Das ist nicht auszustehn von Christian Felix Weiße

Wenn sich ein Narr im Pompe zeiget,
Der Pöbel sich demüthig beuget,
Sich niemals glaubet satt zu sehn:
Das laß ich gern geschehn.
Doch wenn bey magern plumpen Scherzen
Ein lauter Hof von ganzem Herzen
Sein Bravo! schreyt, schreyt: das war schön!
Das ist nicht auszustehn!
 
Wenn Fräulein, bey der Gans gebohren,
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Im städtischen galanten Thoren
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Den Phönix aller Junker sehn,
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Das laß ich gern geschehn!
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Doch wenn hochweis erfahrne Damen
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Das beste Herz um Westen, Namen
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Und fein fresiertes Haar verschmähn,
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Das ist nicht auszustehn!
 
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Wenn junge Krieger vor ihr Leben,
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Das sie zu sehr empfinden, beben,
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Mit blasser Stirn zu Felde gehn:
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Das laß ich gern geschehn.
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Doch wenn sie ohne Graun und Zagen
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Sich wild um Concubinen schlagen,
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Durch Brunst und Wein den Tod erflehn:
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Das ist nicht auszustehn!
 
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Wenn oft ein Mann beym zänkschen Weibe
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Ihr Mädchen sich zum Zeitvertreibe,
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So ungerecht es ist, ersehn:
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Das laß ich noch geschehn.
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Doch wenn ein Mann bey einer Schönen,
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Der Tugend Zier, des Jünglings Sehnen,
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Sucht plumpe Dirnen auszuspähn,
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Das ist nicht auszustehn!
 
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Wenn Mädchen, Herzen zu berücken,
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Sich tagelang vorm Spiegel schmücken,
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Und auch was menschliches versehn,
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Das laß ich gern geschehn.
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Doch wenn es alte Jungfern wagen,
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Den ganzen Lenz an sich zu tragen,
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Zu siegen sich noch unterstehn,
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Das ist nicht auszustehn!
 
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Wenn Juden niederträchtig sinnen,
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Durch schlauen Wucher zu gewinnen,
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Auf Vortheil, nicht auf Ehre sehn,
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Das laß ich gern geschehn!
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Doch wenn vom Schweiß gedrückter Armen
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Sich Fürsten mästen, ohn Erbarmen
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Da erndten, wo sie doch nicht sä’n:
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Das ist nicht auszustehn!
 
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Wenn Thoren mich unglücklich schätzen,
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Wenn sie bey schimmerndem Ergötzen
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Mich einsam ohne Reigen sehn;
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Das laß ich gern geschehn!
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Doch wenn sie taumelnd sich bemühen,
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Mich in ihr lermend Glück zu ziehen,
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Unwitzig Witz von mir erflehn,
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Das ist nicht auszustehn!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.5 KB)

Details zum Gedicht „Das ist nicht auszustehn“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
56
Anzahl Wörter
302
Entstehungsjahr
1758
Epoche
Aufklärung

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht ist von Christian Felix Weiße, einem deutschen Dichter der Aufklärung, der von 1726 bis 1804 lebte. Dieses Gedicht ist somit im Kontext des 18. Jahrhunderts, einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs und Rationalismus, zu verstehen.

Das Gedicht besteht aus sieben Strophen mit jeweils acht Versen. In jeder Strophe werden Situationen und Verhaltensweisen beschrieben, die das lyrische Ich einerseits tolerieren kann – dargestellt durch die Formulierung „Das laß ich gern geschehn“ - und andererseits Missstände, die es als unerträglich empfindet, ausgedrückt in dem wiederkehrenden Vers „Das ist nicht auszustehn!„

Die Aussagen des lyrischen Ichs spannen einen weiten Bogen über verschiedene Gesellschaftsgruppen und Verhaltensweisen: von der Huldigung der Mächtigen durch die Masse, über den falschen Thron der Schönheit und die Verluste der Tugend, bis hin zur Heuchelei und den sozio-ökonomischen Disparitäten. Am Schluss wendet sich das lyrische Ich direkt an das Publikum und erklärt seine Toleranz gegenüber deren Glücksgefühl, jedoch nicht, wenn sie versuchen, ihn damit zu überschütten oder seinen „Witz“ ungefragt zu beanspruchen.

In allen diesen Themen kritisiert das lyrische Ich eine mangelnde Authentizität und scheinheilige Haltung, die entweder gesellschaftlich erzwungen oder individuell ausgelebt wird. Es ist eine Kritik an den gesellschaftlichen Normen und Werten der damaligen Gesellschaft, welche Wahrheit und Tugend für äußeren Schein und soziale Anerkennung opfern.

Hinsichtlich Sprache und Form verwendet Weiße eine einfache und verständliche Ausdrucksweise. Die Struktur des Gedichts, mit einer klar definierten Trennlinie zwischen akzeptablen und nicht akzeptablen Verhaltens, steigert die Wirkung und Nachvollziehbarkeit der angeführten Kritikpunkte. Jede Strophe beinhaltet einen Kritikpunkt, welcher deutlich dargestellt und schließlich mit dem für Weiße typischen „Das ist nicht auszustehn!“ unterstrichen wird. Die wiederholende Struktur betont die Ironie und den lächerlichen Charakter der gesellschaftlichen Missstände. Es reflektiert seine ablehnende Haltung gegenüber der gesellschaftlichen Oberfläche und Heuchelei, während er seine Wertschätzung für Authentizität und Ehrlichkeit betont.

Weitere Informationen

Christian Felix Weiße ist der Autor des Gedichtes „Das ist nicht auszustehn“. Geboren wurde Weiße im Jahr 1726 in Annaberg. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1758. Der Erscheinungsort ist Leipzig. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Aufklärung zugeordnet werden. Der Schriftsteller Weiße ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 302 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 56 Versen. Der Dichter Christian Felix Weiße ist auch der Autor für Gedichte wie „An ein Veilchen“, „An einen Bach im Winter“ und „Befehl an Zephyr“. Zum Autor des Gedichtes „Das ist nicht auszustehn“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 100 Gedichte vor.

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