbild feststellen, während der
Korrelationskoeffizient für die Kontrollgruppe 0.58 betrug. Nach
Abschluß der Beratung ergab sich bei den Klienten eine mittlere
Korrelation von 0.34. Bei der Kontrollgruppe änderte sich der Koeffizient
in der Zeit nicht. Eine änderung des Korellationskoeffizienten zwischen
Selbst- und Idealbild sagt noch nichts darüber aus, ob sich das Selbst- dem
Idealbild angenähert hat oder umgekehrt. In weiteren Studien wurde
nachgewiesen, daß beide änderungen vorkommen. änderungen der
Selbstbild- - Idealbildkorrelation weisen jedoch keinen Zusammenhang mit in der
Therapie erzielten Verbesserungen auf, was mit der bei einigen Klienten
vorkommenden defensiven oder Abwehrsortierung erklärt wird. Der Klient gibt
während der Untersuchung ein verzerrtes Bild von sich , so daß er gut
angepaßt erscheint, obwohl er es in Wirklichkeit nicht ist. Die
Rekordanpassung mit r=.9 lieferte denn auch eine Person, die ohne Zweifel ein
pathologischer Fall war. Chodorkoff (1954) fand heraus, daß die
Größe der Differenz in Selbst- und Fremdeinschätzung negativ
korreliert mit der Wahrnehmungsabwehr (schmutzige Wörter im Tachistoskop),
so daß bei bestimmten Patientengruppen ein verzerrte Selbstwahrnehmung mit
zur Symptomskala gehört. Eine andere Untersuchung (I. Friedman, 1955) ergab
folgende Werte: Normalos: 0,63; Psychotiker: 0,43; Neurotiker: 0,03.
Insbesondere Paranoide Schizophrene würden mittels Q-Test nicht
identifiziert.
Hier werden die methodischen Probleme dieser
Untersuchungsstrategien deutlich: Gültigkeit von Selbstaussagen,
Antworttendenz in Richtung soziale Erwünschtheit, unrealistische
Selbstaussagen bei bestimmten Patientengruppen. Weiterhin wurden projektive
Verfahren (Rohrschach; TAT) sowie Persönlichkeitstest (MMPI) und
physiologische Parameter zur Beurteilung von Therapieerläufen verwendet.
Last but not least wurde die Theorie auch in
experimentellen Studien getestet, wobei die Hypothesen dahin gingen, wann
das Selbstbild nach einem Mißerfolg beim Lösen einer Aufgabe nicht
geändert wird und welche Rationalisierungen dazu herangezogen
werden.
6.2.5 Kritik und Bewertung:
Die Humanistische Orientierung und die Wahl des inneren
Bezugssystems des Individuums als Ansatzpunkt für ein Verständnis
menschlichen Verhaltens wird von vielen Psychologen positiv gewertet. Die
klientenzentrierte Methode ist weit verbreitet und wird weiterhin erforscht. Ob
die Basisannahme, daß der Mensch gut sei, haltbar ist, darüber kann
vorzüglich gestritten werden (was ist überhaupt gut?). Kritiker wenden
ein, die Theorie Rogers basiere auf einer Art naiver Phänomenologie und sie
ignoriere die Existenz des Unbewußten. Hingewiesen wird auf die
durch Abwehrhaltungen entstehenden Verzerrungen und den daraus resultierenden
Mangel an Zuverlässigkeit von Selbstberichten. Rogers überzeugung,
daß die durch die Eltern verursachten Verdrängungen allein durch die
akzeptierende, empathische Haltung des Therapeuten aufgehoben werden bzw. die
Eltern durch eine entsprechende Haltung ihren Kindern gegenüber diesen
vorbeugen könnten, wird besonders von psychoanalytisch orientierten
Psychologen in Frage gestellt. Dem könnte man entgegnen, daß Rogers
Therapieziel ja gerade die Bewußtwerdung von verleugneten Inhalten ist,
was der Verdrängung zu 98,5% entspricht. Auf die Behauptung, daß noch
Unbewußtes gibt, welches in einer Therapie nach Rogers nicht bewußt
werden kann, kann den Analytikern der Vorwurf gemacht werden, daß sie
dieses in den Klienten hineinanalysierten.
Weiterhin: Indikation der klientenzentrierten
Therapie für unterschiedliche Störungsbilder - nicht jedem kann
geholfen werden, jedenfalls nicht durch KZT/GT. Schizophrene zeigten denn auch
in einer Studie (Rogers 1967) keine Besserung.
Sabine meint: Ignorieren von systemischen Aspekten bei
der Entstehung und Aufrechterhaltung von Fehlanpassungen, Frank meint: steht
vielleicht nur nicht in H&L, kann mensch sich denken, oder?
Wie jede Thorie in Hall & Lindzsey hat auch diese
die Forschung beflügelt etc. pp.
G. A. Kelly: Psychologie der persönlichen Konstrukte
George Alexander Kelly (1905-1966). Ausgehend von
einer Betrachtung des Menschen über die Jahrhunderte hinweg behauptet
Kelly, daß Wissenschaftler nur eine Technik perfektioniert haben, die sich
im Laufe der Geschichte der Menschheit herausgebildet hat und die jedem Menschen
zu eigen ist - die Schaffung eines mehr oder weniger schlüssigen Systems
zur Interpretation der Welt, zwecks Prognose und Veränderung von
Ereignissen. Dabei sei zu beachten, daß es für den
Phänomenbereich Welt wahrscheinlich so viele Theorien gäbe, wie es
Menschen gibt, was zum einen daran liegt, daß jeder von der Welt
unterschiedliche Auschnitte zu Gesicht bekommt, zum anderen auch aus seiner wo
auch immer herstammenden Persönlichkeit. Diese Auffassung führt nun
dazu, daß Kelly dem Menschen nicht seine Persönlichkeitstheorie
überstülpt, sondern, daß er versucht, dessen Weltauffassung zu
rekonstruieren.
6.3.1 Basispostulat und Korrolarien
Basispostulat seiner Theorie ist:
Die Prozesse einer Person werden psychologisch
kanalisiert durch die Art, in der sie Ereignisse vorwegnimmt (1955).
In diesem Satz sind Annahmen über die
Ganzheitlichkeit, die konstitutionelle Dynamik, die
Arbeitsweise (”Ereignisse antizipiert”) der Person und die
Plazierung derselben in einer strukturierten Umwelt (sonst machte
Antizipation keinen Sinn) gemacht. Daraus ergeben sich elf Folgesätze, von
denen hier 7 kommentiert sind:
1) Konstruktionskorrolarium: Eine Person
antizipiert Ereignisse, indem sie ihre Wiederholung konstruiert. Dazu bedarf es
der Extraktion von Gemeinsamkeiten und Vernachlässigung von Unterschieden
im Erlebnisstrom.
2) Individualitätskorrolarium: Personen
unterscheiden sich in ihrer Konstruktion von Ereignissen (s.o.)
4) Dichotomie-Korrolarium: Das Konstruktsystem
einer Person besteht aus einer endlichen Zahl dichotomer Konstrukte. Beide Pole
sind wichtig, da die Dimension sonst keine Ausdehnung hat. Um es platter zu
formulieren: Wer immer nur glücklich war, weiß genausowenig, was
Glück ist, wie jemand, der noch nie glücklich war. Letzterer, weil er
das Gwefühl nicht kennt, ersterer, weil er es nicht herausdifferenzieren
kann.
6) Bereichs-Korrolarium: Ein Konstrukt eignet
sich nur für die Antizipation eines begrenzten Bereichs von Ereignissen.
Jedes Konstrukt hat einen Geltungsbereich, während z.B. das
Konstrukt Hautfarbe für einen Rassisten im Bereich
”Personenbeurteilung” ganz oben steht, kann er es nicht anwenden auf
Tageszeiten etc.
9) Bruchstück-Korrolarium: Eine Person kann
nacheinander eine Vielzahl von Subsystemen benutzen, die logisch miteinander
unvereinbar sind. Kelly geht nicht davon aus, daß die Weltbilder von
Menschen konsistent sind (wäre auch dumm, das zu tun). Trotzdem nimmt er
an, daß es ein dominantes Konstruktsystem gibt.
10) Kommunalitäts-Korrolarium: Soweit eine
Person ihre Erfahrung ähnlich konstruiert wie eine andere Person,
ähneln ihre psychologischen Prozesse denen der anderen Person.
11) Sozialitäts-Korrolarium: Soweit eine
Person die Konstruktionsprozesse einer anderen person nachvollzieht, nur soweit
kann sie eine Rolle spielen in einem sozialen Prozeß, der die andere
Person einschließt. Nachvollziehen bedeutet, die Konstrukte der anderen
Person in sich nachzubilden.
Zur Erfassung der wichtigsten persönlichen
Konstrukte schuf Kelly den Repertory-Test. Dabei werden dem Patienten
20-24 Rollentitel vorgelegt. Der Klient muß diese mit Namen füllen.
Den Namen werden Nummern zugelost, aus einer vorgesehenen Permutationsmatrix
werden immer drei davon zusammengeführt und der Klient muß sagen,
welches das wichtigste Merkmal ist, welches zwei von beiden zusammen besitzen,
der dritte aber nicht. Dabei sollte kein berits erwähntes Merkmal benutzt
werden. In erstaunlich kurzer Zeit haben sich die Merkmale erschöpft. Ob
zwei Konstrukte ähnlich seien, oder was sie genau bedeuten, dazu befragt
Kelly den Klienten selber. Die Auswertung kann auch mittels einer von Kelly
entwickelten non-parametrischen Faktoirenanalyse erfolgen.
Die so gewonnenen Erkenntnisse lassen sich unmittelbar
in der Fixed-Role-Therapie umsetzen: Ein Konstruktsystem ist dann und nur dann
verkehrt, wenn es dem Klienten ein unangenehmes Leben bereitet - es geht hier
nicht um solche philosophsich nicht zu klärenden Fragen wie einer
adäquaten Abbildung der Realität. Der Therapeut schriebt dem Klienten
eine Rolle, die sich in den entscheidenden Konstrukten von seiner eigenen
Persönlichkeit unterscheidet. Zunächst wird diese nur im
schützenden Raum der Praxis eingeübt, nahcher allerdings verhält
sich der Klient für einige Zeit komplett als ”anderer Mensch”
und wird vom Therapeuten auch nur als dieser behandelt. Am Ende hat der Klient
durch das ”learning bei doing” die Wahl, welcher Teil seiner alten
Persönlichkeit wieder hervorkommen und welcher verschütt bleiben soll.
6.3.2 Bewertung:
Positiv:
- Symmetrie zwischen Klient und Versuchsleiter ist fast
gegeben, der Klient wird für voll genommen
- Rep-Test funktioniert
- Anwendbarkeit gegeben
Negativ:
- Fisseni ist bestimmt Psychoanalytiker, wenn er
schreibt, daß es ein Problem sei, daß die Probanten ihre zentralen
Leitideen nicht bewußt sein. Das allerdings dürfte nur wenige
betreffen. Ob die von Kelly eingeräumten ”nicht verbal
ausformulierten Konstrukte” eine große Rolle spielen, bleibt wohl
abzuwarten.
- ein Problem ist die Annahme, daß die Konstrukte
bipolar sind, jedenfalls nach Fisseni. Wenn er aber etwas Informationstheorie
könnte, würde er wissen, daß sich jedes n-polare System in einem
bipolaren ohne Informationsverlust abbilden läßt. Dann sind es eben
entsprechend mehr Begriffspaare. Und gerade bei der Anzahl der Dimensionen legt
sich Kelly nicht fest.
Beispiel: Locus of Control hat in irgendeiner Theorie
drei Ausprägungen: selbstverursacht, fremdverursacht und Schicksal - d.h.
nicht absichtlich verursacht. Bipolar aufgeteilt bedeutet das: A)
selbst-/Fremdverursacht (+/-) B) Intentionalität (+/-), wobei B) wichtiger
ist als A).
Im der 1985 erschienenen Neubearbeitung von Hall und
Lindzey (23.95£) hat Kelly dann endlich auch ein eigenes Kapitel. Zur
weiteren Lektüre sei das Kelly-Referat unserer Gruppe
empfohlen.
Phänomenologische und organismische Persönlichkeitsmodelle
Zwischen der idealistischen Philosophie und einem
Menschenbild, welches beinhaltet, daß der Mensch sich eine ganzheitlichen
und immanenten Gesetzen entwickelnde Einheit ist (organismisches Menschenbild),
bestehen deutliche Gemeinsamkeiten. Diese von der Philosophie her stammenden
psychologischen Theorien werden im Sammelbecken “Humanistische
Psychologie” zusammengefaßt. Diese hatte in Europa bis zum 2.
Weltkrieg einen stärkeren Einfluß als in den USA, danach verschwand
sie auch hier aus dem Mainstream. Gemeinsamkeiten aller philosophisch
orientierten Charakterologien sind:
- die Frage nach dem Wesen des Menschen.
Individualität, Personalität und Ganzheitlichkeit sind Merkmale
menschlicher Lebensfähigkeit, auf denen sich Grundformen des Erlebens und
Handelns ergeben. Im Zentrum steht somit die Frage nach allgemeinen
Grundqualitäten, nicht die charakterologische Frage nach individuellen
Unterschieden.
- Methode der Wahl ist die Phänomenologie.
Ganzheitlichkeit statt zergliedern und analysieren, wobei hier einerseits
subjektiv erfahrbare - phänomenale - Sachverhalte eingehen, zum anderen
aber auch Fremdbeobachtungen, die zumindest theoretisch intersubjektiv
validerbar sind (z.B. Auswirkungen der Konstanzgesetze der
Wahrnehmung).
- trotzdem mangelt es allen vorgestellten
Systemen an es empirischer fundierter Untermauerung.
- aus dem letzten Punkt ergibt sich, daß diese
Persönlichkeitstheorien keinen expliziten Bezug zur Anwendungspraxis
aufweisen. Es geht nicht um Diagnose oder Therapie, sondern um die
Beschreibung von Entwicklungsformen und das Verständnis von Strukturen.
Gewonnen werden soll durch die Laberei ein “globales Verständnis von
Sinn der menschlichen Lebenstätigkeit schlechthin”.
7.1 Schichttheorien der Persönlichkeit
Schichttheorien haben Vorläufer in der
Philosophie (Unterscheidung zwischen vegetativen, sensorischen und
rationalen Bereich), Hirnforschung des 19./20. Jhs (Rückenmark,
Stammhirn, Mittelhirn, Zwischenhirn, Cortex), Freud (Unbewußt,
Vorbewußt, Bewußt) und auch Jung (koll. Unbewußtes,
pers. Unbewußtes, Bewußtsein).
7.1.1 Der Aufbau der Person nach Philip Lersch
1898 in München geboren und 1972 dort gestorben,
Professor in Dresden, Breslau und Leipzig. Hauptinteresse war die Entwicklung
einer philosophisch-anthropologisch fundierten Charakterologie. Hauptwerk:
“Der Aufbau des Charakters” (1938), was seit 1951 “Der Aufbau
der Person” heißt.
Lersch versteht seine Schichttheorie ausdrücklich
nur als Modell, als ein Behelf, zu dem wir gezwungen sind, weil unser
begriffliches Denken orientiert ist am Schema des Raumes.
Personalität “charakterisiert den
Menschen als Sonderwesen im Ganzen der Welt”, dieses beinhaltet einen
allgemein-, einen entwicklungs- und einen charakterologischen Aspekt. Somit
kann Lerschs Aufbau der Person als allgemeines anthropologisches Modell
begriffen werden, in dem die Charakterologie als sich ein Teilbereich, die Lehre
von der persontypischen Manifestation allgemeiner menschlicher Formen des
Erlebens versteht. Charakter: bezeichnet “die individuelle Eigenart
des Menschen”, kommt aus den unbewußten Tiefen und manifestiert sich
fühlend und handelnd etc. im Bewußtsein und führt dazu,
daß Menschen ein erfaßbares Gepräge haben, welches ihn von
anderen Menschen abhebt. Zentrale Gliederungsmerkmale des Charakters sind
Dispositionen, d.h. habituelle Eigenschaften der Erlebnisse, die
wiederkehren. Psychologie soll sich nach Lersch als die Wissenschaft vom
“Insgesamt aller Erlebnisse” verstehen.
Lersch Methode war die Selbstbeobachtung zur
Registrierung intern ablaufender Phänomene. Er setzte sich kritisch mit
einer naturwissenschatlichen Psychologie auseinander, da diese es mit
Motivationszusammenhängen (Finalismus) und nicht mit
Kausalzusammenhängen zu tun habe. Experimente erfaßten nicht die
zentralen, tiefen Erlebnisse des Lebens wie Liebe, Hass, Trauer etc. Des
weiteren gäbe es mit n-w Methodik nicht erfaßbare
Sinnzusammenhänge, welche sich aufgrund der Einordnung eines
psychologischen oder biologischen Teilgeschehens in das Ganze dessen ergeben,
was in der Selbstentfaltung intendiert wird, ohne daß dieser Bezug dem
bewußten Erleben zugänglich ist. Beispiel ist das kindliche Spiel,
welches im Sinnzusammenhang eine Vorübung für zweckmäßiges
Verhalten ist, aber durch Funktionslust (Charlotte Bühler) motiviert ist.
Personen können laut Lersch auf einem
zweidimensionalem Schema beschrieben werden: Die horizontale Dimension ist der
“Funktionskreis des Erlebens”, die vertikale heißt
einfach “vertikale Schichtung” oder “intrapersonaler
Aufbau”. Im Funktionskreis des Erlebens sind zunächst vier
Phänomenklassen zu unterscheiden: 1) Strebungen oder Antriebserlebnisse,
Triebe, Motive (Antrieb), 2) Gefühle (Anmutungen), 3) Funktionen des
Weltinnewerdens (Wahrnehmung, Vorstellung, Denken), 4) wirkendes Handeln.
Strebungen sind zu verstehen als dranghaftes Suchen in der Welt zur
Befriedigung von Bedürfnissen die auf Mangelzustände
zurückzuführen sind. Zusammenhang im Funktionskreis des Erlebens:
Wahrnehmung führt zu Anmutungen, welche auch eine motivationale Komponente
(Antriebsgestalt) haben, wodurch u.U. Handlungen ausgelöst
werden.
Die vertikale Schichtung (vgl. Freuds Psychologie
des Un- , Vor- und Bewußten, Stammhirn vs Kortex etc) bei Lersch gliedert
sich in drei Schichten: 1) den Lebensgrund: Funktionsweisen des
leiblichen Organismus, die sich aber auch psychosomatisch niederschlagen
können, das, was dem Erleben vorausgeht, aber selber noch kein Erleben
einschließt. 2) den endothymen Grund: Zentrum der Strebungen,
Antriebsereignisse und Gefühlsregungen sowie der stationären
Gestimmtheiten. Gemeinsam ist diesen, daß sie ”uns ergreifen,
überkommen”, nicht direkt aus dem Bewußtsein steuerbar sind.
Der endothyme Grund gliedert sich in drei Erlebenskreise, von denen jeder sich
in drei Vollzugsformen äußern kann. Die Tabelle im Buch stimmt nicht
mit dem Texst überein und dieser ist in sich unschlüssig. Deswegen
hier das, was zu retten war:
Erlebenskreis Vollzugsformen
|
Stationäre
Gestimmtheiten
|
Gefühlsregungen
|
Antriebserlebnisse
|
Lebendiges Dasein
(existieren)
|
Heiterkeit, Trauer, Schwermut
|
Schmerz, Lust, Langeweile,
Ekel
|
Tätigkeitsdrang, Libido,
Genußstreben, Erlebnisdrang
|
Individuelles
Selbstsein
|
Eigen- und Ohnmacht,
Selbstwert
|
Schreck, Vertrauen, Schadenfreude,
Dankbarkeit
|
Selbsterhaltung, Egoismus, Rache- und
Eigenwertstreben, Wille zur Macht
|
über-Sich-Hinaus-Sein (Umwelt,
Mitwelt)
|
Optimismus, Pessimismus, Ernst,
Humor
|
transitive Gefühlsregungen: Sympathie,
Antipathie, Religiöse Ergriffenheit
|
Gesellungsdrang, mitmenschliche Liebe,
Interessen, Pflichtgefühle
|
Ferner gibt es noch auf die Zukunft gerichtete
”Schicksalsgefühle”, die nicht direkt einem
Erlebenskreis zugeordnet sind: Erwartung, Hoffnung, Sorge, Befürchtung,
Resignation etc.
Im lebendigen Dasein werden die Erfahrungen
charakterisiert, die die Existenz als Mensch so mit sich bringt (leibnahe
Zustände), im individuellen Selbstsein wird das Erleben, ein
Einzelwesen zu sein, thematisiert (Betonung des Ich-Welt Gegensatzes) und im
über-Sich-Hinaus-Sein schließlich die Erfahrung, auf eine
Mitwelt bezogen zu sein.
Die stationären Gestimmtheiten stellen den
tiefsten der Erfahrung zugänglichen Bereich des endothymen Grundes dar,
sind überdauernde Formen des Zumuteseins, auf denen sich aktuelle
Anmutungsgefühle abheben (und deswegen oft ”intransitiv”, d.h.
Erleben, welches keines Objektes bedarf; vgl. momentaner Zustand vs. Stimmung
bei Cattell). Darüber erhebt sich die Schicht der
Gefühlsregungen, diese stellen eine Beziehung zwischen dem eigenen
Sein und der Umwelt her. Unmittelbar motivierend wirken die
Antriebserlebnisse.
