Das arme Mädchen von Frank Wedekind
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Böt’ mir Einer, was er wollte, |
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Weil ich arm und elend bin, |
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Nie, und wenn ich sterben sollte, |
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Gäb’ ich meine Ehre hin! |
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Schaudernd eilt das Mädchen weiter, |
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Ohne Obdach, ohne Brot, |
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Das Entsetzen ihr Begleiter, |
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Ihre Zuversicht der Tod. |
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Es klappert in den Laternen |
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Des Winters eisig Wehn, |
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Am Himmel ist von den Sternen |
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Kein einziger zu sehn. |
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Wie sie nun noch eine Strecke |
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Weiter irrt, sieht sie von fern |
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An der nächsten Straßenecke |
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Einen ernsten, jungen Herrn. |
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Ihm zu Füßen auf die Steine |
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Bricht sie ohne einen Laut, |
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Hält umklammert seine Beine, |
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Und der Herr verwundert schaut: |
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Wenn dich die Menschen verlassen, |
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Komm auf mein Zimmer mit mir; |
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Jetzt tobt in allen Gassen |
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Nur wilde Begier. |
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Und sie folgte seinen Schritten, |
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Hielt sich schüchtern hinter ihm; |
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Jener hat es auch gelitten, |
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Wurde weiter nicht intim. |
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Angelangt auf seinem Zimmer |
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Zündet er die Lampe an, |
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Bei des Lichtes mildem Schimmer |
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Bald sich ein Gespräch entspann: |
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Es boten mir wohl Viele |
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Ein Obdach für die Nacht, |
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Doch hatten sie zum Ziele, |
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Was mich erschaudern macht. |
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Ferne sei mir das Verlangen, |
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Sprach der ernste, junge Mann, |
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Dir zu färben deine Wangen, |
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Wenn ich’s nicht durch Güte kann. |
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Bat sie, länger nicht zu weinen, |
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Holte Wurst und kochte Tee, |
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Und am Morgen zog er einen |
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Taler aus dem Portemonnai. |
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Sie hat ihn bescheiden genommen |
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Und fand, eh’ der Tag vorbei, |
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Als Plätterin Unterkommen |
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In einer Wäscherei. |
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Aber ach, die Tage gingen |
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Und die Nächte freudlos hin, |
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Bluteswallungen umfingen |
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Ihren frommen Kindersinn. |
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Immer mußt’ sie sein gedenken, |
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Der so freundlich zu ihr war, |
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Immer mußt’ den Kopf sie senken |
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In der muntern Mädchenschar. |
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Und eines Abends um neune |
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Hielt sie’s nicht aus, |
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Lief ganz alleine |
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Nach seinem Haus. |
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Er war noch nicht heimgekommen, |
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Sie verkroch sich unters Bett, |
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Bis sie seinen Schritt vernommen, |
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Wo sie gern gejubelt hätt’. |
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Doch sie hielt sich still da unten, |
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Bis er sich zu Bett gelegt |
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Und den süßen Schlaf gefunden, |
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Dann erst hat sie sich geregt. |
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Leise wie eine Elfe |
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Schlupft sie zu ihm hinein: |
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Daß Gott mir helfe – |
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Ich bin dein! |
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Doch da hat er sich erhoben, |
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Wußte erst nicht, was geschah, |
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Hat die Kissen vorgeschoben, |
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Als das Kind er nackend sah: |
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Nein, jetzt will ich dich nicht haben; |
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Wohl dir, daß du mir vertraut! |
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Aber spare deine Gaben, |
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Denn schon morgen bist du Braut! |
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Er führte binnen acht Tagen |
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Sie wirklich zum Altar. |
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Es läßt sich gar nicht sagen, |
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Wie glücklich sie war. |
Details zum Gedicht „Das arme Mädchen“
Frank Wedekind
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84
410
1905
Moderne
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichtes „Das arme Mädchen“ ist Frank Wedekind. Geboren wurde Wedekind im Jahr 1864 in Hannover. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1905. Erscheinungsort des Textes ist München. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Moderne zugeordnet werden. Wedekind ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 410 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 84 Versen mit insgesamt 14 Strophen. Die Gedichte „An Berta Maria, Typus Gräfin Potocka“, „An Bruno“ und „An Elka“ sind weitere Werke des Autors Frank Wedekind. Zum Autor des Gedichtes „Das arme Mädchen“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 114 Gedichte vor.
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