Die gefallene Seele von Angelus Silesius

Ich war ein englisch Bild, nun bin ich gleich den Tieren,
Ich schwebt im Paradeis in lauter Fröhlichkeit,
Nun sitz ich auf der Erd in lauter Angst und Leid.
Es konnte mich kein Grimm der untern Welt berühren,
Nun schmelz ich fast vor Hitz und muß vor Frost erfrieren
Und fühle tausend Weh. Ich war ein Herr der Zeit,
Nun meistert sie mich selbst. Ich war mir selbst mein Kleid,
Nun muß ich mich aus Not mit fremden Federn zieren.
Gott sah mich freundlich an und hieß mich liebes Kind,
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Nun schrecket mich sein Zorn und stößt mich weg die Sünd.
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Ich bin mit steter Furcht erfüllet und umgeben,
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Ich schau mein Ungelück mit eignen Augen an,
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Der Teufel und der Tod, die stehn mir nach dem Leben,
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Ach, ach, ich arme Seel! Was hab ich doch getan!
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Die gefallene Seele“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
14
Anzahl Wörter
138
Entstehungsjahr
1624 - 1677
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die gefallene Seele“ ist von Angelus Silesius, einem bedeutenden barocken religiösen Dichter, der von 1624 bis 1677 lebte. Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht sehr dramatisch und melancholisch und scheint geprägt von der introspektiven Ernsthaftigkeit des Barocks.

Der Inhalt des Gedichts beschreibt das Leid des lyrischen Ichs, das sich als gefallene Seele darstellt. Es beginnt mit einer Vergangenheitserinnerung, wie das Ich einst rein und herrlich war, ähnlich einem Engelsbild und im Paradies schwebte. Doch nun, so sagt das lyrische Ich, sitzt es auf der Erde in Angst und Leid. Es fühlt sich den heftigen Unbilden der physischen Welt ausgesetzt: der Hitze, dem Frost und dem Schmerz. Die Zeit, über die es einst Herr war, unterwirft es nun. Wo es einst sich selbst genügt hat, muss es sich nun mit fremden „Federn“ zieren. Früher wurde es von Gott als „liebes Kind“ angesehen, nun empfindet es Gottes Zorn und Sünde stößt es weg. Es ist von Furcht erfüllt und sieht sein eigenes Unglück. Teufel und Tod scheinen ihm nach dem Leben zu trachten. Das lyrische Ich beklagt seinen Zustand und fragt, was es getan hat, um dies zu verdienen.

Die Form des Gedichts ist recht straff: Es besteht aus einem einzigen Vierzeiler und zehn einzelnen Versen. Es scheint keinen festen Reim- oder Rhythmus-Schema zu folgen, was zu seiner allgemeinen melancholischen Atmosphäre beiträgt.

Die Sprache von Silesius ist dramatisch und bildhaft. Die starken Kontraste zwischen dem Vergangenen (Heiligkeit, Glück) und der Gegenwart (Leid, Furcht) werden durch lebhafte Bilder und intensiven Ausdruck erzeugt. Die Verwendung von Begriffen wie „Tod“, „Teufel“, „Zorn“, „Sünde“ und „Furcht“ verstärken die dunkle, düstere Atmosphäre des Gedichts. Der wiederholte Ausdruck „Ach, ach“ am Ende drückt die tiefe Verzweiflung und Reue des lyrischen Ichs aus. Die Frage „Was hab ich doch getan?“ zeigt sein Unverständnis und seine Verwirrung über seinen gefallenen Zustand.

Insgesamt ist das Gedicht eine Ausdruck tiefster Verzweiflung und Schuldgefühle, eine kompromisslose Selbstbetrachtung und Beschwörung eines gefallenen Zustands. Diese Themen sind typisch für die Barockzeit, in der die Vergänglichkeit des Lebens und die konstante Konfrontation mit Tod und Sünde stark betont wurden.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die gefallene Seele“ des Autors Angelus Silesius. Silesius wurde im Jahr 1624 in Breslau geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1640 und 1677. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Barock zuordnen. Der Schriftsteller Silesius ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Literaturepoche des 17. und 18. Jahrhunderts, die wir heute als Barock bezeichnen, leitet sich von dem portugiesischen Wort „barocco“ ab. Das portugiesische Wort stammt ursprünglich aus dem Juwelierhandwerk und heißt auf Deutsch „schiefrunde, unregelmäßige Perle“. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) hat die Literaturepoche des Barocks in hohem Maße geprägt. Der Krieg war eine Katastrophe von einem Ausmaß, das kaum vorstellbar ist. Die Menschen litten unter den Kämpfen, Hungersnöten und vornehmlich unter der Pest, an der eine Vielzahl von Menschen verstarb. Die Bevölkerungszahl in Deutschland ging um etwa 30 Prozent zurück. Es herrschte im Barock ein sehr gegensätzliches (antithetisches) Weltbild. Verschwendung und Luxus des Adels standen Armut und Leid innerhalb der einfachen Bevölkerung gegenüber. Die Barockliteratur war ebenso geprägt von inhaltlichen Widersprüchen. Diesseits und Jenseits standen sich ebenso gegenüber wie Spiel und Ernst oder Sein und Schein. In der Dichtung des Barocks trat die deutsche an die Stelle der lateinischen Sprache, welche die Sprache der bedeutendsten deutschen Dichter im 16. Jahrhundert gewesen war. Dennoch war weiterhin die Elite Träger der Literatur. Im Barock war der überwiegende Teil der Literatur Gelegenheitsdichtung. Man schrieb bei Hofe als Fürstenhuldigung oder zur gehobenen Unterhaltung. Für die wohlhabende Bevölkerung schrieben Dichter zum Anlass von Taufen, Beerdigungen, Hochzeiten. Die Lyrik der Literaturepoche des Barocks wird daher auch als Gesellschaftsdichtung bezeichnet.

Das 138 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 14 Versen mit nur einer Strophe. Die Gedichte „Die Gliedmaßen der Seelen“, „Du mußt geübt werden“ und „Gott ist mein Himmelbrot“ sind weitere Werke des Autors Angelus Silesius. Zum Autor des Gedichtes „Die gefallene Seele“ haben wir auf abi-pur.de weitere 1832 Gedichte veröffentlicht.

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