Kafka, Franz: Ein Besuch im Bergwerk

Schlagwörter:
Ingenieur, Untersuchung, Erzählperspektive, Arbeiter, Referat, Hausaufgabe, Kafka, Franz: Ein Besuch im Bergwerk
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Referat

Ha. zum 04.10.2004

Franz Kafka „Ein Besuch im Bergwerk“

Die Kurzgeschichte "Ein Besuch im Bergwerk" von Franz Kafka aus dem Jahr 1919 handelt von dem Besuch einiger Ingenieure in einem Bergwerk, welches sie ausmessen sollen, damit neue Stollen gelegt werden können. Ein Arbeiter, der sich zur selben Zeit mit weiteren Arbeitern in diesem Bergwerk befindet, beschreibt den Besuch detailliert und so wie er ihn wahrnimmt. Die zehn Ingenieure führen die unterschiedlichsten Untersuchungen durch, während sie den Stollen ablaufen. Gefolgt werden sie von einem Diener, der jedoch keine bestimmte Aufgabe zu erfüllen hat. Nach dieser kurzen, aber ungewöhnlichen Unterbrechung ihres Alltags, fällt es den Arbeitern schwer, wieder dorthin zurück zu finden.

Der Text spiegelt eine bestimmte Gesellschaftsstruktur wider, nämlich die Hierarchie. Es wird deutlich, dass das Denken und die Wirklichkeitswahrnehmung des erzählenden Arbeiters von diesem bestimmten gesellschaftlichen System, in dem er sich selbst befindet, beeinflusst und gelenkt wird.

Bei der Erzählperspektive handelt es sich um einen personalen Erzähler, der aus der Sicht eines Bergwerkarbeiters einen inneren Monolog führt. Diese Erzählweise unterstreicht die Subjektivität der Wahrnehmung des Besuches und ist auch dementsprechend gestaltet. Ein eindeutiger Erzählerstandpunkt kann nicht festgestellt werden, da der Arbeiter lediglich dazu in der Lage zu sein scheint, den von ihm beobachteten Vorgang zu beschreiben, aber nicht zu bewerten, was die Entstehung eines kritischen Bewusstseins bei ihm nahezu unmöglich erscheinen lässt.

Die Figurenkonstellation hingegen ist einleuchtend, ebenso wie die Position, aus der der Arbeiter heraus das Geschehen beschreibt. Er ist ein gewöhnlicher und ungebildeter Bergwerksarbeiter, der den größten Teil seiner Zeit unter der Erde, also im Dunkeln verbringt und sich somit in der Rolle eines Untergebenen befindet. Von seiner niedrigen gesellschaftlichen Stellung aus beobachtet er das Kommen gebildeter Männer, die herbasteigen in den Stollen, um diesen zu mustern. Er versteht ihre Gebärden und technischen Geräte nicht, vermag daher nur das zu beschreiben, was er wahrnimmt. Jedoch lässt sich seine Wahrnehmung nicht mit dem vereinbaren, was er kennt. Deshalb ist er nicht in der Lage, die Wirklichkeit zu erkennen, da seine Wahrnehmung von seiner sozialen Stellung beeinflusst wird. Dieser Missstand kommt gleich zu Beginn des Textes zum Vorschein. Der Arbeiter beschreibt das Verhalten jedes einzelnen Ingenieurs genau, denn er sieht was sie tun, erkennt aber nicht, dass sie im Grunde genommen nichts Produktives leisten. Der eine läuft ziellos umher, ein anderer macht uneinsichtige Notizen, der nächste hat sogar die Hände in der Tasche und der Vierte gibt diesem "Erklärungen, die dieser nicht verlangt." (vgl. Z. 5ff). Während der Leser auf Anhieb diesen Missstand erkennt und ihn als reine Wichtigtuerei ablegt, ist der Erzähler dazu nicht fähig. Ihm fehlt diese Erkenntnis, da ihm das hierarchische System, in dem er gefangen ist, vorgibt, die Ingenieure als Vorgesetzte anzusehen und sie dementsprechend zu behandeln. Aufgrund des vorherrschenden Machtgefälles käme es ihm gar nicht in den Sinn, Kritik am Verhalten der Höhergestellten zu üben, selbst wenn der Grund dafür offensichtlich erschiene, wie in diesem Fall. Zwar denkt der Erzähler kurz über diesen Sachverhalt nach (vgl. Z 21ff), kommt jedoch zu keinem Ergebnis, da er es kaum wagt " über solche Herren ein bestimmtes Urteil abzugeben." (Z.27).

