Goethe, Johann Wolfgang von: Das Göttliche

Schlagwörter:
Gedichtinterpretation, Idealzustand, Religionsvorstellungen, Naturgewalten, Neutralität, Referat, Hausaufgabe, Goethe, Johann Wolfgang von: Das Göttliche
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Referat

Gedichtinterpretation zu „Das Göttliche“ v. Johann Wolfgang von Goethe

(Zensur: 14 Punkte,1)

Das Göttliche
von Johann Wolfgang von Goethe

Edel sei der Mensch,
Hilfreich und gut!
Denn das allein
Unterscheidet ihn
Von allen Wesen,
Die wir kennen.
 
Heil den unbekannten
Höhern Wesen,
Die wir ahnen!
10 
Ihnen gleiche der Mensch!
11 
Sein Beispiel lehr’ uns
12 
Jene glauben.
 
13 
Denn unfühlend
14 
Ist die Natur:
15 
Es leuchtet die Sonne
16 
Über Bös’ und Gute,
17 
Und dem Verbrecher
18 
Glänzen, wie dem Besten
19 
Der Mond und die Sterne.
 
20 
Wind und Ströme,
21 
Donner und Hagel
22 
Rauschen ihren Weg
23 
Und ergreifen
24 
Vorüber eilend
25 
Einen um den andern.
 
26 
Auch so das Glück
27 
Tappt unter die Menge,
28 
Faßt bald des Knaben
29 
Lockige Unschuld,
30 
Bald auch den kahlen
31 
Schuldigen Scheitel.
 
32 
Nach ewigen, ehrnen,
33 
Großen Gesetzen
34 
Müssen wir alle
35 
Unseres Daseins
36 
Kreise vollenden.
 
37 
Nur allein der Mensch
38 
Vermag das Unmögliche:
39 
Er unterscheidet,
40 
Wählet und richtet;
41 
Er kann dem Augenblick
42 
Dauer verleihen.
 
43 
Er allein darf
44 
Den Guten lohnen,
45 
Den Bösen strafen,
46 
Heilen und retten,
47 
Alles Irrende, Schweifende
48 
Nützlich verbinden.
 
49 
Und wir verehren
50 
Die Unsterblichen,
51 
Als wären sie Menschen,
52 
Täten im Großen,
53 
Was der Beste im Kleinen
54 
Tut oder möchte.
 
55 
Der edle Mensch
56 
Sei hülfreich und gut!
57 
Unermüdet schaff’ er
58 
Das Nützliche, Rechte,
59 
Sei uns ein Vorbild
60 
Jener geahneten Wesen!

(„Das Göttliche“ von Johann Wolfgang von Goethe ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren. Für die Analyse des Gedichtes bieten wir ein Arbeitsblatt als PDF (27.4 KB) zur Unterstützung an.)

Der Grundgedanke dieses klassischen Gedichts von J.W.Goethe ist, daß sich der Mensch einem bestimmten Ideal nähern, oder die Annäherung an diesen Idealzustand anstreben soll. Seine These, der Mensch solle "Edel ../Hilfreich und gut.." sein, da es das einzige sei,wodurch er sich von ".. /Allen Wesen, /Die wir kennen.." unterscheidet, formuliert Goethe grob in der ersten Strophe, und baut sie in den folgenden neun weiter aus. Er belegt sie mit Beispielen und versucht sie seinem Leser begreifbar zu beweisen. Dabei konzentriert er sich mehr auf die Inhalte, die er vermitteln will, als daß er Wert auf einen formellen Aufbau mit strengem Reim und Rhythmus legt. Die verwendete freie Reimform bewirkt zudem einen fließenden Wohlklang der Verse und Strophen.