Die letzte Schicht ist 3) der personale Oberbau:
hierin befinden die sich vom ich gesteuerten Formen des Denkens und
Wollens. Denken wird mit dem Begriff ”noetischer Habitus”,
was in etwas ”individuelle Intelligenzzusammensetzung bedeutet
bezeichnet, Wollen mit dem Begriffe der Willensartung, die sich z.B. in
der Selbständigkeit der Zielsetzungen eines Menschen zeigt.
Die beiden oberen, erlebnisfähigen Schichten wirken
offen und integrativ zusammen und konstituieren das personale Selbst, die
eigentliche Mitte der menschlichen Person, die ohne eine der beiden Schichten
keine wäre (fehlt Schicht 2, so wird sie zum Roboter, fehlt Schicht 3, so
wird sie zum Tier). Charakterologisch wird´s, wenn Lersch darauf hinweist,
daß die verschiedenen Phänomenklassen inter- und intraindividuell (in
der Zeit, z.B. muß sich das Ich nach dem Aufstehen ja erstmal warmlaufen)
von unterschiedlichem Einfluß sind. Ist eine Schicht als ganzes betont, so
spricht Lersch vom Gefühls- vs Verstandesmenschen, wobei letzterer z.B.
durch Nüchternheit und fehlender Beeinflussung durch Gefühle
gekennzeichnet ist. So dient der Schichtaufbau der Persönlichkeit als
Aufhänger für eine Typologie.
Bewertung:
Geplant war die Theorie als Entwurf eines
ganzheitlichen Systems, in welchem sowohl der Innen- wie auch der
Außenaspekt der Person-Umwelt-Beziehung betont wird. In dem Entwurf bleibt
ein Bezug zum Alltagserleben gewahrt, somit ist es zumindest als
Orientierungshilfe für das Verständnis des menschlichen Seins
nützlich. Empirisch überprüft wurde hier durch Lersch nichts,
durch seine Schüler nur ansatzweise - wie will mensch so etwas auch
operationalisieren? Das Selbst ist die zentrale Instanz, dessen
Regulationsfunktion läßt zugleich auch die Eigenaktivität der
Person in der Auseinandersetzung mit der Umwelt transparent werden. Zielsetzung
der Balance zwischen den oberen beiden Schichten ist eine möglichst
harmonische Integration aller rationalen und emotionalen Wesensmerkmale, somit
ist dieses Modell der organismischen Perspektive zuzurechnen. Das System
ist ein statischer Entwurf, über Entwicklung und Veränderungsprozesse
hat Lersch wenig verlauten lassen, so daß es nicht zur Herleitung
pädagogischer oder therapeutischer Eingriffe verwendet werden kann. Somit
dient es in erste Linie als Anregung...bla bla bla
7.1.2 Rothacker
Erich Rothacker (1888-1965) benutzt als Quellen
biologische, hirnpathologische, entwicklungspsychologische und
Völkerpsychologische Forschungen und unterscheidet im groben zwei
Schichten: Die Tiefenperson/das Es und die
Personschicht/Ich-Funktion. Fein säuberlich ist die Tiefenperson in
Teilschichten aufgeteilt, wobei dies noch keine ”lückenlose
Topografie” sein soll: gaaaanz unten ist die Vitalschicht, wo
sozusagen das das Soma tobt und ”phänomenale Urbestände”
schafft (Reflexe, Bewegungsteuerung etc). Dicht darauf folgt die vegetative
Schicht, Ernährung und Atmung seien erwähnt und Natur- , Rassen-
(was damals noch unverpönter Begriff), Stammes- und Familienerbe. Nummer 3:
Hier kommt das animalische Es, seinerseits in aufsteigender Reihenfolge
unterteilt in das Tier im Menschen (blitzschnelle Reaktionen in biologisch
bedeutsamen Lagen) und das Kind im Mensche (spielerische Lockerung der
Ich-Gespanntheit). Die vierte und letzte Schicht der Tiefenperson
schließlich ist spezifisch menschlich, emotional, die ”beseelte
Tiefenperson”. Diese ist dem Ich in Träumen, Archetypen und bei
Aldi im Sonderrangebot zugänglich. Tja, dann kommt auch schon das Ich.
Das Ich ist eigentlich keine Schicht, sondern nur ein Punkt, es ist eine
Funktion, keine Struktur. Es hat die Rolle eines Empfängers von
Gedanken, die außer- und unterhalb seiner selbst entspringen. Denken ist
somit stets aus dem Unbewußten gespeist und bewußt erlebt
(Doppelprozeß). Außerdem hat das Ich noch den undankbaren Job, die
anderen vier Schichten zu kontrollieren - wobei Rothacker hier wohl
einiges überschätzt: ”Wenn meine Handlungen nicht von meiner
Sinnlichkeit und dank deren Vermittlung auch nicht von äußeren Reizen
abhängig sind, sondern dank meiner formalen ich-Energie einizig und allein
von gewissen (und von meiner Person restlos erkannten Grundsätzen), dann
sind meine Handlungen notwendig frei von allem, was außerhalb dieser
Grundsätze liegt. Auf dieser ungeheuren Macht des stets auf der Wacht
befindlichen Ich beruht der juristische und sittliche Anspruch an mich als
verantwortliches Wesen.” Na dann.
Dem Gedächtnis schreibt er eine zentrale
integrative Funktion zu: Nur die Erinnerung hält die
Gesamtpersönlichkeit als solche zusammen. Ohne ihre Klammer würden die
Ich-Akte auseinanderfallen, ebenso wie die Wallungen des emotionalen Es und die
vitalen Reaktionen sich im Augenblick verlören. Sie schafft Dauerndes im
Wechsel des Werdestroms, sie überwindet sie Zeit.”
Bewertung: nicht schlecht, aber eher von
historischem Interesse. Sollte aus dem Prüfungskatalog dringend
rausfliegen.
7.2 Der Personalismus von William Stern
William Stern, 1871 in Berlin geboren, 1938 in den USA
gestorben. Professor für Psychologie erst in Breslau, dann in Hamburg, 1933
Emigration. Bedeutende Beiträge zur Entwicklungspsychologie. Hauptwerke zur
Persönlichkeitstheorie: Die menschliche Persönlichkeit (1917),
Allgemeine Psychologie auf personalistischer Grundlage (1935).
Stern (1921) ist der auch Entwickler der bekannten
Matrix von Merkmalen (a,b,c,...) und Personen (A,B,C,...), die die Person zu
einem Systembegriff machte (und sowohl bei Schmidt-Denter als auch bei Bente in
der Vorlesung zum Inhalt gehört). Zur Wiederholung: Variationsforschung
:= ein Merkmal über viele Individuen - z.B. Intelligenzforschung
über einen repräsentativen Teil der Bevölkerung zur
Standardisierung eines Tests. Korrelationslehre := zwei oder mehrere
Merkmale werden über viele Individuen zusammen in Korrelation gesetzt -
z.B. wenn Wahrnehmungsgeschwindigkeit und Intelligenz verglichen werden. Letzten
Endes könnten bei diesem Ansatz ”traits” herauskommen.
Psychographie := eine Person wird in bezug auf viele Merkmale untersucht,
z.B. in der klinischen Psychologie. Wenn zwei oder mehrere Personen über
viele Merkmale verglichen werden, so ist dies Komparationslehre, z.B. ein
Vergleich zwischen Goethe und Schiller.
Eine Person ist hierarchisch (oder besser:
maßstabsmäßig) eingeordnet: über ihr sind
”höhere Personen” (d.h. Familie, Staat, Menschheit), der sie
”dient”, unter ihr ”niedere Personaleinheiten” wie
Zellen, Atome - und Quarks. Ob damit die Quantenphysik zum Teil der Psychologie
wird, sei dahingestellt.
Als Philosoph muß Stern natürlich Stellung
zum Leib-Seele-Problem nehmen: Person ist bei Stern etwas, das “vor und
jenseits der Scheidung von Leib und Seele, ´psychophysisch neutral´
ist” - und substantiell, d.h. real existent und bleibend. Unter Person
wird etwas verstanden, ”das trotz der Vielheit der Teile eine reale
eigenartige und eigenwertige Einheit bildet und als solche, trotz der Vielheit
der Teilfunktionen, eine einheitliche zielstrebige Selbständigkeit
vollbringt.” Zentrale Begriffe:
- Vieleinheit (bei Stern:
Substantialität, d.h. auch das bleibende im Wandel zu sein),
- Zweckwirken (bei Stern Kausalität,
Unterscheidung zwischen finaler und persönlicher Kausalität,
wobei die letzte im Gegensatz zur naturwissenschaftlichen eine immanente
Zielstrebigkeit besitzt. Quellpunkt und Zielpunkt solchen zielstrebigen
Wirkens ist stets eine Person. ”Die Person existiert, indem sie wirkt, und
sie wirkt, damit sie existiere.”) und
- Besonderheit.
Stern unterscheidet zwei Systeme der Zielstrebigkeit:
Das System der Selbstzwecke (Autotelie) und das der Fremdzwecke (Heterotelie).
Autotelie dient dabei der Selbsterhaltung und -entfaltung. Selbsterhaltung
seltzt eine “reelle Person” voraus, die ihre eigenen
Zielsetzungen und Vorstellungen mit der Umwelt in Einklang bringt.
Selbstentfaltung dagegen setzt eine “ideelle Person” voraus,
die ihr Tun an einer nicht erreichbaren Zielwirklichkeit orientiert. Der Begriff
Persönlichkeit wird verwendet, wenn innerhalb der Person der idelle Anteil
stark betont werden soll, die Person hingegen ist ein nie vollendeter
Kompromiß im Streben nach Persönlichkeit. Die Selbstentfaltung
umfaßt konservative (Wachstum, Reifung) und produktive Prozesse.
Konservativ deswegen, weil das gesetzte Ziel schon irgendwo und irgendwann in
der Gattung erreicht wurde.
Fremdzwecke werden von außen an die Person
herangetragen: Hier wird unterschieden zwischen übergeordneten
Personalzwecken (Hypertelie - Daseinserhaltung und -entfaltung einer
Gemeinschaft), nebengeordneten P. (Syntelie - auf andere Personen bezogen wie
Freundschaft etc) und übergeordneten Sachzwecken (Ideotelie - Orientierung
an abstrakten Werten wie dem Schönen, Guten, Heiligen). Die Lösung der
Spannung zwischen Selbst- und Fremdzwecken durch einseitige Vorherrschaft einer
Seite (Egoismus/Solipsismus bzw. Altruismus unter Selbstaufgabe) sieht Stern als
unangemessen für eine Persönlichkeit an. Die Spannung wird so
gelöst, daß das System von Fremdzwecken im Prozeß der
Introzeption in das System der Selbstzwecke ”einschmilzt”.
Dadurch erst wird der Mensch zur Persönlichkeit, er entwickelt einen
egozentrischen, nicht egoistischen Mikrokosmos.
Wichtiges Merkmal der Persönlichkeit ist somit die
Zielstrebigkeit, die zunächst im Dienst der Autotelie steht, aber bald zur
Disposition wird und als solche bis zum Grab die Person nicht mehr
verläßt. Diese Disposition nennt Stern in Anlehnung an Aristoteles
Entelechie - die Tendenz der Person, sich selbst zu verwirklichen.
Tendenzen geben Dispositionen Richtung, während Fähigkeiten die
Mittel/Ausrüstung zum Erreichen eines Ziels bereitstellen.
Richtungsdispositionen sind Motive, Neigungen, Interessen etc,
Rüstungsdispositionen sind Fähigkeiten, Fertigkeiten,
Kenntnisse. Die Charakter ist die Einheit aller Richtungsdispositionen
des Menschen. Die Gesamtheit aller Rüstungsdispositionen ist der
psychophysische Gesundheitszustand. Dispositionen haben zunächst
eine große Breite, konkretisieren sich aber im Laufe eines Lebens aber zu
Eigenschaften. Dabei konvergieren Fähigkeiten (Gehör,
Fingerfertigkeit, Talent zum Klavierspielen), Neigungen (Musik-machen-wollen)
und Anregungen der Umwelt (Klavier im Haus). Neben den beiden Strahlen der
Entelechie (Richtungs- und Rüstungsdispositionen) gibt es als weitere
Faktorengruppe die Umwelt (gegliedert in außermenschliche,
”Nebenmenschen” und ”kulturelle” (Erzeugnisse von
Nebenmenschen) Umwelt), die zusammen mit den beiden erstgenannten internen
Dispositionen das bestimmt, was aktuell in der Person geschieht. Somit kann die
Umwelt auf die Person einwirken (z.B. durch die Introzeption) und umgekehrt
(sowieso). Dieses für die damalige Zeit recht fortschrittliche
Person-Umwelt-Verhältnis nannte Stern Konvergenztheorie. Ist die
Person Urheber der Interaktion, heißt diese Spontanaktion und die Umwelt
ist das Material des Aktes, wobei der Mensch selbstverständlich gebunden
und mitbestimmt ist durch den Stoff, an dem sein Tun angreift. Ist die Umwelt
Urheber der Interaktion, so ist die Person der Reagent. Auch in diesem Fall aber
legt der Mensch sein eigenes Sein in die Reaktion hinein und ist somit weder
völlig passiv noch austauschbar. Aus der Sicht der Person kann die
Einfluß von der Umwelt auf diese auch als zentripedal (von
außen nach innen, Stern hat´s mit griechischen Begriffen), der
Einfluß der Person auf die Umwelt auch als zentrifugal bezeichnet
werden. Die P-U-Interaktion hat die Qualitäten Homogenität und
Heterogenität. Homogenität bedeutet, daß P und U sich
aneinander anpassen, Heterogenität, daß die Beziehung nicht
symmetrisch ist (z.B. Reiz vs. Reaktion, oder Bedürfnis vs. Erfüllung,
Zweck vs. Mittel).
Schließlich hebt Stern noch die personale
Gegenwart hervor, in der sich die Person stets befindet, wo Raum und Zeit
neutral (stets ”eingenullt” auf die Raumzeitkoordinaten des Ichs)
sind. Von dieser aus verlaufen räumliche wie zeitliche Dimensionsachsen.
Während die zeitliche Achse keine weitere Differenzierung erfährt,
geht die räumliche Trennung von der äußeren Unendlichkeit
über die Ferne bis hin zur unmittelbaren Nähe. In der personalen
gegenwart ”verschmilzt” die äußere Umwelt mit der Person.
Innen geht´s dann weiter über die Oberfläche (Bewußtsein)
und die Tiefe bis hin zur ”inneren Unendlichkeit”. (Nicht immer sind
Bilder aus der Mathematik passend, besser wäre vielleicht innere
Bedeutungslosigkeit.) Um Sterns Sprache zu bemühen (bemühen ist das
richtige Wort!): ”In der personalen Gegenwart ist das akute Lebnis (der
Person) und die akute Situation (der personalen Welt) durchaus in eins
verschmolzen” - auch dies ist ein Aspekt der Konvergenz. Als Scheidemittel
zwischen Umwelt und Person dient das Bewußtsein.
”Erleben ist ein Relationsbegriff: es bedarf eines
Erlebenden und eines Erlebtem”. Subjekt- und Objektbewußtsein
vereinigen sich in der Person als ich. Das Bewußtsein wird vom
Unbewußtsein ergänzt. ”Unbewußt ist all dasjenige
an der Person, was nicht selber Bewußtseinsstatus hat, aber zu
Bewußtseinstatsachen Beziehung und/oder für diese Bedeutung
hat.” Interessant ist, daß das Unbewußtsein in zwei Teile
aufgeteilt ist: Das Unterbewußtsein (Zustände die nicht mehr
oder noch nicht bewußt sind, im Vergleich zum Bewußtsein
Mangelerscheinung), und das überbewußte, was mehr ist als das
Bewußtsein, aber nicht in die Triebkiste gepackt werden kann (oder soll) -
z.B. die Person selber. Ebenfalls jenseits der Bewußtheit liegt deren
Zweck: die Strebungsteleologie der Persönlichkeit. In diese Kategorie
gehören aber auch banalere Dinge, z.B. ”geniale Taten”, die
somit (wenn auch nicht gerade überzeugend) von den Triebhandlungen getrennt
sind.
7.2.1 Bewertung:
Sterns Persondefinition entstand aus dem Versuch einer
monistischen Lösung des Leib-Seele-Problems, Leib und Seele sind
lediglich unterscheibare Merkmale ein und derselben Substanz. Wegen der vagen
philosophischen Herkunft und Terminologie wurde das Persönlichkeitsmodell
selber eher zurückhaltend aufgenommen, allerdings hat es
eine
- moderne, interaktionistische Konzeption der
Person-Umwelt Interaktion und kann bezüglich der
Selbstentfaltungsbehauptung zu den
- Vorläufern der organismischen Psychologie
gerechnet werden. Hier besteht Vergleichbarkeit z.B. zu Jungs
Individuation oder Maslows Selbstverwirklichung. Posititiv ist auch
die
- Betonung der Ganzheitlichkeit und das
Bemühen, den
- nomothetischen und idiografischen Standpunkt in der
Forschung zu verbinden, anzumerken. Lat but not least ist ein Vorteil aller
humanistischen Theorien, daß sie den
- Menschen nicht als reinen Gegenstand der
naturwissenschaften behandeln.
Kritik ist angebracht aufgrund der -
allerorten fehlenden Erklärungen, so schriebt Stern selber über
die Introzeption, daß sie ein geheimnisvoller Vorgang ist - na prima!
Während Stern an der Begründung der differentiellen Psychologie auch
durch methodisch-empirische Arbeiten beteiligt war, bleibt der Personalismus ein
von solchen Zwängen unbehelligtes philosophisches Austoben, welches
lediglich bleibenden Wert als Anregung hat.
7.3 Die Humanistische Psychologie:
...hat als ihr letztes Ziel die erarbeitung einer
umfassenden Beschreibung dessen, was es bedeutet, als ein menschliches Wesen
zu leben. Dies beinhaltet neben einem Inventar der Austattung die
Beschreibung seiner Möglichkeiten, seiner Interaktion mit der Vielfalt der
Bedingungen und den ganzen Rest.
- Die Person wird als Ganzheit gesehen, so sagt
Maslow: Nicht Johann Schmidts gastrointestinaltrakt ist hungrig, sondern die
Person, was sich in ihrem gesamten Verhalten äußert. Wenn Johann
Schmidt hungrig ist, ist er es als Ganzes.
- Tierversuche haben keinen größeren Wert
für das Projekt der humanistischen Psychologie, da Tiere kein
reflexives Bewußtsein haben. Zumindest bei den Standardversuchstieren ist
es auch problematisch, von Scham, Humor etc. auszugehen.
- Der Mensch ist gut (wie kann jemand so einen
Blödsinn behaupten, ohne sich sofort zu erbrechen?). Bösartigkeit,
Destruktivität und Asozialität sind die Resultate ungünstiger
Umweltbedingungen. Maslow merkt dazu an, daß der Mensch sowieso keine
Instinkte, sondern nur Instinktreste besitzt.
- Der Mensch besitzt von Natur aus ein kreatives
Potential, dieses ist bezogen auf die Meisterung des Alltags, weniger auf
das Schaffen von kulturell exponierten Gegenständen.
- Psychologie sollte sich nicht nur um die
Psychopathologie kümmern und die Persönlichkeitstheorien aus dieser
herleiten, sondern sich vermehrt um psychisch Gesunde kümmern.
- Für Forschungsprogramme sollten grundlegende
Wertvorstellungen vom menschlichen Wesen erkenntnisleitend sein - was in
klaren Widerspruch zur Absage der Wissenschaft an Präskription steht.
Andererseits wirft Maslow dieser (gar nicht ungeschickt) im selben Atemzug vor,
daß die Beschränkung auf einen etablierten Methodenkanon mehr und
mehr den Zuständigkeitsbereich der Wissenschaft einengt.
7.4 Temperament und Charakter: Gordon Allport
1897-1967, B.A. in Havard (Volkswirtschaft und
Philo), 1922 Promotion, Unterrichtstätigkeit in Istanbul (Soziologie),
Studium in Berlin, Hamburg und Cambridge. Beteiligung an der Bildung des
Dept. of Social Relations zur Integration von Psychologie, Soziologie und
Anthropologie in Havard. Aufgrund seiner Lehrtätigkeit sind die Theorien
Allports oft didaktisch formuliert, d.h. die Probleme werden drastisch auf den
Tisch gebrcht, aber die Argumentation ist nicht bis ins letzte abgesichert.
Mitarbeit bei den Tests Study of Values (SV) und
Ascendance-Submission-Test (A-S), Vielfalt von Schriften: Bezüglich seiner
Forschung sagt Allport, daß diese stets problemzentriert angelegt worden
sind und nicht danach zielten, eine einheitliche Theorie zu begründen, was
auch erklärbar macht, daß es kein Hauptwerk in dem Sinne
gibt.
Allports überzeugung ist, daß der Mensch
trotz seiner verwirrenden Komplexität und Vielfalt im als
wesentlichen Züge Stimmigkeit und Einheit besitzt. Allport betont
die Wichtigkeit der bewußten Motive, und akzentuiert somit das
Selbst bzw. Ich. Damit einher geht auch seine überzeugung, daß der
Mensch mehr ein Geschöpf der Gegenwart als der Vergangenheit ist.
Dies wiederum führt zu dem Konzept der funktionellen Autonomie,
welches den Praktiker von zu exzessiver Beschäftigung mit der Vergangenheit
des Patienten entbindet.