Er schafft es nicht, die Grenze der sozialen Schichten zu überwinden, woran ihn letztendlich auch sein mangelndes Wissen hindert. Er versteht die Methoden der Ingenieure nicht, ihre Geräte sind ihm fremd (vgl. Z 45ff) und er kann sie nur mit Begriffen aus seinem eigenen Erfahrungsbereich beschreiben ("eine Art Kinderwagen", Z.39). Dennoch weiß er, dass sie kostbar sein müssen, denn er schließt es aus der Art und Weise wie die Ingenieure mit ihnen umgehen. Allein diese Wertbestimmung, die seine Vorgesetzten ihm vorgeben, machen sie auch in seinen Augen zu etwas Wichtigem und Unantastbaren, vor dem er und alle anderen "unwürdigen" Arbeiter zurückweichen müssen. Er interpretiert die Dinge über seinen sozialen Rang und durch sein Nichtverstehen wird das offensichtlich alberne Verhalten der Ingenieure beschönigt (Euphemismus).

Seine zurückhaltende Beobachtung ändert sich jedoch rapide, als der Diener der Ingenieure erscheint, denn die Erzählhaltung verfällt in eine ironische Abhandlung von dessen unangemessener überheblichkeit. Die Arbeiter lachen darüber, er "bleibt etwas Unverständliches in ihrer Achtung" (Z.60f). Hier entlarvt der Erzähler das Verhalten des Dieners als eitles Nichtstun (Z.52) und weiß es sofort als "etwas Ungeheures" (Z. 58) zu werten. Die annähernd gleiche soziale Stufe mit dem Diener scheint ihm diese Einschätzung zu ermöglichen. Da der Diener in seinen Augen nicht viel mehr wert ist, als er selbst, fällt es ihm leichter, sich ihm gegenüber anders zu verhalten, als es bei den Ingenieuren der Fall war, er wertet ihn somit zusätzlich ab. Die Erkenntnis, die notwendig gewesen wäre, um das Verhalten der Ingenieure richtig zu interpretieren, ist hier die Voraussetzung für das Werten des Dieners, wobei bei letzterem die Wahrnehmung ebenfalls nicht der Wirklichkeit entsprechen muss, sondern letztendlich ebenfalls nur eine subjektive und beeinflussbare Sichtweise ist. Diese Art der Darstellung zeigt auch, wie es um die Gesellschaft und ihre Struktur beschaffen ist und beinhaltet gleichzeitig eine indirekte Kritik des Autors daran. Deutlich wird all dies auf der sprachlichen Ebene durch den Gebrauch von Metaphern, wie zum Beispiel die des Bergwerkarbeiters, der in der Dunkelheit arbeitet und dessen Wahrnehmung aufgrund dessen eingeschränkt und durch den Mangel an Bildung zusätzlich "verdunkelt" wird. Alles in allem entsteht für den Leser das bedrückende Bild eines verkannten Missstandes in der Gesellschaft, der scheinbar nicht behoben werden kann. Zwar "nimmt ein solcher Besuch alle Gedanken an Arbeit mit sich mit", aber er tut dies nur für kurze Zeit, denn es folgen noch viele weitere Arbeitstage, an denen die Arbeiter in ihrer Situation verharren. Erst sobald sie über den Rand der festgefahrenen gesellschaftlichen Struktur schauen und dadurch ein kritisches Bewusstsein entwickeln und eventuell sogar bereit sind, dieses zu äußern, wird eine Veränderung ihrer Situation möglich sein, sofern sie dies überhaupt wollen.

Im Hinblick auf die Biografie des Autors Kafka ließen sich in der Interpretation dieser Kurzgeschichte erneut einige Parallelen zum Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater erschließen, da Franz Kafka selbst sehr stark unter dessen Hierarchie gelitten hat, jedoch nicht dazu in der Lage war, etwas an diesem Missstand zu ändern.

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