Sie weist die Seele in die Wunden Christi von Angelus Silesius

1
Ach, was laufst du hin und her
Über Land und über Meer?
Geh doch ein, o arme Seele,
In deins Hirten offne Höhle.
Nimm in Christi Wunden Ruh,
Du verirrtes Schäflein du.
 
2
Seine Wunden sind die Stadt,
10 
Da man Schutz und Freiheit hat.
11 
Seine Wunden sind die Graben,
12 
Die wir für die Wölfe haben.
13 
Seine Wunden sind der Port,
14 
Da kein Unfall wird erhort.
 
15 
3
16 
Seine Wunden sind allzeit
17 
Voller Trost und Süßigkeit.
18 
Seine Wunden sind die Bronnen,
19 
Da das Heil kommt raus geronnen.
20 
Seine Wunden sind der Fluß,
21 
Der uns tränkt mit ewgem Kuß.
 
22 
4
23 
Seine Wunden sind das Feld,
24 
Das am besten ist bestellt.
25 
Seine Wunden sind die Matten,
26 
Die vor andren haben Schatten.
27 
Seine Wunden geben Lust
28 
Und erquicken Herz und Brust.
 
29 
5
30 
Seine Wunden sind die Au
31 
Voll vom besten Himmelstau.
32 
Seine Wunden sind die Weide
33 
Voller Blumen, voller Freude.
34 
Sie erfülln und machen satt,
35 
Wer nur kommt und Hunger hat.
 
36 
6
37 
Ei, so gehe doch hinein,
38 
Du verarmtes Schäfelein.
39 
Laß die Welt und ihren Haufen
40 
Immer in die Irre laufen.
41 
Eile Christi Wunden zu
42 
Und begib dich da zur Ruh.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.7 KB)

Details zum Gedicht „Sie weist die Seele in die Wunden Christi“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
42
Anzahl Wörter
181
Entstehungsjahr
1624 - 1677
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Sie weist die Seele in die Wunden Christi“ wurde von Angelus Silesius geschrieben, der im kirchlichen Kontext auch Johannes Scheffler genannt wurde. Der Autor wurde am 25. Dezember 1624 getauft und verstarb am 9. Juli 1677. Daher stammt das Gedicht aus dem 17. Jahrhundert.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht ergreifend und leidenschaftlich. Es vermittelt eine tiefe religiöse Hingabe und Devotion.

Inhaltlich richtet sich das lyrische Ich an die „arme Seele“, und fordert sie auf, Zuflucht in den Wunden Christi zu suchen. Die Metapher des „verirrten Schäfleins“ weist hier auf eine christliche Lesart hin: Die „Seele“ - oder der Mensch - wird als Schaf dargestellt, das seinen Weg ohne seinen Hirten, hier Christus, nicht finden kann. Die „Wunden Christi“ stehen symbolisch für den Opfertod Jesu am Kreuz, der nach christlichem Verständnis den Menschen Erlösung bringt.

Das lyrische Ich beschreibt die Wunden Christi als Ort des Trosts, der Sicherheit und der Süßigkeit. Diese werden weiterhin als Quelle des Heils, als Feld, das am besten bestellt ist, als Matten, die vor anderen Schatten haben, und als Weide voller Blumen und Freude dargestellt. Diese bildreiche Sprache verweist auf die erlösende und tröstende Funktion, die das Leiden Christi in der christlichen Theologie innehat.

Formal besteht das Gedicht aus sechs sechszeiligen Strophen, wobei jede Strophe die allegorische und symbolische Darstellung der Wunden Christi und ihrer Bedeutung vertieft. Die Bildsprache ist stark und anschaulich, aber einfach gehalten.

Sprachlich überwiegen archaische Wendungen und ein erhöhter Sprachduktus, der das tiefe religiöse Empfinden des lyrischen Ichs unterstreicht. Diese Elemente verleihen dem Gedicht eine gewisse Würde und Hoheit, die dem ernsten und gewichtigen Thema Rechnung trägt.

Zusammenfassend handelt es sich bei dem Gedicht „Sie weist die Seele in die Wunden Christi“ um ein tief religiöses Werk, das die zentrale christliche Vorstellung von der erlösenden Funktion des Leidens Christi symbolisch und bildreich darstellt. Die Form und Sprache des Gedichts dienen dabei der Vertiefung und Intensivierung dieser Botschaft.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Sie weist die Seele in die Wunden Christi“ ist Angelus Silesius. Im Jahr 1624 wurde Silesius in Breslau geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1640 und 1677. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Barock zuordnen. Bei dem Schriftsteller Silesius handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Epoche des Barocks dauerte von etwa 1600 bis 1720 an. Die Begrifflichkeit „Barock“ leitet sich vom portugiesischen Wort „barocco“ ab und bedeutet „schiefrunde, seltsam geformte Perle“. Das Zeitalter des Barocks wurde durch den Dreißigjährigen Krieg stark beeinflusst – Hunger, Seuchen, Vergewaltigung und Tod sorgten für großes Elend bei der Bevölkerung in Europa. So schrumpfte die Bevölkerung in Deutschland von etwa 28 Millionen im Jahr 1615 auf 11 Millionen Menschen am Ende des Krieges im Jahr 1648. Elend und Krieg lösten in der Bevölkerung ein tiefes Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit aus. Dagegen lebten die alleinigen, absolutistischen Herrscher in verschwenderischem Luxus und ließen sich Prunkschlösser errichten. Diese Gegensätze von Lebenslust und Todesangst bzw. Luxus und Armut spiegelten sich ebenso in der Literatur wider. In der Lyrik wird die Verwendung solcher inhaltlichen Gegensätze als Antithetik bezeichnet. Im Zeitalter des Barocks löste die deutsche Sprache das Lateinische ab. Die Autoren gehörten in der Regel dem Gelehrtenstand an: Theologen, Akademiker, Beamte und Adelige. Berühmte Dichter des Barocks sind etwa Andreas Gryphius, Martin Opitz, Daniel Caspar von Lohenstein, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau oder Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen.

Das 181 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 42 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Angelus Silesius ist auch der Autor für Gedichte wie „Vom Wissen“, „Vom Gewissen“ und „Der Allerverliebteste, der Allerheiligste“. Zum Autor des Gedichtes „Sie weist die Seele in die Wunden Christi“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 1832 Gedichte vor.

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