Es besteht eine Diskontinuität zwischen
Normalen und Anormalen, Kind und Erwachsnen, Tier und Mensch, was bedeutet,
daß Theorien, die aus der Beschäftigung mit pathologischen
Fällen entstanden sind, nicht auf den normalen Menschen anwendbar sind. Im
Zusammenhang mit Tierversuchen und anderen sich verselbständigenden
Methoden warnt er eindringlich vor einer verfrühten Entscheidung zugunsten
irgendwelcher Operationalisierungen, wie sie für den Behaviorismus, aber
auch für faktorenanalystische Theorien paradigmatisch sind.
Einen Anwendungsbereich der Psychologie sah Allport in
einem Aktionsrahmen (action setting), in welchem versucht wird, gewisse
unwerwünschte soziale Bedingungen zu verbessern - eine klar andere
Ausrichtung als Laboratoriumspsyhcologie. Trotz seiner führenden Rolle
in angewandter Sozialpsychologie (Arbeiten über internationale
Beziehungen) war er aber sehr skeptisch bezüglich der Tatsache, daß
das Geheimnis des menschlichen Verhaltens jemals auch nur annähernd
aufgedeckt werden könnte.
Er bezeichnet sich selber als systematischen
Pluralisten, der auf einen systematischen Eklektizismus hinarbeitet.
1966 schlug er eine Position vor, die er “heuristischen
Realismus” nannte. Grundannahmen sind, daß Personen reale Wesen
sind, die eine ebenso reale neurophysiologische Organisation besitzen. Die
Erforschung der Person hat dabei mit den bestehenden Mitteln zu erfolgen, d.h.
daß es nicht grundsätzlich verpönt ist, den Menschen als
Vieleinheit von interagierenden Zellen zu sehen, sondern daß diese Ziel
lediglich nicht an die zur Verfügung stehenden Mittel angepaßt ist.
Es kommt darauf an, für ein Phänomen die nach dem derzeitigen
Wissenstand angemessenste Erklärung zu liefern.
Da bei Allport die Persönlichkeit im
wesentlichen aus traits besteht, diese aber auch als zugrundeliegend
für die Motivation angenommen werden, ist es zweckmäßig,
Struktur und Dynamik der Persönlichkeit in einem zu behandeln. Allport
übernimmt aus anderen Theorien ein Menge sowohl spezielle (konditionierter
Reflex, Gewohnheit) wie auch allgemeiner Begriffe (Eigenschaft/trait, Proprium =
Selbst, Persönlichkeit), deren Nützlichkeit er anerkennt. Er nimmt an,
daß die Prozesse, auf die diese Begriffe sich beziehen, innerhalb des
Organismus in hierarchischer Weise operieren, wobei die allgemeineren
gegenüber den spezielleren gewöhnlich Vorrang besitzen. Um zu einer
Definition der Persönlichkeit zu kommen, zitiert und diskutiert Allport
(1937) rund 50 Vorschläge der verschiedensten Autoritäten. Er ordnet
sie nach 1) Etymologie 2) theologische Bedeutung 3) philosophische b: 4)
juristische B. 5) soziologische B. 6) äußere Erscheinung = biosoziale
B. 7) psychologische B. Anschließend gibt er als Quintessenz seiner Arbeit
die Persönlichkeit definiert als die dynamische Ordnung derjenigen
psychophysischen Systeme im Individuum, die seine einzigartigen Anpassungen an
die Umwelt bestimmen. D.h. er geht von einem psychophysischen Substrat aus, in
welchem die Persönlichkeit sich durch eine bestimmte Ordnung manifestiert.
“Einzigartige Anpassung an die Umwelt” wird in einer späteren
Version durch “charakteristisches Verhalten und Denken”
ersetzt (1961), da nicht alles Verhalten und Denken Anpassung an die Umwelt
ist, im Gegenteil, die Umwelt durch den Menschen oft diesem angepaßt wird.
Dies ist keine rein materialistische Position, da psychoophysisch nicht
neurophysiologisch bedeutet, aber auch keine rein idelle, Allport legt sich hier
nicht fest. Dynamische Ordnung bedeutet, daß die Persönlichkeit sich
ständig entwickelt und verändert, nichts statisches ist. Des weiteren
betont Allport die Individualität, keine zwei Persönlichkeiten sind
gleich. Allports Sorgfalt spiegelt sich darin wieder, wie oft andere
Untersucher Anleihen ihm (Persönlichsdefinition, Charakteradjektivstudie)
gemacht haben. Charakter definiert Allport genau mit Persönlichkeit,
unterstellt ersterem Begriff aber einen wertenden Beigeschmack - es kann von
shclechten Charakteren geredet werden, nicht aber von schlechten
Persönlichkeiten. Temperament dagegen bezieht sich nur auf jene
Dispositionen, die eng mit biologischen bzw. physiologischen Bedürfnissen
(abhängig von der Konstitution = weitgehend erblich) verbunden sind
(vorwiegend Phänomene emotionaler Natur) und deswegen interindividuell und
im Laufe der Entwicklung intraindividuell nur eine geringe Modifikation zeigen.
Hierzu gehören die Empfänlglichkeit für emotionale Reize, die
habituelle Stärke und Geschwindigkeit der Reaktionen, die Qualität der
vorwiegenden Stimmung und deren Fluktuation und Intensität.
(allgemeine) Eigenschaft := neuropsychische
Struktur, welche die Fähigkeit besitzt, viele Reize funktional
äquivalent zu machen sowie äquivalente (sinnvoll konsistente) Formen
des Ausdrucksverhaltens in Gang zu bringen und zu leisten. Sie ist erlernt
und/oder angeboren. Individuelle Eigenschaft/Persönliche Disposition :=
dito, aber nur einem bestimmten Individuum eigentümlich. Das Konzept
der Eigenschaft ermöglicht Beschreibungen von Eigenschaften
anläßlich der Beschäftigung mit mehreren Individuen
(differentialpsychologische Tradition), das Konzept der Disposition garantiert
die Möglichkeit des Studiums der “einzigartig gestalteten
Individualität” (klinische Tradition).
Eigenschaften und Dispositionen sind für Allport in
der Person real anwesend, jedoch nicht direkt beobachtbar und müssen
aus dem Verhalten erschlossen werden. In Abgrenzung zu
EIgenschaften/Dispositionen sind Gewohnheiten speziellere deterinierende
Tendenzen. Tatsächlich repräsentiert eine Eigenschaft oft das Ergebnis
einer Kombination/Integration von zwei oder mehreren Gewohnheiten. Eine
Haltung/Attitüde ist im Gegensatz zur Disposition an ein bestimmtes
Objekt oder eine Klasse von Objekten gebunden, somit ist sie meistens weniger
allgemein. Des weiteren impliziert die Haltung eine Bewertung des Objekts, was
bei der Eigenschaft nicht der Fall zu sein braucht. Eine Typus hingegen
ist eine komplexe Eigenschaft (ich würd´ mal auf eine Konstellation
von bestimmten Eigenschaften tippen), eine idealisierte Konstruktion des
Beobachters, welcher zwar zur Kategorisierung von Individuen benutzt werden
kann, wobei aber die Individualität der eingeordneten Subjekte auf der
Strecke bleibt. Legitim ist die Verwendung von Typen z.B. bei Kulturvergleichen,
wobei nicht vergessen werden darf, daß Typen nur Approximationen
sind.
Bezüglich ihres Allgemeinheitsgrades unterscheidet
Allport 3 Arten von Dispositionen. 1) kardinale D.: beinahe jeder Akt
einer Person ist auf sie zurückzuführen - diese Art der Disposition
ist recht selten 2) zentrale D. für ein Individuum höchst
charakteristische und deswegen leicht abzuleitende Tendenzen, wobei er hier im
Durchschnitt 5-10 Dispositionen/Mensch annimmt. 3) Sekundäre
Dispositionen treten weniger oft in Erscheinung und treten meistens nur bei
einer recht beschränkten Anzahl von Stimuli in Erscheinung. Dispositionen
sind nicht nur Spiegel externer Stimuli, da sich das Individuum die Stimuli
sucht, welche die Realisierung der Dispositionen sinnvoll machen - der Hool geht
ins Stadion, um sich zu schlagen - ups, der Mensch ist gut - na gut, anderes
Beispiel... Ein spezifisches Verhalten wird nicht durch eine Disposition allein
gesteuert, sondern auch durch andere Wesenszüge mitbestimmt. Dispositionen
wirken fokal. Wenn Dispositionen in schwankenden Anteilen an einigen
Verhaltensweisen beteiligt sind, ist es auch nicht zu erwarten, daß
Individuen sich immer konsistent verhalten. Und das tun sie ja auch nicht.
Allport geht davon aus, daß kein Persönlichkeit völlig
integriert ist.
Allports Theorie ist finalistisch - wichtiger als die
Vergangenheit ist das, was ein Mensch für Intentionen (Hoffnungen,
Wünsche,Pläne, Ambitionen, Erwartungen) hat. Was ein Mensch zu tun
beabsichtigt, befindet sich für gewöhnlich in dessen
Bewußtsein und ist durch ein Gespräch zugänglich. Hier
hat Allport ähnilchkeit mit Jung und Adler.
Alle Funktionen der Persönlichkeit, die mit der
Selbstwahrnehmung zu tun haben (Körpersinn, Selbst-Identität,
Selbst-Schätzung, rationales Ich/Denken bis hin zum kognitiven Stil) werden
unter dem Begriff propriate Funktionen zusammengefaßt. Gemeinsam
können sie als Selbst (oder Proprium) bezeichnet werden. In diesem
Persönlichkeitsbereich finden wir die Ursprünge der Konsistenz, welche
Haltungen, Intentionen und Bewertungen kennzeichnen. Das Proprium
entwickelt sich: während der ersten drei Lebensjahre treten der Sinn
des körperlichen Selbst, der kontinuierlichen Selbst-Identität und
Selbstachtung/Stolz auf, von 4-6 kommt die Selbstausdehnung und das Selbstbild
hinzu, bis 12 dann das Bewußtsein vom Selbst als rational Handelndem.
Während der Adoleszens kommen langfristige Pläne, Intentionen etc
hinzu, welche schließlich unter dem Begriff des propriaten Strebens
zusammengefaßt werden.
Allport verlangt von einer Motivationstheorie
daß 1) die Motivation für Gegenwärtiges Handeln auch in der
Gegenwart zu suchen ist, 2) sie pluralistisch ist, d.h. viele Typen von Motiven
zuläßt, 3) dürfe sie kognitive Prozesse nicht
vernachlässigen und 4) sie der konkreten Einzigartigkeit von Motiven
innerhalb eines Individuums Rechnung tragen. Seine Theorie der funktionellen
Autonomie - das bekannteste seiner Konstrukte - soll diesen Ansprüchen
gerecht werden. Dieser Begriff drückt den eigentlich recht einfachen
Sachverhalt aus, daß eine gegebenen Verhaltensweise ein Ziel (d.h.
Selbstzweck) werden kann, trotz der Tatsache, daß sie zu Beginn nur Mittel
für einen anderen Zweck war. Dies bedeutet, daß die Motive des
Erwachsenen mannigfaltige, sich selbst unterhaltende und gegenwärtige
Systeme sind, die aus vorhergehenden Systemen erwachsen, aber von ihnen
unabhängig insofern sind, daß diese nicht durch sie determiniert
sind. Die Motive des Erwachsenen haben die des Kindes ersetzt - mit
diesen nichts oder nicht mehr viel zu tun. Als Beleg für diese These
führt Allport Wiederholungszwänge in kindlichem Verhalten und dem
neurotischer Erwachsener, auf die an allen Ecken und Enden vorkommenden
Regelmäßigkeiten im Leben von Tier und Mensch und auf die
Motivationskraft erworbener Werte und Interessen, die anscheinend keine
Grundlage in tieferen Motiven als sich selbst haben (Religion? Fundamentalismus?
was ist denn auch sonst der letzte Wert?) Olson (1929) untersuchte dies
pragmatischer: Ratten wurde Kollodium in die Ohren geträufelt. Sie
gewöhnten sich ans Kratzen, was auch anhielt, als die Ohren wieder frei
waren. Seyle (1952) konnte nachweisen, daß Ratten, die hungrig gelernt
hatten, schnell durch ein Labyrinth zu laufen, zeigten nach einer Zeit diese
Verhaltensweise auch in nichthungrigem Zuständen. Dieses Prinzip scheint
also selbst dann zu wirken, wenn es zum Nachteil des Organismus ist. Die
Behavioristen würden dies durch einen sekundären Belohnungseffekt
simulieren, was aber im Prinzip nichts anderes heißt, als daß das
Verhalten sich selber verstärkt. Allport unterscheidet zwischen
perseverativer funktioneller Autonomie (Süchte, zirkuläre
Mechanismen, Routinen) Perseverativ, weil es sich hier um verzögerte
Auslöschung, sich selbst erhaltende Kreispozesse im Nervensystem
(Selbstverstärkung) handelt. Die propriate f.A. hingegen bezieht
sich auf erworbene Interessen, Werte, Gesinnungen, Dispositionen, Selbstbild und
Lebensstil. Wie diese entstehen, ist nach Allport nicht geklärt, ngeboren
sind die jedenfalls nicht, es gibt keine geborenen Politiker, der Wunsch, ein
solcher zu werden, muß sich erst entwickeln. Im Laufe des Lebens wachsen
die Motive und vereinigen sich schließlich - was an Jungs
Einheitsarchetypus erinnert. Allerdings steht es außer Frage, daß
das Selbst solche propriate funktionelle Autonomie verlangt.
Nicht für alle Motive wird funktionelle Autonomie
angenommen, Hunger, Atmung, Ausscheidung, Reflexe, Gewohnheiten, die zwar nicht
motivational, aber Zweckhandlungen sind (ungeliebte Arbeit am Arbeitsplatz),
gewisse Neurosen und Psychosen und Sublimation. Viele Tätigkeiten des
Erwachsenen müssen fortgesetzt verstärkt werden, damit sie andauern.
Für Allport ist es ein Maß der Reife, inwieweit die Motive des
einzelnen tatsächlich autonom sind. Funktionelle Autonomie ist ein Garant
für die Individualität in Allports Theorie: die Umwelt ist so
heterogen, daß es unwahrscheinlcih bis unmöglich ist, daß bei
zwei Individuen genau dieselben Verhaltensweisen funktionelle Autonomie
erlangen. Die Einheit der Vielfalt der Motive, die die Person
kennzeichnet, wird wie beschrieben vor allem durch die propriaten Funktionen
geleistet. Die dynamische, jedoch undifferenzierte Einheit, die von
frühester Kindheit an besteht, dient als Basis für die Vorgänge
der Differenzierung und der Integration.
7.4.1 Die Entwicklung der Persönlichkeit:
Das Neugeborene hat noch keine
Persönlichkeit, sondern ist ein Produkt von Vererbung, primitiven Trieben
und Reflexen. Konstitutionell ist das Kind mit gewissen physischen und
temperamentsmäßigen Potentialen versorgt, die aber noch auf ihre
Aktualisierung warten. Früh schon lassen sich Unterschiede in der
Motilität und im emotionalen Ausdruck beobachten, die später der
Tendenz nach fortdauern und sich im Charakter in reiferen Ausdrucksformen
manifestieren. Wahrnehmung und Verhalten (Massenbewegungen) sind
undifferenziert, lediglich einige Reflexe sind spezifisch. Energetisiert wird
das Verhalten durch einen “Strom von Aktivität”, welcher
als Urquell der Motivation angenommen wird. In dieser Phase wird das Kind vor
allem von “segmentalen Treiben” und Lust-Schmerz-Gefühlen
beherrst, so daß zur Erklärung des Verhaltens ein biologisches
Verhaltensmodell oder eine dem Behaviorismus vergleichbare Theorie ausreicht.
Das Kleinstkind entwickelt sich weiter durch Differenzierung,
Integration, Reifung, Nachahmung, Lernen, funktionale Autonomie und Ausdehnung
des Selbst. Wie mensch sieht, läßt Allport (berechtigterweise)
alle Lerntheorien gelten, was dadurch möglcih wird, daß er
jeder einzelnen von ihr Universalität abspricht. Zur Erklärung des
Lernens von funktioneller Autonomie allerdings taugt keine der bisherigen
Lerntheorien etwas, dazu müßte dereinst eine neue geschaffen werden.
Die Entwicklung des Kleinstkindes ist eine Umgestaltung von einem biologischen
Organismus in ein Individuum, ein wachsendes Ich, eine sich verbreiternde
Eigenschaftsstruktur, eine Keimzelle für zukünfige Ziele. Das
Spannungsreduktionsmodell der Persönlichkeit ist somit dem Neugeborenen
angemessen, im Lauf der Entwicklung wird allerdings eine Neuorientierung
notwendig. Der Erwachsene ist durch eine Reihe von organisierten und
kongruenten Eigenschaften in seinem Verhalten bestimmt, im Kern dieses Musters
liegen die propriaten Eigenschaften. In der Regel ist er sich
bewußt darüber, was er tut und warum. Motivation für
gegenwärtiges Handeln liegt in der Gegenwart. Dieses Bild ist etwas
idealisiert, jedoch glaubt Allport, daß nur bei gestörten Personen
das Unbewußte eine wichtigere Rolle als das Bewußtsein spielen kann.
Die für die Persönlichkeit notwendige Ausdehnung des Selbst
wird beschrieben als die Möglichkeit, an einer breiten Mannigfaltigkeit
von Aktivitäten teilzunehmen, nicht eingeschränkt sein, dazu
gehört auch die Aktivitätsausweitung in die Zukunft. Zur Reife
gehört die Fähigkeit, warme Beziehungen mit anderen herzustellen
(humanistisches Grundgedöns), fundamentale emotionale Sicherheit,
Selbstakzeptanz, Realismus in der Welt- und Selbstsicht, wobei zu letzterer
Selbst-Objektivierung Humor und Einsicht gehören. Schließlich
heißt Reife, daß das Subjekt eine einigende Lebensphilosophie
annimmt, was die Religion sein kann, aber nicht muß. (Ob Maslow bei
Allport abgeschrieben hat oder umgekehrt?)
Charakteristische Forschungsmethoden: Wilhelm Windelband
unterschied zwischen idiografischer (am Einzelfall ausgerichtet, seit
1961 auch morphogenetisch) und nomothetischer (aufs Universelle
zielend, seit 1961 auch dimensional) Forschung. Allport proklamierte,
daß beide Zugehensweisen für die Psychologie wichtig seien,
daß aber in der zeitgenössischen Forschung der nomothetische Ansatz
zu sehr dominierte, was zu Lasten der Verhaltensvorhersage und des
Verhaltensverständnis ginge. Ideografische Methoden sind z.B. Paarvergleich
(von Individuen), Struktur- und Inhaltsanalyse (unstrukturierter verbaler Daten
wie Briefe, 1965), individualisierte Fragebögen, Q-Sortierung,
Role-Construct-Repertory-Test (Kelly 1955), und die inverse Faktorenanalyse.
Trotz Allports Bekenntnis zum idiografischen Programm tragen die meisten seiner
Programme deutlich nomothetische Züge, allerdings darf in ihm einer der
Initiatoren der Bewegung hin auf nomothetische Zugehensweisen gesehen werden,
die heute verbreiteter sind denn je.
Durch die Vorherrschaft sowohl der Psychoanalyse (der
Mensch weiß nicht, was ihn treibt, also kann er es auch nicht sagen) wie
auch des Behaviorismus (innere Zustände interessieren uns nicht) schwanden
nichtprojektive Forschungsmethoden. Allport fragt: “Hat das Subjekt denn
kein Recht darauf, daß man ihm (zunächst) glaubt?” (1953) Er
beschreibt die auschließliche Verwendung projektiver Forschungsmethoden
spiegelten eine Verachtung für die “psychische Oberfläche”
des Lebens wieder. Menschen orientieren sich in die Zukunft und nicht in die
Vergangenheit, trotzdem werden die Motive für ihr Verhalten von der
Psychologie fast ausschließlich da gesucht. Allport fordert, indirekte
Testmethoden nur bei neurotischen Persönlichkeiten einzusetzen, da
diese bei Normalos eh keine anderen Ergebnisse bringen, aber mit Merhaufwand
verbunden sind. Es ist nur die neurotische Persönlichkeit, deren Fassade
von den Testergebnissen Lügen gestraft wird. Ein wohlintegriertes Subjekt
hingegen wird nicht signifikant in seinen Selbstauskünften von seinen
Testergebnissen abweichen. Selbst bei Neurotikern aber sind die indirekten Daten
ohne direkte Daten kaum zu interpretieren.