Um dieses Gedicht verstehen und richtig interpretieren zu können, ist es wichtig etwas über Goethes Weltbild und Religionsanschauung zu wissen. Goethe war Pantheist und in seinen jungen Jahren entschieden durch den niederländischen Philosophen Baruch de Spinoza beeinflußt. Dessen Lehren beschreiben `Gott` als die einzige, unteilbare, unendliche Substanz. `Gott` und die Natur wären demnach gleichzusetzen, da alles was ist, Teil dieser Substanz sein muß. Ein jenseitiger Gott läßt sich daher ebensowenig denken wie ein der absoluten Substanz nicht integriertes Ding. Hier ist eine Parallele zum humanistisches Denken erkennbar. Denn beide Theorien setzen die vorbehaltlose Akzeptanz und Toleranz der Natur voraus, da der Mensch, als Teil von ihr, nicht ohne sie existieren kann. In Goethes Welt- und Religionsvorstellungen fließen jedoch auch Teile der griechischen Mythologie, mit der er sich intensiv beschäftigte, mit ein. Des öfteren tauchen auch in seinen späteren Werken Bilder auf, die dem der griechischen Götter `auf ihrer Wolke` ähneln. Ein Beispiel dafür ist auch in "Das Göttliche". Dort preist er in der zweiten Strophe die "..unbekannten /Höhern Wesen.." Im Pantheismus Spinozas wäre der Plural nicht möglich, da sich ein einziges höheres `Wesen` aus allem anderen existierenden zusammensetzt. Diese "Höhern Wesen" stehen bei Goethe für, den Göttern der Antike ähnliche Figuren, welche die Merkmale des humanistischen Denkens perfektioniert in sich vereinen. Goethe betrachtet sie als den Idealzustand, den der Mensch anstreben sollte, um anderen ein Vorbild sein zu können. Mit den ersten beiden Versen ("Denn unfühlend /Ist die Natur..") erweiterter in der dritten Strophe seine These. Dabei steht "unfühlend" eher für unparteiisch, wie sich aus den folgenden Versen der dritten und vierten Strophe erkennen läßt:

...

Es leuchtet die Sonne
über Bös und Gute,
Und dem Verbrecher
Glänzen wie dem Besten
Der Mond und die Sterne.

Wind und Ströme
Donner und Hagel
Rauschen ihren Weg
Und ergreifen
Vorüber eilend
Einen um den andern.

...

Er beschreibt, hier in Beispielen, die Neutralität der Naturgewalten und wie sich keiner aufgrund guter oder schlechter Charaktereigenschaften ihren positiven oder negativen Auswirkungen entziehen kann. Hierbei werden "Wind und Ströme /Donner und Wasser" im Oberbegriff Natur akkumuliert, um eine stärkere Bildhaftigkeit zu erreichen. Die folgende,fünfte Strophe ist in ihrem Inhalt den vorhergehenden ähnlich, nur daß sich Goethe nun nach der naturellen, materiellen Ebene einer höheren, gedanklichen zuwendet. Er verwendet den abstrakten Begriff "Glück" und personifiziert ihn indem er ihn aktiv handeln läßt ("../Tappt unter die Menge/.."). Er schildert, wie sich auch das Glück nicht von menschlichen Werten wie Schuld und Unschuld leiten läßt, sondern zufällig auftritt ähnlich den Naturgewalten. Die Verbindung des Jugendlichen mit dem Unschuldigen (".. des Knaben /Lockige Unschuld ..")und der Schuld mit dem Alter ("..den kahlen /Schuldigen Scheitel.") zeigt Goethes Sympathie für das humanistische Gedankengut. Dieses enspicht der Auffassung, daß der Mensche von Geburt an gut ist, abder im Verlauf seines Lebens sündigen wird. Durch die Alliteration "Schuldiger Scheitel" in der letzten Zeile der fünften Strophe wird die Aussagekraft zusätzlich gesteigert.

