Das spulende Kind von Paul Haller

Hundert Kinder, schulentsprungen,
Ziehn die Sonntagskleidlein an.
Lustig in den bunten Röcken,
Und mit spitzen Wanderstöcken,
Aus dem Städtlein geht’s bergan.
 
Vor der Tür beim letzten Häuschen
Steht der ärmsten Mutter Kind:
Augen, tränenschwer beladen,
Schickt es nach den Kameraden,
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Die im Wald verschwunden sind.
 
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Kehrt zur düstern Hinterkammer,
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Wo am Rad die Mutter schilt:
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„Spulen hilf mir, statt zu gaffen!“
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Still beginnt das Kind zu schaffen,
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Und die Spule dreht sich wild.
 
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Doch die kleine Seele wandert,
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Nimmt den Lauf zum Berg empor,
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Sucht die Spur der Kameraden
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Klettert auf den steilen Pfaden
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Und durch’s schwarze Felsentor.
 
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An den lichten Blumenhängen
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Freudig holt sie ein den Zug,
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Singt und spielt im Kinderreigen,
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Bricht das Blust von jungen Zweigen,
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Hascht den Schmetterling im Flug.
 
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Hundert Kinder, schulentsprungen,
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Schwärmen mit dem Frühlingswind.
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Glauben nicht, daß eines fehle,
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Denn mit ihnen spielt die Seele,
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Und zu Hause spult das Kind.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.8 KB)

Details zum Gedicht „Das spulende Kind“

Autor
Paul Haller
Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
30
Anzahl Wörter
150
Entstehungsjahr
nach 1898
Epoche
Naturalismus

Gedicht-Analyse

Das vorgelegte Gedicht stammt von dem Schweizer Dichter Paul Haller und ist in seiner Lebenszeit zwischen 1882 und 1920 entstanden. Ohne den exakten Veröffentlichungszeitpunkt zu kennen, kann man jedoch davon ausgehen, dass es Gesellschaften reflektiert, in denen Kinderarbeit noch weit verbreitet und die soziale Ungleichheit groß war.

Der erste Eindruck des Gedichts vermittelt eine kontrastierende Darstellung zwischen dem sorglosen Spiel kindlicher Unschuld und der harten Realität kindlicher Arbeit und Armut.

Das Gedicht erzählt die Geschichte von hundert Kindern, die fröhlich ins Freie hinausgehen, um zu spielen und die Natur zu entdecken, während ein einzelnes Kind nicht teilnehmen kann. Dieses Kind, das „ärmste Mutter Kind”, muss zu Hause bleiben und seiner Mutter beim Spulen helfen, während seine Kameraden draußen sind. Das lyrische Ich beschreibt das Verlangen des Kindes nach Freiheit und den Wunsch, bei den anderen Kindern zu sein. Obwohl es sich physisch in einer dunklen, bescheidenen Umgebung befindet, lässt seine Vorstellungskraft es dennoch mit seinen Kameraden spielen.

In Bezug auf die Form besteht das Gedicht aus sechs Strophen mit je fünf Versen, wobei jeder Vers aus zwei Teilen besteht, die meistens durch ein Komma getrennt sind.

Die Sprache des Gedichts ist eingängig, malerisch und nutzt einfache Worte, um eine lebhafte Szenerie zu erzeugen. Dabei nutzt der Autor Metaphern - zum Beispiel die „schwarze Felsentor“, als Symbol für die harten Grenze des Kinderlebens und die „lichten Blumenhänge“ als Repräsentation der Freiheit und Freude, die die anderen Kinder erleben.

Insgesamt ist das Gedicht sowohl eine Darstellung des Kontrasts zwischen der Freude und Unschuld von Kindern, die die Möglichkeit haben, ihre Jugend zu genießen, und der harten Realität von Kindern, die aufgrund ihrer sozialen Situation gezwungen sind zu arbeiten. Es zeigt auch die Kraft der Vorstellungskraft und die Fähigkeit, trotz äußerer Umstände geistige Freiheit zu finden.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Das spulende Kind“ ist Paul Haller. 1882 wurde Haller in Rein bei Brugg geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1898 bis 1920 entstanden. Der Erscheinungsort ist Aarau. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Naturalismus zuordnen. Bei Haller handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 150 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 30 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Paul Haller sind „1. August 1914“, „Abend“ und „Abseits (Haller)“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Das spulende Kind“ weitere 65 Gedichte vor.

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