Laut Allport sind in jeder menschlichen Handlung zwei
Komponenten festzustellen: zum einen die Anpassungs- oder
Leistungskomponente, die primär den funktionellen Wert, den die
Handlung hat, betrifft, zum anderen aber die Ausdruckskomponente, welche
den Stil beinhaltet, in dem eine Handlung ausgeführt wird, welcher noch bei
der stereotypischsten Reaktion zum Tragen kommt. Kurz gesprochen handelt es sich
also um das Was und das Wie einer Handlung. Da Allport weitgehende
Konsistenz des Verhaltens annimmt, ist es also möglich, aus der
Ausdruckskomponente der unwichtigsten Handlung in etwas auf den Charakter zu
schließen. Gleiohzeitig beinflussen aber neben den
Persönlichkeitsfaktoren noch soziokulturelle Determinanten, Stimmungen,
organische Zustände etc. das Ausdrucksverhalten, so daß der
Schluß von der Ausdruckskomponente auf die Persönlichkeit erschwert
wird. In einer Studie versuchten Allprort und Vernon (1933) zunächst, die
Konsistenz des Ausdrucksverhaltens nachzuweisen und Maßen dazu lese
und Zählgeschwindigkeit, Schätzen geläufiger Größen,
Geschwindigkeit des Marschierens und Spazierengehens, Geschwindigkeit und Druck
von Finger-, Hand- und Beinklopfen, Zeichnen geometrischer Formen, verschiedenen
Handschriftenmaße etc. Durch Beobachter wurden noch Maße wie
Redeflüssigkeit, Bewegungsumfang während des Sprechens (hallo Bente,
da gibt´s ja jetzt bessere Operationalisierungen für) und
“gefällige Erscheinung” (ein Sammelsurium von Daten ist
das...). Die Retest-Reliaiblität erwies sich anderen psychologischen Daten
als ebenbürtig. Ebenso fand sich Konsistenz zwischen den mit der loinken
und mit der rechten Körperhälfte ausgeführten Aufgaben. Die 38
Hauptvariablen wurden in einer Korrelationsmatrix ausgewertet, durch eine
Clusteranalyse (mehr gaben die Daten nicht her) wurden drei Gruppenfaktoren
gefunden: 1) Ausdehnungsfaktor/motorische Expansivität (Ausdehnung der
Schrift, der Fußvierecke, überschätzung von Winkeln und
Strecken) 2) zentrifugaler Gruppenfaktor/allgemeine Auswärts- bzw.
Abstoßungstendenz, (überschätzung der Entfernung zum
Körper, verbale Geschwindigkeit, Unterschätzung von Gewichten) 3)
Nachdruckj (Stimmintensität, Klopfdruck, Bewegung beim Sprechen etc. )
Dieser Elemente, die diesen Faktor bestimmen, sind aber relativ heterogen, d.h.
sie korellieren nicht so stark. Weil diese Studie es nicht so unbedingt hergab,
schob Allport vier Fallgeschichten nach und kam in jeder zu dem Schluß,
daß das Ausdrucksverhalten nicht den Beobachterurteilen widerspricht.
Trotzdem schreibt er: die Konsistenz von Ausdrucksverhalten kann nur in dem
Maße gegeben sein, wie die Konsistenz der Persönlichkeit gegeben ist.
Weitere Arbeiten: Zuordnung von Handschriften zu Persönlichkeitsskizzen.
Graphologen sind besser als Psychodozenten sind besser als Studenten, selbst
erstere allerdings nur doppelt überzufällig erfolgreich. D.h. Statt
einen aus zehn errieten sie 2,41. Zur Diagnosezwecken dürfte das schwerlich
reichen. Auch Zuordnung von Stimme zur Persönlichkeit. Bezüglich des
Ausdrucksverhaltens gibt es a) erhebliche Unterschiede in der Fähigkeit der
Beurteiler, dieses adäquat zu raten (am besten waren nicht-analytisch
vorgehende bildende Künstler) und b) erhebliche Unterschiede bei den
Subjekten, inwieweit sie genau (= übereinstimmend) geratet werden.
Außerdem sind einige Persönlichkeitsmerkmale generell leichter zu
erfassen als andere. Recht witzig ist der Versuch, wo Allport zunächst ohne
das Wissen der Vpn Aufzeichnungen von deren Audrucksformen (Fotos der
Handrücken und Profile, Stimm- und Schriftproben) etc. zu machen, ohne
daß diese es merkten, um ihnen ein halbes Jahr später 4 Samples (2m,
2w) mit ihren eigenen Daten drin zur Beurteilung vorzulegen. Gefragt war, diese
in eine Rangordnung zu bringen. Nur selten wurde das eigene Sample ganz erkannt,
dann wurde die Bewertung neutral, wurde es halb erkannt, wurde sie merklich
günstiger. Wurd es nicht erkannt, tendierte sie dazu, extrem zu sein,
selten negativ, häufiger positiv (wenn der Versuch nicht doppelblind
gewesen ist, dann ist er sehr problematisch). Sehr bekannte sind die rund 300
Briefen von Jenny Masterson, die in den Besitz von Allport gelangten:
Hierzu entwickelte Baldwin (1942) er die oben erwähnte persönliche
Strukturanalyse. Zunächst werden die thematisch herausragenden
Gegenstäönde erfaßt, dann geprüft, inwieweit diese
zusammenhängen. War Jenny gegenüber ihrem Kerl negativ eingestellt, so
kam ihre Selbstaufopferung, die Schlechtigkeit anderer Frauen und dessen
Egoismus als Cluster zu Sprache, war sie gut auf ihn zu sprechen, kam der
Cluster Natur, Kunst, vergangenes Leben stärker auf´s Papier. Allport
bemerkte trocken, daß eine solche statistische Auswertung möglich
ist, daß es aber ungeklärt bleibt “ob diese ziemlich
mühsame Art, ideationale Vorstellungsbündel auszugliedern, jenen
Interpretationen, die bereits der allgemeine Menschenverstand beim Lesen des
Materials leistet, irgendetwas Neues hinzufügt.” Sie kann etvl. die
Commonsense-Eindrücke objektivieren und den Beurteiler daran hindern,
daß seine Lieblingsansicht in der Beweisführung durchgeht, mehr aber
nicht. So ließ Allport die Briefe denn auch von 36 Lesern über 198
Eigenschaftsbegriffe, die auf 8 Dimensionen luden, raten. Argwohn,
Ichbezogenheit und Selbständigkeit scheinen übereinstimmend Jennys
wichtigste Charakterzüge zu sein. Paige (1966) stellte 83 Kategorien auf,
korrelierte diese und kam zu denselben 8 Faktoren.
7.4.2 Bewertung:
Allport hat zwar keine Schule von Nachfolgern
begründet, jedoch ist seine Arbeit von vielen Leuten rezipiert worden und
in deren Positionen aufgegangen. 1951 gaben praktizierende klinische Psyhcologen
Allport als zweiteinflußreichsten Theoretiker (nach Freud) auf ihre Praxis
an.
Positiv:
- Bewußtsein wieder in den Fokus
gerückt, damit verbunden Verteidigung direkter Methoden
- Rolle der Zukunft in den Fokus
gerückt
- Idiografische Methoden in den Fokus
gerückt
Negativ:
- Formale Unangemessenheit: Allport gibt noch
nicht einmal eine axiomatische Basis seiner Position, keine empirischen
Definitionen, dadurch ist Prüfung nicht möglich (Allport verwendete
pro Untersuchung nach Schnauze stets die ihm adäquat erscheinenden
Methoden) Ausgenommen ist hier z.T. das Ausdrucksverhalten, was
ausführlicher bearbeitet wurde.
- Allport wird in diesem Zusammenhang auch ein all zu
alltagssprachlicher Ausdruck vorgeworfen
- wie alle psychologischen Theorien taugt sie zu
a-posteriori Erklärungen recht gut, aber ist für Vorhersagen nicht
besonders zu gebrauchen
- Funktionelle Autonomie kann als neues
Etikett/neue Erklärung für schon bekannte Phänomene
(sekundäre Verstärkung) gesehen werden, doch während letztere
mit Lernprinzipien an andere Theorien gebunden ist, steht erstere im freien
Raum. Allport sagte selber, daß das Lernen, was zu f.A: führt, noch
nicht erforscht sei. Ein schwacher Stand.
- soziokulturelle Determinanten des Verhaltens nicht
berücksichtigt - Verhalten ist nicht nur in sich konsistent, sondern
vor allem umweltbezogen. Allport räumt hier Versäumnisse ein,
überläßt es aber anderen, diese zu beseitigen. Er fordert von
allen Psychologen ein Mindestwissen in Soziologie/Sozialpsychologie, aber auch
eine solide Grundlage der inneren Verhaltensdeterminanten.
Direkt aus Allports humanistischer Position erwachsen
folgende Schwierigkeiten:
- die Diskontinuitätsannahmen stehen ohne Beleg
im Raum, und dies auch noch gegen den herrschenden Konsens. Es erwächst
der Eindruck, daß die Wurzeln der Trennung des fertigen gesunden
Verhaltens von den anderen Formen lediglich zu dessen Aufwertung dienen sollen.
- einige Psychologen glauben nicht an die
Individualität, können aber im Prinzip genauso wenig beweisen wie
Allport. Besser ist das Argument, daß die Wissenschaft sich mit
Regelmäßigkeiten befassen muß, so wie auch Kliniker von
einem Einzelfall auf andere auf die Allgemeinheit schließen. über
weite Strecken ist auch Allport so vorgegangen. Keinesfalls hat er für
jedes Individuum neue Dispositionen entwickelt (wie soll das auch gehen, wenn
erst einmal die Kategorien im Kopf des Forschers sind), obwohl er sich in seiner
thoretischen Position (aus Prinzip) weigerte, einen Satz von Eigenschaften
für die Allgemeinheit zuzulassen, der diese Anstrengung
überflüssig macht. Seine Protegierung des idiografischen Ansatzes
dürfte wohl eher auf die uneingeschränkte Wertschätzung eines
jeden Individuums zurückzuführen sein.
7.5 Bedürfnisstruktur und Selbstverwirklichung: A. Maslow
Abraham Maslow, 1908-1970, geboren in NY als Sohn
russisch-jüdischer Einwanderer. Studierte zunächst Jura, brach aber
das auf Wunsch seines Vaters angefangene Studium ab, anschließend
Psychologie. Zunächst war er von Watson angetan, nachher schlug es dann
eher ins Gegenteil um. Seine Promotion über das Sexualverhalten von Affen
wurde von Harry Harlow betreut. Tätigkeit and der Columbia University, wo
er Fromm, Wertheimer und Adler kennenlernte. Hauptwerk: “Towards a
psychology of being” (1962), “Motivation and personality”
(1954). Er wollte eine dritte Kraft in der Psychologie schaffen, die als
Gegengewicht zu den beiden Schulmeinungen Psychoanalyse und Behaviorismus wirken
sollte.
Kernstück von Maslows Persönlichkeitstheorie
ist seine Motivationstheorie, die er “holistisch-dynamische
Theorie nennt, da in ihr Ansätze des amerikanischen Funktionalismus,
der Gestaltpsychologie und der Psychoanalyse zu einer Synthese
zusammengefaßt sind. Es werden 5 hierarchisch organisierte Kategorien
von Grundbedürfnissen erfaßt, wobei dei höherstufigen
Bedürfnisse sich erst entwickeln und zum Tragen kommen können, wenn
die darunterliegenden unteren befriedigt sind, somit ist die Befriedigung der
Bedürfnisse der unteren Stufen dringender. Die instinktiode
(instinkresthafte) Natur der Bedürfnisse nimmt von unten nach oben ab,
gleichwohl geht Maslow davon aus, daß alle Bedürfnisse
angeboren sind. Dabei sind einige dieser angeborenen Bedürfnisse
universell, andere individuell verschieden. Diese Bedürfnisse sind eher gut
als neutral oder böse, und Maslow geht davon aus, daß es bei
“praktisch jedm Menschen und bei fast jedem neugeborenen Baby einen
aktiven Willen zur Gesundheit gibt, einen Antrieb zum Wachstum und zur
Verwirklichung der menschlichen Anlagen.
7.5.1 Ebene 1: Grundbedürfnisse / Mangelbedürfnisse
1) physiologische Bedürfnisse: alles, was
für die Daseinserhaltung des menschlichen Organismus sorgt, Essen, Atmen,
Schlafen, Wärme, Sex. Diese Bedürfnisse sind zwar kulturspezifisch
überformt, tritt jedoch ein Mangel ein, pflegt diese überformung zu
verschwinden (Hungrige fressen, statt zu dinieren). Sind diese Bedürfnisse
befriedigt, so treten sofort die nächsthöheren auf den
Plan:
2) Sicherheitsbedürfnisse: Bedürfnis
nach Stabilität, Geborgenheit, Schutz, Angstfreiheit, Struktur, Gesetz,
Grenzen etc. Bei Erwachsenen wird dies u.a. durch Routine geboten, bei Kindern
durch Erwachsene, will man die Bedürfnisse direkt beobachten, sollte man
nach Maslow ökonomisch oder sonstwie Unterpriveligierte beobachten oder
sich in Situationen des gesellschaftlichen Zusammenbruchs
begeben.
Ebene 2: Metabedürfnisse /
Wachstumsbedürfnisse
3) Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Liebe:
Kontakt zu Freunden, Bekannten, Partner, Kindern. Fehlende Befriedigung
äußert sich in Gefühlen wie Einsamkeit,
Zurückweisung,Entwurzelung - was in der spätkapitalistischen
verindividualisierten Gesellsachft der Postmoderne allzuoft anzutreffen ist, wie
Maslow beklagt.
4) Bedürfnis nach Achtung: einerseits nach
Stärke, Leistung, Bewältigung und Kompetenz, Unabhängigkeit,
Vertrauen in die Welt, Freiheit, andererseits den Wunsch nach einem guten Ruf.
D.h. einerseits kompetent sein, anderseits aber auch für kompetent gehalten
werden. Befriedigung gibt Selbstvertrauen, Nichtbefriedigung Minderwertigkeit,
Schwäche und Hilflosigkeit (-> Depression)
5) Bedürfnis nach Selbstverwirklichung: d.h.
das zu aktualisieren, was man als Tendenz besitzt, was in unserer Kultur erst
bei mittelalten Leuten möglich ist, da junge Menschen “noch keine
Identität und Autonomie erreicht haben und auch keine Zeit gehabt haben,
eine dauernde, loyale, nachromantische Beziehung zu erfahren.
Schließlich haben sie auch noch nicht den Altar ihrer Berufung
gefunden, auf dem sie sich opfern.” (schluck)
Um den etwas vagen Begriff der Selbstverwirklichung
etwas zu präzisieren, stellte Maslow 60 Personen zusammen, von denen er
meinte, daß diese dieses Ziel erreicht hätten, wobei es sich zum
größten Teil um historische Persönlichkeiten handelte. Da diese
schwerlich zu Testzwecken herangezogen werden konnten, sondern lediglich Fremd-
und Selbstzeugnisse vorlagen, für Maslows Zeitgenossen aber
Gelegenheitsgespräche, Interviews und vereinzelt auch Tests benutzt wurden,
war eine einheitliche Auswertung nicht zu leisten. Maslow erstellte darum eine
“holistische Analyse” (Differenzierung verschiedenen Aspekte unter
Berücksichtigung der Ganzheit der Person) und kam zu folgenden 15
Eigenschaften:
1) realitätsangemessene Wahrnehmung, welche
zu besserem und überlegterem Agieren in der Welt führt.
2) Akzeptierung des Lebens so wie es ist, d.h.
des Selbst, der anderen und der Natur. Was nicht geht, darüber kann mensch
auch nicht unglücklich sein. Es ist halt so. Dazu gehört auch
komplexlose Bedürfnisbefriedigung.
3) Spontanität, Einfachheit, Natürlichkeit:
Mensch gibt sich keine Mühe, anders zu wirken, als er/sie ist - wozu
auch? Gesellschaftliche Umgangsformen sind da z.T. eher lästig, doch ist
mensch nicht so arrogant, sie abschaffen zu wollen.
4) problemzentriert (statt ichzentriert) - widmen
sich auch Aufgaben um der Aufgaben und nicht um der Konsequenzen für einen
selber willen und haben einen sehr weiten Horizont bis hin zu
allgemeinphilosophischen Betrachtungen.
5) Objektivität und das Bedürfnis nach
Privatheit: distanzierter und reservierter als andere Personen - allerdings
nicht aufgesetzt, sondern ein “erstmal sehen” als Charakter. Da sie
mehr in sich ruhen als andere, können sie besser alleine
sein.
6) Umweltgestaltend: Autonomie von Kultur und
Umwelt: sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und Umwelt und Umfeld
verändern, bevor es umgekehrt passiert.
7) Unverbrauchte Wertschätzung: Was toll
ist, ist uneingeschränkt und immer toll, der 1001. Sonnenuntergang am Meer
wie der erste. Sonnenuntergang kann hier ersetzt werden durch
“Kinder” oder “Männer/Frauen”.
8) Mystische oder Grenzerfahrungen:
Fähigkeit zu Peak-Experiences (z.B. Organsmus oder andere
Kurzschlüsse im Hirn, nett auch bei gutem Dope oder LSD) oder Oceanic
feelings (mit der Welt verschmelzen, vgl. autogenes Training, (bekifft) Session
spielen). Diese Kategorie ist kein Muß. Während grenzerfahrende
Selbstverwirklicher den Künsten zugetan sind, sind nichtgrenzerfahrene
solche praktische, effektive und diesseitige Menschen.
9) Gemeinschaftsgefühl (Begriff von A.
Adler, 1920): ich bin Teil der Menschheit, was man anderen Menschen antut, tut
mir auch weh - damals gab´s noch keine live-übertragung von
Kriegsgreueln an den Frühstückstisch. Ob diese Punkt heute zu halten
wäre?
10) Tiefere und wertvollere interpersonelle
Beziehungen: mehr Vereinigung, größere Liebe, mehr Beseitigung
der Ich-Grenze, aber auch größere Wählerischkeit bei den
Freunden
11) Unvoreingenommenheit: Freihiet von
Vorurteilen, grundsätzlich wird erstmal jeder akzeptiert, selber weist
mensch sich eher in einer bescheidenen Rolle (demokratische
Charakterstruktur)
12) Ethische Veranlagung, Unterscheidung von Mittel
und Zweck: Selbstverwirklicher haben eine starke ausgeformte Ethik, so
daß sie kaum in Konflikte kommen können. Sie können zwischen
Mittel und Zweck unterscheiden, was ihnen ermöglicht, dieses auch gezielt
zusammenfallen zu lassen (Handlung um ihrer selbst willen, sofern sie das
hergibt).
13) Sinn für philosophischen Humor: Sich
nicht über andere lustig machen, sondern über die absurde Situation
des Lebens auf einem Steinklumpen im Vakuum.
14) Kreativität...im alltäglichen
Handeln.
15) Unkonformität. Liberalismus, Leben und
Leben lassen. Die Majorität darf den einzelnen nicht weiter
beschränken, als es für sie notwendig ist. (Deswegen ist Kiffen
ethisch erlaubt.) Aber nicht so arrogant, wie die Terrorgruppen, die versuchen,
eine Revolution herbeizubomben, obwohl sie keiner haben will; eher
evolutinäre als revolutionäre Einstellung, da hier Punkt 1 - Realismus
- zum Tragen kommt. Punkt 15) ist - wie einige andere - völlig westlich
zentriert.
Im H&L ist 16) “Selbstverwirklicher
transzendieren die Umwelt, statt nur mit ihr fertig zu werden”
angegeben - wer damit etwas anfangen kann...
Auch Selbstverwirklicher können andere beleidigen,
kränken, Fehler machen - es gibt keine perfekten Menschen. Goldene Worte
von Maslow: “Um Desillusionen mit der menschlichen Natur zu vermeiden,
müssen wie zuert unsere Illusionen über sie aufgeben.” Menschen
auf den Stufen 3-5 werden von Wachstumsmotivation
(Heterostase=Sollwertveränderung) und nicht von Mangelmotivation
(Homöostase=Sollwertkonstanz) angetrieben, welche für die Stufen 1
und 2 als treibende Kraft angesehen werden kann. Somit sind äußere
Gegenheiten, die die Bedürfnisse des Menschen auf den Stufen 1-4
befriedigen, zwar eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für
die Selbstverwirklichung. Hinreichende Bedingung ist eine zusätzliche
inhärente Wachstumsmotivation, die bei allen Menschen angenommen wird. Eine
permissive Befriedigung der Grundbedürfnisse ist somit nach Maslow eine
wesentliche Voraussetzung für menschliches Wachstum. Die Konsequenzen
einer solchen permissiven Befriedigung hat Maslow in 61 Punkten
zusammengefaßt, von denen einige typische Charakterzüge darstellen.
Diese umfassen u.a. Ruhe, Großzügigkeit, Ehrlichkeit, stärkeren
Willen etc., werden von Maslow auch als konstituierend für den
“guten Menschen” bezeichnet und beschreiben im übrigen
recht gut den Zielkatalog einer humanistischen Charakterologie.
7.5.2 Empirische Anbindung:
Die oben beschriebenen Züge von
Selbstverwirklichern sind leider an keiner Stelle operationalisiert. Ein Versuch
von Shortstrom, diesem Manko mit einem Fragebogen abzuhelfen (POI = Personal
Orientation Inventory, 150 Fragen mit jeweils 2 Antwortalternativen, z.B.
“Ich tue was andere von mir erwarten” vs. “Ich fühle mich
frei, das nicht zu tun”) erfolgte 1965. Die Auswertung erfolgt zweistufig,
zunächst werden 2 Skalen (Autonomie und effektive Zeitnutzung) gebildet, in
einem weiteren Durchgang 10 Subskalen (z.B. Spontanität,
Selbstaktualisierung), welche sehr hoch korrellieren. Dies muß nicht gegen
den Fragebogen sprechen, so hängen die postulierten Eigenschaften der
Selbstverwirklicher ja auch in einem Netz zusammen (s.o.). Für den
Fragebogen spricht, daß Neurotiker niedrigere Werte erreichen und
daß er einigermaßen mit unabhängigen Urteilen zur
Selbstverwirklichung korreliert. Somit kann er als Kontrollinstrument bei
Interventionen benutzt werden.
