Dem bewußten Einsiedler von Rudolf Lavant
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Wär’ ich im Bann von Friedrichsruhe, |
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Wär’ ich Besitzer von Varzin, |
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Ich setzte mich auf meine Truhe |
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Und hustete auf ganz Berlin. |
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Er aber ist trotz seiner Orden – |
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Was ihn zu solchem Thun nur treibt? – |
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Zur Zeit ein – Journalist geworden, |
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Der flott – Korrespondenzen schreibt. |
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Bedenklich war’s zu allen Zeiten, |
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Auch für den „allerfrechsten Dachs,“ |
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Um Dinge sich herumzustreiten, |
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Die einfach Sache des Geschmacks. |
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Doch ich bedächte sicher heute, |
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Daß einst ich selbst der Welt erzählt, |
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Die Journalisten seien Leute, |
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Die sämmtlich „den Beruf verfehlt.“ |
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Ich würde ferner mich entsinnen, |
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Daß ich, wie immer schroff und scharf, |
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Von meines Kanzlerthumes Zinnen |
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Sie einst mit faulen Aepfeln warf, |
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Daß zu der Rechten Hohngekicher, |
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Vor Zeiten mir das Wort entfuhr |
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Von „Existenzen,“ die da sicher |
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„Catilinarischer Natur.“ |
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Mir gegenwärtig würd’ ich halten, |
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Daß leicht, wie jetzt die Sache steht, |
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Man in der „schlechten Presse“ Spalten |
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Den Spieß herum behende dreht, |
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Und daß dawider nichts zu machen, |
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Seit mir abhanden – herber Gram! – |
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Zugleich mit andern schönen Sachen |
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Ein Stoß von Formularen kam. |
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Ich würde endlich auch bedenken, |
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Daß lang dein Arm, moderner Staat, |
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Und daß gar leicht hineinzusenken |
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Ein abgesetzter Diplomat, |
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Daß, wenn er schreibt, im Handumdrehen |
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Das Strafgesetz sein Aermel streift, |
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Daß, wie an Arnim wir gesehen, |
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Er leichtlich in die Nesseln greift. |
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Nun denk’ ich mir’s entschieden ledern |
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In ländlich-stillem Aufenthalt |
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Bei Nacht und Nebel aus den Federn |
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Geholt zu werden mit Gewalt, |
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Und vor Gericht mit Paragraphen |
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Zu balgen mich, die ungerührt |
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Schon manchen hochgestellten Braven |
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Den Hals bedächtig zugeschnürt. |
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Sie möchten zehnmal von mir munkeln, |
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Ich injizire subkutan – |
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Ich ließe ruhig das im Dunkeln |
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Und ginge ruhig meine Bahn. |
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Ob höhern Orts man in die Suppe |
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Mir spie und mich herunterriß – |
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Mir wär’s an seiner Stelle schnuppe |
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Und klüger wäre das gewiß. |
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O wäre mein der Wald der Sachsen, |
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Ich fragte nichts nach Gunst und Haß |
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Und ließe klüglich Schimmel wachsen |
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Auf meinem großen Tintenfaß. |
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Und hätt’ ich selber Langeweile |
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In meinem lieben Friedrichsruh – |
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Ich schriebe dennoch keine Zeile! |
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Warum, Freund Otto, nicht auch Du? |
Details zum Gedicht „Dem bewußten Einsiedler“
Rudolf Lavant
8
64
338
1893
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Dem bewussten Einsiedler“ ist von Rudolf Lavant, einem deutschen Schriftsteller, der von 1844 bis 1915 lebte. Es gehört zur Gattung der Spottgedichte und lässt sich der Epoche des Realismus zuordnen.
Auf den ersten Blick fällt auf, dass das Gedicht in einer ironisch-spöttischen, aber gleichzeitig auch ernsthaften und anspruchsvollen Sprache verfasst ist. Es handelt von einem lyrischen Ich, das mithilfe von kritischem Humor und Realismus den Beruf des Journalisten und den Umgang mit den Medien anprangert.
Inhaltlich wendet sich der Sprecher der Verse an eine Person, vermutlich einen Journalisten, und drückt seine Verwunderung und Missbilligung aus, dass dieser durch seine Arbeit mehr schaden als nutzen könnte. Es wird eine Art Dialog inszeniert, in welchem das lyrische Ich dem Gegenüber unter anderem vorwirft, Informationen zu verdrehen oder voreingenommen zu sein. Zudem kritisiert der Sprecher die Konsequenzen, die aus einer solchen Arbeit resultieren können, und warnt vor den Gefahren des Strafgesetztes. Dem gedichteten Journalisten wird geraten, sich zurückzuziehen und eine friedlichere Lebensweise zu führen.
Formal ist das Gedicht in acht gleich lange Strophen mit jeweils acht Versen strukturiert. Diese stabile und konsequente Form spiegelt die Klarheit und Nachdrücklichkeit der Aussage des lyrischen Ichs wider. Die Sprache des Gedichtes ist gehoben und verwendet vielfach Metaphern und Anspielungen. Trotz des ernsten Themas ist der Ton des Gedichts humorvoll und spöttisch, wodurch die Kritik des Sprechers besonders pointiert zum Ausdruck kommt.
Zusammenfassend könnte man sagen, dass das Gedicht „Dem bewussten Einsiedler“ eine scharfe Kritik am Journalismus und eine Warnung vor den Gefahren, die mit einer unverantwortlichen Nutzung der Medien einhergehen können, ist. Die Ironie und der kritische Unterton machen das Gedicht zu einem eindrucksvollen Beispiel für die spöttische Dichtung der Epoche des Realismus.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Dem bewußten Einsiedler“ des Autors Rudolf Lavant. Der Autor Rudolf Lavant wurde 1844 in Leipzig geboren. 1893 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Stuttgart. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Naturalismus oder Moderne zuordnen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das 338 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 64 Versen mit insgesamt 8 Strophen. Die Gedichte „An den Herrn Minister Herrfurth Exzellenz“, „An den Kladderadatsch“ und „An die Frauen“ sind weitere Werke des Autors Rudolf Lavant. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Dem bewußten Einsiedler“ weitere 96 Gedichte vor.
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Zum Autor Rudolf Lavant sind auf abi-pur.de 96 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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