Der selige Weise von Angelus Silesius

Wie selig ist der Mensch, der alle seine Zeit
Mit anders nichts verbringt als mit der Ewigkeit!
Der, jung und alt, allein betrachtet und beschaut
Der Weisheit Schloß, das Gott, sein Vater, hat gebaut.
Der sich auf seinen Stab, das ewge Wort, aufstützt
Und nicht wie mancher Tor im fremden Sande sitzt;
Der nicht nach Haus und Hof, nach Gold und Silber sieht,
Noch seines Lebens Zeit zu zählen sich bemüht.
Ihn wird das blinde Glück nicht hin und her vexiern,
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Noch etwa eitler Durst zu fremden Wassern führn.
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Er weiß von keinem Zwang, er liebt nicht Krämerei,
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Er trachtet nicht darnach, daß er gesehen sei.
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Er ist der Welt ein Kind, die allernächste Stadt
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Ist ihm so viel bekannt, als die der Tagus hat.
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Er schaut nur über sich, so frei er immer kann,
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Sein rechtes Vaterland, den lieben Himmel, an.
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Sein Alter rechnet er nicht nach der Jahre Zahl,
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In Gott vollkommen sein, das heißt er alt zumal.
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Die Sonne leuchtet ihm in seinen Acker ein
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Und, wenns gleich Abend wird, so bleibt ihm doch ihr Schein.
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Er sieht des Lebens Baum im Geist begierlich an
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Und geht mit allem Fleiß zu ihm die nächste Bahn.
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Er kümmert sich um nichts; was neben ihm geschieht,
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Ist ihm so fremd und klar, als was ein Blinder sieht.
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Doch ist er stark und frisch, er scheuet keinen Feind,
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Wenn gleich Welt, Teufel, Fleisch und mehr beisammen seind.
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Ein andrer laufe hin, zerstreu sich mit der Welt,
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Dies ist das Leben und die Bahn, so mir gefällt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.3 KB)

Details zum Gedicht „Der selige Weise“

Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
28
Anzahl Wörter
256
Entstehungsjahr
1624 - 1677
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der selige Weise“ stammt von Angelus Silesius, einem deutschen Dichter und Theologen des Barock, der von 1624 bis 1677 gelebt hat. Diese zeitliche Einordnung spielt eine wichtige Rolle bei der Interpretation des Gedichts, da die religiösen und philosophischen Vorstellungen dieser Epoche stark in Silesius' Werk eingeflossen sind.

Beim ersten Eindruck kann das Gedicht als Lobgesang auf ein Leben in spiritueller Weisheit und Ruhe interpretiert werden. Das lyrische Ich betont die Schönheit und den Segen eines solchen Lebens, das sich auf die ewigen und geistigen Dinge konzentriert, anstatt sich in weltlichen Belangen zu verlieren.

Im Inhalt spricht das lyrische Ich von einem Menschen, der seine Zeit mit der Ewigkeit statt mit irdischen Dingen verbringt. Er betrachtet das „Weisheitsschloss“, das Gott erbaut hat, und verlässt sich auf das „ewige Wort“. Er strebt nicht nach materiellem Besitz und ist nicht besorgt über die vergängliche Zeit. Dieser Mensch bleibt unberührt von weltlichen Verlockungen und verfolgt einen spirituellen Pfad, auf dem er sich nur auf Gott und den Himmel konzentriert. Für diesen Menschen ist das wahre „Alter“ in der Vollkommenheit in Gott zu finden und nicht in der Anzahl der Lebensjahre.

Was die Form des Gedichts angeht, besteht es aus 28 Versen, die in regelmäßigem metrischem Muster geschrieben sind. Dies mag das Gefühl von Struktur und Ordnung vermitteln, das mit einem weisen und disziplinierten Leben assoziiert ist.

Die Sprache des Gedichts ist reich an biblischen und theologischen Anspielungen, was der tiefen religiösen Überzeugung des Autors entspricht. Die Metaphern und Bilder, die Silesius verwendet, dienen dazu, die spirituellen Konzepte zugänglicher und anschaulicher zu machen. Zugleich findet sich hier auch eine Kritik an der Oberflächlichkeit und Vergänglichkeit des weltlichen Lebens.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der selige Weise“ des Autors Angelus Silesius. Geboren wurde Silesius im Jahr 1624 in Breslau. Das Gedicht ist in der Zeit von 1640 bis 1677 entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Barock zuordnen. Der Schriftsteller Silesius ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Der Begriff Barock stammt vom portugiesischen Wort „barroco“ ab und bedeutet so viel wie „schiefrunde Perle“. Die Bezeichnung für barock als Adjektiv wurde zunächst abwertend gebraucht. Der Begriff Barock als Bezeichnung für eine Epoche konnte sich erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts durchsetzen und gibt der Literaturepoche zwischen 1600 und 1720 den Namen. Der Barock ist durch ein zentrales Ereignis geprägt, dem Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648. Durch die schlechten sanitären Bedingungen konnten sich Infektionskrankheiten rasend ausbreiten. Rund ein Drittel der Menschen kamen durch den Krieg und sich ausbreitenden Seuchen, wie etwa der Pest, ums Leben. Durch die starke Verminderung der Bevölkerung schwächte sich das wirtschaftliche Leben zunehmend ab. Die Epoche des Barocks zeichnet sich vor allem durch die Antithetik, also einem von Widersprüchen und Gegensätzen geprägtem Bewusstsein, aus. Durch die Antithetik kommt es in der Literatur des Barocks vermehrt zur Verwendung von Gegensatzpaaren, wie zum Beispiel: Diesseits und Jenseits, Wollust und Tugend oder Weltzugewandtheit und Weltverneinung. Die Dichter der Renaissance nutzten noch die lateinische Sprache, die Autoren des Barock begannen, ihre Werke in Deutsch zu verfassen. Schriftsteller und Werke dieser Zeit sind vielzählig. Andreas Gryphius, Martin Opitz oder Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen sind unverkennbare Vertreter des Barocks.

Das vorliegende Gedicht umfasst 256 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 28 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Angelus Silesius sind „Du mußt geübt werden“, „Gott ist mein Himmelbrot“ und „Des Weisen Goldmachung“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Der selige Weise“ weitere 1832 Gedichte vor.

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