Bezüglich der Bedürfnishierarchie wurde
(Graham & Balloun 1973) herausgefunden, daß Personen dazu tendieren,
nicht befriedigte Bedürfnisse als subjektiv wichtiger einzustufen. Aktuelle
Befriedigung eines Bedürfnisses und gewünschte
Bedürfnisbefriedigung korrelieren negativ - d.h. je gesättigter ein
Bedürfnis, desto geringer der Wunsch nach einer Verbesserung der Situation.
In offenen Interviews wurden danach die Vpn gefragt, was in ihrem Leben am
wichtigsten sei: hier erhielten höherstufige Bedürfnisse höhere
Scores als niedrige, für diese ergab sich auch ein geringeres
Befriedigungsniveau. Somit ist sowohl die These von der Notwendigkeit der
Erfüllung niederer Bedürfnisse, bevor höhere zum Tragen kommen,
erfüllt, als auch die hierarchische Anordnung der Inhalte der
Bedürfnisklassen gestützt. Die zur weiteren Festigung der Theorie
notwendigen Längsschnittuntersuchungen sind allerdings bis heute nicht
erfolgt.
Inglehart untersuchte ließ in allen Staaten
der EG (1970-1980) 12 Bedürfnisse nach ihrer subjektiven Bedeutung in eine
Rangordnung bringen. Dies waren Versorgungsbedürfnisse (Wunsch nach
wirtschaftlicher Stabilität), Sicherheitsbedürfnisse
(Landesverteidigung, Verbrechensbekämpfung), Sozialstatus und
Solidarität (freundlichere Gesellschaft, mehr Rechte für Bürger),
Selbstverwirklichung (Verschönerung der Umwelt, Ideen statt Geld, freie
Meinungsäußerung). Inglehart konnte nachweisen, daß es in allen
untersuchten Staaten einen Personentypen gibt, der an Versorgungs- und
Sicherheitsbedürfnissen (materielle Bedürfnisse) orientiert ist (40%
der untersuchten Personen). Andere Personentypen sind eher an den weiteren
postmateriellen Bedürfnissen (10%) orientiert, der Rest bestand aus
Mischtypen. Maslow scheint es hier so zu gehen wie Piaget, der die
Universalität seiner höheren Entwicklungsstufen auch aus seinem
Programm streichen mußte. Interessant ist in diesem Zusammenhang
jedoch, daß die Orientierung an postmateriellen Bedürfnissen in der
Nachkriegszeit stark zugenommen hat.
7.5.3 Bewertung:
Maslow vertritt eine positive Psychologie, die
im Menschen angelegten gesunden Kräfte führen zur vollen Entfaltung
der nur dem Menschen eigenen Entwicklungspotenz. In diesem Bekenntnis spiegelt
sich die Orientierung am Organismischen Modell, die optimistische Sicht vom
guten Menschen und seinen Entwicklungsmöglichkeiten.
Positiv:
- Maslow war einer der ersten und lautesten
Fürsprecher für eine Psychologie, die vom gesunden Menschen
ausgeht. Er Beschäftigte sich mit wichtigen Elementen des Erlebens, die
von den traditionellen Ansätzen vernachlässigt wurden: Liebe, Freude,
Glück, Ekstase. Dies wird von anderen aber als Kritikpunkt aufgefaßt,
die Maslow vorwerfen, er sei genauso einseitig wie die Psychoanalyse, eben nur
in der anderen Richtung.
Negativ:
- Die Unterscheidung zwischen Mangel- und
Wachstumsbedürfnissen steht auf tönernen Füßen.
Verhalten kann auch so interpretiert werden, daß der Mensch etwas
erreichen will, was ihm fehlt, z.B. die Individualität in einer
Massengesellschaft. Jacoby macht Jacobson diesbezüglich den Vorwurf,
daß er die gesellschaftlichen Bedingungen nicht analysiert, die das
Motiv zu einer Verteidigung (ursprünglich bestehender) humaner Lebensziele
erst aufkommen läßt. Dies wäre aber in einer Erweiterung Maslow
Theorie machbar, ohne daß an den bestehenden Teilen etwas gemacht werden
müßte. Jacobys weitere Vorwürfe, daß Maslows Theorie
konformistisch sei, weil sie nicht aufzeige, inwieweit der real existierende
Kapitalismus Selbstverwirklichung verhindere, ist nur vor dem Hintergrund dessen
marxistisch-dialektischer Position verständlich, aber trotzdem nicht zu
entschuldigen. Das ist kein ernstzunehmendes Gegenargument.
- Maslow selber bleibt empirische Belege seiner
Theorie weitgehend schuldig. Häufig erschöpft er sich in einer
Aneinanderreihung von Wörtern, die beim Leser Assozitionen an ein Leben,
daß mensch sich sowieso schon immer gewünscht hat, hervorrufen (nette
Formulierung von Schneewind, woraus sich schließen läßt,
daß dieser wahrscheinlich mit seinem Leben nicht ganz so zufrieden ist,
und das, obwohl er Tennis spielt). Diese Kritik betrifft besonders den zentralen
Begriff der Theorie: die Selbstverwirklichung. Diese als angeboren nachzuweisen,
dürfte so gut wie unmöglich sein, da das Verhaltens- und
Erlebniskorrelat viel zu vielfältig ist.
- Selbstverständlich ist auch die Methode, mit der
Maslow zum Konstrukt der Selbstverwirklichung kam - die holistische Analyse -
in methodischer Hinsicht sehr problematisch und nur knapp einem “Ich
schreib´ auf, was mir gerade einfällt” überlegen. Maslows
private, vorwissenschaftliche Ansichten sind hier relativ ungehindert
eingeflossen.
- Fehlende Operationalisierung dessen, was unter
Bedürfnisbefriedigung zu verstehen ist. Diesbezüglich wird auch
eine exzessive Bedürfnisbefriedigung, die ja bekanntlich zu psychischen
Schwierigkeiten führt. Adler wetterte gegen die überbehütung, bei
Freud führt dies zur Fixierung, Maslow verliert kein Wort drüber.
- da Maslow nicht angibt, was genau passieren muß,
damit Bedürfnisse befriedigt werden können, ist auch die
Praxisrelevanz (z.B. therapeutischen Bereich) nicht gegeben. Die Theorie
steht - wie die anderen in diesem Kapitel vor allem als programmatische
Feststellung dessen, was den Menschen ausmacht, da.
Faktorenanalytische Persönlichkeitsmodelle:
8.1 Cattell - Traits und States als Determinanten des Verhaltens
Raymond Bernhard Cattell, 1905 bei Birmingham
geboren, Studium Chemie und Physik, B. Sc. in Chemie, als Schüler
Spearmans Ph. D. in Psychologie. 1937/8 Wechsel in die USA, an eine
Forschungsstelle in der Columbia Universität, NY auf Einladung von E.
Thorndike. Bis zur Emeritierung 1973 tätig in Illinois, dann Wechsel an die
Universität von Hawaii, der gute Mann versteht halt auch zu leben.
Publikationen vor allem über Persönlichkeitsforschung und Tests, aber
auch über Themen von Humangenetik bis zur Sozialpsychologie. Cattell ist
ein schneller Brüter: 1984 umfaßte sein Ausstoß 35 Bücher
bzw. Monografien, was inzwischen deutlich mehr sein dürften. Weiterhin
entwickelte er so viele Tests, daß er eigens für den Vertrieb
das “Institute for personality und ability testing” gründete,
welches im wesentlichen aus seiner Frau besteht. Wichtige Hauptwerke über
Persönlichkeitspsychologie sind: “Description and measurement of
personality” (1946), “Personality and motivation structure and
measurement” (1957), “Personality and learning theory”
(1979/80).
Cattells Lehre ist die umfassendste und am besten
entwickelte faktorenanalytische Theorie der Persönlichkeit, weswegen sie
hier exemplarisch erläutert wird. Guildfords und Eysencks
Positionen werden nur kurz umrissen.
Einführung der Faktorenanalyse durch Charles
Spearman (1904). Annahme, daß bestimme Testleistungen deswegen
korrelieren, weil sie vom selben Faktor (z.B. Wahrnehmungsgeschwindigkeit)
abhängen, außerdem gibt es noch Faktoren, die auf alle Tests laden
(Intelligenz). Weiterentwicklung zur multiplen Faktorenanalyse durch
Thurstone (1931), der annahm, daß es nicht nur Einzefaktoren
gäbe und Allgemeinfaktoren gibt, sondern auch Gruppenfaktoren (die nur Test
a und b beeinflussen, nicht aber c).
Vorgehensweise ist, zunächst von einer großen
Anzahl Individuen eine große Anzahl Testwerte zu erfassen, die Testwerte
in einer Korrelationsmatrix darzustellen und aus dieser Faktoren abzuleiten.
Danach geht es daran, die Faktoren zu interpretieren, was ein recht heikler
Punkt ist (der nichts mit Mathematik, umso mehr aber mit Intuition zu tun hat)
und daran, vereinfachte Meßverfahren für diese zu konstruieren.
Für sich genommen ist die Faktorenanalyse ein deskriptives Verfahren,
kein explanatives!
8.1.1 A closer look at the technique:
Grundlegendes Problem ist, daß mit (Pearsons)
Korrelationskoeffizienten gearbeitet wird, was i.d.R ein metrisches
Skalenniveau voraussetzt. Ob dies aber bei irgendwelchen Testleistungen,
besonders am oberen und unteren Rand des Leistungsspektrums, gegeben ist, ist
meist mehr als fraglich. Ich jedenfalls würde IQ-Test Daten fast genau wie
Schulnoten zunächst als ordinale Skalen betrachten. Erinnert werden sollte,
daß die Korrelation eine standardisierte Kovarianz ist:
rxy =
(Σ (x - x quer) (y - y
quer)) / (N * sx*sy).
Der Wertebereich liegt zwischen -1 und +1. Variablen,
die mit +1 oder -1 korrellieren, sind linear abhängig, sie spannen als
Vektoren nur eine Gerade auf. In dem Maße, wie sich die Korellation 0
nähert, wird aus der Gerade einer Ebene. Bei einer Korellation von 0 stehen
die Vektoren senkrecht aufeinander. Somit kann der Korrelationskoeffizient auch
beschrieben werden als
rxy =
sx2 *sy2*
cosαxy
Da die Variablen standardisiert sind, ergibt sich
für die Standardabweichungen - und somit auch für deren Quadrate der
Wert 1. Für den weiteren Verlauf der Rechnung werden die Projektionen von
der Pfeilspitze sG2 auf die beiden zueinander senkrecht
stehenden Vektoren x und y benötigt, dia aGx und aGy
genannt seien. Da der Cosinus gegeben ist durch
aGx/sG2, gilt:
rGX =
sx2 *
sG2*aGx/sG2 =
aGx
Der Korrelationskoeffizient entspricht also der
Projektion des eines Vektors auf einen anderen. Die Summe der Quadrate der
Korrelationskoeffizienten ergeben die aufgeklärte Varianz, also z.B.
(0,707)2 *+ (0,707)2 = 1. (Bildung des Dreiecks durch
Verschiebung eines Vektors, Phytagosatz). Korrellieren 2 Variablen mit einer
dritten zu je 0,707, so ist deren Varianz völlig aufgeklärt. Ist die
Summe der Quadrate kleiner als eins, reicht die Anzahl der Dimensionen nicht
aus. Soll eine dritte Variable durch zwei bekannt erklärt werden, so
muß deren Varianz (von 1, da auch sie standardisiert ist) vollständig
in der durch diese aufgespannten Ebene liegen. Daher müßte eine
Erweiterung in den dreidimensionalen Raum erfolgen...bzw. in den
n-dimensionalen. Dies geht analog und ist im Schneewind sehr nett dargestellt.
Die Projektionen der Variablen auf das normal-Achsensystem (Länge = 1) wird
dabei als Ladung der Faktoren bezeichnet.
Wichtig ist, daß die Varianz der Variablen nur
durch die Varianz der Faktoren aufgklärt wird, wenn diese keinen Anteil
hat, der mit keinem Faktor korrelliert. Um nicht für jede Variable, bei der
das der Fall ist, einen weiteren Faktor etablieren zu müssen, der nur auf
diese lädt, wird dieser Fall als spezifische oder besondere Varianz
(bG2 )bezeichnet und aus der bis jetzt behandelten
gemeinsamen Varianz oder Kommunalität (hG2)
herausgenommen. Last and least gibt´s gerade bei psychologischen Daten
stets das gewisse Quentchen Inkonsistenz, welches mit der Fehlervarianz
(fG2) zu Buche schlägt. Die Gesamtvarianz einer
Variablen in einer real existierenden Untersuchung setzt sich somit so:
zusammen:
sG2 =
hG2 + bG2 +
fG2
hG2 ist die Summe der Quadrate der
Projektionen auf die einzelnen Achsen. Die Reliabilität wird aus
Erfahrungswerten der Tests geschätzt (sie ist z.T. auch angegeben) oder
durch Retests ermittelt. In schematischer Darstellung sieht das so
aus:
s2 =
|
h2
(Kommunalität)
+
|
u2
(Einzelrestvarianz)
|
|
|
a12 + a22 +
... (Summe der
Faktorladungsquadrate)
|
b2
(Spezifische Varianz)
|
+ f2
(Fehlervarianz)
|
|
r2
(Reliabilität: Schätzung der fehlerfreien Varianz, z.B.
Retest-Rel.)
|
|
+ f2
(Fehlervarianz)
|
Faktorenanalyse korrelierender
Variablen:
Bis jetzt wurde die Varianzaufteilung einer Variablen
auf n Faktoren beschrieben. Doch ist auch die Kovarianz von Variablen in
faktorielle Anteile zu zerlegen. Angenommen, die Variablen G und H liegen im
beide im ersten Quadranten des durch die Faktoren x und y aufgespannten
Kordinatensystems, so ergibt sich für deren Korrelation die
Formel:
rGH =
vg *vh*
cosχ(VG,VH)
Der Winkel zwischen VG und VH
läßt sich aber auch berechnen als Differenz der Winkel beider
Variablen zu jeweils einem Faktor (Schneewind S. 226) dies läßt sich
mit einem Additionstheorem auflösen in eine einfache Multiplikation von
Sinus und Dcosinuswerten. Jetzt können die konkreten Dreiecksseiten - d.h.
wieder die Projektionen auf jeweils eine Achse - eingetragen werden und es
ergibt sich ein numerisches Ergebnis:
rGH =
aGX * aHX + aGY *
aHY
Die Summe des Produkts der jeweiligen Ladung der
Faktoren X und Y auf die Variablen ergibt also deren Korrelation. Die Formel
ist also ähnlich wie die vorherige, außer daß hier die
Faktorladungen bereits im Produkt stehen und nicht quadriert sind. Dies gilt
selbstverständlich auf für n Faktoren. Dabei ist es möglich,
daß die Korrelation rGH
noch größer ist, da dieser Rechenweg nur die
durch die beiden Faktoren aufgeklärte Kovarianz erfaßt. Wäre die
Zeichnung im Schneewind nur eine Projektion in die x-y-Ebene und würden
beide Vektoren auf der z-Achse fast parallel verlaufen, wäre die
tatsächliche Korrelation viel größer, jedoch müßte
dazu ein dritter Faktor berücksichtigt werden. In dem Maße, wie es
durch eine Faktorenanalyse gelingt, die ursprüngliche Gesamtkorrelation aus
der Summe der Ladungsprodukte zu reproduzieren, kann man von einer weitgehenden
Ausschöpfung der gemeinsamen Varianz sprechen.
Normalerweise sind die Faktoren allerdings nicht
bekannt: Stattdessen gibt es eine Matrix über Test- und Personenwerte - die
Datenmatrix. Gesetzt dem Fall, daß die Testwerte standardisiert sind, kann
durch paarweise Multiplikation, Addition und anschließender Division durch
die Personenzahl die Korrelation zwischen den Tests bestimmt werden. Somit
erhält man eine zur Hauptdiagonalen symmetrische Matris Test/Test. Diese
kann übrigens auch durch Bildung der Transponierten und
Matrixmultiplikation gebildet werden. Der eigentliche Clou der Faktorenanalyse,
die Zerlegung solch eine Korrelationsmatrix in Faktoren, ist im Schneewind dann
leider nicht mehr erklärt.
Generelles Problem ist, daß zur
Faktorberechnung die Kommunalität geschätzt werden muß,
d.h. die Varianz, die alle (noch zu ermittelnden) Faktoren nachher von der
Varianz einer variable aufklären sollen. In der Korrelationsmatrix wird
dieses an die Stelle der aus 1-en bestehenden Hauptdiagonalen geschrieben. Hier
gehen alle drei Theoretiker von verschiedenen Kommunalitäten aus: Cattell
wählt des Quadrat des multiplen Korrelationskoeffizienten, Guildford den
höchsten Korrelationskoeffizienten selber und Eysenck setzt den Wert stets
Eins.
Jedenfalls wird der maximal t-Dimensionale test-Raum auf
den k-Dimensionalen Faktorenraum reduziert, indem durch nahe beieinanderliegende
Vektorenbündel je ein Faktor mit der Länge 1 gelegt wird. Sind die
Faktoren ermittelt, so läßt sich ausrechnen, welcher Faktor wie stark
auf welchen Test lädt. Das Ergebnis ist die Faktorladungsmatrix
(Faktoren/Tests). Multipliziert mensch diese mit ihrer Transponierten
entsteht dann wieder die Korrelationsmatrix (Test/Test). Die
Faktorwertematrix (Faktoren/Personen) wird dann gemäß nicht
näher definierter Matrixalgebra bestimmt und ergibt multipliziert mit der
Transponierten Faktorladungsmatrix die urspüngliche Datenmatrix. Das besagt
nichts anderes, als das der Testwert jeder Person sich aus der Produktsumme der
Ausprägung der Faktoren bei der Person mit der Ladung der Faktoren auf den
jeweiligen Test ergibt. Dies ist bei Cattell die Spezifikationsgleichung,
vorerst so dargestellt:
Testergebnis = Ausprägung Faktor A *
Ladung Faktor A auf Test + ...
Sie bestimmt, wie generelle Faktoren spezifisches
Verhalten determinieren.
Soll ein 2-dimensionaler Raum durch Faktoren aufgespannt
werden, so werden es alle tun, die linear unabhängig sind, was so ziemlich
genau unendlich viele Möglichkeiten sind. Oder, um in der Matrixsprache zu
bleiben: wenn die Kommunalitäten (Anteil jeder Variablen, der von Faktoren
aufgeklärt wird - h2 - gleich bleiben, die ja bekanntlich die
Summe der Quadrate der Faktorladung auf die einzelnen Variablen ist) feststehen,
so sind dadurch die einzelnen Summanden nicht determiniert (Fisseni, S.168).
Um die Faktoren genauer zu determinieren, hat Thurstone
1935 die Einfachstruktur vorgeschlagen, d.h. die Faktoren so zu legen,
daß die maximalen Ladungen auf sie möglichst hoch, die minimalen
dagegen möglichst klein sind. Dazu können die gefundenen
Faktorenachsen solange im Raum rotiert werden, bis die entsprechende
Funktion erfüllt ist. Vorteil ist die bessere psychologische
Interpretierbarkeit der Faktoren, da nun geguckt werden kann, was die Variablen,
die auf diesem Faktor hoch laden, denn gemeinsam haben. Somit sind auch
Replikationsstudien leichter möglich, da wenigstens die Chance besteht,
daß gleichartige Faktorensysteme rauskommen. Durch schiefwinklige
Rotation kann u.U. die Einfachstruktur besser erreicht werden, jedoch wird
dabei die Orthogonalität, d.-h. die linieare Unabhängigkeit der
Faktoren aufgegeben. Es stellt sich allerdings die Frage, warum die
Grundcharakterzüge des Menschen völlig unabhängig voneinander
auftreten sollten? Wird schiefwinklig rotiert, dann ist es auch möglich,
über die gefundenen Faktoren eine zweite Faktorenanalyse laufen zu lassen
und so zu Sekundärfaktoren zu gelangen, die allerdings noch schwerer
interpretierbar sind als die Primärfaktoren. Manche mögen´s
heiß und handeln mit Tertiärfaktoren, ob das aber noch Psychologie
ist und nicht viel mehr Mathematik, sei dahingestellt und stehengelassen.
Zur überprüfung der Faktoranalyse wurden
Plasmoden-Studien durchgeführt. Plasmoden sind konkrete Modelle, deren
Grunddimensionen und Merkmalskorrelationen bereits bekannt sind. Thurstone
untersuchte 1940 das “Schachtelproblem”, er erhog 26 verschiedene
Maßwerte von Quadern (wie Umfang, Oberfläche, Diagonalenlänge
etc.) und ließ eine Faktorenanalyse drüberlaufen. Es ergaben sich
drei Faktoren=Grunddimensionen, die sich unschwer als Länge, Breite und
Höhe interpretieren ließen.
Cattell bezeichnet Faktoren als “source
traits” (Grundwesenszug) im Gegensatz zu den “surface traits”
(Oberflächenwesenszug), die bereits aus der Korrelationsmatrix ablesbar
sind oder sich sogar im Alltag als Syndrom manifestieren.
Grundwesenszüge lassen nicht nur eine größere
Beschreibungsökonomie und Stabilität als
Oberflächenwesenszüge erwarten, sondern “versprechen auch,
die realen, der Persönlichkeit zugrundeliegenden strukturalen
Einflüsse zu sein, auf die wir uns im Zusammenhang mit
Entwicklungsproblemen, mit der Psychosomatik und Problemen der dynamischen
Integration notgedrungen einlasse müssen” (1950).
