Sie betrachtet seine am Kreuz ausgespannten Arme und Hände von Angelus Silesius

1
Was bedeut dies, ihr Jungfrauen,
Daß wir unseren Bräutgam schauen
Mit ausgestreckten Armen stehn?
Daß er beide Händ ausbreitet
Und sein Blut heraußer spreitet
Und daß er sich läßt so erhöhn?
 
2
Tut ers nicht, uns zu erlangen,
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Zu umhalsen, zu umfangen
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Und unsre Seel zu sich zu ziehn?
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Freilich ja, er will vom Bösen
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Seine Braut hiermit erlösen,
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Drum geht doch näher zu ihm hin.
 
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Gehet, daß ihr seht die Plagen
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Seiner Hände, die durchschlagen
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Und an das Kreuz geheftet sein.
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Daß ihr seht, mit was für Wunden
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Euer Bräutgam sich verbunden,
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Euch zu erretten aus der Pein.
 
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Schaut das Leiden seiner Armen,
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Daß es einen Stein erbarmen
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Und einen Stock bewegen sollt!
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Ist nicht alles so zerrenket,
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Ausgezogen und gekränket,
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Wie seine Feinde selbst gewollt!
 
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O der großen Liebesflamme,
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Die ihn an des Kreuzes Stamme
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So ausgespannet stehen macht!
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Hat man vormals auch gesehen
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Solches Wunderwerk geschehen,
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Als der verliebte Gott erdacht?
 
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Dank sei dir für diese Schmerzen,
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Jesu Christ, von ganzem Herzen
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Und für die große Mildigkeit!
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Denn dadurch hast du erworben
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Meine Hände, die verdorben
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Durch Neid und Unbarmherzigkeit.
 
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Gib, daß ich nicht müde werde
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Guts zu tun auf dieser Erde
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Mit meinen Händen, was ich kann.
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Daß ich deine Leiden preise
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Und dir wieder Dienst erweise,
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Weil du hast mir so viel getan.
 
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Daß du mir an meinem Ende
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Reichest deine treuen Hände
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Und seligmachenden Verdienst.
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Daß ich in den keuschen Armen
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Hocherfreulich mög erwarmen
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Mit unaufhörlichem Gewinst.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.9 KB)

Details zum Gedicht „Sie betrachtet seine am Kreuz ausgespannten Arme und Hände“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
56
Anzahl Wörter
242
Entstehungsjahr
1624 - 1677
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Angelus Silesius, bürgerlicher Name Johann Scheffler. Er lebte im 17. Jahrhundert, genauer von 1624 bis 1677.

Das Gedicht hinterlässt auf den ersten Eindruck einen tiefen christlichen Glauben des Autors. Es greift die Leiden Christi am Kreuz auf und schildert diese sehr bildreich und emotional.

Inhaltlich geht es darum, dass das lyrische Ich, wahrscheinlich eine Jungfrau, die Leiden Christi am Kreuz betrachtet. Im Kontext der damaligen Zeit versteht man darunter den Kreuzestod Jesu Christi. Das lyrische Ich versucht zu verstehen, was die Leiden von Jesus Christus bedeuten und wie man sie interpretieren kann. Dabei kommt es zu dem Schluss, dass die ausgebreiteten Arme von Jesus ein Symbol der Liebe und Hingabe sind. Das Leiden von Christus ist in diesem Gedicht ein Zeichen von erbarmungsloser Liebe und Erlösung, was durch die Worte „O der großen Liebesflamme“ in Vers 25 und „erlösen“ in Vers 11 unterstrichen wird. Im weiteren Verlauf drückt das lyrische Ich seine Dankbarkeit für dieses Opfer aus und beschreibt, wie es dazu inspiriert wird, auch in seinem eigenen Leben gutes zu tun.

Das Gedicht ist in acht Strophen zu je sechs Versen unterteilt. Es besitzt einen klaren Rhythmus und Reim, wodurch es einen melodischen Klang erhält. Silesius nutzt einfache, aber dennoch aussagekräftige und bildreiche Sprache. Symbolik und Metaphern spielen eine wichtige Rolle, wie etwa „Liebesflamme“ als Metapher für die Leidenschaft Christi, oder „verdorbene Hände“ als Symbol für menschliche Fehler und Sünden.

Insgesamt vermittelt das Gedicht eine Botschaft der Erlösung durch Christi Opfer und die Inspiration, ein gutes Leben zu führen. Zudem ist es ein Ausdruck tiefster religiöser Verehrung und Hingabe.

Weitere Informationen

Angelus Silesius ist der Autor des Gedichtes „Sie betrachtet seine am Kreuz ausgespannten Arme und Hände“. 1624 wurde Silesius in Breslau geboren. In der Zeit von 1640 bis 1677 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Barock zu. Silesius ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Der Barock umfasst etwa den Zeitraum von 1600 bis 1720. Die wörtliche Übersetzung des portugiesischen Wortes „barocco“ lautet „unregelmäßig geformte Perle“. Der Dreißigjährige Krieg gilt als das maßgebende Bezugselement des Barocks. Der Dreißigjährige Krieg hinterließ ein politisch, wirtschaftlich und kulturell verfallenes Deutsches Reich. Aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen wurden ganze Landstriche entvölkert. Es wurden Zerstörung, Gewalt und Tod zum Teil des Alltags der Menschen. Hungersnöte und Seuchen, wie die Pest, verschlimmerten die bedrohliche Situation der Bevölkerung weiter. Allein der Ausbruch der Pest reduzierte die Bevölkerung um ein Drittel. Die Epoche des Barocks zeichnet sich vorwiegend durch die Antithetik, also einem von Gegensätzen und Widersprüchen geprägtem Bewusstsein, aus. Durch die Antithetik kommt es im Barock vermehrt zur Verwendung von Gegensatzpaaren, wie zum Beispiel: Jenseits und Diesseits, Wollust und Tugend oder Weltzugewandtheit und Weltverneinung. Die Dichter der Renaissance schrieben noch auf Lateinisch, die Autoren der Literaturepoche des Barocks begannen, ihre Werke in Deutsch zu verfassen. Zu den berühmten Schriftstellern des Barocks gehören unter anderem: Martin Opitz, Casper von Lohenstein, Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, Andreas Gryphius, Caspar Ziegler, Paul Fleming, Angelus Silesius und Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau.

Das Gedicht besteht aus 56 Versen mit insgesamt 8 Strophen und umfasst dabei 242 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Angelus Silesius sind „Des Weisen Goldmachung“, „Vom Wissen“ und „Vom Gewissen“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Sie betrachtet seine am Kreuz ausgespannten Arme und Hände“ weitere 1832 Gedichte vor.

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