Sie betrachtet das zerschlagene Angesicht Jesu Christi von Angelus Silesius

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O allerschönstes Angesicht,
Wie bist du zugericht!
O Sonne der Gerechtigkeit,
Wie ist dein Glanz verspeit!
Wo ist der Purpur deiner Wangen?
Wo der Korallenmund?
Wo die Gestalt, die mich gefangen
Und bis ans Herze hat verwundt?
 
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Seh ich doch nichts, o wahrer Gott,
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An dir als Hohn und Spott!
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Wie ist doch deiner Augen Licht
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So ganz und gar vernicht!
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Wo vormals Sammetrosen stunden,
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Mit Lilien untermengt,
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Da sind jetzt Beulen, Schläg und Wunden
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Mit Speichel und mit Kot besprengt.
 
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Wer hats getan, mein Augentrost?
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Wer war doch so verbost?
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Wer durfte solche Grausamkeit
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Dir antun ungescheut?
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Ach weh! ich, ich mit meinen Sünden,
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Ich, ich habs selbst getan!
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Ich hab dich selber helfen binden,
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Geschlagen und gespieen an.
 
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Ach weh! wo wend ich mich nun hin,
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Weil ich der Täter bin.
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Wo find ich wieder Gnad und Huld
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Auf solche große Schuld?
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Ich bleib, o Jesu, bei dir stehen
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Und weiche nicht von dir,
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Kann auch vor Angst nicht weiter gehen,
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Es ist mir leid, vergib es mir.
 
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O allerliebstes Angesicht,
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Vergib und zürne nicht!
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O honigsüßer Rosenmund,
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Verzeih mirs diese Stund!
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Ich will mit lauter Liebestränen
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Abwaschen diesen Spott
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Und mich mit höchstem Fleiß gewöhnen,
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Zu ehrn dein Antlitz bis in Tod.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.9 KB)

Details zum Gedicht „Sie betrachtet das zerschlagene Angesicht Jesu Christi“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
45
Anzahl Wörter
205
Entstehungsjahr
1624 - 1677
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Sie betrachtet das zerschlagene Angesicht Jesu Christi“ stammt von Angelus Silesius, einem Mystiker und Lyriker aus dem Barock, der zwischen 1624 und 1677 lebte.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht sehr emotional und religiös aufgeladen. Der Fokus liegt dabei auf dem jesuanischen Leidensweg und dem zerschlagenen Gesicht Jesu Christi.

Inhaltlich wird in der ersten Strophe die Schönheit Jesu betont und der veränderte Zustand seines Gesichts, zerschlagen und misshandelt, betrauert. In der zweiten Strophe erkennt das lyrische Ich nur noch Hohn und Spott in Jesus' Gesicht, wo früher Schönheit war. In der dritten Strophe sucht das lyrische Ich nach dem Schuldigen, gibt dann aber sich selbst und seine Sünden die Schuld an der Misshandlung Jesu. In den letzten beiden Strophen bittet es um Vergebung und verspricht, Jesu Gesicht zu ehren bis in den Tod. Hier äußert das lyrische Ich starke Reue und Bereitschaft zur Sühne.

Die Form des Gedichts besteht aus fünf achteiigen Strophen mit einem klaren Reimschema (abababcd). Dies schafft eine klare Struktur und Klarheit im emotionalen und thematischen Ablauf des Gedichts. Im Barock war es üblich, religiöse Themen in hochstilistischer Sprache darzustellen, und Silesius' Poesie entspricht diesem Stil.

Die Sprache ist stark bildhaft und nutzt Metaphern wie das „Allerschönste Angesicht“ oder „Sonne der Gerechtigkeit“, um Jesus darzustellen. Ebenso verwendet der Autor Worte wie „zugericht“, „Hohn und Spott“, sowie „Beulen, Schläge und Wunden“ um die Misshandlung und das Leiden Jesu zu verdeutlichen. Das Gedicht enthält auch viele Ausrufe, die das emotionale Gewicht unterstreichen. Hierdurch wird das tiefe emotionale Engagement des lyrischen Ichs für Jesus betont und eine bildhafte Schilderung des Leidens Jesu und der darin mitschwingenden Schuldfrage präsentiert.

Schlussendlich lässt sich sagen, dass Angelus Silesius' Gedicht „Sie betrachtet das zerschlagene Angesicht Jesu Christi“ ein intensives Zeugnis von barocker religiöser Poesie ist, das tiefe Emotionen und eine reflektierte Auseinandersetzung mit dem Leidensweg Jesu Christi offenbart.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Sie betrachtet das zerschlagene Angesicht Jesu Christi“ ist Angelus Silesius. 1624 wurde Silesius in Breslau geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1640 und 1677. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Barock zuordnen. Der Schriftsteller Silesius ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Literaturepoche des 17. und 18. Jahrhunderts, die wir heute als Barock bezeichnen, leitet sich aus dem Portugiesischen ab. Das portugiesische Wort stammt ursprünglich aus dem Juwelierhandwerk und heißt auf Deutsch „schiefrunde, unregelmäßige Perle“. Der Dreißigjährige Krieg, der im Jahr 1618 begann und 30 Jahre später (also 1648) endete, hat die Literaturepoche des Barocks stark geprägt. Der Krieg war eine Katastrophe von unvorstellbarem Ausmaß. Die Menschen litten unter den Kämpfen, Hungersnöten, aber vor allem unter der Pest, an der eine Vielzahl von Menschen verstarb. Die Anzahl der Menschen Deutschlands ging um etwa ein Drittel zurück. Die Autoren der Literaturepoche des Barocks thematisierten die Gegensätze in fast allen Lebensbereichen. Dies bezeichnet man auch als Antithetik. Thematisch folgten die Autoren der Antithetik und stellten in ihren Werken Gegensätze in den Mittelpunkt – etwa Jenseits und Diesseits, Sein und Schein oder Blüte und Verfall. In Deutschland kam es durch den Barock zu einer Ablösung des Lateinischen im Schriftwerk - einschließlich der philosophischen und wissenschaftlichen Literatur - durch das Deutsche. Die Hauptvertreter der Dichtung im Barock sind Martin Opitz, Paul Fleming, Christian Hofmann von Hofmannswaldau, Andreas Gryphius, Johann Christian Günther, Simon Dach, Friedrich von Logau und Angelus Silesius.

Das vorliegende Gedicht umfasst 205 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 45 Versen. Der Dichter Angelus Silesius ist auch der Autor für Gedichte wie „Des Weisen Goldmachung“, „Vom Wissen“ und „Vom Gewissen“. Zum Autor des Gedichtes „Sie betrachtet das zerschlagene Angesicht Jesu Christi“ haben wir auf abi-pur.de weitere 1832 Gedichte veröffentlicht.

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