Oberflächenwesenszüge sind nach Cattell
vor allem umweltbestimmt, sie beruhen aber auf den
Grundwesenszügen, die in ihrer Reinform genetisch bestimmt
(konstitutionell), aber durch die Umwelt überfomrt sind. Somit ergibt
sich für die meisten Charaktermerkmale eine Mischung. Vererbung hält
Cattell für nachgewiesen bei den Faktoren Schüchternheit, Intelligenz,
Dominanz-Unterwürfigkeit und Ich-Schwäche. Forschungen bezüglich
der Anlage-Umwelt-Problematik ergaben, daß es auf jeden Fall ein Gesetz
des Zwanges zur biosozialen Mitte gibt, d.h. die Umwelt tendiert dazu,
dem Ausdruck genetischer Variation prinzipiell entgegenzuwirken. Um die Anlage
und Umweltkomponenenten an Verhaltensvariation feststellen zu können,
entwickelte Cattell die Multiple-Abstract-variance-Analysis (MAVA). Testsubjekte
dürften wie üblich Zwillinge, Pfelögekinder etc. gewesen sein.
Für die Intelligenz nimmt er an, daß der Zwang zur Mitte hier nur in
einer Richtung wirkt: nur die dümmeren müssen den Durchschnitt
erreichten und deshalb mehr ihrer Intelligenz gebrauchen, während die
klügeren nicht dazu angetrieben werden, noch mehr Intelligenz zu zeigen
(wer sollte das auch kontrollieren - dazu bedarf es ja genauso intelligenter
Beurteiler). Somit müßten viele Leute, die überdurchschnittliche
Intelligenz haben, diese weniger benutzen, sofern sie sich nicht in
Teilbereichen der Gesellschaft wie Wissenschaft etc. bewegen.
Neben der Einteilung von Eigenschaften in anlage- vs.
umweltdeterminiert und Oberflächen vs. Tiefeneigenschaften nimmt
Cattell auch an, daß es neben den allgemeinen auch einzigartige
Eigenschaften gibt, womit er sich Allports Position annähert. Bei
näherem Hinsehen entpuppen sich die einzigartigen Eigenschaften meist als
Manifestationen von allgemeinen: So kann sich Wagemut z.B. in der Eigenschaft
des Hobbys des Fallschirmspringens äußern. Lediglich die
freundschaftliche Beziehung von Robinson zu Freitag dürfte wohl völlig
einzigartig sein.
Persönlichkeit wird definiert als dasjenige,
das Verhalten eines Menschen in einer bestimmten Situation bestimmt. Durch
Kenntniss der Persönlichkeit wird somit eine Verhaltensvorhersage
möglich. Um Verhalten zu erklären und prognostizieren zu können,
geht Cattell axiomatisch davon aus, daß das 1) Verhalten auf eine Reihe
von Grundwesenszügen zurückzuführen ist, die 2) deren
Dimensionen den meisten (bis allen) Menschen gemeinsam sind. Die
Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit der individuellen
Persönlichkeitsstruktur ergibt sich aus der spezifischen Zusammensetzung
der einzelnen Eigenschaften und ihrem Zusammenwirken im konkreten Verhalten.
Somit ist menschliches Verhalten multipel determiniert, nämlich
durch alle Faktoren, auf der eine Handlung lädt. ´
Um zu den Grundeigenschaften zu kommen, unterschied
Cattell von vorneherein nach dem Warum (dynamische Wesenszüge =
Motivation, unterteilt in Ergs, Sentiments und Einstellungen), dem Wie
(Temperament) und dem Womit (Fähigkeiten) des Verhaltens.
Somit wäre konkretes Verhalten einer spezifischen Situation vorherzusagen
aus der folgenden Summe: Jeder Faktor der Motivstruktur in seiner
personspezifischen Ausprägung * der Wichtigkeit des Faktors für die
Situation (Gewichtung) + dasselbe für Temperaments- und
Fähigkeitstruktur (wobei die Koeffizienten auch 0 sein dürfen), was
dann auch die fertige Spezifikationsgleichung bei Cattell ist.
Cattell schuf den Begriff der
Persönlichkeitssphäre (1946), welcher die Totalität des
menschlichen Verhaltens meint. Somit fällt alles, was von einer Person
erfaßt werden kann, in die Persönlichkeitssphäre. Cattell
unterscheidet hier zwischen L-, Q-, und T-Daten: L(ife)-Daten sind
objektive Daten wie biografische Angaben (Zahl der Vereinsmitgliedschaften,
Krankheiten, ...), aber auch Verhaltensbeschreibungen von Leuten, die eine
Person “sehr gut kennen” (Freunde, Kollegen, ...).
Q(uestionnaire)-Daten sind subjektiv und in hohem Maße
anfällig für willkürliche und Verfälschungstendenzen, da sie
Selbstauskünfte einer Person auf einem Fragebogen sind. T(est)-Daten
schließlich sind Leistungsdaten aus der Konfrontation einer Person mit
standardisierten Anforderungen. Sie sind somit die objektivsten Daten in der
Troika.
Im Laufe seiner Forschungsarbeit kümmerte sich
Cattell zunächst um die Aufdeckung der grundlegenden Faktoren des
Tempreaments, und zwar dies zunächst nur durch L-Daten (genauer:
Einschätzungen durch Dritte). Um überhaupt Grundmaterial für
seine Arbeit zu haben, nahm Cattell die Temperamentsbezeichnungen aus Allports
und Ogberts (1936) psycholexikographischer Studie. “Besonders in Sprachen
mit einer hochentwickelten Literatur ist es wahrscheinlich, daß jeder
unterscheidbare Aspekt des Verhaltens verbalisiert wurde.” Durch das
Weglassen von Synonymen (welches durch einen Psychostudenten und einen
Literaturstudenten unabhängig voneinander erfolgte) reduzierte Cattell die
Anzahl der Wörter von 4504 auf 160 (sic! - das können ja wohl nicht
nur Synonyme gewesen sein!!!), denen er elf Wortpaare aus dem ereich der
Interessen und Fähigkeiten hinzufügte. Diese 171 Begriffe wurden
interkorrelliert (100 Erwachsenen, die repräsentativ fpr die
Bevölkerung der USA waren, wurden eingestuft), so daß nachher 35
Bündel von Eigenschaften übrig blieben. Auf dieser 35-dimensionalen
Skala wurde eine Stichprobe von über 200 männlichen (oops!)
Erwachsenen von zwei Beurteilern unabhängig voneinander eingeschätzt.
Eine Analyse der Ergebnisse ergabe 15 Faktoren, die mit den ersten
Buchsatebn des Alphabets bezeichnet wurden. Von diesen Faktoren waren 3 nicht
interpretierbar, was die Auslassung der Buchstaben D,J und K erklärt.
Später, als die Forschung sich auf Q-Daten ausweitete, wurden neben diesen
12 interpretierbaren noch 4 weitere Faktoren gefunden. Cattell tobte sich
beim Erfinden von Namen für diese Faktoren aus, was uns durch die deutsche
übersetzung von Schneewind dankenswerterweise erspart wird. Kostprobe:
Faktor H “Soziale Initiative” heißt “parmia” - ein
Zusammenzug aus parasymphatic immunity. Hierbei hat Cattell den Vorteil, den
eine Wortneuschöpfung hat, nämlich, daß sie nicht mit alten und
Alltags-Konnotationen verbunden ist, dadurch zunichte gemacht, daß er eine
Hypothese über den Ursprung des Faktors im Namen verpackte. Generell aber
dürften die Wortneuschöpfungen den Vorteil der Kodierungsfunktion
haben, d.h. Cattell hat sich seinen eigenen Bewußtseinsbereich mit diesen
Wörtern geformt. Für ihn dürfte deren Bedeutung so klar vor Augen
sein ”wie für einen Astronomen die Sternbilder sind”. Leute,
die sich in seine Theorie einlesen wollen, stehen dafür einer Fremdsprache
gegenüber, die Wörter besitzt, die in ihrer Muttersprache nicht
vorkommen. Faktoren, die er noch nicht
interpretieren konnte, hat Catell zunächst mit Nummern versehen, den
sogenannten Universalindizes (UI). Im folgenden
als Faktorbezeichnungen also die übersetzungen von Schneewind. Die Faktoren
sind nach der Größe der von ihnen erklärten Varianz sortiert.
Die 16 Faktoren (temperament-traits) wären:
A: Affektothymie: warmherzig, extravertiert,
unkompliziert vs. reserviert, zurückhaltend, unbeweglich
B: Intelligenz: hohe
erworbene/bildungsabhängige I., rasche Auffassung, hohe intellektuelle
Anpassungsfähigkeit vs. geringe Problemlösefähigkeit, langsames
Wahrnehmungsvermögen, geringes Abstraktionsvermögen
- Intelligenz muß sicherlich nicht nur zu den
Temperaments, sondern auch zu den Fähigkeitsfaktoren gerechnet
werden, was aber nicht schlimm ist, weil Charakter und Fähigkeiten
vielleicht wirklich korrellieren.
C: Ich-Stärke: emotional stabil,
realitätsbezogen, ausgeglichen vs. wenig stabil, leicht erregbar, unstete
Verhaltensdiposition
E: Dominanz: Bestimmtheit, Ich-Durchsetzung
Anmaßung, Unbeugsamkeit vs. Unterwürfigkeit, Ergebenheit,
Nachgiebigkeit, Fügsamkeit
F: überschwenglichkeit: unbekümmert,
enthusiastisch, ausdrucksfreudig, optimistisch vs. gesetzt, ernst, wenig
mitteilsam, besorgt, nachdenklich
G: über-Ich-Stärke: gewissenhaft,
ausdauernd, plficht- und verantwortungsbewußt vs. unbeständig,
leichtfertig, nachlässig, unzuverlässig,
gleichgültig
H: Soziale Initiative: unternehmungslustig,
sozial aktiv, zugänglich, freundlich, gesellig vs. schüchtern, scheu,
zurückgezogen, soziale ängstlichkeit
I: Feinfühligkeit: sensibel, sanft,
zartbesaitet, behütet-verwöhnt vs. hart, unsentimental, praxis- und
realitätsbezogen
L: Argwohn: mißtrauisch,
unversöhnlich, mißgünstig vs. Vertrauen, Verständnis,
Duldsamkeit
M: Unbekümmertheit: Phantasie,
Einfallsreichtum, Unkonventionalität, Orientierung an wirklichkeitsfernen
Ideen vs. nüchtern, phantasielos, konventionell, stark
realitätsbezogen
N: Gewandheit: weltmännisch-geschickt,
sozial anpassungsfähig und überlegen, wirken emotional eher
überkontrolliert vs. Spontanität, Naivität, Natürlichkeit,
Anspruchslosigkeit, Ungeschick im Sozialkontakt
O: Schuldneigung: skrupulöse Personen, die
zu Selbstvorwürfen und Selbstbezichtigungen neigen vs. unbesorgt-furchtlos,
unkompliziert, vital-tatkräftig bis skrupellos
Q1: Progressivität:
experimentierfreudig, progressiv vs. konservativ
Q2: Eigenständigkeit:
Selbstgenügsamkeit vs. Gruppenabhängigkeit, Mitläufertum,
Wunsch nach sozialer Anerkennnung
Q3: Selbstkontrolle: ausgeprägte
Willensvorstellungen, (zuwanghaft) hohes Maß an Selbstkontrolle,
selbstgesteckten Zielen wird genau gefolgt, soziale Regeln werden sehr genau
genommen vs. geringes Maß an Selbstdisziplin, Nachlässigkeit in bezug
auf soziale Regeln, Rücksichtslose
Bedürfnisbefriedigung
Q4: Nervöse Spannung: gespannt,
leicht reizbar, irritierbar, unruhig-getrieben vs. ruhig, gelassen, nicht aus
der Fassung zu bringen, hohes Maß an Frustrationstoleranz
(Später hat Cattel weitere 7 Faktoren
“gefunden”, was hier aber nicht interessieren soll.) Auf den ersten
Blick ist ersichtlich, daß diese Faktoren nicht unabhängig
voneinander sind. So hat Cattell 8 Sekundärfaktoren ermittelt, von denen
die ersten vier im Standardfragebogen 16PF Anwendung finden: Extraversion,
Angst, Gefühlsbetontheit, Unabhängigkeit.
Die Fragen aus dem 16PF sind die
üblichen Doof-Fragen, die mensch erwarten würde, wobei es immer nur
zwei möglichkeiten der Wahl gibt:
Bei gleichem Gehalt wäre ich lieber a)
Chemiker in der Forschung b) Geschäftsführer in einem Restaurant etc.
Cattell entwickelte verschiedene Versionen des 16PF
für Kinder und Jugendliche, daß überprüft werden konnte,
wann sich die einzelnen Faktoren ausdifferenzieren und wie sich diese im Laufe
des Lebens verändern. Als Beispiel sei erwähnt, daß die
Ich-Stärke bis zum 40. Lebensjahr in der Regel zunimmt und daß sich
für 4-6 jährige nur 8 der 16 Faktoren finden lassen. Für die
kranken Geister entwickelte Cattell das Minnesota Multiphasic Personality
Inventory und kam auch hier zu 12 Dimensionen der (pathologischen)
Persönlichkeit. Als Cattell daran ging, auch T-Daten zu
faktorisieren, erhielt er 21 Primärfaktoren. Test sind hier z.B. der
Cold-Pressor-Test, bei dem die physiologische Reaktion einer Person gemessen
wird, die ihre Hand in einen Eimer mit Eiswasser steckt. Daraus ergaben sich
sieben Faktoren zweiter (und drei dritter) Ordnung. Das
erklärt Cattel damit, daß Tests ein weiteres Spektrum an
Verhaltensweisen erfassen als die nur 2 Alternativen bietenden
Fragebogenantworten. Bei den Q-Daten liefert also schon das Meßinstrument
eine Integration/Verdichtung, die bei T-Daten über eine erste
Faktorenanalyse erfolgen muß. Allerdings entsprechen nur 2 der
Sekundärfaktoren der T-Daten genau Primärfaktoren der andern beiden
Daten.
Neben den traits, die für das Temperament
verantwortlich sind, gibt es die dynamic traits, welche für die
Motivation verantwortlich sind. Diese lassen sich unterteilen in
Einstellungen (attitude), Triebe (ergs) und Motivziele
(Sentiments).
Die Motivation zeigt sich nach Cattell direkt an
Einstellungen, wobei dieser Begriff sehr weit gefaßt wird:
Unter gegebenen Umständen (in einer bestimmten Reizsituation) möchte
(Interesse, Bedürfnis) ich (Organismus) so sehr (Motivintensität) mit
einem bestimmten Objekt (rlevantes Objekt) etwas bestimmtes tun (Handlungsziel).
Einstellungen müssen nicht unbedingt in Handlungen umgesetzt werden.
Cattell interessiert sich dabei sowohl für die Ermittlung der
Einstellungsstärke als auch für die inhaltliche Bestimmung der
Einstellungsdimensionen. Die erste Frage behandelt, wie stark welche
verschiedenen Energiequellen (Motivkomponenten) ein bestimmtes Verhalten
speisen. Einstellungsstärke = welche Faktoren beeinflussen eine
Einstellung in welchem Maße. Inhaltliche Dimension der
Einstellungsstruktur = welche Einstellungen werden von einem
zugrundeliegenden Einstellungsfaktor wie beeinflußt (auch
wichtig für dessen Benennung). Cattell suchte 68 Indikatoren für die
Erfassung von Einstellungsintensität, welche fast alle dem T-Datenbereich
angehörte. Faktorenanalysen ergaben 7 Komponenten, die die
Einstellungsstärke beeinflussen, die mit griechischen Buchstaben bezeichnet
wurden. α=
”Bewußtes Es”,
β= “Ich”,
χ =
“überich” etc. Für die Praxis wichtig sind lediglich
zwei Sekundärfaktoren, die von Cattell als integrierte bzw.
unintegrierte Motivkomponente bezeichnet und in Anlehnung an die
Psychoanalyse interpretiert worden sind als eher bewußte, am
Relaitätsprinzip orientierte (integriert) vs. eher unbewußte Formen
der Motivbefriedigung.
Triebe (ergs): ”angeborene psyschophysische
Dispositionen, die es ihren Trägern erlauben, bestimmte Reaktionsweisen
(Aufmerksamkeit, Wiedererkennen) auf einige Objektklassen leichter als andere zu
erwerben, im Hinblick auf sie ein besonderes Gefühl zu erleben und einen
Handlungsverlauf einzuleiten, der bei einer ganz spezifischen Zielhandlung eher
zu Ende geht als bei irgendeiner anderen.” (1950) Bei dieser Zielhandlung
handelt es sich im Regelfall um einen konsumatorischen Akt. Diese Beschreibung
paßt recht nett zur Definition des Instinktes bei McDougall: Wahrnehmung,
Gefühl, Zweckhandlung, Erreichen des Ziels = kognitive, affektive, konative
Komponente.
Motivziele (sentiments): ”sozialisierte,
sekundäre Triebe. größere dynamische erworbene
Wesenszugstrukturen, die ihren Träger veranlassen, bestimmten Objekten oder
Klassen von Objekten Aufmerksamkeit zu zollen und im Hinblick auf sie in einer
bestimmten Art und Weise zu reagieren.” (1950) Schneewind formuliert es
so: dynamische Strukturen, die in gemeinsamen Reaktionsmustern gegenüber
Personen, Objekten oder sozialen Institutionen sichtbar sind und mit denen alle
Personen in einem bestimmten Ausmaß ausgestattet sind. Diese
Reaktionsmuster können auch als Komplexe von Einstellungen beschrieben
werden.
Neben den 7 Faktoren, die die Einstellungsstärke
beeinflussen, sind 16 Trieb und 27 Motivzielfaktoren errechnet worden,
wobei in Cattels MAT (Motivation Analysis Test) allerdings nur 5 Triebe
(Sexualität, Selbstbehauptung, Furcht, Narzißmus, Aggression) und 5
Motivziele (Selbstbild, über-Ich, Karriere, Liebespartner, Eltern)
behandelt werden.
Im “dynamischen Gitter”, welches ein
Netzwerk von Beziehungen zwischen Einstellungen, Motivzielen und Trieben ist,
nehmen Motivziele die Position von Unter-/Zwischenzielen zwischen im Verhalten
sichtbar werdenden Einstellungen und den primären Triebfaktoren ein. Die
verschiedenen dynamischen traits sind durch das Prinzip der Subsidarität
verbunden, daß heißt, gewisse Elemente unterstützen andere
oder dienen als Mittel für ihre Zwecke. Dabei sind in der Regel
Einstellungen subsidär für Motivziele/sentiments und diese wiederum
für Triebe/ergs
Innerhalb dieses dynamischen Gitters etabliert Cattell
das Selbst als Motivziel. Dieses spielt für ihn bei der Integration
der Persönlichkeit eine entscheidende Rolle, da es den Ausdruck der
verschiedenen Triebe und Motivziele aufeinander bezieht. “An erster Stelle
ist die konstante Sorge um die Erhaltung des Organismus offensichtlich eine
Vorbedingung für die Befriedigung jedes Motivziels oder Triebes, den ein
Mensch besitzt...Das Selbstsentiment ist an der Befriedigung aller Motivziele
und Triebe mitbeteiligt, dies erklärt auch seine Stärke in der
Kontrolle anderer Strukturen” (1965).
Konflikte lassen sich in der Theorie so
formulieren: durch eine Handlung werden Triebe und Motivziele in so einem Fall
nicht einheitlich befriedigt, sondern z.T. auch mehr gespannt: als Gleichung: H
= -0,5 TSicherheit + 0,5 MNeugier + 0,2
MGewinnstreben. Das heißt, daß eine Handlung zum Beispiel
den Trieb der Sicherheit verletzt, während sie die Motivziele der Neugier
und des Gewinnstrebens unter Umständen sehr befriedigt. Die absolute Summe
sagt etwas darüber aus, ob diese Handlung vollbracht wird, in diesem Fall
wäre das die Summe aus den Faktorausprägungen der Person für
Sicherheit etc. multipliziert mit den jeweiligen Koeffizienten. Da sich
Konflikte aus unbefriedigten Bedürfnissen ergeben, schlägt Cattell als
Konfliktindex den Quotienten der Summe der Beträge der negativen
Koeffizienten durch die Summe der positiven vor (hier also 0,5/0,7). D.h. bei
mehr negativen Koeffizienten wird der Wert größer, bei mehr positiven
kleiner. Diese Rechnung unterstellt allerdings, daß jeder Trieb und jedes
Motivziel gleichberechtigt sind, was eigentlich so dumm ist, daß es nicht
wahr sein darf. Besser wär´s, hier auch die individuelle Wichtigkeit
von Trieben und Motivzielen zu berücksichtigen.