Die sechste, siebente und achte Strophe ist den Errungenschaften, Fähigkeiten und Rechten des Menschen gewidmet, der jedoch trotz all seiner errungenen Erkenntnisse irgendwann stirbt (Metapher: "../Müssen wir alle /Unseres Daseins /Kreise vollenden."). Goethe stellt den Menschen bewußt als Krone der Schöpfung dar, indem er allein ihm mit dem Oximoron "../Vermag das Unmögliche.." die Fähigkeit zubilligt, alles erreichen zu können, was er will. Doch wie steht es mit den "Höhern Wesen"? Vermögen sie überhaupt das Unmögliche, wenn "..allein der Mensch.." es vermag? Was würde sie über den Menschen stellen, wenn er das Unmögliche vermag, und sie nicht? Da er den "Höhern Wesen" diese Fähigkeit nicht extra einräumt, eröffnet sich eine weitere Deutungsmöglichkeit, in welcher der Mensch diese höheren Wesen repräsentiert. Der selbstbewußte, strebende Mensch wird hier zum Vorbild seiner selbst. Ein weiteres Beispiel für diese Deutungvariante ist in der achten Strophe enthalten, in der er allein dem Menschen das Recht zu richten ("Er allein darf /Den Guten lohnen, /Den Bösen strafen, /Heilen und Retten,.."), und die Fähigkeit Zusammenhänge zu erkennen und diese für sich auszunutzen zugesteht ("../Alles Irrende, Schweifende /Nützlich verbinden..").

Die Klimax "..unterscheidet, /Wählet und richtet.." (7.Strophe,Vers 3,4) beschreibt die Fähigkeiten der einzelnen Entwicklungsstadien des Menschen ,der erst unterscheiden lernt und später, in der weiteren Entwicklung seiner Persönlichkeit nicht nur aus dem Unterschiedenen wählt, sondern es auch wertet. Bei voller Entfaltung kommt eine weitere Fähigkeit hinzu: "../Er kann dem Augenblick /Dauer verleihen." Was Goethe meint, ist die Fähigkeit einen Augenblick durch Personen und deren Taten unsterblich in den Gedanken aller festzuhalten. Dies wäre durch für alle Menschen wichtige und wertvolle, aber auch durch negativ in Erinnerung bleibende Taten möglich. In der neunten Strophe greift Goethe das Thema der Unsterblichkeit wieder auf:

...

Und wir verehren
Die Unsterblichen,
Als wären sie Menschen,
Täten im Großen,
Was der Beste im Kleinen
Tut oder möchte.

...

Er realisiert, daß "Die Unsterblichen" (Menschen, die durch ihre Taten in den Gedanken anderer unvergessen - also unsterblich - sind) so behandelt werden, als wären sie lebende Menschen. Des weiteren erkennt er, daß es nicht jeder schaffen kann, `unsterblich` zu werden, auch wenn er dasselbe ".. /Tut oder möchte." Daraus, daß Goethe auch in anderen seiner Werke diese Thematik behandelt (z.B.: Faust II, Die Grablegung: "..Zum Augenblicke dürft ich sagen: /Verweile doch, du bist so schön!.."), schließe ich, daß sie ihn sehr beschäftigte und unterstelle ihm den Wunsch, selbst unsterblich sein zu wollen. Dieser Wunsch verwirklichte sich, denn noch heute ist Goethe als Dichter weltberühmt.

Die letzte Strophe ist der ersten ähnlich, doch folgt der Forderung nach Güte und Hilfsbereitschaft des edlen Menschen eine weitere nach Fleiß ("../Unemüdet schaff er..") und beharrlichem Einsatz für "..das Nützliche, Rechte..". Hier schließt sich der Kreis, mit der invertierten Forderung der zweiten Strophe ("../Höhern Wesen, /Die wir ahnen! /.. gleiche der Mensch; .." - letze Strophe: "Der edle Mensch ../Sei uns ein Vorbild /Jener geahnten Wesen!"), und festigt sich das Deutungsbild des edlen, hilfreichen, guten, humanistische denkenden Menschen, als Vorbild seiner selbst.

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