Last, but not least gibt´s die Fähigkeiten:
Während Spearman eine Generalfaktortheorie der Intelligenz, Thurstone
dagegen unabhängige Intelligenzfaktoren postulierte, integrierte Cattell
die Befunde. Er unterscheidet zwischen fluider (schnelles Schalten,
sofort im Bilde sein, Verhaltensweisen, die angewiesen sind auf einen gut
funkionierendes ZNS und damit kulturunabhängig) und kristalliner
(übung, sichtbar z.B. beim Problemlösen, eher spezielle
Fertigkeiten) Intelligenz. Letztere kann bezeichnet werden als Resultat
aus flüssiger Intelligenz und Bildung. Beide Faktoren sind nicht schon
allein deswegen nicht unabhängig voneinander. Cattell entwickelte mit
seinen Mitarbeitern CFT (Culture Free/Fair Tests), die sprachfrei sind und zwar
nicht völlig halten, was sie versprechen, aber doch ein Schritt in die
richtige Richtung sind. Auch CFTs, also Intelligenztests, die nur fluide
Intelligenz messen sollwn, sind nicht völlig kulturunabhängig. Dies
sagt nicht unbedingt was über die Unangemessenheit der Konstrukte, sondern
eventuell nur über die Schwierigkeiten der Operationalisierung eines Tests,
der nur fluide Intelligenz messen soll, aus. Thurstones Faktoren fallen fast
alle unter kristalline Intelligenz.
Bei den den nicht-überdauernden Einflüssen auf
die Handlungen einer Person unterscheidet Cattell spezifische motivationale
Zustände (im H&L nur “Zustände”/states z.B. Hunger
etc), und allgemeine Zustände (im H&L
“Stimmungen”/sets: Depression, Müdigkeit) und Rollen (s.u.).
Auch Zustandsdimensionen wollte Cattell errechnen,
Forschungstechniken:
R-Technik: viele Leute machen viele
Tests.Ergebnis: Faktoren über alle Leute
differentielle R-Technik: viele Leute machen
viele Tests, aber zweimal. Faktorenanalyse über die Veränderungen pro
Test. D.h. jetzt wird nicht mehr danach geguckt, ob Testergebnisse gleich hoch
sind, sondern,. ob sie sich gleichgerichtet verändern, auch wenn sie
ansonsten nichts miteinander zu tun haben.
Q-Technik: zwei Menschen werden über viele
Tests verglichen, es ergibt sich ein Maß der Ahnlichkeit. Schaut so aus
wie die R-Technik mit einem Sample von 2 und mehr Tests, werden aber
anschließend die Personenähnlichkeiten korrelliert, ist es
möglich, über eine Clusteranalyse aufgrund der Tests zu einer
Typologie von Personen kommen.
P-Technik: ein Leut macht über die Zeit
viele Tests. Faktoren für ein Leut über die Zeit, d.h. es macht sich
sowohl bemerktbar, wie die Faktoren statisch zusammen stehen als auch, wie sie
sich dynamisch zusammen verändern.
Theoretisch bestünde die Möglichkeit, hier
idiosynkratische Faktoren aufzudecken, allerdings spricht das verwendete
Untersuchungsmaterial und die Vielzahl der gefundenen Faktoren nicht unbedingt
dafür, und so wurden auch stets ähnliche Ergebnisse wie in der
differentiellen D-Technik erzielt, was Cattell zu der Behauptung verleitete,
daß die Zustände angeborene Reaktionsmuster sind, die physiologisch
und erfahrungsmäßig von Person zu Person ähnlich ausfallen. Es
wurden 12 Zustandsdimensionen gefunden, von denen 8 im
“Eight-State-Questionnaire” abgefragt werden: Extraversion, Angst,
Depression, Erregung, Müdigkeit, Streß, Regression, Schuld. Daten aus
dem Q- und T-Bereich unterstützen diese Befunde. Auch hier zeigt sich
wieder, daß die Sekundärfaktoren der T- Daten mit den
Primärfaktoren von Q- und L-Daten vergleichbar sind.
Die Existenz von Zustandsdimensionen bedeutet, daß
diese auch in die Spezifikationsgleichungen aufgehoben werden müssen.
Deswegen nimmt Cattell für jede Zustandseigenschaft eine korrespondierende
Zustandsneigungseigenschaft an. Dabei ergeben sich interindividuelle
Unterschiede in dieser als Eigenschaft konzipierten Anfälligkeit für
Zustandsänderungen. Auf demselben Wege lassen sich Rollenfaktoren
finden, für die Personen auch mehr oder weniger
“anfällig” sein können. Da Rollenfaktoren und
Zustandsdimensionen nur unter bestimmten situativen Bedingungen zum tragen
kommen, dann aber das gesamte Verhalten einer Person beeinflussen/modulieren,
nennt Cattell diese Modulatorfaktoren. Dies bedeutet eine genauere
Möglichkeit zur Verhaltensvorhersage, allerdings um den Preis einer
weiteren Verkomplizierung der Spezifikationsgleichung.
Der soziale Kontext/Gruppen: Cattell untersuchte
auch die “Persönlichkeit” von Gruppen (Syntalität, wie er
es nannte), um diese in Beziehung zu den Persönlichkeiten der
Gruppenmitglieder zu setzen. Dabei kann untersucht werden, inwieweit in Gruppen
einheitliche Charaktere vorhanden sind bzw. geprägt werden (Familie), aber
auch, wie sich Gruppen mit unterschiedlicher Syntalität zueinander
verhalten. So stellte Cattell eine Reihe von Beschreibungsdimensionen der
Syntalität von Nationen bereit, wobei nur 8 Faktoren eine Rolle zu spielen
schienen, z.B. 1) Größe 2) kultureller Druck, 3) Aufgeklärtheit
... 8) kulturelle Intgration und Moral. Die Beziehungen zwischen den
Individuellen Charakteren der Gruppenmitglieder und der Syntalität der
Gruppe wird durch Variablen der Gruppenstruktur vermittelt, deren wichtigste die
Rolle ist.
Lernen ist bei Cattell “eine
mutlidimensionale Veränderung in bezug auf eine multidimensionale
Situation”. Auch Persönlichkeit wird gelernt, um dies zu erforschen,
müssen Veränderung a) erfaßt und b) erklärt werden. Cattell
unterscheidet in der Spezifikationsgleichung zwischen Verhaltensindizes,
die angeben, wie wichtig ein Faktor für eine Situation ist und zwischen
der Ausprägung des Faktors für die Person, den
Eigenschaftskennwert. Die spezifischen Gegebenheiten, die eine eine
Situation ausmachen, nennt er fokale Reize, die übrigen anwesenden
Hintergrundreize, diese können das Verhalten modulieren, so ist es
nicht egal, wo sich ein Aggressionsmotiv in einer Handlung entlädt. In
diese Kategorie gehören auch Hinweise auf erwartetes Rollenverhalten. Somit
fungieren die Hintergrundreize als Situationsmodulatorindizes in einer
erweiterten Spezifikationsgleichung.
Vijk = bj1 *
sk1 * Ei1 + ... + bjn * skn *
Ein
b = Verhaltensindex, s = Situationsmodulatorindex, E =
Eigenschaftskennwert
i = eine bestimmter Person, j = ein bestimmtes Verhalten k = eine bestimmte Situation
i = eine bestimmter Person, j = ein bestimmtes Verhalten k = eine bestimmte Situation
Fisseni präsentiert stattdessen die
Gleichung:
Vijk =
bj1 * Ei1 + ... + bjn * Ein
+ skn + Rollenanteil
Oben könnte der Rollenanteil ebenfalls
noch als weiterer Koeffizient in jedem Summanden stehen. Die erste Gleichung
läßt sich in die zweite umfomen, indem die s und die R aus den
einzelnen Summanden herausfakltorisiert werden, umgekehrt aber nicht, somit ist
die Gleichung im H&L aussagekräftiger.
Allgemeiner läßt sich somit sagen, daß
das Verhalten ein Funktion aus Person und Umwelteigenschaften ist, wobei die
Umwelt durch die s und die Person durch die E in obiger Formel
repräsentiert ist: V = f(P,U).
Die Ursache für Verhaltensänderung ist zu
suchen in der Veränderung der Parameter der Spezifikationsgleichung, somit
in einer Veränderung von strukturellen Elementen, weswegen seine
Lerntheorie auch “Theorie des Strukturierten Lernens heißt”.
Selbstverständlich kann auch gelernt werden, ohne daß sich overtes
Verhalten ändert, weil z.B. die Motivation in dem Maße absinken kann,
wie die Fähigkeiten zunehmen. In der Psychotherapie wird an allen 3
Faktoren manipuliert: An den Eigenschaften (Person soll weniger ängstlich
sein), an den Verhaltensindexen (Reden vor Menschen hat nichts mit Angst zu tun)
und an den Situationsmodulatorindexen (und zwar egal wo).
Cattell postuliert 5 Lernprinzipien:
- Koexitationslernen: Verknüpfung von 2
gemeinsam auftretenden Erfahrungen = klassisches
Konditionieren.
- Mittel-Zweck-Lernen: entspricht im wesentlichen
dem operanten Konditionieren. Nach einer Belohnung kommt es dabei zu einer
Veränderung der motivationalen Zustände, die Cattell als
“Senkung des ergischen Spannungsniveaus” bezeichnet.
- Integrationslernen (Konfluenzlernen): bestimmte
Verhaltensweisen führen auf mehreren Motivdimensionen zur
Befriedigung
- Veränderung des ergischen Ziels:
Sublimierung
- Einsparen psychischer Energie: Triebziele
werden fortan mit weniger Handlungsmittel erreicht, was auch
unterstützender Aspekt für´s Integrationslernen
ist.
8.1.2 Anwendungsmöglichkeiten:
Hauptsächlich Persönlichkeits
(=Temperaments-)Messung (16 PF), weniger Motiv- und Fähigkeitserfassung.
Mit dem Instrument 16 PF kann einigermaßen zufriedenstellend die
Persönlichkeitstruktur erfaßt werden. Nützlich ist dies weniger
in der Klinik, für die dieses Instrument (bzw. das Minnesota-MPI) als
alleiniger Anhaltspunkt dann doch zu grob ist , eher für Zwecke wie
Berufsfindung. So lassen sich Persönlichkeitsprofile für bestimmte
Berufsgruppen feststellen, ggf. in Abhängigkeit vom Berufserfolg. Kann
dieser operationalisiert werden, z.B. Vertragsabschlüsse pro Zeiteinheit
bei einem Vertreter, so läßt sich eine Kriteriumsanalyse
durchführen. Ergebnis ist dann, daß sich z.B. die Anzahl der
Vertragsabschlüsse zusammensetzt aus 0,2*A + 0,5 * B -0,5 * L etc. D.h.
Warmherzigkeit ist positiv, aber nicht so wichtig, Intelligenz ist wichtig
für die Anzahl der Vertragsabschlüsse, wohingegen sich Argwohn negativ
bemerkbar macht. Für einzelne Personen kann geprüft werden, ob sie mit
solchen Profilen übereinstimmen. Von einzelnen Tests sollten Entscheidungen
wie Berufswahl sicherlich nicht abhängig gemacht werden, doch können
sie Grundlage für Gespräche und wertvolle Orientierungshilfen bieten.
Würde aber solchen Tests z.B. bei der Strudienplatzvergabe Macht
eingeräumt, so würde dies schnell zur Festschreibung bestimmter
Charakterzüge in bestimmten Berufen führen, was extrem übel
wäre.
Schulpsychologen schließlich können -
da Schulleistung zu 75% aufgeklärt werden kann und diese 75% sich laut
Forschungsergebnissen zu je einem Drittel aus Temperament, Motivation und
Fähigkeiten zusammensetzen - abklären, worin Auffälligkeiten
begründet sind. Cattells spricht des weiteren über eine
“quantitative Psychoanalyse”, wo der Verhandlungsverlauf
durch die P-Technik gesteuert wird. Diese ist aber noch nicht
entwickelt.
8.1.3 Bewertung:
Cattell nimmt überdauernde Verhaltensstrukturen an.
Faktoren, die in die Position der Einfachstruktur rotiert wurden, haben mit
hoher Wahrscheinlichkeit den Status von Kausalagenten, auch wenn dies nur
innerhalb eines bestimmten kulturellen Kontextes gilt. Nichtsdestoweniger nimmt
er für diese ein neurophysiologisches Substrat an, obwohl er daß
nicht müßte. Insgesamt ist seine Theorie den deterministischen
Modellen zugeordnet, wobei die neueren Versionen so komplex sind, daß sie
ins nichtdeterministische Chaos hinüberzuglietien scheinen, auch wenn
Cattell dies nicht so ohne weiteres unterschreiben würde. Aufgrund ihrer
Komplexität und den defekten Mathemodulen vieler Psychologen ist seine
Theorie zwar geschätzt, allerdings hat sie keinen besonders großen
Einfluß. Z.T. dürfte dieser fehlende Einfluß aber auch an
seiner polternden Art liegen, mit der er viele andere Ansätze verunglimpft,
die empirisch den seinen ebenbürtig wären.
Ein grundsätzliches Problem der Faktorenanalyse
ist, daß wenn die source-traits und die surface-traits nahe
beieinanderliegen, alle Leute sagen: wozu die Arbeit, daß hat mensch doch
gleich gesehen. Tut sich hingegen zwischen beidem eine Lücke auf, so kann
den ermittelten Persönlichkeitsfaktoren ein zu hypothetischer und nicht
relevantes Konstruktbündel ohne Wert sind. Ob sich Cattells Behauptung, die
source-traits würden einer angewandten Psychologie mehr bringen als die
surface-traits, muß sich erst noch erweisen.
Hier bei Cattell stehen auch die generellen Vor- und
Nachteile der Faktorenanalyse, die ebenfalls für Guildford und Eysenck
gelten:
Generell positiv:
- Explizitheit in den Formulierungen,
ökonomie in der Persönlichkeitsdarstellung,
Operationalisierung aller Begriffe - dies sind Standards, an denen
sich andere Theorien messen lassen müssen, auch wenn es die Faktorenanalyse
in der derzeitigen Form als Persönlichkeitstheorie nicht mehr gibt.
Cattell positiv:
- Cattell ist zugutezuhalten, daß er nicht
bloß eine Theorie verbrochen, sondern auch versucht hat, diese
empirisch immer wieder zu belegen, was auch an der Methode liegt, kommt
sie doch nicht ohne rauhe Mengen an Daten aus.
- Frucht der über 50-jährigen
Forschungsarbeiten ist, daß Cattell ein differenzierteres Bild von der
Persönlichkeit zu bieten hat als jeder andere Theoretiker.
- Positiv sind auch seine Versuche zur
interkulturellen Validierung der Theorie, so wurden Studien in USA; GB,
Australien, Frankreich, Italien und sogar österreich
durchgeführt.
Generell Negativ:
- Die faktorenanalytische Methode geht davon einer
Linearität im Zusammenwirken von Variablen und Faktoren sowie der
Summativität der Faktoren aus. Damit können selbst einfachste
kurvilineare Zusammenhänge nicht adäquat modelliert werden. Cattell
verteidigt sich hier mit der empirischen Brauchbarkeit seiner Befunde und mit
dem Hinweis darauf, daß neue Methoden entwickelt werden, die diese
Beschränkungen nicht mehr haben, “Qualifikationsgitter modelliert
kurvilineare Zusammenhänge”,. “Disjunktives Modell” von
Coombs und Kao (1960): wo ein Faktor erst zur Geltung kommt, wenn ein anderer
eine Mindestausprägung hat. Weitere Formen der Interdependenz incl.
Selbstverstärkung etc. sind modellierbar.
Trotzdem wurden die Grundstrukturen in Cattells Theorie mit der “alten” Technik gefunden. Hoffmanns nennt sie deswegen eine paramorphe Repräsentation - diese sei nicht falsch, allerdings könnten andere Meßinstrumente andere Ergebnisse erbringen, z.B. noch weiter differenzieren, so wie eine optische Analyse in der Chemie u.U. Stoffe zu Unterscheiden vermag, die in der chemischen Analyse gleich sind.
Allgemein geben die Kontroversen zwischen verschiedenen Befürwortern der Faktorenanalyse, die sich lautstark um Vor- und Nachteile von orthogonaler Rotation (Guildford rotiert nur orthogonal, die beiden anderen sowohl oblique, als auch orthogonal), die Festsetzung von Kommunalitäten streiten und den Status der gewonnenen Faktoren (real existierend(Cattell, Guildford) vs. deskriptives Konstrukt(Eysenck)), den Gegnern der Methode immer noch die Munition, daß diese Technik noch nicht ausgereift sei.
Trotzdem wurden die Grundstrukturen in Cattells Theorie mit der “alten” Technik gefunden. Hoffmanns nennt sie deswegen eine paramorphe Repräsentation - diese sei nicht falsch, allerdings könnten andere Meßinstrumente andere Ergebnisse erbringen, z.B. noch weiter differenzieren, so wie eine optische Analyse in der Chemie u.U. Stoffe zu Unterscheiden vermag, die in der chemischen Analyse gleich sind.
Allgemein geben die Kontroversen zwischen verschiedenen Befürwortern der Faktorenanalyse, die sich lautstark um Vor- und Nachteile von orthogonaler Rotation (Guildford rotiert nur orthogonal, die beiden anderen sowohl oblique, als auch orthogonal), die Festsetzung von Kommunalitäten streiten und den Status der gewonnenen Faktoren (real existierend(Cattell, Guildford) vs. deskriptives Konstrukt(Eysenck)), den Gegnern der Methode immer noch die Munition, daß diese Technik noch nicht ausgereift sei.
- Unterdeterminiertheit des Modells (zu starke
Grundannahme bezüglich der Kommunalität): bereits 1926 wies Wilson
darauf hin, daß durch die Faktorenanalyse die spezifische Varianz der
einzelnen Variablen vernachlässigt wird. Es wird einfach unterstellt,
daß die durch die Kommunalität verursachte Varianz schon ausreichen
wird, um irgendwelche Konstrukte zu etablieren. Diese Voraussetzung kann durch
die Faktorenanalyse nicht verifiziert werden, sondern geht als Grundannahme in
deren Rechnung ein.
- ein zweiter Einwand ist, daß die
Faktorenanalyse ja nur alle Personen gemeinsame Traits aufdeckt, diese
setzt sie sogar voraus. Jedoch gilt dieser Einwand nur für die R-, nicht
aber für die P-Technik. Wenn sich jemand die Mühe machen würde,
eine P-Untersuchung ohne Variablen aus den R-Fundus zu nehmen,
durchzuführen, könnte er zeigen, ob dieser Vorwurf berechtigt ist.
Allerdings ist dies nicht besonders wahrscheinlich, deswegen hat sich noch
niemand die Mühe gemacht, so daß für P-Untersuchungen immer die
Dimensionen der R-Untersuchungen verwendet werden.
- in teststatistischer Hinsicht entsprechen die
Daten, die in eine Faktorenanalyse eingehen, nicht immer den gängigen
Standards (wahrscheinlich, weil die eine Unmenge an Daten gebraucht werden).
Cattell nimmt für sich mehr Objektivität und empirische Fundierung in
Anspruch als seine Theorie und seine praktische Arbeit hergeben.
Cattell negativ:
- Fraglich ist, ob sich überhaupt alle Strukturen
der Persönlichkeit aus der Beschränkung auf L-, Q- und T- Daten
ermitteln lassen
- Cattell scheint eine Tendenz zur
überfaktorisierung zu haben, 3 der 8 Sekundärfaktoren des 16
PF-Tests zeigen nur für eine Variable eine substantielle Ladung. Es
erscheint etwas gewagt, einer einzelnen “Fertigkeit” Testitem den
Status eines allgemeinen Persönlichkeitskonstrukts zuzuschreiben.
- die Neologismen bereiten all denen
Kopfschmerzen, die in Cattells Theorie nicht den endgültigen Stein der
Weisen sehen wollen und sich deshalb auch andere Begriffsgerüste erhalten
oder aneignen wollen.
- die apriori-Unterteilung in Temperament, dynamische
traits und Fähigkeiten ist nicht empirisch belegt.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß
diese dem Anschein nach so objektive Theorie von sehr abhängig von
subjektiven Prämissen und Entscheidungen ist.
8.2 Hans Jürgen Eysenck
1916 in Deutschland geboren, nach England ausgewandert.
Persönlichkeit läßt sich am
besten als eine große Menge von Eigenschaften beschreiben, diese
hängen in gewissen Bündeln (cluster) miteinander zusammen.
Diese Bündel sind die Basis für Konzepte höherer Ordnung, die man
als ”Typen” oder Dimensionen der Persönlichkeit
bezeichnen kann. Die wichtigste Methode dieser Datenreduktion ist dabei die
Faktorenanalyse. Dies wird also nur zur Gewinnung von Beschreibungskonstrukten
verwendet, Eysenck nimmt nicht an, daß diese Merkmale unabängig von
der Methode gegeben sind (keine essentielle Interpretation). Eysenck sieht sich
der hypothetisch-deduktiven Methode verpflichtet: die Faktorenanalyse ist
dabei das Werkzeug zur überprüfung von Hypothesen, nicht aber zur
Generierung von übergreifenden und fundamentaleren Theorien.
Zur Hypothesenüberprüfung dient z.B. die von
Eysenck entwickelte Kriteriumsanalyse: zwei von vorneherein
unterschiedene Gruppen (Neurotiker vs. Nicht-Neurotiker bekommen einen Test
vorgelegt), die Ergebnisse getrennt eine Faktorenanalyse unterworfen, dann die
Faktoren, die sich ergeben, mit dem Kriterium der Gruppentrennung korrelliert.
So kann z.B. ein Faktor so lange rotiert werden, bis er auf dem Kriterium hoch
lädt. (so, als würde als als zusätzliches Testergebnis wird
Neurotizismus 0 vs. 1 angenommen und dann zu den anderen in Beziehung gesetzt).
maximal. So rotierte er in einer Untersuchung den Neurotizismusfaktor, bis er
maximal deutlich zwischen neurotischen und nichtneurotischen Soldaten
unterschied. Getreu dem hypothetisch-deduktiven Ansatz muß dabei für
das Kriterium gelten, daß es nicht aus den Tests resultiert, die zu der
Analyse verwendet werden, weil sich sonst eine zirkuläre Definition ergibt.
Darüberhinaus sollte es so gewählt werden, daß es einer Theorie
entspricht, die erklären kann, warum es ein geeignetes Maß (=
Bezeichnung?) für einen Faktor, nicht aber für andere ist, was
Willkürlichkeit ausschließen soll.
Für Eysenck ist die Persönlichkeit
hierarchisch organisiert:
- unterste Ebene sind hier die Spezifischen
Reaktionen, Verhaltensweisen, die nur einmal beobachtet werden und über
die deswegen nicht gesagt werden kann, ob sie nun gerade für ein Individuum
charakteristisch sind oder nicht. Ihnen entspricht der
Fehlerfaktor
- als nächstes kommen die Gewohnheiten,
womit Verhaltensweisen gemeint sind, welche ein Minimum an Stabilität
aufweisen: in ähnlichen Situationen reagiert des Individuum in
ähnlicher Weise, wobei sich der Grad der Konsistens in der
Reliabilität messen läßt. Diesen entspricht der spezifische
Faktor
- dritte Ebene sind die traits, diese ergeben
sich aus der Interkorrelation mehrerer Gewohnheiten, es handelt sich hierbei um
Faktoren erster Ordnung, und zwar in der Regel um Gruppenfaktoren.
- die oberste Ebene schließlich sind die types,
welche sich wiederum aus der Korrelation verschiedener traits ergeben. Diese
sind allgemeine Faktoren (laden auf jeder Handlung) und logischerweise Faktoren
2. Ordnung. Eysenk unterscheidet auf dieser Ebene nur noch 3 Dimensionen:
Neurotizismus, Extraversion/Introversion und Psychotizismus, die er in
angeborenen physiologischen Strukturen fest verankert sieht. Die hier
festzustellenden Unterschiede sind, in Wechselwirkung mit Umwelteinflüssen,
für daß Entstehen der phänotypischen, meß- und
beobachtbaren Verhaltensmuster verantwortlich. Auch er arbeitete mit Ratings,
Fragebögen, Situationstests und physiologischen Maßen.
Alle 3 Grunddimensionen werden als Kontinuum mit 2 Polen
gedacht (vgl. Kretschmer):
Neurotizismus: Emotionale Stabilität und
Neurotizismus sind Extrempole einer Eigenschaft, die als Kontinuum gedacht wird.
Neurotizismus korreliert mit Launenhaftigkeit, Schlaflosigkeit,
Minderwertigkeitsgefühlen etc. Als physiologische Basis wird das
autonome Nervensystem angenommen.
Extraversion/Introversion: E: Soziabilität,
Impulsivität, Aktivität, Heiterkeit etc. Galley vertritt Eysencks
Theorie, daß der Ursprung dieser Eigenschaft in geringer vs. hoher
kortikaler Erregbarkeit liegt. Diese Vorstellung stammt aus der Lerntheorie
(Rattenforschung: Pawlow, Watson). Geringe Erregbarkeit meint damit, daß
Personen schwerer zu konditionieren sind und schneller Extinktion zeigen, hohe
Erregbarkeit, daß Personen leichter zu konditionieren sind und daß
deren Verhaltensweisen auch länger vorhalten. Introvertierte sind laut
Eysenck kortikal leicht erregbar, sie brauchen keinen exzessiven Input, um
eine angemessene Erregung zu schaffen, lernen in Situationen, die mit Angst
assoziert sind, eher (d.h. bei niederschwelligeren Reizen)
Vermeidungsreaktionen, sind also ängstlicher und leichter konditionierbar.
Extravertierten schlägt Erregung weniger auf den Kortex und
können/müssen sich deswegen mehr Erregung leisten, was zu
Sponatintät, Ungehemmtheit, größerer sozialer Aktivität
etc. führt.
Realismus vs. Psychotizismus: P: einzelgänger,l der
sich nichts aus Menschen macht, Mangel an Gefühl und
Einfühlungsvermögen, feindliche Gesinnung der restlichen Welt
gegenüber, Aggressionen selbst gegenüber geliebten Personen, Vorliebe
dafür, andere aus der Fassung zu bringen, d.h. Sozialkontakte ad absurdum
zu führen. Genetisch sieht Eysenck enge Verbindungen von Pychotizismus
und Psychose, was er durch Untersuchungen, die bei psychotikern und
Kriminellen hohe Psychotizismuswerte ergab, bestätigt sah.
Eysenck übernimmt von Aristoteles und Galeneus das
Schema der vier Temperamente und ordnet diese in Kontinuum der
Dimensionen Extra-/Introvertiert und Neurotizismus/emotionale Stabilität
an, wobei nunmehr auch Mischformen zulässig sind: Choleriker (E,N),
Sanguiniker(E,eS), Melancholiker (I,N), Phlegmatiker(I,eS). Sanguiniker =
gesellig, aufgeschlossen, redseelig, reaktiv, sorglos, anrührend, der Rest
ist das, was mensch sich denkt. Die Dimensionen Stabilität/Neurotizismus
und Extra-/Introversion finden sich bei Jung, die Vorstellung eines
Kontinuums zuwischen pathologischem und normalen Verhalten bei Kretschmer.
Schließlich gibt es nocht die oben erwähnten Anleihen bei den
Ratten- und Hundeforschern Pawlow und Watson.
Neben den drei bis jetzt beschriebenen Dimensionen der
Persönlichkeit steht die Intelligenz, welche Eysenck mit ”angeborener
allgemeiner kognitiver Fähigkeit” definiert. Diese ist seinen
Forschungsergebnissen (Zwillingsforschung , Pflegeeltern) Meinung nach zu 80%
gnetisch und zu 20% umweltdeterminiert. Eysenck sieht mehrere Unterschiede in
der Intelligenz zwischen Männern und Frauen als erwiesen an (1976). Zum
einen seien Männer und Frauen im Durchschnitt gleich intelligent, aber
bei den Männern sei die Varianz größer - das bedeutet neben
der Tatsache, daß es mehr völlig blöde Männer gibt,
konkret, daß unter den wirklichen Genies nur männliche Mitmenschen zu
finden sein sollten. Sehr empfehlenswert sind die kritischen Anmerkungen im
Geschlechstunterschiede bei Anastasi zu dieser These!!! Der zweite Unterschied
dürfte im Gegensatz zum ersten als allgemein anerkannt gelten: Frauen haben
höhere verbale Fähigkeiten, Männer einen besseren
Orientierungssinn, allgemeiner gesagt, einige Einzelfähigkeiten
können sich unterscheiden.
Wie Guildford hat auch Eysenck ein Quadermodell der
Intelligenz postuliert. Die drei Dimensionen sind: 1) die verschiedenen
psychischen (besser kognitiven) Prozesse wie Wahrnehmen, Denken, Merken etc. 2)
das Material (verbal, numerisch, räumlich), 3) die Qualität
(Schnelligkeit, Komplexität der kognitiven Prozesse). Nach Eysenck ist
für Unterschiede in der Intelligenzleistung vor allem der ”mental
speed” verantwortlich (auch hier sind Galleys Positionen zu erkennen).,
und zwar in dem Maße, daß die allgemeine Intelligenzleistung mit dem
Faktor für geistige Geschwindigkeit gleichgesetzt werden kann.
Zur Erfassung der drei Persönlichkeitsdimensionen
und einer ”Lügentendenz”, die zur Bereinigung der Q-Daten
dienen soll, hat Eysenck eine Vielzahl von Fragebögen entwickelt, der
letzte im Fisseni erwähnte ist 1975 (Eysenck Personality Questionnaire)
publiziert. Genau wie bei Guildford werden die Fragebögen zum Ende von
Eysencks Karriere umfangreicher an Items und
Skalen.
8.2.1 Bewertung:
Zu generellen Vor- und Nachteilen der Faktorenanalyse
s.o. Positiv ist die Beschreibungsökonomie, die mit nur 3 (bzw. 4)
Grunddimensionen der Persönlichkeit auskommt. Kehrseite ist allerdings,
daß nur diese Dimensionen zur völligen Verhaltenserklärung- und
-vorhersage zu unscharf sind, Frage ist auch, ob sie überhaupt
ausreichen, um eine Persönlichkeit auch nur zu beschreiben. Eysenck geht
nicht auf die Individualität ein.
Während Cattell überfaktorisiert, kann Eysenck
somit ”Unterfaktorisierung” vorgeworfen werden. Die Dimension
Extra-/Introversion z.B. scheint aus den (unabhängigen) Faktoren
Geselligkeit und Impulsivität zusammgengestzt zu sein (Amelang/Bartussek
1981). Kritik ist auch möglich bezüglich der Hauptdatenquellen, die
bei Eysenck im wesentlichen aus Fragebögen bestand. So unterscheiden
sich Normale im Vergleich zu Neurotikern bei Ausfüllen eines solchen
Instruments nicht nur unter Umständen systematisch in der Motivationslage,
sondern auch in der Fähigkeit zur realistischen Selbsteinschätzung.
8.3 P. Guildford:
(geb. 1897) wurde in erster Linie durch sein
Intelligenzstrukturmodell bekannt, welches besser Gesamtstrukturmodell des
Verhaltens heißen sollte.
Persönlichkeitsdefinition: Die
Persönlichkeit eines Individuums ist seine einzigartige Struktur von
Wesenszügen. Wesenszug := jede Art von unterscheidbarem,
vergleichsweise überdauerndem Merkmal, in dem sich ein Individuum von
anderen abhebt. Dabei kann das Merkmal sowohl eine Einstellung wie auch jedes
andere seelische oder auch körperliche Merkmal sein. Nützlich zur
Beschreibung einer Persönlichkeit sind aber keinesfalls alle
Merkmalslisten, sondern lediglich die, die 6 Forderungen
erfüllen:
1) Jeder Begriff sollte sich auf eine empirisch
nachweisbare Einheit in der Persönlichkeit beziehen - Gegenbeispiele
ist z.B. ”Charme” (kein einheitliches Verhalten).
2) Jeder Begriff eines Wesenszug sollte so genau
wie möglich gefaßt sein, d.h. nur einen Gegenstand
bezeichnen
3) Der Begriff eines Wesenszuges sollte sich in eine
allgemeine Persönlichkeitstheorie einordnen lassen, d.h. als
Systembaustein verwendbar sein.
Die nächsten 3 Forderungen sind bezogen auf die
Liste von Wesenszügen:
4) ökonomie: es sollte die minimale Zahl von
Wesenszügen gewählt werden, die zur Personbeschreibung ausreichen.
(Nicht mehr als nötig)
5) Umfassende Abdeckung der Phänomene.
(Nicht weniger als nötig)
6) Die Liste sollte unter wissenschaftlichen Psychologen
konsensfähig sein.
Guildford gibt drei Möglichkeiten an, die
Persönlichkeit zu beschreiben, zunächst als
deskriptive Aufzählung von
Persönlichkeitsmerkmalen: Person ist eine Ganzheit, die sich
unter verschiedenen 4 Perspektiven betrachten läßt, wobei 7 Gruppen
von Wesenszügen differenziert werden können. Dies ist in einer
Sternfigur dargestellt (Fisseni:192).
- Im Bereich des Somas liegen die Physiologie
(organische Funktionen wie Herzschlag, Stoffwechsel etc) und die Morphologie
(Körperbau - wobei dieser zwar in Trdition Kretschmers behandelt, nicht
jedoch als verhaltensdeterminierend erachtet wird).
- im Bereich der Motivation befinden sich
Bedürfnisse (grundlegende Wünsche, z.B. nach Anerkennung), Interessen
(lang anhaltende Wünsche, sich bestimmten Tätigkeiten zu widmen) und
Einstellungen (beziehen sich auf soziale Sachverhalte wie ”sollte der
Papst erschossen werden oder nicht?” - NB: Fissenis Beispiele sind
keinesfalls geschmackvoller)
- Im Bereich des Temperaments gibt es keine
weitere Unterscheidung, es geht um die ”art, wie jemand etwas tut”
- Im Bereich der Fähigkeit befindet sich
alles, was Voraussetzung für Tätigkeiten ist, auch hier differenziert
Guildford nicht weiter.
Die zweite Möglichkeit der Personendarstellung ist
die faktorenanalytische: Diese betrachtet die Person als verortbar in
einem n-dimensionalen trait-Raum: In den frühen dreißiger Jahren
zeigte Guildford in einem Aufsatz, daß Items, die eigenlich nur die
Dimension Extra-/Introversion bestimmen sollten, auf mehrere
Persönlichkeitsfaktoren laden. Aus diesen Untersuchungen wurde später
das Guildford-Zimmerman Temperament Survey (1949), welches 10 faktorisierte
Wesenszüge mißt, darunter generelle Aktivität,
Freundlichkeit, maßvolles Verhalten vs. Zurückhaltung,
Durchsetzungsvermögen, Männlichkeit etc. Das Guildfords Liste nur
teilweise mit Cattells überlappt, dürfte nicht zuletzt daran liegen,
daß Guildford orthogonal rotiert.
Die dritte Möglichkeit, eine Person darzustellen,
ist das hierarchische Modell: auf der untersten Ebene befindet sich das
Niveau der spezifischen Handlungen (konkret in einer Situation ins Kino
gehen), auf der nächsten Ebene sind Verhaltensweisen, die Gewohnheiten
bilden, von Guildford ”Hexen (sg. Hexis)” genannt: (wie gerne
ins Kino gehen, gerne in die Kneipe gehen), darüber befinden sich
primäre Wesenszüge wie ”Geselligkeit”, auf der
obersten Ebenen werden Typen festgestellt, die so abstrakt sind,
daß diese nur noch mit griechischen Buchstaben bezeichnet sind.
Das hierarchische Modell ist anschaulicher als das
faktorenanalytische. Durch f. gewonnene Faktoren können die obersten drei
Ebenen des hierarchsichen Modells bezeichnen.
Die Faktoren ordnete Guildford den vier bereits beim
”deskriptiven Modell” verwendeten ”Natürlichen
Modalitäten” zu:
- Somatische Dimensionen:
- hier bleibt die Gliederung zwischen morphologischen
und physiologischen Dimensionen bestehen. Zu letzterem gehört auch die
Unterscheidung ”Parasympathicus oder symphaticus vorherrschend, wobei bei
letzterem eine Neigung zu neurotischem Verhalten besteht.)
Fähigkeit und Eignung: Fähigkeit ist
beobchtbar, eine Eignung das, was zugrunde liegt. Damit verwendet Guildford die
Begriffe anders als die normale Psychomotorik, die Guildfords Eignung
Fähigkeit und Guildfords Fähigkeit Fertigkeit nennt. hier lassen sich
drei Klassen bilden:
- Dimensionen der Wahrnehmung: diese sind weiter
unterteilt in Sinnesmodalitäten (wie visuelle Farbtüchigkeit,
Wahrnehmungsschwellen etc), einen Aufmerksamkeitsfaktor, und andere Faktoren
(wie Bewegungssehen, Längenschätzung etc.)
- Dimensionen der Psychomotorik (unterteilt in
Stärke, Schnelligkeit, Genauigkeit, Bewegunskoordination, ...)
- Dimensionen der Intelligenz, aufgeteilt wie
folgt:
-- Gedächtnis und
-- Denken ist wiederum geteilt:
--- Kognition
--- Evaluation
--- Produktion welche aus
------ divergenten und konvergentem Denken
besteht.
Gedächtnisfaktoren: visuelles und auditives
Gedächtnis, G. für räuml. und zeitl. Ordnung
Denken hängt nach Guildford von folgenden
drei Bereichen ab:
- Kognition: Fähigkeit, Informaion zu
erkennen bzw. wiederzuerkennen
- Evaluation: Fähigkeit, zu entscheiden, ob
Sachverhalte richtig, schlüssig, brauchbar sind.
- Produktion: ist die Fähigkeit, bekannte
Information anzuwenden, manchmal, um neue Information zu gewinnen. Diese teilt
sich auf in konvergentes Denken, welches auf die richtige Lösung
einer Aufgabe mit nur einer solchen hinausläuft und divergentes Denken,
welches für Aufgaben gebraucht wird, die viele Lösungen zulassen
(z.B. ”Zähle so viele xyz wie möglich
auf”).
Das Zusammenwirken der Intelligenzfaktoren hat Guildford
im Quadermodell der Intelligenz dargestellt: Die drei Achsen des Quaders sind
Operationen, Inhalte und Ergebnisse der Intelligenz benannt. Die 5
Operationen der Intelligenz sind Gedächtis, Kognition, Evaluation,
konvergentes und divergentes Denken, die 4 Inhalte der Intelligenz sind
bildlich, symbolisch, semantisch, in Verhaltensweisen und die 6 verschiedenen
Arten der Ergebnisse der Intelligenz sind Einheiten (z.B.
Wörter, die sich auf xyz reimen), Klassen (Taxonomie von Elementen),
Beziehungen (zwischen gegebenen Elementen erkennen), Systeme (eine Satruktur aus
Elementen bilden), Transformation (eine Struktur in eine andere
überführen), Implikationen (unausgesprochene Voraussetzungen
erfassen). Der Quader besteht somit aus 4*5*6 = 120 Faktoren der Intelligenz,
von welchen Guildford 1971 98 für verifiziert hielt. Das Quadermodell
bietet somit den theoretischen Hintergrund für die inhaltliche Benennung
von gefundenen Faktoren. Es ist allerdings zu fragen, warum mensch von 120
Intelligenzfaktoren ausgehen sollte und nicht von 4+5+6 = 15. Der Grundsatz der
Beschreibungsökonomie ist im Quadermodell der Intelligenz wohl nicht mehr
gegeben. Auch in anderen Bereichen pflegte Guildford die
Beschreibungsdimensionen in zwei- bis dreidimensionalen rechteckigen Tabellen
anzuordnen. Die leeren Stellen dieser Matrizen können dann als
Anhaltspunkte für die Suche nach neuen Faktoren dienen.
Das Temperament ist schließlich
ausschlaggeben dafür, wie jemand etwas tut, für die Antriebs- und
Stimmungsstruktur von Personen. Auch hier ordnet Guildford die Faktoren in
drei Bereiche, für jeden von ihnen fand er fünf
Faktoren:
- Die Faktoren des generellen Verhaltens
durchdringen das gesamte Verhalten: 1) Selbstvertrauen, 2) Wachheit vs.
Unaufmerksamkeit, 3) Impulsivität vs. Bedächtigkeit, 4) Vorsicht vs.
Sorglosiggkeit, 5) Sachlichkeit vs. Empfindlichkeit.
- Der emotionale Verhaltensbereich ist ebenfalls
durch 5 Faktoren bestimmt: 1) Heiterkeit/Depression, 2) reife vs. Unreife 3)
Gefaßtheit vs. Aufregung 4) emootionale Stabilität vs. zykloider
Stimmungswandel 5) Selbstsicherheit vs. Befangenheit
- Im sozialen Verhaltensbereich sind folgende
Faktoren nachzuweisen: 1) Durchsetzung vs. Schüchternheit, 2) Kontaktwunsch
vs. Selbstgenügsamkeit 3) sozial anregend vs. abwartend 4) freundlichkeit
vs. Feindseeligkeit 5) Akzeptanz vs. kritische Distanz
Das Temperament erfaßte Guildford mit
Fragebögen, deren umfangreichster der oben erwähnte und 1949
publizierte GZTS ist (10 Skalen).
Die Motivation schließlich gliedert sich in
drei große Bereiche:
Bedürfnisse, wobei es organische (Schmausen
Schlafen Sex) und erlernte (Wunsch nach Selbstbestimmung etc.) gibt. Jedes
Bedürfnis ist unterteilt in viele Unterklassen.
Interessen (geteilt in berufliche un
außerberufliche), wobei Guildford die beruflichen Interessen nach Art des
Berufes aufteilt in gehobenen Berufe, blue-collar-Berufe und kommerzielle
Berufe: hier finden sich so aberwitzige Bereiche wie ”Freude am
Schriftverkehr”. Die außerberuflichen Interessen umfassen Bereiche
wie ”Suche nach Zerstreuung”, ”Freude an gedanklicher
Beschäftigung” etc. Wer denkt, daß hier a) die Systematik fehlt
und b) der amerikanische Mittelwesten fröhliche Urstände feiert, der
mag wohl sehr recht haben.
Einstellungen: sind für Guildford eine
eigene Art der Motivation, im Gegensatz zu Cattell aber handelt es sich hier um
globale Konstrukte. Auch hier gibts 5 Dimensionen: 1) Liberalismus vs.
Konservatiovismus, 2) Religiösität (+/-), 3) Nationlismus (+/-), 4)
humanitäre Haltung, 5) Bevorzugung langsamer vs. schneller
Veränderung.
8.3.1 Bewertung:
zu Faktorenanalyse s.o., ansonsten fällt Guildfords
Sammelwut negativ auf. eine derartige Vielzahl von Faktoren etc. kann wohgl kaum
repliziert werden. Es ist vermessen zu glauben, daß Intelligenz nun genau
aus den 120 Faktoren des Intelligenzstrukturmodells besteht, nur weil Herrn
guildford das so eingefallen ist. Occams razor würde seiner Theorie
empfindliche Schnitte zuteil werden lassen, vor allen Dingen, weil Guildford
selber nur im Bereich der Fähigkeit und des Temperaments empirisch
gearbeitet hat. Somit steht sein Motivationstheorie auf mehr als tönernen
Füßen.
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